OLG Stuttgart – Az.: 8 W 302/16 – Beschluss vom 14.05.2018
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 und 8 wird der Beschluss des Notariats … – Nachlassgericht – vom 29.07.2016, Az. NG 5/2016, in seinem Ausspruch Ziff. 1 (Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten Ziff. 1 vom 18.02.2016) aufgehoben.
Das nunmehr zuständige Amtsgericht Ulm – Nachlassgericht – wird angewiesen, über den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 vom 18.02.2016 unter Berücksichtigung der Rechtssauffassung des Senats neu zu entscheiden.
2. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 9 und 10 gegen den Beschluss des Notariat … – Nachlassgericht – vom 29.07.2016, Az. NG 5/2016, in seinem Ausspruch Ziff. 1 (Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten Ziff. 1 vom 18.02.2016) wird als unzulässig verworfen.
3. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 und 8, 9 und 10 wird der Beschluss des Notariats … – Nachlassgericht – vom 29.07.2016, Az. NG 5/2016, in seinem Ausspruch Ziff. 3 (Testamentsvollstreckerzeugnis) aufgehoben.
Der Antrag der Beteiligten Ziff. 3, 4 und 5 vom 15.02.2016 auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses wird zurückgewiesen.
4. Die Anschlussbeschwerde der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 gegen den Beschluss des Notariats … – Nachlassgericht – vom 29.07.2016, Az. NG 5/2016, wird zurückgewiesen.
5. Die Anschlussbeschwerde der Beteiligten Ziff. 7 gegen den Beschluss des Notariats … – Nachlassgericht – vom 29.07.2016, Az. NG 5/2016, wird als unzulässig verworfen.
6. Die Beteiligten Ziff. 9 und 10 tragen zusammen die Hälfte der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beteiligten Ziff. 3 bis 7 tragen zusammen die übrige Hälfte der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
7. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 200.000,00 festgesetzt.
Gründe
I.
Der am 23.12.2015 durch Suizid verstorbene Erblasser war seit dem 08.10.2015 mit der Beteiligten 1 im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Die Beteiligten Ziff. 2 bis 6 sind Abkömmlinge des Erblassers aus früheren Beziehungen, wobei die Beteiligte Ziff. 7 die Mutter der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 ist, während der Beteiligte Ziff. 2 aus einer noch früheren Beziehung des Erblassers stammt. Die Beteiligte Ziff. 7 ist Sorgeberechtigte für die Beteiligte Ziff. 6, die noch nicht volljährig ist. Im Zeitpunkt des Erbfalls erwartete die Beteiligte Ziff. 1 vom Erblasser ein Kind, den am 26.06.2016 geborenen Beteiligten Ziff. 8. Die Beteiligten Ziff. 9 und 10 sind Söhne der Beteiligten Ziff. 1, die diese in die Ehe brachte.
Vom Erblasser liegt ein privatschriftliches Testament vom 05.12.2015 (Bl. 37 d.A.) mit folgendem Wortlaut vor:
Mein Testament,
ich möchte, dass nach meinem Tod mein gesamtes Vermögen zu gleichen Teilen unter meinen Kindern XXX verteilt wird. Mein Sohn XXX soll vorab aus der Erbmasse 20.000,00 € erhalten, ebenso wie meine Patenkinder XXX und XXX, die ebenfalls je 20.000,00 € erhalten sollen.
Es tut mir leid, dass meine Frau XXX sich immer wieder geweigert hatte, im Falle meines Todes sich als Miterbin einsetzen zu lassen oder sich um diese Angelegenheiten zu kümmern.
…, den 5.12.2015
[Unterschrift]
XXX (XXX)
Meine XXX sollen als „Testamentvollstrecker“ das Erbe verwalten und verteilen.
5.12.2015
[Unterschrift]
XXX
Am 15.02.2016 haben die Beteiligten Ziff. 3, 4 und 7 (diese als Bevollmächtigte des 5 in dessen Namen) zur Niederschrift des Notariats … – Nachlassgericht – die Annahme des Amtes des Testamentsvollstreckers erklärt und die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses beantragt.
