Wichtige Erbrechtsentscheidung: OLG Frankfurt und die Wechselbezüglichkeit
Das OLG Frankfurt hat entschieden, dass die im gemeinschaftlichen Testament der Erblasserin und ihres Ehemannes getroffenen Verfügungen wechselbezüglich und damit bindend sind. Die Erblasserin konnte somit nach dem Tod ihres Ehemannes nicht abweichend testieren. Der Sohn der Erblasserin und dessen Kinder sind demnach Miterben, und eine spätere Verfügung der Erblasserin, die ihren Sohn als Alleinerben einsetzte, ist unwirksam.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Wechselbezüglichkeit: Das gemeinschaftliche Testament enthält bindende, wechselbezügliche Verfügungen.
- Keine Alleinerbschaft: Der Sohn der Erblasserin ist nicht Alleinerbe nach dem späteren Testament seiner Mutter.
- Miterbeneinsetzung: Der Enkel der Erblasserin (Sohn des Beteiligten zu 1) ist Miterbe gemäß dem gemeinschaftlichen Testament.
- Bindung an das gemeinschaftliche Testament: Abweichende Verfügungen der Erblasserin in einem späteren Testament sind unwirksam.
- Auslegung des Testaments: Die Erbfolge wurde abschließend für beide Todesfälle der Ehegatten geregelt.
- Anwachsung des Erbteils: Der Erbteil des Enkels wächst durch Vorversterben anderer Miterben an.
- Testamentsvollstreckung: Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung ist mit Vollendung des 25. Lebensjahres des Enkels hinfällig.
- Kostenentscheidung und Geschäftswert: Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens; der Geschäftswert wurde auf 320.000 Euro festgesetzt.
Übersicht
- Wichtige Erbrechtsentscheidung: OLG Frankfurt und die Wechselbezüglichkeit
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Wechselbezüglichkeit und Anwachsung im Erbrecht: Einblick in ein grundlegendes Prinzip
- Das Ringen um das Erbe: Streitfall um ein gemeinschaftliches Testament
- Die juristische Komplexität der Erbeinsetzung
- Das Urteil des OLG Frankfurt: Wechselbezüglichkeit und Anwachsung im Fokus
- Rechtliche Feinheiten und die Zukunft des Erbfalls
- ✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Wechselbezüglichkeit und Anwachsung im Erbrecht: Einblick in ein grundlegendes Prinzip
Im Bereich des Erbrechts spielen die Wechselbezüglichkeit und die Anwachsung eine zentrale Rolle, insbesondere wenn es um gemeinschaftliche Testamente geht. Diese beiden juristischen Konzepte sind wesentlich für die Bestimmung der Erbfolge und können erhebliche Auswirkungen auf die Rechte der Erben haben. Im Fokus steht hierbei das gemeinschaftliche Testament, ein Instrument, das häufig von Ehepartnern genutzt wird, um ihre letztwilligen Verfügungen aufeinander abzustimmen und sicherzustellen, dass ihr Vermögen nach ihren Wünschen verteilt wird.
Die Relevanz dieser Thematik zeigt sich besonders in Fällen, in denen gerichtliche Entscheidungen erforderlich sind, um die genauen Auslegungen und Anwendungen dieser rechtlichen Konstrukte zu klären. Im speziellen Fall des OLG Frankfurt wird die Tragweite der Wechselbezüglichkeit und Anwachsung im Kontext eines Beschwerdeverfahrens beleuchtet, welches tiefe Einblicke in die Komplexität und die Bedeutung dieser erbrechtlichen Grundsätze bietet.
Die nachfolgende Analyse eines konkreten Urteils bietet nicht nur juristischen Fachleuten, sondern auch Laien die Möglichkeit, ein tieferes Verständnis für diese wichtigen Aspekte des Erbrechts zu entwickeln. Tauchen Sie ein in die Welt des Erbrechts und entdecken Sie, wie gerichtliche Entscheidungen die Erbfolge und die Rechte der Betroffenen prägen können.
Das Ringen um das Erbe: Streitfall um ein gemeinschaftliches Testament
Im Zentrum des Falles steht ein gemeinschaftliches Testament, erstellt von einem Ehepaar, das neben dem überlebenden Ehepartner auch deren Sohn und Enkelkinder als Erben einsetzte. Die Besonderheit dieses Testaments lag in seiner wechselbezüglichen Struktur, die bedeutet, dass die Verfügungen des einen Ehepartners von denen des anderen abhängig sind und umgekehrt. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahr 2015 änderte die Erblasserin ihre letztwillige Verfügung und setzte ihren Sohn, den Beteiligten zu 1), als Alleinerben ein. Dieser Schritt löste eine rechtliche Auseinandersetzung aus, als der Sohn des Beteiligten zu 1) und Enkel der Erblasserin, Beteiligter zu 2), einen Teil des Erbes beanspruchte.
Die juristische Komplexität der Erbeinsetzung
Das rechtliche Problem entstand aus der Frage, ob die Erblasserin das Recht hatte, das gemeinschaftliche Testament zu ändern und ihren Sohn als Alleinerben zu bestimmen. Der Kern des Problems lag in der Interpretation der Wechselbezüglichkeit der im Testament getroffenen Verfügungen. Nach dem Tod des Ehemannes im Jahr 2015 und der Erstellung eines neuen Testaments durch die Erblasserin, beantragte der Sohn einen Alleinerbschein. Das Nachlassgericht lehnte diesen Antrag jedoch ab, mit der Begründung, dass die Erblasserin an das gemeinschaftliche Testament gebunden sei und somit keine abweichende Verfügung treffen könne.
