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Zugangsanspruch des Erben zur früheren Ehewohnung des Erblassers?

KG Berlin – Az.: 20 U 149/18 – Urteil vom 02.03.2020

1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 4.September 2018 – 50 O 223/18 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Das Urteil ist, ebenso wie das angefochtene, vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Verfügungsklägerin begehrt von der Verfügungsbeklagten (ihrer Mutter) die Einräumung des Besitzes von beweglichen und unbeweglichen Gegenständen aus dem Nachlass ihres Vaters, des am 25.01.1936 geborenen und am 16.05.2018 verstorbenen U… (im Folgenden: Erblasser), im Wege des possessorischen Besitzschutzes durch einstweilige Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO.

Die Verfügungsbeklagte (*1.8.1938) schloss am 20.3.1964 die Ehe mit dem Erblasser. Die Eheleute lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, die Verfügungsklägerin und der Zeuge Dr. F… .

Der Erblasser war ein beruflich erfolgreicher, selbständiger Bauingenieur. Im Jahre 1999 wurde gegen ihn jedoch ein Strafverfahren mit Bezug auf seine unternehmerische Tätigkeit geführt und in diesem Zusammenhang gegen ihn auch Untersuchungshaft angeordnet und vollstreckt. Am 23.12.1999 räumte der Erblasser der Verfügungsbeklagten privatschriftlich ein unentgeltliches und unwiderrufliches Wohnrecht für das gemeinsam bewohnte Haus und Grundstück “A… W… … ” ein, das im Alleineigentum des Erblassers stand und in dem die Verfügungsbeklagte auch heute noch lebt. 2003 gerieten die Firmen des Erblassers in Insolvenz bzw. waren von Insolvenz bedroht. Zusätzlich zu dem schuldrechtlichen Wohnrecht aus dem Jahr 1999 wurde auf Bewilligung des Erblassers zugunsten der Verfügungsbeklagten eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Wohnrecht) im Grundbuch eingetragen, wonach die Verfügungsbeklagte befugt ist, das gesamte Gebäude (Haupthaus) als Wohnung unentgeltlich zu nutzen, einschließlich der zum Wohnen wesensmäßig zugehörigen Anlagen.

An Weihnachten 2012 kam es zu einem schweren familiären Konflikt zwischen dem Erblasser und der Verfügungsbeklagten. Der Erblasser forderte von der Verfügungsbeklagten die Übertragung von Grundstücken, welche diese während der Ehe erworben hatte, wobei die Einzelheiten dazu, inwieweit hierzu finanzielle Mittel des Erblassers verwendet wurden, unter den Parteien streitig sind. Im Januar 2013 widerrief die Verfügungsbeklagte daraufhin ihre dem Erblasser erteilte Generalvollmacht hinsichtlich der Grundstücke. Im Jahr 2014 gab es Versuche der Verfügungsbeklagten, unter Einbeziehung Dritter in den Streitigkeiten unter den Ehegatten zu vermitteln, die jedoch scheiterten. Die Verfügungsbeklagte widerrief ihre früheren letztwilligen Verfügungen und testierte neu. Der Erblasser errichtete seinerseits am 11.12.2015 ein neues privatschriftliches Testament, das er im März 2016 in amtliche Verwahrung gab und das nach seinem Tod eröffnet wurde. Darin setzte er die Verfügungsklägerin als Alleinerbin ein. Einzelheiten zu Schwere und Gegenstand der Streitigkeiten der Ehegatten und der weiteren Familienmitglieder sind unter den Parteien umstritten. Durch Anwaltsschreiben vom 23.2.2018 teilte die Verfügungsbeklagte dem Erblasser mit, dass sie wünsche von ihm getrennt zu leben. Am 16.5.2018 verstarb der Erblasser. Er bewohnte bis zuletzt mit der Verfügungsbeklagten das Wohnhaus auf dem Grundstück “A… … … ”.

Die Verfügungsklägerin begehrte von der Verfügungsbeklagten am 7.6.2018 (dem Tag der Beerdigung des Erblassers) Zutritt zum Haus, um Nachlassgegenstände zu sichten bzw. mitzunehmen. Die Verfügungsbeklagte untersagte ihr anwaltlich den Zutritt und erteilte ihr – auch für die Folgezeit – ein Hausverbot, verbunden mit der Androhung, bei einem Verstoß die Polizei zu holen.