Die Beteiligte Ziff. 1 hat durch Schriftsatz an das Notariat … – Nachlassgericht – vom 18.02.2016 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach sie mit einem Erbteil von 1/2 und die Beteiligten Ziff. 2 bis 6 sowie der Beteiligte Ziff. 8 mit einem Erbteil von je 1/12 Erben des Erblassers geworden sind. Gleichzeitig wurde von der Beteiligten Ziff. 1 die Anfechtung des privatschriftlichen Testaments des Erblassers vom 05.12.2015 erklärt. Zur Begründung wurde auf die Regelung des § 2079 BGB verwiesen und vorgetragen, der Erblasser habe den zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments noch nicht geborenen Beteiligten Ziff. 8 als Pflichtteilsberechtigten übergangen, zu diesem Zeitpunkt sei dem Erblasser noch nichts über die Schwangerschaft bekannt gewesen. Anfang Dezember habe sie – die Beteiligte Ziff. 1 – selbst noch keine gesicherte Kenntnis über die Schwangerschaft gehabt und ihrem Mann noch nichts gesagt, sondern ihm dies Weihnachten mitteilen wollen. Der Erblasser habe von dem ungeborenen Kind noch nicht einmal am 22.12.2015 gewusst. Die Anfechtung beseitige das angefochtene Testament in vollem Umfang und es trete somit gesetzliche Erbfolge ein. Das Notariat … – Nachlassgericht – sei in der Sache örtlich zuständig, da der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe.
Ebenfalls im Hinblick auf die erklärte Testamentsanfechtung ist die Beteiligte Ziff. 1 dem Antrag der Beteiligten Ziff. 3, 4 und 5 auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses entgegengetreten.
Mit Schriftsatz an das Notariat … – Nachlassgericht – vom 03.05.2016 haben die Beteiligten Ziff. 3 bis 6 ihrerseits die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach sie jeweils mit einem Erbteil von 1/4 Erben des Erblassers geworden sind. Zur Begründung tragen sie vor, der Erblasser habe zwar zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vom 05.12.2015 von der Schwangerschaft seiner Ehefrau – der Beteiligten Ziff. 1 – nichts gewusst, aber in jedem Fall vor seinem Tod Kenntnis von dem ungeborenen Kind gehabt. Dies ergebe sich daraus, dass der Erblasser einen 7-seitigen Abschiedsbrief (bei Bl. 63 d.A.) an das ungeborene Kind erstellt habe. Aus dem Brief ergebe sich zweifelsfrei, dass der Erblasser Kenntnis vom ungeborenen Kind der Ehefrau gehabt habe. Diese habe dem Erblasser schon am 11./12.12.2015 mitgeteilt, dass sie schwanger sei. Dem Erblasser sei demgemäß sechs Tage nach Erstellung des Testaments und zehn Tage vor seinem Tod bekannt gewesen, dass er wieder Vater werde. Damit stehe fest, dass er alle Zeit gehabt habe, sein Testament vom 05.12.2015 dahingehend zu ändern, dass das ungeborene Kind mitbedacht wird. Dies habe er jedoch nicht getan.
Durch Beschluss vom 09.05.2016 hat das Notariat I … – Nachlassgericht – (Az. 1 NG 140/2015) sich für den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 als nicht zuständig erklärt und den Antrag zur weiteren Entscheidung an das Notariat … als Nachlassgericht weitergeleitet. Die von der Beteiligten Ziff. 1 gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde wurde durch Beschluss des Senats vom 10.06.2016 (8 W 172/16) als unzulässig verworfen.
Mit Schriftsatz an das Notariat … – Nachlassgericht – vom 26.06.2016 teilte die Beteiligte Ziff. 1 mit, dass inzwischen am 26.06.2016 der Beteiligte Ziff. 8 geboren worden sei, und führte aus, die Grundlagen der Anfechtung seien offensichtlich gegeben. Durch Beschluss vom 22.07.2016 hat das Nachlassgericht die Erklärung über die Anfechtung des privatschriftlichen Testaments vom 05.12.2015 entgegengenommen.