Das Urteil des OLG Frankfurt: Wechselbezüglichkeit und Anwachsung im Fokus
Das Oberlandesgericht Frankfurt entschied, dass die Beschwerde des Sohnes keinen Erfolg hatte. Das Gericht stellte fest, dass der Beteiligte zu 1) nicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden ist, da das gemeinschaftliche Testament auch für den Fall des Letztversterbens eine abschließende Erbfolgeregelung darstellt. Die Erblasserin war demzufolge an die wechselbezüglichen Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments gebunden. Das Gericht unterstrich, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als Miterben eingesetzt hatte und sie an diese Erbeinsetzung gebunden war. Diese Bindung bestand auch hinsichtlich der Anwachsung der Erbteile des verstorbenen Ehegatten und des vorverstorbenen Bruders des Beteiligten zu 2).
Rechtliche Feinheiten und die Zukunft des Erbfalls
Das Gericht führte weiter aus, dass die Anwachsung der Erbteile des verstorbenen Ehegatten und des verstorbenen Bruders des Beteiligten zu 2) als wechselbezügliche Verfügung anzusehen ist, die die Erblasserin bindet. Dies bedeutet, dass der Beteiligte zu 2) nicht nur als Miterbe zu 15 %, sondern zu insgesamt 43 % Miterbe nach der Erblasserin geworden ist. Interessant ist auch der Hinweis des Gerichts, dass die in § 3 des Testaments angeordnete Testamentsvollstreckung hinfällig geworden ist, da der Beteiligte zu 2) das 25. Lebensjahr vollendet hat.
Dieses Urteil beleuchtet nicht nur die Komplexität von Erbfolge und Testamentsgestaltung, sondern auch die entscheidende Rolle der gerichtlichen Auslegung in Erbstreitigkeiten. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Entwicklungen sich in diesem Erbfall ergeben und welche Auswirkungen das Urteil auf künftige Fälle ähnlicher Art haben wird.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was ist Wechselbezüglichkeit in einem gemeinschaftlichen Testament?
Die Wechselbezüglichkeit in einem gemeinschaftlichen Testament bezieht sich auf Verfügungen, die in einem solchen Testament getroffen werden und die voneinander abhängig sind. Das bedeutet, dass die Verfügung des einen Ehepartners nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre. Diese Verfügungen sind in der Regel bindend und können nicht einseitig geändert oder widerrufen werden.
Ein gemeinsames Beispiel für wechselbezügliche Verfügungen ist, wenn Ehepartner sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzen und ihre Kinder als Erben des zuletzt Verstorbenen bestimmen. In diesem Fall ist die Erbeinsetzung der Kinder von der gegenseitigen Erbeinsetzung der Ehepartner abhängig und daher wechselbezüglich.
Ein gemeinschaftliches Testament, das wechselbezügliche Verfügungen enthält, entfaltet nach dem Gesetz (§ 2271 BGB) eine sogenannte Bindungswirkung. Das bedeutet, dass die im Testament getroffenen Verfügungen für beide Ehepartner bindend sind und nicht einseitig geändert oder widerrufen werden können.
Wenn ein Ehepartner stirbt, werden die wechselbezüglichen Verfügungen grundsätzlich verbindlich. Das Widerrufsrecht erlischt mit dem Tod des anderen Ehepartners.
Es ist jedoch möglich, im Testament ausdrücklich zu regeln, welche Verfügungen wechselbezüglich sein sollen und welche nicht. So könnten die Ehepartner beispielsweise bestimmen, dass nur die gegenseitige Erbeinsetzung wechselbezüglich ist, während der überlebende Ehepartner berechtigt ist, die Erbquoten der Kinder nach Belieben zu ändern oder die Kinder sogar zu enterben.
Es ist daher ratsam, bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments genau festzuhalten, welche Verfügungen wechselbezüglich und bindend sind und welche nicht.
Wie wirkt sich die Anwachsung auf die Erbfolge aus?
Die Anwachsung im Erbrecht bezeichnet den Vorgang, bei dem der Erbteil eines Miterben auf die übrigen Miterben übergeht, wenn dieser Miterbe wegfällt, beispielsweise durch Ausschlagung, Erbverzicht oder Tod. Dies geschieht gemäß § 2094 BGB, wenn mehrere Erben testamentarisch eingesetzt sind, die die gesetzliche Erbfolge ausschließen, und einer dieser Erben vor oder nach dem Eintritt des Erbfalls wegfällt.
Der durch Anwachsung einem Erben anfallende Erbteil gilt in Ansehung der Vermächtnisse und Auflagen, mit denen dieser Erbe oder der wegfallende Erbe beschwert ist. Der Erbteil des weggefallenen Miterben wächst den übrigen Erben nach dem Verhältnis ihrer Erbteile an.
Ein Beispiel: Wenn ein Erblasser drei Kinder hat und eines der Kinder die Erbschaft ausschlägt, wächst der Erbteil dieses Kindes den verbleibenden Kindern an. Wenn kein Ersatzerbe für das ausschlagende Kind existiert, erben die verbleibenden Kinder jeweils zur Hälfte.
