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Wechselbezüglichkeit bei gemeinschaftlichem Testament – Umfang

OLG Hamm – Az.: I-10 W 59/20 – Beschluss vom 15.01.2021

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 3) vom 20.03.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Lemgo vom 17.02.2020 dahingehend abgeändert, dass die Tatsachen, die zur Begründung des Erbscheinantrages des Beteiligten zu 3) vom 20.11.2020 erforderlich sind, für festgestellt erachtet werden. Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Lemgo wird angewiesen, dem Beteiligten zu 3) einen Erbschein mit folgendem Inhalt zu erteilen:

Die am 00.00.2019 verstorbene B, geborene C, geboren am 00.00.1946 in D, ist von dem Beteiligten zu 3) als Vorerbe allein beerbt worden. Es ist Nacherbschaft angeordnet. Nacherbe nach dem Tod des Beteiligten zu 3) ist der Beteiligte zu 1).

Die Gerichtsgebühren für den Erbscheinsantrag trägt der Beteiligte zu 3). Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2) und 3) in beiden Instanzen werden dem Beteiligten zu 1) auferlegt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin aus deren erster Ehe. In zweiter Ehe war die Erblasserin mit F verheiratet, aus dessen erster Ehe die Beteiligte zu 2) stammt. Die Ehe der Erblasserin mit F blieb kinderlos.

Am 12.02.1997 errichteten die Erblasserin und F ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben des Längstlebenden zu gleichen Teilen einsetzten.

Am 00.00.2000 errichteten sie vor dem Notar G in H ein gemeinschaftliches notarielles Testament (UR-Nr. ####/2000, Bl. 74 ff. der Akte 12 IV 204/19, AG Lemgo), in dem sie sich – nach vorsorglichem Widerruf früherer letztwilliger Verfügungen – gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Ferner bestimmten sie, dass Erben des Längstlebenden die Beteiligten zu 1) und 2) zu gleichen Teilen, ersatzweise deren Abkömmlinge, sein sollten. Die Schlusserbeneinsetzung sollte entfallen, falls das nach dem Tod des Erstversterbenden pflichtteilsberechtigte Kind den Pflichtteil fordern sollte. Unter Ziffer 4. ist folgende Regelung aufgenommen:

„Der Längstlebende von uns kann über den Nachlaß frei verfügen. Eine Befugnis zur Änderung dieser Verfügung von Todes wegen ist damit jedoch nicht verbunden.“

Die Erblasserin errichtete sodann am 00.00.2005 ein privatschriftliches Testament mit folgendem Inhalt:

„Mein letzter Wille!

Ich, B, geb. C, geb. am 00.00.1946 in D, wohnhaft in E, I-Straße # verfüge für den Fall meines Todes, das mein Ehemann F über das ges. Vermögen, Sparbücher, Eigentumswohnung u.s.w. allein verfügen kann. Erst nach unserer beiden Todes sollen die Kinder J geb. am 00.00.1969 wohnhaft in ##### K, L-Straße # und M geb. am 00.00.1963 wohnhaft in ##### N O-Straße ### das Erbe antreten können. (zu gleichen Teilen)“

Das Testament ist sowohl von der Erblasserin als auch ihrem Ehemann unterschrieben worden.

Am gleichen Tag errichtete der Ehemann der Erblasserin ebenfalls ein privatschriftliches Testament mit nahezu identischem Wortlaut, das sowohl von ihm als auch der Erblasserin unterzeichnet worden ist.

Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 00.00.2011 und ist von dieser allein beerbt worden.

Am 00.00.2018 errichtete die Erblasserin ein weiteres handschriftliches Testament. Darin setzte sie den Beteiligten zu 3) – ihren Lebensgefährten – zu ihrem Alleinerben ein und bestimmte, dass nach dessen Tod der Beteiligte zu 1) alles erbe, was noch übrig sei. Ergänzend verfügte die Erblasserin, dass der Beteiligte zu 3) von dem Erbe nichts verkaufen oder verschenken dürfe.

Wegen des genauen Wortlauts wird auf das Originaltestament (Bl. 61 der Akte 12 IV 204/19, AG Lemgo) Bezug genommen.

Am 00.00.2019 verstarb die Erblasserin.

Mit E-Mail vom 31.03.2019 wandte sich die Beteiligte zu 2) an das Nachlassgericht. Sie verwies darauf, nach dem Tod ihres Vaters am 00.00.2011 Testamentsabschriften erhalten zu haben, aus denen hervorgehe, dass der Sohn der Erblasserin und sie jeweils zur Hälfte als Erben eingesetzt seien. Sie bat um Mitteilung des weiteren Vorgehens in dieser Angelegenheit, insbesondere zu der Frage, ob sie einen Erbschein beantragen müsse und ob der Beteiligte zu 1) bereits über den Tod der Erblasserin in Kenntnis gesetzt worden sei.

