OLG München – Az.: 31 Wx 229/19, 31 Wx 230/19, 31 Wx 231/19 – Beschluss vom 28.01.2020
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen … (31 Wx 229/19) und … (31 Wx 230/19) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm – Nachlassgericht – vom 31.01.2019 werden verworfen.
2. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin … (31 Wx 231/19) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pfaffenhofen a.d. Ilm – Nachlassgericht – vom 31.01.2019 wird zurückgewiesen.
3. Die Beschwerdeführerinnen tragen jeweils die gerichtlichen Kosten in dem von ihnen veranlassten Beschwerdeverfahren. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Geschäftswert in den Beschwerdeverfahren 31 Wx 229/19 und 31 Wx 230/19 wird auf jeweils 5.000 € festgesetzt.
5. Die Festsetzung des Geschäftswertes im Beschwerdeverfahren 31 Wx 231/19 bleibt vorbehalten.
Gründe
Die Beschwerden bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Zutreffend ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass für die Erbrechtslage das Testament vom 7.5.2015 maßgeblich ist.
I.
Der ledige und kinderlose Erblasser ist am 10.6.2015 verstorben.
Er hinterließ diverse Verfügungen von Todes wegen. Überwiegend hatte er in diesen seine Schwester, die Beteiligte zu 3, als Alleinerbin eingesetzt.
Während eines Krankenhausaufenthaltes errichtete der Erblasser am 7.5.2015 ein Schriftstück auf der Rückseite eines Notizzettels der Gemeinde Pfaffenhofen mit den Maßen 10 cm x 7 cm. Der Zettel weist an der Oberkante mittig einen Einriss von ca. 3 cm Länge auf.
Er hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
„Mein Testament lautet… dass alle Geschwister gerecht verteilt werden, besonders … … und … nicht im Altenheim darben muss, …“
Es ist mit dem Namen des Erblassers unterschrieben.
Die Beteiligte zu 3 ist der Ansicht, dass es sich nicht um ein Testament des Erblassers handele. Weder habe ein Testierwille vorgelegen, noch habe der Erblasser den Text eigenhändig ge- und unterschrieben.
Das Nachlassgericht hat zur Urheberschaft ein Schriftsachverständigengutachten des Sachverständigen Dipl. Psychologen … erholt.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 3 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, dass das fragliche Schriftstück vom Erblasser eigenhändig ge- und unterschrieben wurde und auch nicht widerrufen wurde. Es hat den Text dahin ausgelegt, dass die Geschwister des Erblassers als Erben zu gleichen Teilen berufen sind.
Dagegen richten sich die Beschwerden.
II.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 4 und 5 sind bereits unzulässig und waren deshalb zu verwerfen.
Verfahrensgegenständlich ist die Beschwerde der Beteiligten zu 3, mit der ihr Antrag, ihr einen Alleinerbschein aufgrund Testaments nach dem Erblasser zu erteilen, durch das Nachlassgericht zurückgewiesen wurde.
Bezogen auf diesen Verfahrensgegenstand sind die Beschwerdeführerinnen unter keinen Umständen in eigenen subjektiven Rechten betroffen (§ 59 Abs. 1 FamFG), so dass ihre Beschwerden unzulässig sind.
Darauf hat bereits das Nachlassgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung hingewiesen, weswegen es eines weiteren Hinweises des Senats nicht bedurfte. Zwar obliegt dem Nachlassgericht im Rahmen des Abhilfeverfahrens grundsätzlich nicht die Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1 FamFG), gleichwohl wurden die Beschwerdeführerinnen durch die Nichtabhilfeentscheidung über die Unzulässigkeit ihrer Beschwerden unterrichtet, so dass sie diese jederzeit hätten zurücknehmen können.
III.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 3 ist zwar zulässig, im Ergebnis jedoch nicht begründet.
Im Hinblick auf das Testament/Schriftstück vom 7.5.2015 hängt es in entscheidungserheblicher Art und Weise davon ab, ob dieses mit Testierwillen (zugleich 1.) vom Erblasser eigenhändig errichtet wurde (zugleich 2.) und ob dieses gegebenenfalls vom Erblasser in Widerrufsabsicht widerrufen wurde (zugleich 3.).