Es ist jedoch zu beachten, dass der Erblasser die Anwachsung ausschließen kann. Dies kann allgemein oder nur hinsichtlich einzelner Miterben geschehen. Ein solcher Anwachsungsausschluss liegt auch dann vor, wenn einer der Miterben „auf den Pflichtteil eingesetzt“ wird. Die Beweislast für den Anwachsungsausschluss trägt grundsätzlich derjenige, der sich darauf beruft.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 21 W 3/23 – Beschluss vom 06.04.2023
Die befristete Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 13.12.2022 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 29.11.2022 wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 1) hat die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens notwendigen Aufwendungen des Beteiligten zu 2) zu tragen.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis 320.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1) ist der Sohn der Erblasserin, der Beteiligte zu 2) der Sohn des Beteiligten zu 1). Der weitere Sohn des Beteiligten zu 1), X, ist im Jahr 2016 kinderlos vorverstorben und wurde von den Beteiligten zu 1) und 2) beerbt (Bl. 48 d. Testamentsakte). Die Erblasserin war seit dem XX.XX.2015 verwitwet.
Die Erblasserin hatte mit ihrem Ehemann mit notarieller Urkunde vom 12.01.2004 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Darin hatten die Ehegatten unter § 1 und § 2 jeweils identische Erbeinsetzungen vorgenommen, in dem sie den anderen Ehegatten, den Beteiligten zu 1), sowie beide Enkel anteilig zu ihren Erben einsetzten und Teilungsanordnungen trafen.
Dabei hatte der vorverstorbene Ehemann in § 1 folgende Anordnungen getroffen:
„1. Ich, …, setze
a) meinen Sohn (…) zu 40 %,
b) dessen Kinder (…) zu je 15 % und
c) meine Ehefrau (…) zu 30 %
als meine Erben ein.
2. Ich treffe folgende Teilungsanordnung:
a) Für die 40 % erhält mein Sohn (…) das mir zur Hälfte gehörende Firmengrundstück (…) und die dort betriebene Einzelfirma (…).
b) Meine Ehefrau erhält für ihre 30 % die ideelle Hälfte des mir gehörenden Hausgrundstücks (…) sowie die Hälfte meiner Eigentumswohnung (…).
c) Meine Enkelkinder (…) erhalten für ihre je 15 % alles übrige Vermögen, insbesondere das noch vorhanden Land je zur Hälfte.“
Die Erblasserin hatte in § 2 wie folgt verfügt:
„1. Ich, …, setze
a) meinen Sohn (…) zu 40 %
b) dessen Kinder (…) zu je 15 % und
c) meinen Ehemann (…) zu 30 %
als meine Erben ein.
2. Ich treffe folgende Teilungsanordnung:
a) Für die 40 % erhält mein Sohn (…) meine ideelle Hälfte an dem Firmengrundstück (…) sowie das mir allein gehörende Hausgrundstück (…).
b) Mein Ehemann erhält für die 30 % meine ideelle Hälfte an dem Hausgrundstück (…) und meine ideelle Hälfte an der Eigentumswohnung (…).
c) Meine Enkelkinder (…) erhalten für ihre je 15 % alles übrige Vermögen, insbesondere das noch vorhanden Land je zur Hälfte.“
In § 3 wurde Testamentsvollstreckung angeordnet und der Beteiligte zu 1) zum Testamentsvollstrecker ernannt. Diesem wurde zur Auflage gemacht, dass der aufgebaute Betrieb und das Betriebsgrundstück im Familienbesitz bleiben solle. In § 4 wurden für den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Beteiligte zu 1) als Erbe zu ½ und der Beteiligte zu 2) sowie dessen Bruder als Erben zu jeweils ¼ bestimmt. Wegen des Inhalts des Testaments im Einzelnen wird auf die notarielle Urkunde (Bl. 8 ff der Testamentsakte Bezug genommen).
Nach dem Tod des Ehemannes errichtete die Erblasserin am 15.09.2015 ein handschriftliches Testament, in dem sie den Beteiligten zu 1) zu ihrem Alleinerben einsetzte (Bl. 2 d.A.).
Der Beteiligte zu 1) beantragte am 19.05.2022 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerbe ausweist (Bl. 8 d.A.). Dabei hat er u.a ausgeführt, das Verhältnis der Erblasserin zu ihren Enkelkindern sei schwierig gewesen.
Mit Verfügung vom 10.08.2022 (Bl 18 d.A.) hat das Nachlassgericht auf Bedenken an dem Erbscheinsantrag hingewiesen, weil eine Bindung an das gemeinschaftliche Testament vorliegen würde.
Sodann hat das Nachlassgericht mit dem angefochtenen Beschluss den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erbeinsetzungen in dem gemeinschaftlichen Testament seien wechselbezüglich, so dass die Erblasserin an dieses gebunden wäre und nicht abweichend hätte testieren können. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 29.11.2022 (Bl. 23 ff d.A.) Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss, der dem Beteiligten zu 1) durch Aufgabe zur Post zugestellt worden ist (Bl. 27 d.A.), hat dieser mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13.12.2022 (Bl. 29 d.A.) Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, das gemeinschaftliche Testament stehe der Wirksamkeit des Testaments vom 15.09.2015 nicht entgegen, da dieses keine Schlusserbeneinsetzung enthalte sondern lediglich wechselbezügliche Verfügungen für den ersten Erbfall. Da es sich um ein notarielles Testament gehandelt habe, sei eine Schlusserbenregelung bewusst unterblieben.
Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30.12.2022 (Bl. 33 d.A.) nicht abgeholfen sondern das Verfahren dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Nach einem Hinweis der Berichterstatterin zur Erfolgsaussicht der Beschwerde vom 08.02.2023 (Bl. 44 ff d.A.) hat der Beteiligte zu 1) seine Auffassung vertiefend dargelegt.
Wegen des weiteren Vorbringens im Beschwerdeverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
II.