Durch Beschluss vom 29.07.2016 hat das Nachlassgericht sowohl den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 als auch den Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 zurückgewiesen. Des Weiteren hat das Nachlassgericht die für die Erteilung des von den Beteiligten Ziff. 3 bis 5 beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wurde ausgesetzt und die Erteilung des Zeugnisses bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt. Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt, zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung habe der Erblasser noch keine Kenntnis von der Schwangerschaft seiner Frau beziehungsweise der Pflichtteilsberechtigung eines weiteren Kindes gehabt. Erfahre der Erblasser wie hier noch vor seinem Tod vom Vorhandensein weiterer Pflichtteilsberechtigter, so entfalle nicht der Anfechtungsgrund gemäß § 2079 Satz 1 BGB. Gemäß § 2079 Satz 2 BGB sei die Anfechtung jedoch ausgeschlossen, soweit anzunehmen sei, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die gleiche Verfügung getroffen haben würde. Maßgeblich sei der Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Im vorliegenden Fall sei die Beteiligte Ziff. 1 als Witwe unabhängig von der Zahl der Kinder enterbt. Deshalb sei der anderslautende Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 zurückzuweisen gewesen. Weiter sei davon auszugehen, dass der Erblasser die Testamentsvollstreckung durch die im Testament insoweit genannten drei erwachsenen Kinder auch dann angeordnet hätte, wenn ein weiteres minderjähriges Kind beteiligt wäre. Die wirksame Anfechtung des Testaments durch den Beteiligten Ziff. 8 führe dazu, dass er neben seinen eingesetzten Geschwistern einen im gleichen Maße durch Testamentsvollstreckung beschränkten Erbteil erhalte. Deshalb sei auch der anderslautende Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 zurückzuweisen gewesen.
Gegen den der Beteiligten Ziff. 1 und dem Beteiligten Ziff. 8 am 01.08.2016 über ihren Verfahrensbevollmächtigten zugestellten Beschluss des Nachlassgerichts vom 29.07.2016 wenden sich die Beteiligten Ziff. 1, 8, 9 und 10 hinsichtlich der Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten Ziff. 1 und soweit das Nachlassgericht die Voraussetzungen für die Erteilung des von den Beteiligten Ziff. 3 bis 5 beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses für gegeben angesehen hat. Die Beteiligte Ziff. 1 trägt vor, es sei nicht davon auszugehen, dass es der Erblasser bei positiver Kenntnis von dem ungeborenen Kind bei der Enterbung der Ehefrau belassen hätte. Auf deren Einwilligung sei es für die Erbeinsetzung ohnehin nicht angekommen. Es sei also ohne weiteres möglich gewesen, dass der Erblasser auch diese Frage ganz anders beurteilt hätte, wenn er bei der Errichtung des Testaments von der Schwangerschaft positiv Kenntnis gehabt hätte. Das Nachlassgericht verkenne insbesondere, dass es auf die Erwägungen schon deshalb nicht ankomme, weil gemäß § 2079 BGB die Anfechtung zur Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung führe.
Das Notariat ..- Nachlassgericht – hat der Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1, 8, 9 und 10 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt.
Durch Schriftsatz vom 06.10.2016 haben die Beteiligten Ziff. 3 bis 7 in Bezug auf den Ausspruch Ziff. 2 des Beschlusses des Nachlassgerichts vom 29.07.2016 (Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten Ziff. 3 bis 6) Anschlussbeschwerde eingelegt. Zu deren Begründung tragen sie vor, das privatschriftliche Testament des Erblassers vom 05.12.2015 sei wirksam. Die Testamentsanfechtung der Beteiligten Ziff. 1 und 8 wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten sei unbegründet. Aus verschiedenen Umständen ergebe sich, dass der Erblasser auch dann, wenn er zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung Kenntnis von seinem ungeborenen Kind gehabt hätte, die gleiche letztwillige Verfügung getroffen hätte. Sie – die Beteiligten Ziff. 3 bis 6 – seien die „Stammfamilie“ des Erblassers gewesen, die für den Erblasser im Vordergrund gestanden habe und sehr wichtig gewesen sei. Von der Beteiligten Ziff. 1, die er erst am 08.10.2015 geheiratet habe, habe sich der Erblasser schon früh wieder abgewandt. Vollmachten zugunsten der Beteiligten Ziff. 1, die der Erblasser ihr im Juli 2015 erteilt gehabt habe, habe der Erblasser schon am 22.11.2015 und 20.12.2015 zurückgenommen und als Bevollmächtigte die Beteiligten Ziff. 3 und 4 eingesetzt.
Die Beteiligten Ziff. 1, 8, 9 und 10 sind der Anschlussbeschwerde entgegengetreten.
Zur Sachverhaltsdarstellung im Einzelnen wird auf das schriftliche Vorbringen der Beteiligten, die angegriffene Entscheidung des Nachlassgerichts sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 352 ff., 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 und 8 hat Erfolg. Soweit die Beschwerde auch im Namen der Beteiligten Ziff. 9 und 10 eingelegt wurde, ist sie nur in Bezug auf das Testamentsvollstreckerzeugnis zulässig und begründet, im Übrigen unzulässig.