Am 08.04.2019 wurden sämtliche letztwilligen Verfügungen durch das Amtsgericht – Nachlassgericht – Lemgo eröffnet. In dem Übersendungsschreiben, mit dem den Beteiligten die letztwilligen Verfügungen und das Eröffnungsprotokoll übersandt worden sind, hat das Nachlassgericht darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit der Verfügungen von Todes wegen nicht bereits im Testamentseröffnungsverfahren, sondern erst in einem eventuellen Erbscheinsverfahren geprüft werde. Vorliegend sei insbesondere zu prüfen, inwieweit der Verstorbenen eine Abänderung der gemeinschaftlichen Testamente mit dem vorverstorbenen Ehemann möglich gewesen sei.

Mit Schreiben vom 25.09.2019 (Bl. 4 f. d. A.) wandte sich das Nachlassgericht erneut an die Beteiligten. Es wies darauf hin, dass die Erbfolge unklar sei und die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügungen erst in einem Erbscheinsverfahren geprüft werde. Da Grundeigentum zum Nachlass gehöre, sei die Beantragung eines Erbscheins zwingend erforderlich. Sofern ein solcher Antrag nicht binnen eines Monats eingehen werde, sei beabsichtigt, einen Nachlasspfleger zu bestellen.

Die Beteiligten zu 1) und 3) kündigten daraufhin jeweils die Stellung eines Erbscheinsantrages an.

Die Beteiligte zu 2) erklärte am 29.10.2019 zu Protokoll des Amtsgerichts Rheinberg die Ausschlagung der Erbschaft nach der Erblasserin. Dabei gab sie an, bislang davon ausgegangen zu sein, dass das zuletzt errichtete Testament gültig und sie nicht Erbin geworden sei. Aufgrund des Schreibens des Amtsgerichts Lemgo von Ende September habe sie hieran Zweifel bekommen und könne nicht mehr ausschließen, dass ihr die Erbschaft doch zugefallen sei. Wenn ihr dies früher bekannt geworden sei, hätte sie früher die Erbschaft ausgeschlagen. Vorsorglich fechte sie die eventuell angenommene Erbschaft wegen Irrtums an.

Wegen des genauen Wortlauts wird auf die Ausschlagungserklärung (Bl. 2 ff. der Akte 12 VI 1021/19, AG Lemgo) Bezug genommen. Die Ausschlagungserklärung ist am 05.11.2019 bei dem Amtsgericht Lemgo eingegangen.

Am 13.11.2019 erklärte die Tochter der Beteiligten zu 2) ebenfalls die Ausschlagung der Erbschaft nach der Erblasserin (Bl. 9 f. d. A. 12 VI 1021/19, AG Lemgo).

Der Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn und die Beteiligte zu 2) zu Erben der Erblasserin zu je ½ ausweisen soll. Er hat die Ansicht vertreten, die Erblasserin habe nicht mehr abweichend zu den gemeinschaftlichen Testamenten verfügen können. Die darin enthaltene Schlusserbeneinsetzung sei wechselbezüglich und damit bindend.

Der Beteiligte zu 3) hat die Erteilung eines Alleinerbscheins zu seinen Gunsten beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, die Schlusserbeneinsetzung in dem Testament vom 00.00.2005 sei nicht wechselbezüglich, jedenfalls nicht, soweit der Beteiligte zu 1) eingesetzt worden sei, der weder mit dem vorverstorbenen Ehemann der Erblasserin verwandt noch diesem nahestehend gewesen sei. Durch das Testament vom 00.00.2018 habe die Erblasserin wirksam die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) aufgehoben und stattdessen ihn, den Beteiligten zu 3), als Erben eingesetzt. Es wären danach die Beteiligten zu 2) und 3) Erben zu gleichen Teilen geworden, wobei die Beteiligte zu 2) die Erbschaft wirksam ausgeschlagen habe, so dass er, der Beteiligte zu 3), Alleinerbe sei. Darüber hinaus enthalte das Testament vom 00.00.2005 anders als das Testament vom 00.00.2000 kein Änderungsverbot, so dass die Erblasserin zu einer abweichenden Testierung befugt gewesen sei.

Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Lemgo hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.02.2020 den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 3) zurückgewiesen und die zur Begründung des Erbscheinsantrages des Beteiligten zu 1) erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Beteiligten zu 1) und 2) hätten die Erblasserin aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments der Erblasserin und ihres Ehemannes vom 00.00.2005 zu gleichen Teilen beerbt. Die darin enthaltene Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) habe die Erblasserin nicht durch ihr Testament vom 00.00.2018 widerrufen, die darin enthaltene Erbeinsetzung des Beteiligten zu 3) sei unwirksam. Es spreche viel dafür, dass die Erblasserin bereits aufgrund des Änderungsverbots unter Ziffer 4. des Testaments vom 00.00.2000, das nicht durch die späteren gemeinschaftlichen Testamente widerrufen worden sei, nicht zu einer abweichenden Verfügung befugt gewesen sei. Jedenfalls sei die von der Schlusserbeneinsetzung abweichende Einsetzung des Beteiligten zu 3) nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam. Die Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) sei mit der wechselseitigen Erbeinsetzung der Ehegatten wechselbezüglich. Es sei davon auszugehen, dass die Eheleute das Kind des jeweils anderen Ehegatten nur deshalb zum Schlusserben eingesetzt haben, weil dies auch der andere Ehegatte so angeordnet habe und sie sich wechselseitig zu Alleinerben berufen haben.

Die durch die Beteiligte zu 2) erklärte Erbausschlagung sei nicht rechtzeitig nach § 1944 Abs. 1 BGB erfolgt und damit unwirksam. Diese habe mit der Übersendung der Testamentsablichtungen durch Schreiben vom 08.04.2019 Kenntnis von dem Erbanfall und ihrer möglichen Erbenstellung erhalten. Ein rechtlicher Irrtum stehe der Kenntniserlangung nicht entgegen. Zwar könne eine rechtliche Fehleinschätzung der Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung der Kenntniserlangung entgegenstehen. Das sei aber dann nicht der Fall, wenn dem Erben alle Umstände seiner möglichen Erbenstellung bekannt seien, er aber die Augen vor dieser Kenntnis verschließe. Das sei hier der Fall, denn das Nachlassgericht habe bereits mit Schreiben vom 08.04.2019 darauf hingewiesen, dass die Wirksamkeit der abweichenden Erbeinsetzung im Testament vom 00.00.2018 erst geprüft werden müsse. Die Beteiligte zu 2) habe deshalb nicht annehmen dürfen, dass nicht sie, sondern allein der Beteiligte zu 3) zum Erben berufen sei. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, weshalb sie erst mit Erhalt des Schreibens vom 25.09.2019 Kenntnis von ihrer möglichen Miterbenstellung erhalten haben wolle.

Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 3) mit seiner Beschwerde, die zunächst auf die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zugunsten der Beteiligten zu 2) und 3) gerichtet war.

Er ist der Ansicht, durch die Testamente vom 00.00.2005 seien die vorangegangenen gemeinschaftlichen Testamente konkludent widerrufen worden. Für den Tod des Erstversterbenden habe der Überlebende das Recht erhalten, über das gesamte Vermögen allein zu verfügen. Eine Einschränkung der Verfügungsbefugnis zu Lebzeiten und für den Fall des Todes sei dabei ausdrücklich nicht getroffen worden. Insbesondere sei die Formulierung „Eine Befugnis zur Änderung der Verfügung von Todes wegen ist damit jedoch nicht verbunden“ nicht in die Testamente vom 00.00.2005 aufgenommen worden. Dies sei ein eindeutiges Indiz dafür, dass dem Überlebenden die Befugnis überlassen sein sollte, im Fall von etwaigen Unstimmigkeiten mit dem leiblichen Kind eine Änderung der letztwilligen Verfügung vorzunehmen. Die Erbeinsetzung des Beteiligten zu 3) als Vorerbe sei auch nicht nach § 2271 Abs. 2 BGB unwirksam, weil die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 1) durch die Erblasserin nicht wechselbezüglich sei. Insoweit sei die Erblasserin zu einer Abänderung berechtigt gewesen.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14.05.2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Nach rechtlichem Hinweis des Senats beantragt der Beteiligte zu 3) mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 20.11.2020 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als alleinigen Vorerben und den Beteiligten zu 1) als Nacherben der Erblasserin ausweist, wobei der Nacherbfall mit dem Tod des Beteiligten zu 3) eintritt.

Diesem Antrag ist der Beteiligte zu 1) nach Rücknahme des eigenen Erbscheinsantrages vom 16.12.2019 nicht entgegen getreten.

Der Senat hat die Akten 12 IV 204/19 und 12 VI 1021/19, jeweils Amtsgericht Lemgo, beigezogen.

II.

Die nach § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist mit dem zuletzt gestellten Antrag auf Erteilung eines Erbscheins begründet.