Der zulässigen Beschwerde bleibt der Erfolg versagt. Der Beteiligte zu 1) ist nicht aufgrund des Testaments vom 15.09.2015 Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Denn der Beteiligte zu 2) ist aufgrund des gemeinschaftlichen Testament vom 21.01.2004 jedenfalls Miterbe nach der Erblasserin geworden.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses bei dem Nachlassgericht eingegangen (§ 63 FamFG). Dies unabhängig von der fehlerbehafteten, auf eine sofortige Beschwerde gerichteten Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Beschluss, da das Rechtsmittel jedenfalls rechtzeitig eingelegt worden ist. Zudem ist der Beteiligte zu 1) wegen der Zurückweisung seines Erbscheinsantrags beschwerdebefugt.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Der Beteiligte zu 1) ist nicht Alleinerbe nach der Erblasserin geworden. Die Erblasserin hat den Beteiligten zu 2) in dem gemeinschaftlichen Testament vom 12.01.2004 in § 2b) als Miterben eingesetzt. An diese Miterbeneinsetzung war die Erblasserin gemäß § 2271 Abs. 2 S.1 BGB gebunden, so dass ihre Verfügung in dem späteren Testament, soweit sie die Miterbeneinsetzung des Beteiligten zu 2) aufheben würde, entsprechend § 2289 BGB unwirksam ist.
a) Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) enthält das gemeinschaftliche Testament vom 12.01.2004 eine abschließende Regelung der Erbfolge nach den testierenden Ehegatten für deren beider Todesfälle und nicht lediglich eine Regelung für den Fall des Erstversterbens. Dies ergibt die Auslegung des Testaments.
Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH, Urteil v. 07.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH, Urteil v. 28.01.1987 – IVa ZR 191/85, FamRZ 1987, 475, 476; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2022, § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH, Urteil v. 07.10.1992 – IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2084 BGB Rn. 2 m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BGH, Beschluss v. 09.04.1981 – IVa ZB 4/80, NJW 1981, 1737; Z 80, 242, 244; BGH, Urteil v. 08.12.1982 – IVa ZR 94/81 BGHZ 86, 41; Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2084 Rn. 4). Da es sich um eine gemeinschaftliche letztwillige Verfügung handelt ist zudem auf den übereinstimmenden Willen der Ehegatten abzustellen.
Dabei ist gemäß § 2084 BGB im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei welcher die Verfügung Erfolg haben kann, wenn der Inhalt einer letztwilligen Verfügung verschiedene Auslegungen zulässt. Der Umstand, dass es sich bei dem gemeinschaftlichen Testament um eine notarielle Urkunde handelt, steht der Auslegung nicht entgegen (Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2023, § 2084 Rn. 2).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das gemeinschaftliche Testament dahingehend auszulegen, dass die Ehegatten mit den jeweiligen Erbeinsetzungen gemäß der §§ 1 und 2 ihre Erbfolge abschließend regeln wollten und dies unabhängig davon, wer von ihnen als erster und wer als zweiter versterben sollte. Dabei war die Erbfolge darauf gerichtet, dass das überwiegend gemeinschaftliche Vermögen nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn und die Enkel übergehen sollte.
Es handelt sich bei der Gestaltung der Erbfolge allerdings nicht um den häufig anzutreffenden Fall eines sog. „Berliner Testaments“, in dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben und sodann als Schlusserben ihre Kinder – oder wie vorliegend auch Enkel – einsetzen. Vielmehr haben die Ehegatten bereits beim ersten Erbfall eine anteilige Berücksichtigung ihrer gesetzlichen Erben vorgesehen. Es geht daher auch nicht um die Frage, ob die Ehegatten in dem Testament etwa stillschweigend Schlusserben eingesetzt hätten.
Ausgehend von den Teilungsanordnungen einerseits und der Regelung in § 3 andererseits kam es den Ehegatten allerdings darauf an, dass das Betriebsgrundstück in einer Hand vereinigt wird und der Betrieb in Familienbesitz verbleiben solle, wobei ab Vollendung des 25. Lebensjahres beider Enkel gemeinsame Entscheidungen getroffen werden sollten. Daher war der gemeinsame Wille erkennbar darauf gerichtet, dass mit dem Testament die Zusammenführung des jeweiligen, insbesondere des überwiegend in hälftigem Miteigentum stehenden Grundbesitzes nach dem Tod des Letztversterbenden auf den Sohn aber auch auf die Enkel als Erbengemeinschaft übergeht. Hierfür spricht auch die Regelung in § 4 des gemeinschaftlichen Testaments, der dieses Ergebnis auch für den Fall des gleichzeitigen Versterbens vorsieht.
Dieses Ergebnis wird bei Anwendung der Erbfolgeregelung nach dem notariellen Testament herbeigeführt, unabhängig davon, welcher der Ehegatten zuerst verstirbt. Bei Tod des Erstversterbenden findet die entsprechende Erbeinsetzung Anwendung mit der Folge, dass eine Erbengemeinschaft bestehend aus dem überlebenden Ehegatten, dem Sohn und der Enkel entstanden ist. Nach dem Tod des Zweitversterbenden richtet sich die Erbfolge nach dessen Erbeinsetzung. Da der – denknotwendig – vorverstorbene Ehegatte dann nicht mehr Erbe werden kann, weil dieser weggefallen ist, wird dem jeweiligen Erblasserwillen dadurch Rechnung getragen, dass der Erbteil den übrigen Miterben anwächst.