Am 6.8.2018 hat die Verfügungsklägerin darauf das hiesige einstweilige Verfügungsverfahren anhängig gemacht.

Die Verfügungsklägerin hat erstinstanzlich geltend gemacht, die Verfügungsbeklagte habe ihr als Alleinerbin des Erblassers gegenüber verbotene Eigenmacht geübt, weil sie den Zutritt zu dem Hausgrundstück “A… … … ” und dort befindlichen Nachlassgegenständen verweigere, die im Allein- oder Mitbesitz des Erblassers gestanden hätten.

Sie hat im Wege des possessorischen Besitzschutzes (zusammenfassend) beantragt, der Verfügungsbeklagten durch einstweilige Verfügung aufzugeben, ihr den unmittelbaren Mitbesitz an dem Anwesen “A… … … ” einzuräumen, indem die Verfügungsbeklagte ihr die Schlüssel herausgibt, die ihr ungehindert und uneingeschränkt Zutritt zu dem vorgenannten Anwesen und zu allen Räumen des aufstehenden Wohngebäudes sowie zu den Garagen gewähren. Ferner begehrt sie die Einräumung des Alleinbesitzes, hilfsweise des Mitbesitzes, an im Einzelnen benannten Gegenständen (Bentley, Porsche, Uhr Marke Patek Philippe, Motorboot sowie Unterlagen für ein Segelboot, Bankkonten, Immobilien, Unterlagen verschiedener Gesellschaften sowie Steuerunterlagen). Ferner solle die Durchsuchung zum Zwecke der Vollstreckung angeordnet werden.

Zur Dringlichkeit der Verfügung hat die Verfügungsklägerin vorgetragen, diese ergebe sich bereits aus der verbotenen Eigenmacht der Verfügungsbeklagten, weshalb auch die Einschaltung eines Sequesters nicht erforderlich sei. Überdies sei sie als Alleinerbin verpflichtet, sich um die Angelegenheiten des Nachlasses zu kümmern sowie die dringenden Zahlungsverpflichtungen und geschäftlichen Angelegenheiten auszuführen. Es gebe ein Bau- und Renovierungsvorhaben in Berlin (B… S…), sie müsse sich ein Bild davon machen, um was sie sich kümmern müsse. Außerdem gebe es ein Bauvorhaben am Gardasee, ob es weitere Bauvorhaben gebe, wisse sie nicht.

Die Verfügungsbeklagte hat die Zurückweisung der Anträge beantragt. Sie hat sich dabei auf die Unwirksamkeit des Testaments vom 11.12.2015 berufen und hierzu behauptet, dass der Erblasser wegen Demenz testierunfähig gewesen sei, zudem hat sie das Testament wegen Motivirrtums des Erblassers angefochten, dieser sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie in ihrem Testament den gemeinsamen Sohn als Alleinerben eingesetzt habe. Ferner beruft sie sich auf das vom Erblasser eingeräumte Wohnrecht. Mit einer antragsgemäßen einstweiligen Verfügung würde zudem die Hauptsache vorweggenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie der Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung – einschließlich des Hilfsantrags – aufgrund mündlicher Verhandlung nach persönlicher Anhörung der Verfügungsbeklagten und der Vernehmung präsenter Zeugen zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Verfügungsklägerin habe nicht glaubhaft machen können, dass sie Alleinerbin oder – hinsichtlich des Hilfsantrags – Miterbin nach dem Erblasser und daher gemäß § 857 BGB Besitzerin der Nachlassgegenstände geworden sei. An die Glaubhaftmachung der Erbenstellung der Verfügungsklägerin seien mit Blick auf die Bedeutung und Tragweite der Entscheidung hohe Anforderungen zu stellen, zumal die Verfügungsklägerin durch ihre Verfahrensbevollmächtigten im Termin habe erklären lassen, dass sie den Nachlass nicht nur in Besitz nehmen, sondern wie ein bereits feststehender Erbe verwalten wolle. Eine solche Glaubhaftmachung ihrer Erbenstellung sei der Verfügungsklägerin nicht gelungen, weil die behauptete Erbeinsetzung von der Verfügungsbeklagten durch gewichtige, glaubhaft gemachte Verdachtsmomente für eine auf Demenz des Erblassers beruhende Testierunfähigkeit soweit erschüttert worden sei, dass der Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung nicht in Betracht komme. Die Testierfähigkeit des Erblassers könne im einstweiligen Verfügungsverfahren mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht geklärt werden.