1. Der Senat ist davon überzeugt, dass das fragliche Schriftstück vom 7.5.2015 mit Testierwillen vom Erblasser errichtet wurde. Soweit dies seitens der Beschwerdeführerin aufgrund des verwendeten Papiers (Notizzettel mit Aufdruck des Landkreis Pfaffenhofen im Format 10 cm x 7 cm, Papier mäßiger Qualität) angezweifelt wird, teilt der Senat diese Bedenken nicht.
a) Der Erblasser muss bei der Errichtung der Verfügung von Todes wegen mit Testierwillen gehandelt haben. Zur Ermittlung des Testierwillens ist auf alle dafür erheblichen Umstände zurückzugreifen, auch auf solche außerhalb der Urkunde, sowie auf die allgemeine Lebenserfahrung. Die Rechtsprechung hat als Regel der Lebenserfahrung den Satz aufgestellt, dass regelmäßig kein Grund besteht, der Frage nachzugehen, ob lediglich ein Entwurf vorliegt, wenn ein formgerecht abgefasstes Testament vorliegt, das inhaltlich vollständig ist und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Erblasser damit nicht seinen letzten Willen zum Ausdruck bringen wollte (Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 8 Rn. 2).
Umstände, die auf eine Ausnahme von dieser Regel hindeuten, können sich z. B. daraus ergeben, dass das Testament auf einem (für den Erblasser) ungewöhnlichen Material geschrieben wurde (BayObLG FamRZ 1994, 534 [Briefumschlag]). Auch in einem wenige Zentimeter großen handschriftlich beschriebenen Notizzettel kann indes grundsätzlich ein wirksames Testament liegen (OLG Bremen NJW-RR 2019, 583).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Senat keine Zweifel, dass der Erblasser die fragliche Verfügung mit Testierwillen errichtet hat. Zwar mag die Abfassung einer Verfügung von Todes wegen auf einem kleinen Notizzettel ungewöhnlich erscheinen. Indes ist zu berücksichtigen, dass sich der Erblasser zur fraglichen Zeit im Krankenhaus befand und möglicherweise nur auf diese Notizzettel Zugriff hatte. Darüber hinaus spricht für einen Testierwillen in der konkreten Situation auch, dass der Erblasser auch bereits in der Vergangenheit Testamente auf „Werbepapier“ niedergeschrieben hat, so das Testament vom 15.12.2004, das auf einer Seite eines Werbeblocks des „Pfaffenhofener Kuriers“ im Format A5 niedergeschrieben wurde. Das Testament vom 5.1.2014 im Format A5 weist einen Kaffeefleck auf. Es befindet sich auf der Rückseite eines ursprünglich im Format A4 verfassten Arztbriefes, dessen obere Hälfte abgerissen wurde.
Insgesamt befinden sich die vom Erblasser errichteten Verfügungen des öfteren auf ungewöhnlichen Papieren, so dass allein aus diesem Umstand nicht der Schluss gezogen werden kann, der Erblasser habe keinen Testierwillen gehabt, zumal der Erblasser den Zettel sowohl mit „Mein Testament“ überschrieben und eigenhändig unterschrieben (dazu sogleich unter 2.) hat. Darüber hinaus finden sich in der Akte weitere identische Notizzettel mit handschriftlichen Notizen des Erblassers, was den Schluss nahelegt, dass er seine Korrespondenz im Krankenhaus über diese Notizzettel abgewickelt hat.
2. Der Senat teilt ferner die Ansicht des Nachlassgerichts, dass das fragliche Testament vom Erblasser errichtet wurde.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf den angefochtenen Beschluss.
a) Der Senat teilt die Ansicht des Schriftsachverständigen und seinen detailliert und nachvollziehbar gemachten Ausführungen zu der Frage, warum die fragliche Testamentsurkunde vom Erblasser errichtet wurde und das Vorliegen einer Nachahmungsfälschung unwahrscheinlich ist. Dass trotz der Begutachtung durch den Sachverständigen keine 100%ige Gewissheit erlangt werden konnte, steht einer entsprechenden Würdigung durch das Nachlassgericht bzw. den Senat nicht entgegen: Für die Führung des entsprechenden Beweises genügt es, da eine absolute Gewissheit nicht zu erreichen und jede Möglichkeit des Gegenteils nicht auszuschließen ist, ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit (BGH NJW 1993, 935), der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH NJW 2014, 71; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 39. Auflage <2018> § 286 Rn. 2). Diese für § 286 ZPO entwickelten Grundsätze gelten grundsätzlich auch im Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz (BGH NJW 1994, 1348).
b) Allein der Umstande, dass der Erblasser in der Vergangenheit angeblich gegenüber Dritten erklärt hat, die Beteiligte zu 3 als Alleinerbin einsetzen zu wollen, wie er dies auch in früheren Testamenten getan hatte, ist kein hinreichendes Indiz dafür, dass es sich bei dem vorliegenden Testament um eine Fälschung handelt. Ebenso ist denkbar, dass der Erblasser im Krankenhaus seine Ansicht geändert hat.