Ausgehend von diesem Verständnis kann die Erbfolge nach der Erblasserin unmittelbar auf ihre Verfügungen in § 2 gestützt werden. Diese entsprechen dem gemeinschaftlichen Willen, dass das Vermögen nach dem Tod des Längstlebenden auf die in dem gemeinschaftlichen Testament bereits als Erben vorgesehene Abkömmlinge, den gemeinschaftlichen Sohn und die Enkelkinder, übergeht. Der Eintritt der Anwachsung entsprach daher auch dem in dem Testament zum Ausdruck gekommenen gemeinschaftlichen Willen der testierenden Ehegatten, da durch diese die testamentarischen Verfügungen auch für den Fall des Letztversterbens Erfolg haben (§ 2084 BGB).
Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 handelt es sich bei diesem Ergebnis nicht um eine Auslegung entgegen des ausdrücklichen Wortlauts. Der Wortlaut deckt die Erbeinsetzung aufgrund Anwachsung vielmehr ab. Die Erbeinsetzung der Erblasserin in § 2 enthält nach dem Wortlaut schon keine Begrenzung auf einen etwaigen „ersten“ Erbfall. § 2 regelt die Erbfolge nach der Erblasserin, ohne dass sich eine Einschränkung ergibt. Der Wortlaut des Testaments spricht nicht gegen die Auslegung des Senats, sondern deckt diese ab.
Dass die Ehegatten, die ausweislich der Regelung in § 3 konkrete Vorstellungen für eine Zusammenführung ihres Vermögens für den Sohn und die Enkel entwickelt hatten, mit dem ausführlichen notariellen Testament lediglich den ersten Erbfall hätten regeln wollen, bleibt fernliegend. Insbesondere enthält § 3 entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) eine erbrechtliche Bindung insoweit, als dieser die Auflage enthält, den Betrieb und das Betriebsgrundstück im Familienbesitz zu erhalten. Diese Auflage endet auch nicht etwa mit der Vollendung des 25. Lebensjahres der Enkel. Vielmehr ergibt sich aus § 3, dass sodann mit den Enkeln eine einvernehmliche Regelung zu erzielen ist. Die Regelung in § 3 enthält somit einen deutlichen Anknüpfungspunkt für die Willensrichtung der Ehegatten bei Testamentserrichtung, die nur dann zu verwirklichen ist, wenn das gemeinschaftliche Testament die Erbfolge nach ihrem jeweiligen Tod abschließend regelt.
b) In § 2 b) hat die Erblasserin den Beteiligten zu 2) als Miterben zu 15 % eingesetzt. An diese Erbeinsetzung war die Erblasserin nach dem Tod des Ehemannes gemäß § 2271 Abs. 2 S.1 BGB gebunden, da diese ausgehend von dem Regelungskonzept des gemeinschaftlichen Testaments bereits aufgrund individueller Auslegung als wechselbezüglich i.S.d. § 2270 Abs. 1 BGB anzusehen ist.
Nach § 2270 Abs. 1 BGB sind die in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, oder anders ausgedrückt, wenn jede der beiden Verfügungen mit Rücksicht auf die andere getroffen ist und nach dem Willen der Erblasser mit ihr stehen und fallen soll (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1997, 1574, 1575; OLG München, Beschluss vom 07.12.2017 – 31 Wx 337/17; Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2270 Rn. 1). Dabei muss die Wechselbezüglichkeit für jede einzelne Verfügung des gemeinschaftlichen Testaments gesondert geprüft werden (vgl. BGH NJW-RR 1987, 1410; BayObLG NJW 1993, 1158; Grüneberg/Weidlich, BGB, aaO).
Ob zwischen Verfügungen von Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament der in § 2270 BGB umrissene Zusammenhang der Wechselbezüglichkeit besteht, bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden übereinstimmenden Willen der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 1997, 1574, 1575; Grüneberg/Weidlich, aaO, § 2270 Rn 2). Die in § 2270 Abs. 2 BGB enthaltene Auslegungsregel greift erst bei einem nicht eindeutigen Auslegungsergebnis.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ausgehend von dem dargelegten gemeinschaftlichen Willen der testierenden Ehegatten, dass das gemeinschaftliche Vermögen letztlich in der Hand des Sohnes und der Enkel zusammengeführt werden soll, die jeweils gegenseitige – anteilige – Erbeinsetzung auch im Verhältnis zu der jeweiligen – anteiligen – Erbeinsetzung des Sohnes und der Enkel als wechselbezüglich anzusehen. Dies gilt insbesondere für die Erbeinsetzung des Sohnes verbunden mit der entsprechenden Teilungsanordnung, dass diesem der jeweils im hälftigen Miteigentum stehende Anteil am Betriebsgrundstück zugewiesen wurde. Nichts anderes kann dann aber bei verständiger Würdigung für den Enkeln zugewiesenen Erbteil angenommen werden, der ebenfalls Grundbesitz umfasst hat. Bei diesem Verständnis erfolgt auch gerade keine Zersplitterung der Eigentumsverhältnisse, wie von dem Beteiligten zu 1) in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 auf Seite 7 angeführt. Vielmehr wäre – wenn man der Auffassung des Beteiligten zu 1) folgen würde – eine Zersplitterung hinsichtlich des Firmengrundstücks dann möglich gewesen, wenn die Erblasserin zuerst verstorben wäre und der Ehemann anderweitig hätte verfügen können.