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Verfügungsklägerin hat gegen das Urteil frist- und formgerecht Berufung eingelegt, die sie auch rechtzeitig begründet hat. Mit der Berufung verfolgt sie ihre erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich weiter.

Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:

Das Landgericht habe verkannt, dass die Beweislast für die fehlende Testierfähigkeit bei dem liege, der sich darauf beruft, also hier bei der Verfügungsbeklagten. Gleiches gelte für den geltend gemachten Motivirrtum. Sollte das Testament vom 11.12.2015 für unwirksam erachtet werden, so sei jedenfalls der Hilfsantrag begründet. In diesem Falle sei die Verfügungsbeklagte nicht Alleinerbin, sondern es wäre gesetzliche Erbfolge eingetreten, so dass die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin zumindest Mitbesitz an den Nachlassgegenständen einräumen müsse.

Die Dringlichkeit der beantragten einstweiligen Verfügung ergebe sich neben der Notwendigkeit der Beseitigung der durch die verbotene Eigenmacht der Verfügungsbeklagten rechtswidrigen Besitzlage auch daraus, dass die Verfügungsbeklagte ihr mit Schreiben vom 7.10.2019 mitgeteilt habe, dass sowohl das Dach der W… selbst als auch das Dach des Garagenhauses durch Sturm und nachfolgenden Starkregen beschädigt worden seien, die sie auf Kosten des Nachlasses reparieren lassen wolle, wozu sie um Zustimmung der Verfügungsklägerin bitte. Gleichzeitig verweigere die Verfügungsbeklagte es ihr aber, sich selbst ein Bild von den Schäden zu machen.

Die Verfügungsbeklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen den Parteien gewechselten umfangreichen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Die Entscheidung des Landgerichts ist zwar hinsichtlich der Annahme der Testierunfähigkeit des Erblassers nicht frei von Fehlern. Die Berufung ist gleichwohl zurückzuweisen, weil sie sich nach dem gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachenvortrag im Ergebnis dennoch als richtig darstellt.

Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung hat der Verfügungskläger die den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund ergebenden Tatsachen glaubhaft zu machen (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO). Zwar scheitert ein Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin aus §§ 861, 858, 857 BGB entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an der Glaubhaftmachung ihrer Erbenstellung wegen der von der Verfügungsbeklagten geltend gemachten Testierunfähigkeit des Erblassers oder der von dieser erklärten Anfechtung des Testaments vom 11.12.2015 wegen eines behaupteten Motivirrtums (1.). Die Verfügungsklägerin hat aber einen – im vorliegenden Fall auch im Besitzschutzverfahren erforderlichen – hinreichenden Verfügungsgrund für die geltend gemachte einstweilige Verfügung nicht glaubhaft gemacht (2.), Gleiches gilt für den Hilfsantrag (3.).

1. Verfügungsanspruch

a) Das Landgericht ist unzutreffend davon ausgegangen, dass die Verfügungsklägerin ihre für den Anspruch nach §§ 861, 858, 857 BGB erforderliche Erbenstellung nicht glaubhaft gemacht hat.

aa) Hinsichtlich der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast gelten im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens die allgemeinen Grundsätze, nach denen der Kläger die rechtsbegründenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen – bzw. hier: glaubhaft zu machen – hat (Vollkommer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 935 ZPO, Rz. 8; MüKo/Schäfer, BGB, 8. Aufl. 2020, § 861 Rz. 12; Staudinger/Gutzeit (2018) BGB § 861, Rz. 11). Dies gilt wegen der aus § 857 BGB abgeleiteten Besitzstellung auch für den Umstand, dass er Erbe geworden ist, insbesondere dass eine entsprechende formwirksame Verfügung von Todes wegen des Erblassers vorliegt, sowie für den unmittelbaren Besitz des Erblassers zur Zeit des Erbfalls. Soweit der Anspruchsgegner die Testierunfähigkeit des Erblassers geltend macht oder die letztwillige Verfügung anficht, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die Testierunfähigkeit bzw. das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes (Staudinger/Baumann (2018) BGB § 2229, Rz. 74 und Staudinger/Otte (2013) BGB § 2078, Rz. 45), wobei im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens ebenfalls die Glaubhaftmachung genügt (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 294 ZPO, Rz. 2).

