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Widerruf privatschriftliches Testament durch großflächige Durchstreichungen

Das Oberlandesgericht München hat entschieden, dass die Durchstreichungen im Testament einer verstorbenen Frau als Widerrufshandlung zu werten sind und somit der Antrag des Lebensgefährten auf einen Erbschein abgelehnt wird. Die Kosten des Verfahrens wurden ihm auferlegt. Die Angelegenheit hinsichtlich der Erbscheinsanträge der Brüder bleibt weiterhin offen.

→ Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 33 Wx 73/23

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das handschriftliche Testament der Erblasserin vom 07.03.2020 wurde durch die großflächigen Durchstreichungen auf allen Seiten widerrufen.
  • Die Erblasserin befand sich bis zu ihrem Tod im Besitz des Testaments und Dritte hatten keinen Zugriff darauf.
  • Es ist auszuschließen, dass die Durchstreichungen von Dritten vorgenommen wurden.
  • Die Vermutung, dass die Erblasserin die Streichungen in Widerrufsabsicht vornahm, wurde nicht widerlegt.
  • Die Behauptung, die Erblasserin habe die Durchstreichungen nur vorgenommen, um ein neues Testament zu errichten, ließ sich nicht belegen.
  • Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 auf Anerkennung als Alleinerbe wurde folglich zurückgewiesen.

Testament widerrufen: Durchstreichungen als Widerrufshandlung?

Testament schreiben
(Symbolfoto: LivDeco /Shutterstock.com)

Ein Testament ist ein wichtiges Rechtsdokument, das die letzten Willenswünsche einer Person festlegt. Es regelt, was nach dem Tod mit dem persönlichen Vermögen und Besitz geschehen soll. Dabei gibt es verschiedene Formen des Testaments, darunter das handschriftliche Testament, das ganz oder teilweise von der erblassenden Person selbst verfasst wird.

Im Laufe der Zeit kann es jedoch vorkommen, dass eine Person ihren letzten Willen ändern oder sogar widerrufen möchte. Dafür gibt es gesetzlich geregelte Möglichkeiten, wie etwa das Erstellen eines neuen Testaments oder die Vernichtung oder Veränderung des bestehenden Dokuments.

Ein besonderer Fall tritt ein, wenn ein handschriftliches Testament großflächig durchgestrichen wird. Hier stellt sich dann die Frage, ob diese Durchstreichungen tatsächlich den Willen der erblassenden Person widerspiegeln, das Testament zu widerrufen. Diesen rechtlichen Aspekten und Besonderheiten rund um den Widerruf von Testamenten durch Durchstreichungen widmet sich der folgende Beitrag.

Der Fall vor dem Oberlandesgericht München im Detail

Sachverhalt und Ursprung der Rechtsfrage im Testamentstreit

Die Auseinandersetzung betraf das Testament einer kinderlosen und geschiedenen Frau, die am 26. September 2020 verstarb. In ihrem privatschriftlichen Testament vom 7. März 2020 hatte sie ihren Lebensgefährten als Alleinerben eingesetzt, während ihre Brüder explizit enterbt wurden. Über die gesamte Länge des dreiseitigen Testaments fanden sich durchgängige Durchstreichungen. Zudem existierte ein undatiertes, nicht unterschriebenes maschinenschriftliches Testament mit ähnlichem Inhalt. Auf Basis des handschriftlichen Testaments stellte der Lebensgefährte einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweisen sollte. Das Nachlassgericht Kempten neigte zunächst dazu, den Erbschein zu erteilen, stellte jedoch fest, dass die Durchstreichungen nicht zwingend einen Widerruf darstellten. Zweifel darüber, ob die Durchstreichungen von der Erblasserin selbst stammten, wurden zu Lasten der enterbten Brüder gewertet.