Dass das Testament – wenn auch seiner Auffassung nach nur teilweise – wechselbezügliche Verfügungen enthält, war von dem Beteiligten zu 1) mit der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen worden. Er hat vielmehr in der Beschwerdeschrift auf Seite 1 und 2 ausdrücklich ausgeführt, dass solche für den ersten Erbfall – jedenfalls im Verhältnis der Ehegatten zueinander – anzunehmen seien. Nichts anderes wurde in dem Hinweis der Berichterstatterin vom 08.02.2023 zum Ausdruck gebracht, so dass die Ausführungen auf Seite 6 oben des Schriftsatzes vom 06.03.2023 nicht nachvollzogen werden konnten. Soweit im folgenden wieder mit der Erforderlichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung des „ersten“ und „zweiten“ Erbfalles argumentiert wird, so greift dieser Einwand ausgehend von der gewählten Konstruktion des Testaments, die für den jeweiligen Erbfall bis auf den denknotwendig erfolgenden Eintritt der Anwachsung keine Differenzierung enthält, nicht durch.
Dass die Ehegatten eine Wechselbezüglichkeit hinsichtlich der Einsetzung der Enkel zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht gewollt hätten, kann hingegen auch unter Berücksichtigung der von dem Beteiligten als schwierig dargestellten Persönlichkeiten beider Enkel nicht festgestellt werden. Der Beteiligte zu 1) hat erstinstanzlich vorgetragen, dass er hinsichtlich des im Jahr 1990 geborenen Beteiligten zu 2) schon seit dessen 8. Lebensjahr um eine Diagnose bemüht war. Schwierigkeiten waren daher bei der Testamentserrichtung im Jahr 2004 bekannt, auch wenn eine Diagnose erst im Jahr 2005 erfolgt sein soll. Hinsichtlich des vorverstorbenen Bruders X hat der Beteiligte zu 1) dargelegt, dass dieser zeitweise bei seinen Eltern gelebt hätte und es zu Problemen gekommen sei. Obwohl nach den Angaben des Beteiligten zu 1) in dem Erbscheinsantrag vom 19.05.2022 seine Eltern in diesen Situationen Angst vor ihrem Enkel gehabt hatten, haben sie dieses – unabhängig von der konkreten zeitlichen Einordnung der Vorfälle – nicht zum Anlass genommen, X nicht bzw. nicht mehr als Erben zu berücksichtigen.
Jedenfalls würde sich die Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung in § 2b) aus § 2270 Abs. 2 BGB ergeben.
Daher ist der Beteiligte zu 2) gemäß § 2 b) des gemeinschaftlichen Testaments mindestens Miterbe nach der Erblasserin zu 15 % geworden, so dass die Beschwerde bereits aus diesem Grund zurückzuweisen war.
c) Nach Auffassung des Senats ist der Beteiligte zu 2) zudem Miterbe zu 43 % geworden. Denn dieser nimmt an der Anwachsung der Erbteile seines verstorbenen Bruders und Großvaters teil. An die sich aus der Anwachsung ergebende Vergrößerung des Erbteils war die Erblasserin auch gebunden.
Ob und in welchen Fällen ein bei Eintritt der Anwachsung sich vergrößernder Erbteil als eine auf einer wechselbezüglichen Verfügung beruhende Erbeinsetzung anzusehen ist, welche für den überlebenden Ehegatten bei einem gemeinschaftlichen Testament bindend wird, ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob in diesem Fall die Wechselbezüglichkeit auch aufgrund der Regelung in § 2270 Abs. 2 BGB vermutet werden kann.
aa) Hinsichtlich der für den Erbteil des vorverstorbenen Ehegatten im Testament angelegten Erhöhung des Erbteils durch Anwachsung ist die Wechselbezüglichkeit bereits aufgrund individueller Auslegung anzunehmen.
Ausgehend von der herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, wird der durch Anwachsung vergrößerte Erbteil jedenfalls dann von der Wechselbezüglichkeit erfasst, wenn diese nicht ausschließlich aufgrund des § 2094 BGB eintritt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.04.2017 – 1 W 642/17, juris Rn. 20-22; OLG Hamm, Beschluss vom 28.01.2015 – 15 W 503/14, juris Rn. 27,30; Burandt/Rojahn/ Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2094, Rn. 8; BeckOGK/Gierl, Stand 01.12.2022, 3 2094 Rn. 43; Keim ZEV 2019,683,684, Litzenburger, FD-ErbR 2020, 433980).
Dass die Ehegatten für den Fall ihres Nachversterbens die Erbeinsetzungen in den §§ 1 und 2 jeweils dahingehend verstanden wissen wollten, dass der Erbteil des vorverstorbenen Ehegatten den übrigen Miterben anwachsen sollte, ist bereits dargelegt worden. In diesem Fall beruht die Zuweisung des Erbteils des vorverstorbenen Ehegatten schon nicht allein auf der gesetzlichen Regelung in § 2094 BGB, sondern auf dem in dem Testament hinreichend zum Ausdruck gebrachten Willen der Ehegatten. Hiervon ausgehend ergibt bereits die individuelle Auslegung, dass die Ehegatten für diesen Fall auch die Wechselbezüglichkeit dieser sich mit einer erhöhten Erbquote ergebenden Erbeinsetzung gewollt haben, wofür wiederum die Regelung in § 3 herangezogen werden kann. Den Ehegatten kam es erkennbar darauf an, ihr gemeinschaftliches Vermögen zusammenzuführen und im Ergebnis dem Sohn und den Enkeln zukommen zu lassen. Eine wesentliche Besserstellung sollte dabei dem Sohn nach den Regelungen in §§ 1,2 – aber auch etwa unter Berücksichtigung des § 4 – schon nicht zukommen. Dass bei einem entsprechenden, feststellbaren Willen der Erblasser auch der sich durch Anwachsung vergrößernde Erbteil an der Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung teilnehmen kann, wird von der überwiegenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nicht ernsthaft in Zweifel gezogen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 24.04.2017 – 1 W 642/17, juris Rn. 20-22; Burandt/Rojahn/ Czubayko, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2094, Rn. 8; BeckOGK/Gierl, Stand 01.12.2022, 3 2094 Rn. 43; Keim ZEV 2019,683,684, Litzenburger, FD-ErbR 2020, 433980). Etwas anderes lässt sich auch der – insoweit bereits nicht tragenden – Begründung der Entscheidung des OLG München vom 05.11.2020 (31 Wx 415/17) nicht entnehmen, da diese sich mit der – ausschließlich – auf § 2094 BGB beruhenden Anwachsung befasst.