Das Landgericht ist hinsichtlich der von der Verfügungsbeklagten behaupteten Testierunfähigkeit des Erblassers nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Parteien und der von ihnen umfangreich eingereichten Mittel der Glaubhaftmachung in der Sache zutreffend davon ausgegangen, dass zwar gewichtige Zweifel an der Testierfähigkeit glaubhaft gemacht sind, dass sich dies aber im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht hinreichend aufklären lässt. Daran hat sich auch nach dem umfangreichen weiteren Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren im Ergebnis nichts geändert. Ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Errichtung seines Testaments am 11.12.2015 testierunfähig iSd. § 2229 Abs. 4 BGB war (vgl. zu den Anforderungen nur KG, Beschluss vom 02.Juni 2017 – 6W 95/16 –, Rz. 35, juris), lässt sich im hiesigen einstweiligen Verfügungsverfahren nicht – auch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit – feststellen, zumal eine Testierunfähigkeit nicht schon generell aus der von der Verfügungsbeklagten behaupteten Demenz des Erblassers folgt. Als grobe Faustregel gilt vielmehr, dass eine Testierfähigkeit ab einer mittelschweren Demenz fehlen kann (vgl. Wetterling/Neubauer/Neubauer, ZEV1995, 46, 48), auch dann kommt es aber immer auf die individuelle Einsichts- und Handlungsfähigkeit an (MüKo/Sticherling, BGB, 8. Aufl. 2020, § 2229 Rz. 29 m.w.Nachw.). Ohne sachverständige Hilfe lässt sich hier jedoch nicht feststellen, ob bei dem Erblasser bei Abfassung des Testaments eine mittlere oder leichte Demenz oder auch nur eine allgemeine altersbedingte Abnahme des Erinnerungsvermögens vorlag, geschweige denn, ob dadurch seine Einsichts- und Handlungsfähigkeit ausgeschlossen war. Das danach im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens bestehende non liquet geht zulasten der beweisbelasteten Verfügungsbeklagten.

bb) Ebenfalls von der Verfügungsbeklagten nicht glaubhaft gemacht ist das Vorliegen eines Motivirrtums des Erblassers im Sinne von § 2078 Abs. 2 BGB. Ein Motivirrtum setzt voraus, dass der Erblasser zu der letztwilligen Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstandes bestimmt worden ist. Es muss sich um einen Irrtum über besonders schwerwiegende Umstände handeln, die den Erblasser mit Sicherheit dazu gebracht hätten, anders zu testieren (BGH NJW-RR 1987, 1412 (1413) sowie ZEV 2008, 237 (240); ausf. MüKo/Leipold, BGB, 8. Aufl. 2020, § 2078 Rz. 45). Nicht nur sind die Motive des Erblassers streitig und kommt ein Motivbündel des Erblassers in Betracht, sondern die bestimmenden Motive des Erblassers können letztlich erst dann beurteilt werden, wenn die Testierfähigkeit des Erblassers sachverständig eingeschätzt worden ist, immerhin beruft sich die Verfügungsbeklagte auf “wahnhafte Vorstellungen” des Erblassers.

b) Hinsichtlich des Besitzes des Erblassers an den Nachlassgegenständen zum Zeitpunkt des Todesfalls ist mit Blick auf das parallel anhängige Hauptsacheverfahren darauf hinzuweisen, dass lediglich hinsichtlich der Fahrzeuge Bentley und Porsche Cayenne, der Uhr Patek Philippe sowie des Motorbootes und der zugehörigen Unterlagen vom Alleinbesitz des Erblassers auszugehen ist, da es sich nach ihrer Zweckbestimmung um persönlich von ihm genutzte Gegenstände handelte. Im Alleinbesitz des Erblassers standen auch Unterlagen über Bankkonten des Erblassers, Immobilien im Alleineigentum des Erblassers und Aktiendepots des Erblassers. In Bezug auf das Wohnhaus und das Wohngrundstück ist davon auszugehen, dass sich diese im Mitbesitz beider Ehegatten befanden. Teilweise mögen einzelne Räume mehr von dem einen oder dem anderen benutzt worden seien, eine Trennung innerhalb der Ehewohnung iSd. § 1567 Abs. 2 BGB ist jedoch nach dem Vortrag der Parteien nicht vollzogen, vielmehr von der Verfügungsklägerin an den Erblasser erst mit anwaltlichem Schriftsatz vom 23.2.2018 (Anlage ASt 67) als Wunsch herangetragen worden. Die Verfügungsklägerin konnte auch nicht glaubhaft machen, dass das Arbeitszimmer des Erblassers in dessen Alleinbesitz stand, nachdem die Verfügungsbeklagte vorgetragen hat, dass es als Durchgangszimmer einschließlich Faxgerät auch zu Lebzeiten des Erblassers von ihr mitgenutzt wurde.