Die gemäß §§ 352 ff, 66, 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Anschlussbeschwerde der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 ist unbegründet. Soweit sie auch im Namen der Beteiligten Ziff. 7 eingelegt wurde, ist sie bereits unzulässig.
1.
Soweit die Beteiligten Ziff. 9 und 10 Beschwerde gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 29.07.2016 eingelegt haben, gerichtet gegen die Aussprüche Ziffern 1 und 3 des Beschlusses, ist das Rechtsmittel unzulässig.
Gegen die Ablehnung der Erbscheinserteilung ist der Antragsteller beschwerdeberechtigt, des Weiteren jeder Antragsberechtigte, auch wenn er selbst keinen Antrag gestellt hat, aber den Antrag bei Einlegung seiner Beschwerde noch wirksam stellen kann (vgl. Meyer-Holz in: Keidel, FamFG, 19. Auflage 2017, § 59 FamFG, Rdnr. 78). Materiell beschwerdeberechtigt ist nur, wer geltend macht, dass seine erbrechtliche Stellung durch die Entscheidung berührt wird (Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 2353 BGB, Rdnr. 133). Die Beteiligten Ziff. 9 und 10 machen im vorliegenden Verfahren kein eigenes Erbrecht geltend. Erben sind nach dem Inhalt der zusammen mit den Beteiligten Ziff. 1 und 8 erhobenen Beschwerde die Beteiligte Ziff. 1 sowie die Beteiligten Ziff. 2 bis 6 sowie 8. Nicht zum Kreis der Beschwerdeberechtigten gehören grundsätzlich Vermächtnisnehmer (vgl. Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 77. Auflage 2018, § 2353 BGB, Rdnr. 55).
Soweit sich die Beschwerde gegen den Ausspruch Ziffer 3 des angegriffenen Beschlusses (Testamentsvollstreckerzeugnis) richtet, sind neben der Beteiligten Ziff. 1 und 8 auch die Beteiligten Ziff. 9 und 10, die nach dem angefochtenen Testament Vermächtnisnehmer wären und auf deren Vermächtnisse sich die Aufgaben der Testamentsvollstrecker bezögen, beschwerdeberechtigt (vgl. BGH NJW-RR 2013, 905).
Aus dem zuvor genannten Grund ist auch die Anschlussbeschwerde der Beteiligten Ziff. 7 unzulässig. Auch die Beteiligte Ziff. 7 macht kein eigenes Erbrecht geltend. Sie konnte als Sorgeberechtigte der Beteiligten Ziff. 6 für diese Anschlussbeschwerde hinsichtlich des Ausspruches Ziffer 2 des Beschlusses vom 29.07.2016 einlegen, nicht aber auf Grund einer eigenen Rechtsposition.
2.
Die Beteiligte Ziff. 1 hat für den Beteiligten Ziff. 8 als dessen Sorgeberechtigte das privatschriftliche Testament des Erblassers vom 05.12.2015 wirksam angefochten. Folge der Anfechtung ist im vorliegenden Fall die vollständige Unwirksamkeit des Testaments. Da auch keine weiteren letztwilligen Verfügungen des Erblassers vorliegen, ist die gesetzliche Erbfolge maßgeblich. Auf ihr basiert der Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 vom 18.02.2016.
a)
Gemäß § 2079 Satz 1 BGB kann eine letztwillige Verfügung unter anderem dann angefochten werden, wenn der Erblasser einen zur Zeit des Erbfalls vorhandenen Pflichtteilsberechtigten übergangen hat, der erst nach der Errichtung der letztwilligen Verfügung geboren worden ist. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, soweit anzunehmen ist, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage die Verfügung getroffen haben würde (§ 2079 Satz 2 BGB). Anfechtungsberechtigt ist im Falle des § 2079 BGB nur der übergangene Pflichtteilsberechtigte (§ 2080 Abs. 3 BGB).