Gerichtliche Entscheidungsfindung und Begründung

Die enterbten Brüder legten gegen den Erbscheinsantrag Beschwerde ein, woraufhin das Oberlandesgericht München den Fall übernahm. Das OLG hob den Beschluss des Nachlassgerichts auf und wies den Erbscheinsantrag des Lebensgefährten zurück. Die Entscheidung stützte sich auf die Feststellung, dass die Durchstreichungen als Widerrufshandlung der Erblasserin zu werten seien. Es wurde angenommen, dass das Testament bis zu ihrem Tod in ihrem Besitz war und keine Hinweise auf Fremdeinwirkung vorlagen. Zudem ließ sich ausschließen, dass die Veränderungen posthum von Dritten vorgenommen wurden. Das Gericht berief sich auf die Grundsätze, dass die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments bei demjenigen liegt, der daraus Rechte ableiten möchte, und dass die Last für den Nachweis einer Widerrufshandlung bei demjenigen liegt, der sich darauf beruft.

Rechtliche Erörterungen und Einschätzungen

Der Senat folgte nicht der Argumentation des Nachlassgerichts, dass ohne klare Beweise für die Urheberschaft der Durchstreichungen durch die Erblasserin das Testament weiterhin Gültigkeit besitze. Vielmehr sprach eine Vermutung dafür, dass die Erblasserin die Streichungen in Widerrufsabsicht vorgenommen hatte, da diese bis zu ihrem Tod in ihrem Gewahrsam verblieb und keine Anhaltspunkte für das Handeln Dritter vorlagen. Das Gericht führte weiter aus, dass selbst die theoretische Möglichkeit, dass die Brüder posthum Zugang zur Wohnung und zum Testament erhalten und dieses verändert hätten, aufgrund fehlender Beweise ausgeschlossen werden könne.

Konsequenzen des Urteils

Durch die Entscheidung des OLG München wurde der Antrag des Lebensgefährten auf einen Erbschein endgültig abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens wurden ihm auferlegt, da die Beschwerde der enterbten Brüder erfolgreich war. Die Angelegenheit hinsichtlich der Erbscheinsanträge der Brüder bleibt allerdings weiterhin offen, da hierzu noch keine Entscheidung vorliegt. Die richterliche Festlegung des Geschäftswerts basiert auf dem vollen Nachlasswert. Abschließend wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Rechtsbeschwerde nicht gegeben sind, was die Entscheidung des OLG München endgültig macht.

✔ FAQ zum Thema: Widerruf Testament


Was bedeutet der Widerruf eines Testaments und wie kann dieser erfolgen?

Ein Testament kann grundsätzlich jederzeit vom Erblasser widerrufen werden. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten:

Durch Erstellung eines neuen Testaments, das entweder ausdrücklich das alte Testament widerruft oder inhaltlich im Widerspruch zum alten Testament steht. Das neue Testament muss dabei allen formalen Anforderungen an ein wirksames Testament entsprechen.

Durch Zerstörung des Testaments, z.B. durch Schreddern, Verbrennen oder öffentliches Zerstören durch einen Notar, bei dem das Testament hinterlegt ist. Befindet sich ein privatschriftliches Testament in der Wohnung des Erblassers und hatte kein Dritter Zugriff darauf, wird vermutet, dass Veränderungen wie großflächige Durchstreichungen vom Erblasser selbst in Widerrufsabsicht vorgenommen wurden.

Durch Widerruf des Widerrufs in einem weiteren Testament.

Bei einem gemeinsamen notariellen Testament gelten Besonderheiten. Der Erblasser kann seine bindende Verfügung in einem gemeinsamen notariellen Testament grundsätzlich nicht einseitig aufheben oder ändern. Mit Rücknahme des notariellen Testaments vom Notar gilt es jedoch als widerrufen.


Welche Rolle spielen Durchstreichungen in einem handschriftlichen Testament?

