Erbschaftsrecht: Ausschlagung und Erbenstellung im Fokus
Die Erbschaftsregelungen in Deutschland sind komplex und bieten oft Raum für Interpretationen. Ein kürzlich ergangener Beschluss des OLG München beleuchtet die Thematik der Erbausschlagung und deren Auswirkungen auf die Erbenstellung.
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Übersicht
Die Kernfrage: Wer ist der rechtmäßige Erbe?
Im Mittelpunkt des Falles stand die Frage, wer nach dem Ableben einer Person als rechtmäßiger Erbe gilt. Die Beschwerdeführerin, die Ehefrau des Verstorbenen, beanspruchte die Alleinerbschaft aufgrund gesetzlicher Erbfolge. Laut § 1931 Abs. 3 BGB wäre sie die Alleinerbin, da keine Verwandten der ersten oder zweiten Ordnung oder Großeltern existieren. Alle potenziellen gesetzlichen Erben hatten das Erbe form- und fristgerecht ausgeschlagen.
Komplikationen durch Erbausschlagung
Ein zentraler Punkt des Falles war die Erbausschlagung des Beteiligten zu 2. Ursprünglich hätte die Schwester des Verstorbenen als gesetzliche Erbin gegolten, sie verstarb jedoch während der Ausschlagungsfrist. Ihr Abkömmling, der Vater des Beteiligten zu 2, war bereits 2013 verstorben, wodurch der Beteiligte zu 2 als sein Nachkomme in den Fokus rückte. Der Beteiligte zu 2 schlug das Erbe seiner Großmutter form- und fristgerecht aus, was laut OLG München auch den Verlust seiner Erbenstellung in Bezug auf den ursprünglichen Erblasser bedeutete.
Missverständnisse und Klarstellungen
Das Nachlassgericht hatte ursprünglich eine andere Auffassung vertreten und sich auf bestimmte Kommentarstellen berufen. Es ging davon aus, dass der Beteiligte zu 2 trotz Ausschlagung des Nachlasses seiner Großmutter nun aufgrund eigenem Erbrecht als Erbe des ursprünglichen Erblassers gelten würde. Das OLG München widersprach dieser Interpretation und stellte klar, dass für eine Erbenstellung des Beteiligten zu 2 nach dem ursprünglichen Erblasser kein Raum sei.
Keine weiteren Kosten und Rechtsbeschwerde
Da die Beschwerde der Ehefrau erfolgreich war, wurden keine Gerichtskosten erhoben. Eine Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren war ebenfalls nicht notwendig. Zudem wurden die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde als nicht gegeben betrachtet.
Das vorliegende Urteil
OLG München – Az.: 31 Wx 74/20 – Beschluss vom 11.03.2020
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Freyung – Nachlassgericht – vom 30.01.2020 wird aufgehoben.
2. Das Amtsgericht Freyung – Nachlassgericht – wird angewiesen, der Beteiligten zu 1 den beantragten Erbschein, der bezeugt, dass sie den Erblasser aufgrund gesetzlicher Erbfolge allein beerbt hat, zu erteilen.
Gründe
I.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beschwerdeführerin beantragten Erbscheins liegen vor.
Die Beschwerdeführerin ist als Ehefrau des Erblassers gemäß § 1931 Abs. 3 BGB dessen Alleinerbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge, da weder Verwandte der ersten oder zweiten Ordnung noch Großeltern vorhanden sind. Alle insoweit in Frage kommenden gesetzliche Erben haben das Erbe in Bezug auf den Erblasser form- und fristgerecht ausgeschlagen. Dies ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts auch in Bezug des Beteiligten zu 2 der Fall.
1. Dessen Erbenstellung ergab sich ursprünglich daraus, dass an sich die Schwester des Erblassers gesetzliche Erbin war, die aber während des Laufs der Ausschlagungsfrist im Sinne des § 1944 Abs. 1 BGB verstorben ist. Deren Ausschlagungsfrist ist nach § 1952 Abs. 1 BGB vererblich. Im Hinblick darauf, dass ihr Abkömmling, der Vater des Beteiligten zu 2, seinerseits am 17.08.2013 vorverstorben war, trat an dessen Stelle der Beteiligte zu 2 als sein Abkömmling.
2. Entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts führt die von dem Beteiligten zu 2 form- und fristgemäß erklärte Ausschlagung des Erbes in Bezug auf seine Großmutter auch zum Wegfall seiner Erbenstellung in Bezug auf den Erblasser. Denn den Erstnachlass erhält er als Erbeserbe nur als Bestandteil des Zweitnachlasses, so dass er mit der Ausschlagung des Zweitnachlasses auch das Annahme- und Ausschlagungsrecht hinsichtlich des Erstnachlasses verliert, welches sodann auf den Nächstberufenen übergeht (NK-BGB/Ivo Erbrecht 5. Auflage <2018> § 1952 Rn. 2; MüKo BGB/Leipold 8. Auflage § 1952 Rn 5; 11; Staudinger/Otte BGB <2017> § 1952 Rn. 1; vgl. dazu auch Motive V S. 502 zitiert in: Horn MatK ErbR § 1952 Rn. 3). Insoweit bewirkt allein die Ausschlagung der Erbschaft in Bezug auf seine Großmutter den Verlust beider Erbschaften (Brox/Walker Erbrecht 28. Auflage <2018> § 22 Rn. 2).
3. Der Verweis des Nachlassgerichts auf die Kommentarstelle „NK-BGB/Ivo Erbrecht a.a.O. § 1952 Rn. 16 und 5“ in Bezug auf die von ihm vertretene Auffassung, dass der Beteiligte zu 2 trotz Ausschlagung des Nachlasses seiner Großmutter nunmehr aufgrund eigenem Erbrecht als Erbe des Erblassers berufen ist, trägt nicht. Denn diese betrifft die andere Fallkonstellation, nämlich, dass einer von mehreren Erbeserben den Erstnachlass ausschlägt. Vorliegend hat aber der Beteiligte zu 2 als Erbeserbe den Zweitnachlass ausgeschlagen. Infolge dessen ist für eine Erbenstellung des Beteiligten zu 2 als Rechtsnachfolger des Erblassers kein Raum.
4. Im Hinblick darauf, dass alle übrigen in Betracht kommende Erbeserben den Erstnachlass nach dem Erblasser ausgeschlagen haben, stellt sich auch nicht die Frage, ob im Hinblick auf die Erbteile der ausschlagenden Erbeserben jeweils der Nächstberufene an deren Stelle tritt oder eine Anwachsung unter den annehmenden übrigen Erbeserben erfolgt (vgl. zur Problematik NK-BGB/Ivo Erbrecht a.a.O. § 1952 Rn. 14). Solche den Erstnachlass annehmende Ersatzerben sind nicht vorhanden.
II.
Da die Beschwerde erfolgreich ist, fallen keine Gerichtskosten an (§ 25 Abs. 1 GNotKG). Einer Festsetzung des Geschäftswerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es daher nicht.
III.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.