Die nach § 2079 BGB wirksam erklärte Anfechtung hat nach herrschender Meinung grundsätzlich die Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung zur Folge (§ 142 BGB). Einzelne Verfügungen bleiben nur dann wirksam, wenn nach § 2079 Satz 2 BGB positiv feststellbar ist, dass sie der Erblasser so auch getroffen hätte, falls er zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung Kenntnis von dem weiteren Pflichtteilsberechtigten gehabt hätte (OLG Frankfurt FamRZ 1995, 1522; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 59; BayObLG NJW-RR 2005, 91; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW 2016, 1831; Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, a.a.O., § 2079 BGB, Rdnr. 6; Czubayko in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2. Auflage 2014, § 2079 BGB, Rdnr. 23). Der Senat folgt dieser Auffassung. Sie steht in Einklang mit Wortlaut und Systematik des Gesetzes. Die Regelung des § 2079 Satz 1 BGB enthält, anders als § 2078 Abs. 1 BGB (“soweit der Erblasser…“), keine Einschränkung der Wirkung der Anfechtung. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut dieser beiden nebeneinander stehenden Vorschriften ergibt sich deutlich, dass es für § 2079 BGB bei dem Regelfall der Gesamtnichtigkeit verbleiben muss (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW 2016, 1831; Czubayko in: Burandt/Rojahn, a.a.O., § 2079 BGB, Rdnrn. 23 f.). Der Gegenmeinung, die die Wirkung der Anfechtung nach § 2079 BGB von vornherein auf die Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung in dem Umfang beschränkt, der erforderlich ist, um dem Pflichtteilsberechtigten zu seinem gesetzlichen Erbteil zu verhelfen, vermag sich der Senat deshalb ebenso wenig anschließen wie der vermittelnden Meinung, wonach die Anfechtung nach § 2079 BGB nur diejenigen Erbeinsetzungen und Vermächtnisse vollständig vernichten soll, die auch den anfechtenden Pflichtteilsberechtigten beschweren, während andere Anordnungen, insbesondere auch Enterbungen, von der Anfechtung nicht erfasst würden (zum Meinungsstand im Überblick: Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW 2016, 1831).
b)
Im vorliegenden Fall hat die Beteiligte Ziff. 1 als Sorgeberechtigte des Beteiligten Ziff. 8 für diesen die Anfechtung wirksam gegenüber dem Nachlassgericht erklärt. Nach der Geburt des Beteiligten Ziff. 8 am 26.06.2016 wurde die ursprünglich von der Beteiligten Ziff. 1 gegenüber dem Notariat … – Nachlassgericht – erklärte Anfechtung durch den Schriftsatz vom 04.07.2016 gegenüber dem Notariat … – Nachlassgericht – wiederholt und durch den Beschluss des Notariats … – Nachlassgericht – vom 22.07.2016 von diesem entgegengenommen. Die Anfechtungsfrist des § 2082 Abs. 1 BGB ist gewahrt. Der Beteiligte Ziff. 8 ist gemäß §§ 1923 Abs. 2, 1924 Abs. 1, 1592 Nr. 1, 1593 Satz 1, 2303 Abs. 1 BGB pflichtteilsberechtigt. Die Vaterschaft des Erblassers wurde zwischenzeitlich auch durch das Abstammunggutachten vom 10.10.2016 bestätigt.
Bei der Prüfung, ob hinsichtlich der jeweiligen letztwilligen Verfügung die Voraussetzungen des § 2079 Satz 2 BGB vorliegen, kommt es auf den hypothetischen Willen des Testierenden im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung an (Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2079 BGB, Rdnr. 5). Die im Rahmen von § 2079 BGB geltende gesetzliche Vermutung, dass der Erblasser bei Kenntnis der Existenz eines weiteren Pflichtteilsberechtigten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung anders – nämlich den weiteren Pflichtteilsberechtigten berücksichtigend – testiert hätte, wird nicht schon dadurch widerlegt, dass der Erblasser schlicht untätig bleibt und sein Testament nicht ändert, nachdem er von der Existenz des weiteren Pflichtteilsberechtigten erfahren hat (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht NJW 2016, 1831; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 59). Denn die Untätigkeit kann durch Schwerfälligkeit, körperliche oder geistige Hinfälligkeit, die Kürze der zur Verfügung stehenden Lebenszeit, einen Rechtsirrtum des Erblassers (etwa über den Fortbestand der letztwilligen Verfügung) oder sonstige Gründe bedingt sein (OLG Brandenburg FamRZ 1998, 59). Allein der Umstand, dass der Erblasser im vorliegenden Fall noch von der Schwangerschaft der Beteiligten Ziff. 1 erfahren hat und das Testament gleichwohl nicht mehr zugunsten des ungeborenen Kindes – an das er sogar noch einen Brief gerichtet hat- geändert hat, steht daher der Wirksamkeit der Anfechtung nicht entgegen. Dafür, dass er eine diesbezügliche Testamentsänderung „geflissentlich“, das heißt absichtlich unterlassen hat (vgl. Palandt/Weidlich, a.a.O., § 2079 BGB, Rdnr. 5 m.w.N.), das ungeborene Kind also bewusst enterben wollte und deshalb das Testament nicht mehr geändert hat, bestehen keine Anhaltspunkte.