Durchstreichungen in einem handschriftlichen Testament können unter bestimmten Voraussetzungen als Widerruf der durchgestrichenen Passagen oder sogar des gesamten Testaments gewertet werden:

Befand sich das Testament bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers und können Veränderungen durch Dritte ausgeschlossen werden, wird vermutet, dass die Streichungen vom Erblasser selbst in Widerrufsabsicht vorgenommen wurden. Dies gilt auch für großflächige Durchstreichungen, die den gesamten Text des Testaments umfassen.

Derjenige, der sich auf die Wirksamkeit des Testaments beruft, trägt die Feststellungslast dafür, dass die Streichungen nicht vom Erblasser stammen. Die Anforderungen an diesen Beweis sind jedoch nicht allzu hoch, wenn ein Zugriff Dritter unwahrscheinlich erscheint.

Selbst wenn die Streichungen nachweislich vom Erblasser vorgenommen wurden, können Zweifel am Widerrufswillen bestehen, z.B. wenn die Streichungen nur der Vorbereitung eines neuen Testaments dienen sollten. In diesem Fall bleibt das Testament trotz der Streichungen wirksam.

Um Unklarheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, bei gewünschten Änderungen ein ganz neues Testament zu errichten, statt Streichungen oder Ergänzungen im ursprünglichen Testament vorzunehmen. Alternativ kann ein ausdrückliches Widerrufstestament verfasst werden.

Fazit: Durchstreichungen in einem handschriftlichen Testament begründen die Vermutung eines Widerrufs durch den Erblasser selbst. Diese Vermutung kann jedoch durch Zweifel am Widerrufswillen widerlegt werden. Zur Vermeidung von Streitigkeiten sollten Änderungen durch Errichtung eines neuen Testaments erfolgen.


Was versteht man unter der Feststellungslast bei einem Testament?

Die Feststellungslast regelt, wer die Konsequenzen zu tragen hat, wenn ein entscheidungserheblicher Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann. Im Erbscheinsverfahren gelten aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zwar nicht die Regeln der formellen Beweislast, wohl aber die der materiellen Beweislast, die hier als Feststellungslast bezeichnet wird.

Grundsätzlich trägt derjenige die Feststellungslast für die Echtheit eines Testaments, der aus diesem Testament ein Erbrecht ableitet. Kann die Echtheit nach Ausschöpfung aller Beweismittel nicht nachgewiesen werden, ist von der Unechtheit des Testaments auszugehen.

Umgekehrt muss derjenige, der das Erbrecht in Abrede stellt, die Tatsachen beweisen, die das Erbrecht hindern oder vernichten, wie etwa die Existenz eines Widerrufstestaments oder die Wirksamkeit einer Anfechtung.

Vor einer Entscheidung zum Nachteil des Antragstellers aufgrund der Feststellungslast ist der Sachverhalt jedoch umfassend aufzuklären. Auch eine Reduzierung des Beweismaßes unter Berücksichtigung von Mitwirkungspflichtverletzungen kann in Betracht kommen.

Die Weigerung eines Beteiligten, der die Feststellungslast trägt, z.B. seinen früheren Anwalt von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, um ihn als Zeugen zu vernehmen, kann als Beweisvereitelung gewertet und zu seinem Nachteil berücksichtigt werden.


Wie wirkt sich ein erfolgreicher Widerruf eines Testaments auf die Erbfolge aus?

Wird ein Testament wirksam widerrufen, so entfällt die darin angeordnete gewillkürte Erbfolge. Stattdessen tritt die gesetzliche Erbfolge ein, sofern der Erblasser nicht in einem neuen Testament oder Erbvertrag eine abweichende Regelung trifft.

Durch den Widerruf verlieren die im Testament eingesetzten Erben ihre Erbenstellung. Sie können aus dem widerrufenen Testament keine Rechte mehr herleiten. Ebenso entfallen Vermächtnisse und Auflagen, die im widerrufenen Testament angeordnet waren.

Sind in einem späteren Testament, das das frühere Testament ganz oder teilweise widerruft, keine neuen Erben bestimmt, ergibt sich die Erbfolge nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 1924 ff. BGB. Das bedeutet, dass die nächsten Verwandten des Erblassers (Kinder, Eltern, Geschwister etc.) in einer bestimmten Reihenfolge und nach bestimmten Quoten als gesetzliche Erben berufen sind.