Zweifelhaft ist allerdings die Besitzlage hinsichtlich der Unterlagen über die verschiedenen Personengesellschaften (Personenhandelsgesellschaften bzw. rechtfähige Außen-GbR) bzw. der den Gesellschaften gehörenden Immobilien. Insofern ist bisher nicht geklärt, ob der Erblasser sie nicht lediglich als Organ für die jeweilige Gesellschaft in Besitz hatte, so dass der Besitzanspruch der jeweiligen Gesellschaft zustehen würde (vgl. nur Palandt/Herrler, BGB, 79. Aufl. 2020, § 854 BGB Rz. 12). Steuerunterlagen standen nur ab dem Veranlagungsjahr 2016 im Alleinbesitz des Erblassers, weil die Ehegatten nach dem unwidersprochenen Vortrag der Verfügungsbeklagten bis einschließlich 2015 gemeinsam veranlagt waren.

Für das einstweilige Verfügungsverfahren kann dies jedoch dahingestellt bleiben, da die Verfügungsklägerin jedenfalls einen hinreichenden Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht hat.

2. Verfügungsgrund

Unabhängig von dem Vorliegen eines Verfügungsanspruchs bedarf es für die von der Verfügungsklägerin begehrte Herausgabe des unmittelbaren Alleinbesitzes bzw. Einräumung des Mitbesitzes jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation der Glaubhaftmachung eines konkreten Verfügungsgrundes, was der Verfügungsklägerin nicht gelungen ist.

Im Grundsatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund im Rahmen des possessorischen Besitzschutzes nach §§ 861, 858 BGB vermutet wird (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.3.2017 – I-9 U 159/16, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. November 2011 – 10 W 47/11 –, juris; MüKo/Schäfer, BGB, 8.Aufl. 2020, § 861 Rz. 16 f., jeweils mit weiteren Nachweisen). Grund hierfür ist der mit § 861 BGB verfolgte Zweck, im Falle verbotener Eigenmacht das Selbsthilferecht nach §859BGB zu begrenzen und gleichwohl mit gerichtlicher Hilfe schnell wieder die frühere Besitzlage wiederherzustellen, um dann eventuelle petitorische Ansprüche unter den Parteien gesondert zu klären (vgl. nur MüKo/Schäfer, BGB, 8. Aufl. 2020, § 861 Rz. 1; Staudinger/Gutzeit, BGB (2018), §861 Rz. 1f.). Im Regelfall ergibt sich daher der Verfügungsgrund bereits aus dem Umstand der verbotenen Eigenmacht und rechtfertigt der Regelungszweck auch eine Ausnahme zu dem in §§938, 940 ZPO zum Ausdruck gebrachten Grundsatz, dass auch bei Vorliegen eines Verfügungsgrundes im Regelfall zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache nur eine Sicherungsverfügung ergehen soll und nur ausnahmsweise eine Regelungsverfügung erfolgen darf.