Nach Auffassung des Senats lässt sich auch hinsichtlich keiner der vom Erblasser im privatschriftlichen Testament vom 05.12.2015 getroffenen einzelnen Verfügungen positiv feststellen, dass er sie auch dann, wenn er im Zeitpunkt der Testamentserrichtung Kenntnis von dem ungeborenen Kind gehabt hätte, so getroffen hätte. Dies gilt zum Ersten für die Einsetzung der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 als Erben zu je einem Viertel im Wege der „Vollverteilung“. Zwar argumentieren die Beteiligten Ziff. 3 bis 6, der Erblasser habe zu ihnen ein sehr intensives Vater-Kind-Verhältnis gehabt und ihnen im November 2015 die Siegelringe der Familie mit dem Familienwappen geschenkt, um deutlich zu machen, dass sie seine „Stammfamilie“ seien. Die Gegenseite hat hierzu vorgetragen, eine solche „fiktive Stammfamilie“ habe es nie gegeben. Unabhängig davon fehlen jedenfalls ausreichende Belege für die von den Beteiligten Ziff. 3 bis 6 gezogene Schlussfolgerung, der Erblasser hätte auch bei Kenntnis des ungeborenen Kindes zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung das von ihm privatschriftlich errichtete Testament genau so errichtet und weder den ungeborenen Sohn noch seine Ehefrau – die Beteiligte Ziff. 1 – zu Erben eingesetzt. Aus Sicht des Senats ist dies nicht im oben genannten Sinne positiv feststellbar, entgegen der Auffassung der Beteiligten Ziff. 3 bis 7 auch nicht unter Hinweis auf die kurze Zeit zwischen Testamentserrichtung und Kenntnisnahme von der Schwangerschaft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass nach den Angaben der Beteiligten Ziff. 1 bereits seit August 2015 ein Kind „geplant“ war. Für die Behauptung der Beteiligten Ziff. 3 bis 7, der Erblasser habe die Möglichkeit, erneut Vater zu werden, in seine Willensbildung am 05.12.2015 mit einbezogen und bewusst durch die Erbeinsetzung der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 die Beteiligten Ziff. 1 und 8 ausgeschlossen, fehlen hinreichende Anhaltspunkte.
Was die Enterbung der Ehefrau anbelangt, hat der Erblasser in seinem privatschriftlichen Testament ausgeführt, es tue ihm leid, dass seine Frau sich immer wieder geweigert habe, im Falle seines Todes sich als Miterbin einsetzen zu lassen. Zwar verweisen die Beteiligten Ziff. 3 bis 6 darauf, der Erblasser habe im Juli 2015 der Beteiligten Ziff. 1 erteilte Vollmachten „schon am 22.11. und 20.12.2015 zurückgenommen“, der Erblasser habe sich von seiner Ehefrau, die er erst am 08.10.2015 geheiratet habe, schon früh wieder „abgewandt“. Eine positive Feststellung, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Empfängnis eines gemeinsamen Kindes die Beteiligte Ziff. 1 als Ehefrau in jedem Fall enterbt hätte, lässt sich aber nicht treffen. Gegen eine solche Annahme spricht im Übrigen nicht nur, dass es der Erblasser in seinem Testament vom 05.12.2015 bedauerte, dass sich seine Ehefrau immer wieder geweigert habe, sich als Miterbin einsetzen zu lassen. Das legt nahe, dass ein unbedingter eigener Wille, die Ehefrau zu enterben, nicht bestand. Auch der Inhalt der Kommunikation zwischen dem Erblasser und seiner Ehefrau – der Beteiligten Ziff. 1 – kurz vor seinem Suizid (Anlage ASt 7, bei Bl. 104 d.A.) spricht gegen die vorgenannte Annahme. Aus ihr lässt sich entnehmen, dass der Erblasser am 22.12.2015 an die Beteiligte Ziff. 1 geschrieben hat, er könne ohne ihre Liebe nicht weiterleben. Dies lässt sich nicht