Möchte der Erblasser eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Regelung, muss er ein neues wirksames Testament errichten. Dabei kann er auch Erben aus dem früheren Testament erneut einsetzen. Solange dies nicht geschieht, bleibt es aber bei der gesetzlichen Erbfolge.

Wurde das frühere Testament durch ein reines Widerrufstestament aufgehoben, kann der Erblasser diesen Widerruf auch wieder rückgängig machen (Widerruf des Widerrufs). Dann lebt das ursprüngliche Testament mit seinen Anordnungen wieder auf und verdrängt die gesetzliche Erbfolge.


Wie wird die Authentizität von Testamenten rechtlich geprüft?

Die Authentizität von Testamenten wird in mehreren Schritten geprüft:

Bereits bei der Testamentseröffnung nimmt das Nachlassgericht eine summarische Prüfung vor, ob es sich bei dem vorliegenden Schriftstück überhaupt um ein wirksames Testament handeln kann. Bestehen hier schon Zweifel, unterbleibt eine Eröffnung.

Im Erbscheinverfahren muss das Gericht dann allen substantiierten Einwänden gegen die Echtheit des Testaments nachgehen. Grundsätzlich trägt derjenige die Feststellungslast (materielle Beweislast) für die Echtheit, der aus dem Testament Rechte herleiten will. Gelingt ihm der Nachweis nicht, ist von der Unechtheit auszugehen.

Häufige Streitpunkte sind dabei:

  • Stammt das Testament wirklich vom Erblasser oder hatte ein Dritter seine Hände im Spiel?
  • Ist die Unterschrift echt oder gefälscht?
  • War der Erblasser testierfähig und frei von Irrtum oder Zwang?

Zur Klärung dieser Fragen werden oft Sachverständigengutachten eingeholt, z.B. Schriftgutachten oder medizinische Gutachten zur Testierfähigkeit. Auch Zeugenaussagen über die Umstände der Testamentserrichtung spielen eine wichtige Rolle.

Befand sich das Testament im alleinigen Gewahrsam des Erblassers und können Veränderungen durch Dritte ausgeschlossen werden, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass Streichungen und Änderungen vom Erblasser selbst in Widerrufabsicht vorgenommen wurden. Dies gilt selbst bei großflächigen, den gesamten Text umfassenden Durchstreichungen.

Gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts über die Echtheit und Wirksamkeit des Testaments ist die Beschwerde zum Oberlandesgericht möglich. Im Zweifelsfall muss die Frage in einem Erbenfeststellungsprozess vor dem Zivilgericht geklärt werden.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 2255 BGB – Widerruf eines Testaments: Dieser Paragraph regelt, dass ein Testament durch eine neue Verfügung oder durch dessen Vernichtung widerrufen werden kann. Im vorliegenden Fall ist entscheidend, dass das OLG München die Durchstreichungen als einen Widerruf interpretiert, was eine Anwendung von § 2255 BGB impliziert. Der Paragraph sieht vor, dass ein Widerruf angenommen wird, wenn das Testament in der letztwilligen Form zerstört oder verändert wird.
  • § 2084 BGB – Auslegung der letztwilligen Verfügung: Dieser Paragraph wird relevant, um die Intention der Erblasserin zu klären, besonders in Anbetracht der undatierten, nicht unterschriebenen maschinenschriftlichen Version des Testaments. Er gibt den Rahmen dafür, wie Gerichte die letztwilligen Erklärungen des Erblassers auslegen sollen, speziell bei unklaren Änderungen wie Durchstreichungen.
  • § 2229 BGB – Testierfähigkeit: Der Paragraph regelt, wer testierfähig ist und unter welchen Umständen ein Testament gültig errichtet werden kann. Dies könnte im Kontext der Prüfung der Gültigkeit des handschriftlichen Testaments eine Rolle spielen, insbesondere dann, wenn die geistige Verfassung der Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserstellung thematisiert wird.
  • § 2346 BGB – Erteilung eines Erbscheins: Dieser Paragraph ist relevant, weil er die Bedingungen für die Erteilung eines Erbscheins festlegt. Der Beteiligte zu 1 beantragte einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist, was jedoch letztlich abgelehnt wurde. Die genauen Voraussetzungen und die Notwendigkeit des Erbscheins sind hier zentral.
  • § 81 FamFG – Verfahrensrechtliche Grundlagen im Nachlassverfahren: Dieser Paragraph spielt eine Rolle im Beschwerdeverfahren, wie es hier vom OLG München und vom Amtsgericht Kempten geführt wurde. Er bezieht sich auf die Handhabung von Beschwerden in familiengerichtlichen Angelegenheiten, inklusive nachlassrechtlicher Streitigkeiten.