bb) Aber auch hinsichtlich der aufgrund des Vorversterbens des Enkels X eingetretenen Anwachsung, die gemäß § 2094 Abs. 1 S.2 BGB allein dem Beteiligten zu 2) zufällt, ist eine Wechselbezüglichkeit gemäß § 2270 Abs. 2 BGB anzunehmen mit der Folge, dass die Erblasserin betreffend dieser 15 % nicht mehr – durch Zuweisung an den Beteiligten zu 1) – abweichend verfügen konnte.
Für den Fall, dass die Anwachsung nicht aufgrund einer entsprechenden Verfügung in dem Testament, etwa im Falle der Verwirklichung einer Pflichtteilsstrafklausel, beruht, hat das OLG München allerdings in Frage gestellt, ob die infolge Wegfalls eines Bedachten nach § 2094 BGB eintretende Anwachsung sich als vertragsmäßige Verfügung i.S.d. § 2278 BGB darstellt und insoweit einer Bindungswirkung unterliegen kann (OLG München, Beschluss vom 05.11.2020 – 31 Wx 415/17, juris Rn. 12,13 für einen Erbvertrag).
Der Senat teilt diese Bedenken nicht, sondern schließt sich der Auffassung des Oberlandesgericht Nürnberg (aaO) an, dass die Wirkungen der Anwachsung grundsätzlich von der Wechselbezüglichkeit umfasst sind.
Zwar ist dem OLG München im Ausgangspunkt zuzugeben, dass es sich bei dem Eintritt der Anwachsung gemäß § 2094 nicht um eine Verfügung i.S.d § 2278 Abs. 2 BGB handelt und die Anwachsung als solche damit auch nicht wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB sein kann. Zutreffend ist ebenfalls, dass die Anwachsung als solche nicht angeordnet, sondern gemäß § 2094 Abs. 3 BGB nur ausgeschlossen werden kann. Hierauf kommt es jedoch nicht an, da maßgeblich die Erbeinsetzung des bzw. der verbleibenden Miterben ist, hinsichtlich der die Wechselbezüglichkeit festzustellen ist. Die Anwachsung betrifft die Erhöhung des bereist zugewiesenen Erbteils, die kraft Gesetz eintritt. Sie setzt die Einsetzung mehrerer Erben voraus und beruht damit auf einer gewillkürten Erbeinsetzung (OLG Nürnberg, aaO, Keim, aaO). Dabei ist der anwachsende Erbteil als solcher rechtlich nicht selbständig. Er kann gemäß § 1950 BGB auch nicht selbständig angenommen oder ausgeschlagen werden (BeckOGK/Gierl, aaO, Rn. 43; Burandt/Rojahn, aaO, Rn. 7). Der vergrößerte Erbteil wird lediglich in Ausnahmefällen als selbständiger Teil fingiert. Hieraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass der Erbteil hinsichtlich der Frage der Wechselbezüglichkeit der Erbeinsetzung in einen unmittelbar zugewiesenen sowie in einen durch Anwachsung erhöhten Erbteil getrennt werden könnte (vgl. hierzu Keim, aaO).
Soweit das Oberlandesgericht München den Einwand der Einheitlichkeit des Erbteils unter Hinweis auf die begrenzte Wirkung der Unwirksamkeit i.S.d. § 2289 Abs. 1 S.2 BGB, die nur Teile einer letztwilligen Verfügung erfassen kann („soweit“), als nicht durchgreifend erachtet (in diesem Sinne auch Braun, DNotZ 2018, 148, 155), so vermag dies nicht zu überzeugen. Denn auch der Umfang der Beeinträchtigung lässt sich nur ausgehend von dem als Erbeinsetzung zu beurteilenden erhöhten Erbteil einschließlich des rechtlich gerade nicht selbständig zu beurteilenden, angewachsenen Anteils feststellen. Macht der Erblasser nicht von der Möglichkeit Gebrauch, die Anwachsung auszuschließen oder einen Ersatzerben einzusetzen, liegt eine Erbeinsetzung vor, wie sie sich nach den gesetzlichen Regelungen, mithin unter Einbeziehung des durch Gesetz erhöhten Erbteils, ergibt (OLG Nürnberg, aaO, juris Rn. 25). Es handelt sich daher auch nicht um zwei teilbare Erbeinsetzungen, die zu unterschiedlich zu beurteilenden Beeinträchtigungen führen.