in Einklang mit der Behauptung bringen, der Erblasser habe sich von seiner Frau „abgewandt“. Gleiches gilt für die vom Erblasser gewählte Formulierung in einer weiteren Nachricht an die Beteiligte Ziff. 1 vom selben Tag, dem 22.12.2015 (“Wenn Du wirklich willst, dass wir für immer zusammen weiter leben wollen, …“). Daher vermag der Senat die Auffassung des Nachlassgerichts, die wirksame Anfechtung des Testaments durch den Beteiligten Ziff. 8 führe (lediglich) dazu, dass dieser neben seinen eingesetzten Geschwistern Erbe werde (bei bestehen bleibender Enterbung der Beteiligte Ziff. 1), nicht zu teilen. Darüber hinaus kann auch nicht positiv festgestellt werden, dass die vom Erblasser in Bezug auf den Beteiligten Ziff. 2 getroffene Verfügung bei Kenntnis des ungeborenen Kindes genau so getroffen worden wäre. Der Erblasser hat dem Beteiligten Ziff. 2 – seinem nichtehelichen Sohn aus einer frühen Beziehung – „vorab aus der Erbmasse € 20.000,00“ zugewandt, was als Vermächtnis bei gleichzeitiger Enterbung durch die im Übrigen erfolgte Verteilung des Vermögens auf die Beteiligten Ziff. 3 bis 6 zu gleichen Teilen auszulegen ist. Dass der Erblasser in Kenntnis des ungeborenen Kindes und damit der Erweiterung des Kreises der Pflichtteilsberechtigten dieselbe Verfügung in Bezug auf den Beteiligten Ziff. 2 getroffen hätte, ist zwar möglich, aber nicht positiv feststellbar, letztlich auch nicht, was seine Enterbung anbelangt. Gleiches gilt im Übrigen für die Anordnung einer Testamentsvollstreckung durch die Beteiligten Ziff. 3 bis 5. Schon angesichts der Möglichkeit, dass der Erblasser bei Kenntnis des gemeinsamen Kindes den Kreis der Erben anders gezogen hätte, kann nicht positiv festgestellt werden, dass die Beteiligten Ziff. 3 bis 5 in jedem Fall zu Testamentsvollstreckern ernannt worden wären.
c)
Nachdem damit das privatschriftliche Testament des Erblassers durch die wirksame Anfechtung in seiner Gesamtheit unwirksam geworden ist und keine weiteren letztwilligen Verfügungen des Erblassers vorliegen, kommt die gesetzliche Erbfolge zum Tragen. Gemäß § 1931 Abs. 1, 3 BGB in Verbindung mit § 1371 Abs. 1 BGB erbt damit die Beteiligte Ziff. 1 mit einem Erbteil von 1/2, die Beteiligten Ziff. 2 bis 6 sowie 8 erben als Abkömmlinge gemäß §§ 1924 Abs. 1, 4 BGB (bezüglich dem Beteiligten Ziff. 8 unter zusätzlicher Heranziehung des § 1923 Abs. 2 BGB) je mit einem Erbteil von 1/12. Diese Erbfolge liegt dem Erbscheinsantrag der Beteiligten Ziff. 1 vom 18.02.2016 zugrunde, wobei der zur Zeit der Antragstellung noch bestehende Schwebezustand (vgl. Leipold in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 1923 BGB, Rdnr. 28 und Grziwotz in: Münchener Kommentar zum BGB, a.a.O., § 2353 BGB, Rdnr. 10) durch die Geburt des Beteiligten Ziff. 8 am 28.06.2016 beendet worden ist. Die Zurückweisung dieses Erbscheinsantrages war daher aufzuheben, ebenso die Entscheidung des Nachlassgerichts zur Erteilung des beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses. Die vom Nachlassgericht ausgesprochene Zurückweisung des Erbscheinsantrages der Beteiligten Ziff. 3 bis 6 hat demgegenüber Bestand.
3.
Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG. Auf die Gerichtsgebühr gemäß Nr. 12220 KV GNotKG wird hingewiesen.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 61, 40 Abs. 1, 5 GNotKG.
Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde gemäß § 70 FamFG bestehen nicht.