Diese Paragraphen bieten eine rechtliche Grundlage für die Interpretation und Handhabung des vorliegenden Falles und sind wesentlich für das Verständnis der gerichtlichen Entscheidungsfindung.


➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht München

OLG München – Az.: 33 Wx 73/23 e – Beschluss vom 13.10.2023

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) – Nachlassgericht – vom 21.04.2022, Az. 551 VI 1510/20, aufgehoben.

2. Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 vom 07.03.2020 wird zurückgewiesen.

3. Der Beteiligte zu 1 hat den Beschwerdeführern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

4. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren bleibt vorbehalten.

Gründe

I.

Die Erblasserin ist zwischen dem 25.09.2020 und dem 26.09.2020 verstorben. Sie war geschieden und kinderlos.

Sie hinterließ ein handschriftliches Testament vom 07.03.2020. In diesem setzte sie ihren Freund/Lebensgefährten, den Beteiligten zu 1, als Alleinerben ein. Ihre Brüder, die Beteiligten zu 2 und 3, wurden ausdrücklich enterbt. Das 3-seitige Testament weist über alle 3 Seiten jeweils mehrere Durchstreichungen auf, die den gesamten Text umfassen. Zudem wurde ein undatiertes und nicht unterschriebenes maschinenschriftliches Testament aufgefunden, das im Wesentlichen denselben Inhalt wie das handschriftliche Testament hat.

Auf der Grundlage des Testaments vom 07.03.2020 beantragte der Beteiligte zu 1 einen Erbschein (Antrag vom 30.08.2021), der ihn als Alleinerben ausweisen soll.

Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 21.04.2022 die Erteilung eines solchen Erbscheins an. Es begründete seine Entscheidung im angefochtenen Beschluss vom 21.04.2022 im Wesentlichen wie folgt: Das Testament sei durch die Durchstreichungen nicht widerrufen worden. Das eingeholte Sachverständigengutachten könne zwar keinen Aufschluss darüber geben, wann die Durchstreichungen erfolgt sind (mithin also auch nicht belegen, ob oder dass sie nach dem Tod der Erblasserin erfolgten). Da aber Zweifel verblieben, ob die Durchstreichungen von der Erblasserin vorgenommen worden seien, gingen diese Zweifel zu Lasten der Beteiligten zu 2 und 3.

Der Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 vom 12.05.2022 half das Nachlassgericht nicht ab und legte die Akten dem OLG München zur Entscheidung vor.

Der 31. Zivilsenat (31 Wx 291/22) hat die Nichtabhilfeentscheidung mit Beschluss vom 02.08.2022 aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens an das Nachlassgericht zurückgegeben.