Dem Beteiligten zu 3) ist der am 20.11.2020 beantragte Erbschein zu erteilen, denn er hat die Erblasserin aufgrund des Testaments vom 00.00.2018 als alleiniger Vorerbe beerbt und der Beteiligte zu 1) ist als Nacherbe berufen, wobei der Nacherbfall mit dem Tod des Vorerben eintritt.

1.

In ihrem eigenhändigen Testament (§ 2247 BGB) vom 00.00.2018 hat die Erblasserin ausdrücklich bestimmt, dass der Beteiligte zu 3) ihr Alleinerbe wird.

Die weitere testamentarische Bestimmung, wonach der Beteiligte zu 1) nach dem Tod des Beteiligten zu 3) alles erbe, was noch übrig sei, stellt die Anordnung einer Nacherbschaft im Sinne des § 2100 BGB zugunsten des Beteiligten zu 1) dar.

Es liegt trotz der verwendeten Formulierung „erbt alles was noch übrig ist mein Sohn J“ keine befreite Vorerbschaft nach §§ 2136, 2137 Abs. 1 BGB vor, da die Erblasserin zusätzlich angeordnet hat, dass der Beteiligte zu 3) nichts vom Erbe verkaufen oder verschenken darf.

2.

Der Wirksamkeit dieser testamentarischen Anordnungen steht nicht entgegen, dass die Erblasserin und ihr Ehemann am 00.00.2005 im Wesentlichen gleichlautende Testamente errichtet haben, in denen sie sich wechselseitig zu Alleinerben und die Beteiligten zu 1) und 2) als Schlusserben des Längerlebenden eingesetzt haben.

a) Soweit der Beteiligte zu 1) als Schlusserbe eingesetzt worden ist, war die Erblasserin an einer abweichenden Testierung nicht nach § 2271 Abs. 2 BGB gehindert.

Zwar handelt es sich bei den am gleichen Tag und Ort handschriftlich durch die Ehegatten errichteten letztwilligen Verfügungen um ein gemeinschaftliches Testament im Sinne des § 2265 BGB, weil der Aufbau der Verfügungen übereinstimmt, der Wortlaut nahezu identisch und zum Teil im Plural („nach unserer beiden Todes“) formuliert ist und jeder Ehegatte auch die Verfügung des anderen mitunterzeichnet hat.

Die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 1) durch die Erblasserin ist jedoch nicht wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann, so dass die Erblasserin nach dem Tod ihres Ehemannes insoweit nicht gem. § 2271 Abs. 2 BGB gebunden gewesen ist.

Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind wechselbezüglich diejenigen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Ein solches Verhältnis der Verfügungen zueinander ist nach Absatz 2 im Zweifel dann anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht.

Wenn sich jedoch Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Alleinerben und zu Schlusserben teils Verwandte nur des einen Ehegatten und teils Verwandte nur des anderen Ehegatten einsetzen, so ist im Zweifel nur davon auszugehen, dass die gegenseitigen Erbeinsetzungen und die zugunsten der Verwandten des anderen Ehegatten getroffenen Verfügungen im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zueinander stehen. Es ist dagegen nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass auch die Zuwendungen zugunsten der eigenen Verwandten voneinander abhängen. Es entspricht vielmehr der Lebenserfahrung, dass ein Ehegatte regelmäßig dem anderen das Recht belassen will, die Einsetzung derjenigen Schlusserben abzuändern, die nur mit dem überlebenden Ehegatten verwandt sind (OLG Schleswig, Beschluss vom 05.09.2011, 3 Wx 64/10, FamRZ 2012, 402 ff, Rn. 16 nach juris m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben war die Erbeinsetzung der Erblasserin durch ihren Ehemann zwar wechselbezüglich zu der Schlusserbeneinsetzung seiner Tochter, der Beteiligten zu 2), durch die Erblasserin, nicht aber zu der Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 1), da dieser nur mit der Erblasserin verwandt war und dem Ehemann der Erblasserin auch nicht im Sinne des § 2270 Abs. 2 BGB nahestand.

Die Erblasserin war daher berechtigt, die Schlusserbeneinsetzung des Beteiligten zu 1) abzuändern und mit Testament vom 00.00.2018 stattdessen den Beteiligten zu 3) zum Erben einzusetzen.

b) In Bezug auf die wechselbezügliche (§ 2270 Abs. 1 BGB) Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) war die Erblasserin zwar nach dem Tod ihres Ehemannes nach § 2271 Abs. 2 BGB an einer abweichenden Verfügung gehindert.