Dann bestehen aber keine durchgreifenden Bedenken, die Bindungswirkung auch dann anzunehmen, wenn die Wechselbezüglichkeit nicht bereits aufgrund individueller Auslegung des Testaments sondern aufgrund der Auslegungsregelung in § 2270 Abs. 2 BGB zum Tragen kommt. Zutreffend weist das Oberlandesgericht Nürnberg darauf hin, dass eine Vergleichbarkeit mit der vom Bundesgerichtshof in dem Beschluss vom 16.01.2002 (IV ZB 20/01) entschiedenen Frage zur Nichtanwendbarkeit von § 2270 Abs. 2 BGB im Falle einer ausschließlich auf § 2069 BGB beruhenden Ersatzerbeinsetzung, nicht gegeben ist. Denn im Falle der Anwachsung haben die Testierenden eine die gesetzliche Erbfolge ausschließende gewillkürte Erbfolge für bestimmte Personen bereits vorgesehen. Anders als im Fall der auf § 2069 BGB gestützten Ersatzerbeneinsetzung der gesetzlichen Erben wird in diesem Fall nicht eine möglicherweise andere Person sondern die im Testament bereits als begünstigt vorgesehene Person geschützt. Auch der Bundesgerichtshof stützt seine Entscheidung maßgeblich darauf, dass § 2270 Abs. 2 BGB die Annahme einer Wechselbezüglichkeit an die Einsetzung bestimmter Personen als Erben im gemeinschaftlichen Testament anknüpfe (BGH aaO, juris Rn. 17).
Entgegen der Auffassung von Braun (aaO) führt dies auch nicht zu Wertungswidersprüchen für den Fall, dass der vorversterbende Miterbe Abkömmlinge hat. Zwar kann dies für den Fall, dass eine Ersatzerbeneinsetzung der Abkömmlinge sich nicht im Wege der individuellen Auslegung sondern nur gestützt auf § 2069 ergeben würde, dazu führen, dass hinsichtlich dieser Erbeinsetzung dann keine Wechselbezüglichkeit mehr vorliegen würde. Dann würde wegen des Vorranges der Ersatzerbeneinsetzung die Anwachsung nicht eingreifen und der überlebende Ehegatte wäre insoweit nicht mehr gebunden. Dieses Argument führt jedoch nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. So hängt es bereits von den jeweils im konkreten Fall zu beachtenden Umständen ab, ob überhaupt ein Wertungswiderspruch vorliegen würde. Etwaige – theoretisch denkbare – Widersprüche dürften sich zudem in der Regel bereits im Rahmen der gebotenen Auslegung auflösen lassen (vgl. hierzu Keim, ZEV 2019, 683,686).
Für die Entscheidung dieses Verfahrens kommt es hierauf jedoch schon nicht an. Insoweit war ein weiterer Hinweis bzw. die Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu dieser Frage, wie auf Seite 9 des Schriftsatzes vom 06.03.2023 erbeten, nicht veranlasst.
cc) Hieraus ergibt sich eine Erbquote für den Beteiligten zu 1) in Höhe von 57 % und für den Beteiligten zu 2) in Höhe von 43 %.
d) Ergänzend wird für ein weiteres Erbscheinsverfahren noch darauf hingewiesen, dass die in § 3 angeordnete Testamentsvollstreckung hinfällig geworden ist, nachdem der Beteiligte zu 2) das 25. Lebensjahr vollendet hat. Die Anordnung ist bei verständiger Würdigung dahingehend auszulegen, dass diese nur bis zum Erreichen des 25. Lebensjahres gelten sollte. Da der Beteiligte zu 2) mittlerweile unter rechtlicher Betreuung steht, würde sich auch im Rahmen einer etwaigen ergänzenden Auslegung kein anderes Ergebnis ergeben.
Auf die in dem Schriftsatz vom 06.03.2023 geäußerte Auffassung des Beteiligten zu 1), es habe schon keine Anordnung einer Testamentsvollstreckung vorgelegen, kommt es daher ebenfalls nicht mehr an. Im Übrigen bestehen ausgehend von der ausdrücklichen Anordnung in § 3 unter Benennung des Beteiligten zu 1) als Testamentsvollstrecker keine ernsthaften Zweifel an dem Willen der Erblasser, Testamentsvollstreckung anzuordnen. Entsprechend hat der Beteiligte zu 1) die Anordnung auch nach dem Tod des Ehemannes der Erblasserin verstanden, als er das Amt des Testamentsvollstreckers angenommen und die Erteilung einer entsprechenden Bescheinigung beantragt und erhalten hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Besondere Gründe hiervon ausnahmsweise abzuweichen sind weder ersichtlich noch dargetan.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor. Die Frage, ob, in welchen Fällen und ggf. in welchem Umfang ein durch Anwachsung erhöhter Erbteil als wechselbezüglich anzusehen ist, war für die Entscheidung des Verfahrens nicht erheblich. Folglich ist kein ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats gegeben.
Die Festsetzung des Geschäftswerts folgt aus §§ 61,40 GNotKG. Sie richtet sich gemäß § 61 Abs. 1 GNotKG nach dem Wert der Interessen, denen das Rechtsmittel ausweislich des Antrags des Beschwerdeführers dient. Mit der Beschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1) sein Ziel, einen Alleinerbschein zu erhalten, weiter. Damit ist für den Geschäftswert auch des Beschwerdeverfahrens die spezielle Regelung betreffend der Verfahren zur Erteilung eines Erbscheins in § 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG heranzuziehen, wonach maßgeblich der Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls ist, von dem nur die vom Erblasser herrührenden Verbindlichkeiten abgezogen werden. Den Wert des Nachlasses schätzt der Senat, wie in dem Hinweis vom 08.02.2023 ausgeführt, auf ca. 300.000,- €. Weitere Darlegungen zum Wert des Nachlasses sind auf den Hinweis nicht erfolgt. Hieraus ergibt sich die Festsetzung bis zur nächsten Wertstufe gemäß der Anlage 2 zum GNotKG.