Nach Richterwechsel hat das Nachlassgericht mit Beschluss vom 13.03.2023 der Beschwerde erneut nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Es stützt seine Entscheidung nunmehr im Wesentlichen auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf (3 Wx 63/16), wonach „bei – unterstellter – Urheberschaft des Erblassers in Bezug auf die Streichung grundsätzlich eine Vermutung für einen entsprechenden Aufhebungswillen spricht, diese widerlegt [sei], wenn sich … der Wille des Erblassers ergibt, dass der durch die Streichung nahe gelegte Widerruf der Verfügung bloß eine neue letztwillige Verfügung mit der Bestimmung eines neuen Erben vorbereiten, bis zu deren Errichtung indes die alte fortgelten sollte“. Derartige Zweifel sollen hier bestehen, weil die Erblasserin noch kurz vor ihrem Tod Dritten gegenüber geäußert habe, ihre Brüder (die Beteiligten zu 2 und 3) sollten nichts bekommen.

Der Senat hat am 09.10.2023 mündlich verhandelt und die Beteiligten persönlich angehört.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

Der Senat teilt die Ansicht des Nachlassgerichts, wonach sich ein Widerrufswille seitens der Erblasserin nicht feststellen lasse und deswegen das handschriftliche Testament vom 07.03.2020 fortgelte, nicht.

1. Das Testament vom 07.03.2020 wurde formwirksam errichtet. Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob dieses Testament, das über alle drei Blätter, die physisch nicht miteinander verbunden sind, jeweils schräge Durchstreichungen enthält, die den gesamten Text umfassen, von der Erblasserin in Widerrufsabsicht durchgestrichen worden ist, oder ob die Durchstreichungen von einer dritten Person, oder aber von der Erblasserin, aber nicht in Widerrufsabsicht, erfolgt sind.

a) Grundsätzlich trägt derjenige die Feststellungslast für die Wirksamkeit eines Testaments, der Rechte aus diesem herleiten will. Die Feststellungslast für eine Widerrufshandlung des Erblassers in Widerrufsabsicht trägt derjenige, der sich darauf beruft (BayObLG, Beschluss vom 22.07.1983, 1 Z 49/83, BayObLGZ 1983, 204; MüKoBGB/Sticherling, 9. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 5; NK-BGB/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 21). Falls sich die vorhandene Urkunde bis zuletzt im Gewahrsam des Erblassers befand und keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Veränderungen an der Urkunde von Dritten vorgenommen worden sind, sind die Anforderungen an den Beweis, dass die Veränderung der Urkunde auf eine Handlung des Erblassers zurückzuführen ist, nicht hoch anzusetzen (BayObLG, a.a.O.; NK-BGB/Kroiß, 6. Aufl. 2022, § 2255 Rn. 22; Krätzschel in: Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Aufl. 2022, § 14 Rn. 8).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat davon überzeugt, dass die Erblasserin das fragliche Testament vom 07.03.2020 in Widerrufsabsicht vernichtet hat.

aa) Nach den vom Nachlassgericht durchgeführten Ermittlungen und der Beweisaufnahme vor dem Senat befand sich das Testament bis zum Tode der Erblasserin in deren Besitz. Der Beteiligte zu 1 schilderte im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat, dass er das Testament in einem Stapel mit alten Zeitungen, Zeitschriften, Kontoauszügen und Katalogen gefunden hat. Dass es dort dem ungestörten Zugriff Dritter ausgesetzt war, lässt sich praktisch ausschließen, zumal sich die Erblasserin in der letzten Phase ihres Lebens überwiegend auf der Couch im Wohnzimmer aufhielt. Da die Erblasserin zudem als Person mit wenigen sozialen Kontakten beschrieben wurde, kann zur Überzeugung des Senats ausgeschlossen werden, dass Dritte zu Lebzeiten der Erblasserin Zugriff auf das Testament hatten und die Veränderungen vorgenommen haben, zumal nach der durchgeführten Anhörung der Beteiligten zu 2 und 3 feststeht, dass diese zu Lebzeiten keinen Zutritt zur Wohnung der Erblasserin hatten, da zwischen den Geschwistern seit vielen Jahren kein Kontakt mehr bestand.

bb) Dass die Veränderungen nach dem Tod der Erblasserin und vor Abgabe der Verfügung an das Nachlassgericht von Dritten vorgenommen worden sind, ist nach der durchgeführten Anhörung der Beteiligten ebenfalls auszuschließen.