Die Beteiligte zu 2) hat jedoch die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Die nach § 1945 Abs. 1 BGB formgerechte Ausschlagungserklärung der Beteiligten vom 29.10.2019 ist innerhalb der 6-wöchigen Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB am 05.11.2019 bei dem Nachlassgericht eingegangen.

Der Beginn des Laufs der Ausschlagungsfrist setzt nach § 1944 Abs. 2 BGB positive Kenntnis von dem Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung voraus, wobei diese Kenntnis bei gewillkürter Erbfolge frühestens mit der Bekanntgabe der letztwilligen Verfügung vorliegt. Diese Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann eine Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH NJW-RR 2000, 1530, Rn. 9 m. w. N., juris).

Hier befand sich die Beteiligte zu 2) nach Übersendung der eröffneten Testamente durch Verfügung des Nachlassgerichts vom 08.04.2019 in dem rechtlichen Irrtum, sie sei durch das letzte Testament der Erblasserin aus dem Jahr 2018 wirksam enterbt. Diese Fehlvorstellung war auch nicht von vornherein von der Hand zu weisen, denn die Beteiligte zu 2) ging bis zur Eröffnung sämtlicher Testamente und deren Bekanntgabe ausweislich ihrer E-Mail vom 31.03.2019 davon aus, die Erblasserin gemeinsam mit dem Beteiligten zu 1) beerbt zu haben. Soweit dann das Nachlassgericht hierauf mitgeteilt hat, die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung werde nur in einem eventuellen Erbscheinsverfahren geprüft, so hat dieses Schreiben der Beteiligten zu 2) keine sichere Kenntnis von ihrer testamentarischen Erbenstellung verschafft. Denn das Schreiben des Nachlassgerichts ließ gerade nicht auf eine bestimmte Erbenstellung und einen bestimmten Berufungsgrund schließen, weil es ausdrücklich darauf verwies, die Wirksamkeit der Verfügungen nicht geprüft zu haben. Ob das Schreiben für die Beteiligte zu 2) hätte Anlass sein können, wie empfohlen zeitnah Rechtsrat einzuholen, kann dahinstehen. Selbst wenn daraus eine fahrlässige Unkenntnis vom Anfall der Erbschaft und Berufungsgrund resultieren sollte, würde diese einer Kenntnis im Sinne des § 1944 Abs. 2 BGB nicht gleichstehen und die Ausschlagungsfrist somit nicht in Gang setzen (vgl. OLG Zweibrücken, NJW-RR 2006, 1594; OLG Rostock, FamRZ 2010, 1597 f.).

Vor Zugang des am 01.10.2019 versandten Schreibens des Nachlassgerichts vom 25.09.2019 hatte die Beteiligte zu 2) mithin keine den Anforderungen des § 1944 Abs. 2 BGB genügende Kenntnis vom Anfall und Grund ihrer Berufung. Es kann dahinstehen, zu welchem Zeitpunkt sie diese Kenntnis erlangt hat, da die Ausschlagungserklärung vom 29.10.2019 weniger als sechs Wochen nach Absenden des Schreibens am 01.10.2019 und damit innerhalb der Ausschlagungsfrist beim Nachlassgericht eingegangen ist.

c) Rechtsfolge der wirksamen Erbausschlagungen der Beteiligten zu 2) und ihrer Tochter ist nach §§ 1953 Abs. 1 und 2, 2094 Abs. 1 BGB die Anwachsung des hälften Erbanteils der Beteiligten zu 2) bei dem Beteiligten zu 3), so dass dieser Alleinerbe der Erblasserin geworden ist.

Die Anwachsung führt nicht zum Vorliegen von zwei selbständigen Erbteilen, sondern bewirkt lediglich eine Erhöhung des im Grundsatz einheitlichen Erbteils. Lediglich dann, wenn der angewachsene Erbteil zusätzliche Beschwerungen durch Vermächtnisse oder Auflagen enthält, fingiert § 2095 BGB für diese Art der Beschwerungen eine Trennung des an sich einheitlichen Erbteils in zwei Erbteile (BeckOK BGB/Litzenburger, 56. Ed. 1.11.2020, BGB § 2095 Rn. 1, 2). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass sich die Beschränkungen des dem Erben ursprünglich zugefallenen Erbteils wegen der Einheitlichkeit auch auf den angewachsenen Erbteil erstrecken. Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft erstreckt sich somit auf den gesamten Erbteil des Beteiligten zu 3).

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Die Gerichtsgebühren des Erbscheinsverfahrens hat der Beteiligte zu 3) trotz des erfolgreichen Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil er diese auch dann hätte tragen müssen, wenn keiner der Beteiligten Einwendungen gegen seinen Erbscheinsantrag erhoben hätte.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 2 FamFG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

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