3. Der Senat teilt schließlich die Ansicht des Nachlassgerichts, dass das Testament nicht vom Erblasser durch Vernichtung widerrufen wurde (§ 2255 S. 1 BGB).
a) Für den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen gemäß § 2255 S. 1 BGB genügt jede körperliche Veränderung an der Urschrift wie Zerreißen, Zerschneiden, Verbrennen, Durchstreichen, Einklammern, Unlesbarmachen durch Schwärzen oder Ausradieren, Abschneiden (BayObLG FamRZ 1990, 1110; Krätzschel in: Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Auflage <2019> § 14 Rn. 8). Vernichten hinsichtlich der Testamentsurkunde bedeutet, sie in einer Weise zu zerstören, dass der ursprüngliche Zustand kaum oder gar nicht mehr erkennbar ist (BeckOGK/Grziwotz, BGB <Stand 1.12.2019> § 2255 Rn. 4).
Steht fest, dass der Erblasser selbst Veränderungen an der Testamentsurkunde im Sinne des § 2255 S. 1 BGB vorgenommen hat, wird vermutet, dass dies in Widerrufsabsicht geschah, § 2255 S. 2 BGB.
Die Feststellungslast für den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen trägt derjenige, der Rechte aus dem Widerruf herleiten will.
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat vorliegend schon nicht davon überzeugt, dass der Erblasser die fragliche Testamentsurkunde in einer Art und Weise beschädigt hat, aus der objektiv der Schluss gezogen werden kann, durch die vorliegende Beschädigung solle die Urkunde vernichtet werden.
Die fragliche Testamentsurkunde erscheint schon aufgrund ihrer äußeren Beschaffenheit derart fragil, dass ein Einriss jederzeit auch im Rahmen einer üblichen Benutzung solcher Notizzettel, z. B. beim Abreißen von einem Block, möglich erscheint. Hinzu kommt, dass der Erblasser im Krankenhaus unter Umständen nur Zugang zu derartigen Zetteln hatte und entsprechend sparsam mit diesen umging. Schließlich erscheint es fast schwieriger, den fraglich Zettel nur einzureißen, als ihn komplett durchzureißen: Hätte der Erblasser den Zettel und damit das Testament durch Zerreißen vernichten wollen, hätte es dazu weder einer besonderen Kraftanstrengung noch besonderer Geschicklichkeit bedurft. Im Gegenteil: Einen derartigen Zettel nur einzureißen setzt voraus, dass der Erblasser, so der Vorgang bewusst erfolgte, seine Bewegung gezielt bremsen musste, um ihn nicht doch durchzureißen. Warum er sich damit hätte begnügen sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Zwar ist auch denkbar, dass der Erblasser das Testament zwar vernichten, aber z. B. als Gedankenstütze in seiner physischen Form erhalten wollte. Allerdings spricht für ein derartiges Vorgehen genauso viel oder wenig wie für ein bloß versehentliches Einreißen.
Somit ist der Senat schon nicht davon überzeugt, dass der Erblasser das Testament willentlich beschädigt hat, so dass es insoweit jedenfalls an einer Widerrufshandlung im Sinne des § 2255 S. 1 BGB fehlt. Insoweit kommt es auf die Würdigung der Zeugenaussagen und die dagegen erhobenen Einwände durch den Senat nicht an.
Soweit das BayObLG in FamRZ 1990, 1110 das bloße Einreißen (in Abgrenzung zum Zerreißen) der Urkunde als Vernichtungshandlung im Sinne des § 2255 S. 1 BGB angesehen hat, ist die zugrunde liegende Konstellation nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar: Die dort vernichteten Testamente waren im Format A4 verfasst und wiesen, durch mehrmaliges Falten ermöglichte, symmetrische Einrisse jeweils an der Längs- und Querseite auf. Schon vom Ausgangsformat und der Qualität der Einrisse sind die beiden Konstellationen nicht miteinander vergleichbar.
4. Die Auslegung der Verfügung durch das Nachlassgericht, wonach die Geschwister des Erblassers Erben zu gleichen Teilen sein sollen, wird vom Senat geteilt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach haben die Beschwerdeführer jeweils die gerichtlichen Kosten der von ihnen veranlassten Beschwerdeverfahren zu tragen.
Im Hinblick auf die Beschwerdeführerin Edelgard Vecchio wird der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens auf 6/7 des reinen Nachlasswertes festzusetzen sein, da dies dem wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführerin gemäß § 61 GNotKG im Beschwerdeverfahren entspricht, da sie eine Alleinerbenstellung anstrebte, tatsächlich aber nur zu 1/7 berufen ist.
Die Festsetzung des Geschäftswertes für dieses Beschwerdeverfahren erfolgt, sobald das Nachlassgericht den Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls (§ 36 GNotKG) ermittelt hat.
Im Hinblick auf die Beschwerdeführerinnen 4 und 5 hält es der Senat für gerechtfertigt, den Regelgeschäftswert (§ 36 Abs. 3 GNotKG) anzusetzen, nachdem die Beschwerden unzulässig waren und die Beschwerdeführerinnen keine eigenen erbrechtlichen Positionen vertreten haben.
V.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.