Der Beteiligte zu 1, der durch das Testament als Erbe berufen wurde, hatte zwar Zutritt zur Wohnung, da er über einen Schlüssel verfügte, aber keinerlei Interesse daran, die Veränderungen an der Urkunde vorzunehmen. Im Gegenteil: Er suchte das Testament und fand es schließlich in einem Stapel von alten Zeitungen und Zeitschriften. Es kann deswegen ausgeschlossen werden, dass der Beteiligte zu 1 die Veränderungen vorgenommen hat.

Die Beschwerdeführer hatten lediglich im Anschluss an die Beerdigung der Erblasserin Zutritt zu deren Wohnung und dort nach eigenem Bekunden lediglich Zugriff auf alte Familienfotos, die im Wohnzimmer der Erblasserin verstreut lagen. Für die rein theoretische Möglichkeit, dass sie sich bei dieser Gelegenheit einen Schlüssel zur Wohnung verschafft hätten und das später aufgefundene Testament verändert haben, ließen sich keinerlei Anhaltspunkte finden.

Das Testament befand sich mithin bis zum Tode im Besitz der Erblasserin. Der Senat ist aufgrund der von ihm durchgeführten Anhörung überzeugt, dass Dritte die Veränderungen an dem Testament nicht vorgenommen haben, so dass daraus zu schließen ist, dass die Erblasserin die Streichungen vorgenommen hat. Gemäß § 2255 S. 2 BGB wird mithin vermutet, dass die Erblasserin die Streichungen in Widerrufsabsicht vorgenommen hat.

2. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Erblasserin, entsprechend der vom Nachlassgericht herangezogenen Entscheidung des OLG Düsseldorf, die Absicht hatte, das durchgestrichene Testament fortgelten zu lassen, bis sie eine neue Verfügung errichtet hatte, die Vermutung des § 2255 S. 2 BGB mithin widerlegt wäre.

Für eine solche Annahme fehlt es schon an belastbaren Anknüpfungstatsachen.

Solche ergeben sich nicht aus der Aussage der Zeugin xx. Es mag sein, dass die Erblasserin, auch noch kurz vor ihrem Tod, erklärt hat, ihre Brüder sollten nichts bekommen. Der letzte Kontakt der Zeugin mit der Erblasserin soll aber am 11.09.2020, mithin knapp 2 Wochen vor dem Tod der Erblasserin stattgefunden haben. Für den Zeitraum danach liegen keine Anhaltspunkte in diese Richtung vor. In dieser Zeit, in der es Erblasserin spürbar schlechter ging – sie hielt sich überwiegend nur noch auf der Couch im Wohnzimmer auf und eine ursprünglich geplante Reise mit dem Beteiligten zu 1 musste wegen ihres Gesundheitszustands abgesagt werden und wurde vom Beteiligten zu 1 allein angetreten – kann es ohne weiteres zu einem Sinneswandel bei der Erblasserin gekommen sein, der sie veranlasst hat, die Streichungen auf ihrem Testament vorzunehmen.

3. Damit erweist sich die Entscheidung des Nachlassgerichts als unzutreffend. Sie war auf die zulässige Beschwerde aufzuheben und der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 zurückzuweisen. Da über den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 und 3 noch keine Entscheidung des Nachlassgerichts vorliegt, ist der Senat insoweit nicht zur Entscheidung berufen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 Abs. 2 FamFG. Gerichtliche Kosten fallen für die erfolgreiche Beschwerde nicht an. Der Beteiligte zu 1 hat den Beschwerdeführern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten, da deren Beschwerde erfolgreich war, so dass die angeordnete Kostenerstattung billigem Ermessen entspricht.

Der Geschäftswert wird auf den vollen Nachlasswert festzusetzen sein, § 61 GNotKG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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