In der hier vorliegenden Fallkonstellation greift jedoch nach Sinn und Zweck der §§861, 858, 857 BGB die Vermutung eines Verfügungsgrundes nicht, sondern von der Verfügungsklägerin ist, um die begehrte gerichtliche Regelungsverfügung zu rechtfertigen, in Ausnahme der dargestellten Grundsätze die Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes zu verlangen.

a) Wohnhaus und Wohngrundstück

Dies gilt in besonderem Maße für das von der Verfügungsbeklagten vor und nach dem Erbfall bewohnte Wohngrundstück, zu dem die Verfügungsklägerin “die Herausgabe der Schlüssel sowie die Gewährung des ungehinderten und uneingeschränkten Zutritts zu dem Anwesen und zu allen Räumen des aufstehenden Gebäudes sowie zu den Garagen” begehrt.

aa) § 857 BGB ordnet den Übergang des Besitzes vom Erblasser auf den (wahren) Erben an, um den Bestand des Nachlasses nach dem Erbfall vor dem Zugriff Dritter zu schützen, indem die Veräußerung von Nachlassgegenständen auf gutgläubige Dritte verhindert wird (§§ 932, 935 BGB) und der Erbe den Besitzschutz nach §§ 861, 862 BGB gegen Besitzstörer geltend machen kann, auch wenn er selbst noch keine tatsächliche Sachherrschaft erlangt hat. Wenn der Nachlass nach dem Tod des Besitzers besitzlos würde, wäre er ungeschützt und es würde eine Zersplitterung drohen (Staudinger/Gutzeit, BGB (2018) § 857 Rz. 2; Lorenz in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, §857BGB, Rz. 4). Der Erbe kann daher gemäß §§ 861, 858, 857 BGB verlangen, dass Nachlassgegenstände in das Haus des Erblassers zurückgebracht werden, die ein Mitglied der (unstreitig bestehenden) Erbengemeinschaft von dort mitgenommen hat (vgl. AG Rostock, NJW-RR 2005, 1533, eingereicht von der Verfügungsklägerin als Anlage ASt 24), und der Erbe des Mieters kann vom Vermieter verlangen, dass dieser ihm nicht den Zutritt zur Wohnung verweigert, wenn keine berechtigten Zweifel an seiner Erbenstellung bestehen (so im Fall des LG Köln, Beschluss vom 24. April 1996 – 1 T 82/96 –, Rz. 1, juris). Ein Anspruch auf einstweiligen Besitzschutz wurde ferner angenommen in einem Fall, in dem eine Miterbin, die neben der Erblasserin wohnte und mittels eines Schlüssels Zugang zu deren Wohnung hatte, nach dem Erbfall das Wohnungsschloss auswechselte und dem (unstreitigen) Miterben den Zugang zu der Wohnung verweigerte (OLG Düsseldorf v. 20.3.2017 – I-9 U 159/16, juris).

Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor, wenn es sich bei der Wohnung und dem zugehörigen Grundstück um die frühere gemeinsame Ehewohnung des Erblassers und des überlebenden Ehegatten handelt, und dem überlebenden Ehegatten bezüglich der Ehewohnung ein Wohnrecht und ein ausschließliches Nutzungsrecht zusteht. Dies ist vorliegend der Fall, denn der Verfügungsbeklagten steht bezüglich des Wohnhauses einschließlich des Grundstücks ein im Jahr 1999 vom Erblasser eingeräumtes unentgeltliches und unwiderrufliches schuldrechtliches Wohnrecht zu. Nach Sinn und Zweck des Wohnrechts, angesichts der strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Erblasser und eines damit drohenden Vermögensverfalls den Verbleib der Verfügungsbeklagten in der Wohnung zu sichern, ist nach §§ 133, 157, 242 BGB davon auszugehen, dass dadurch zwar nicht die Nutzung durch den Erblasser als Eigentümer ausgeschlossen werden sollte, da er die Ehewohnung weiter mitnutzen wollte, es sollten aber doch sonstige Dritte ausgeschlossen sein, die Eigentümer der Wohnung werden könnten. Auf die unter den Parteien streitige Frage, ob das später eingetragene dingliche Wohnrecht ein ausschließliches iSd. § 1093 BGB ist, kommt es nicht an.

In diesem Fall kann ein Erbe (oder gar eine Miterbengemeinschaft) über den Besitzschutz nach §§861, 857 BGB jedenfalls nicht im Eilverfahren die Einräumung des dem Erblasser zu Lebzeiten noch zustehenden Mitbesitzes geltend machen und ungehinderten Zugang zu der Wohnung des mit dem Erblasser vor dem Erbfall zusammenlebenden Ehegatten verlangen. Zwar weist die Verfügungsklägerin zu Recht darauf hin, dass petitorische Einwendungen im Rahmen des possessorischen Besitzschutzes nach § 863 BGB grundsätzlich ausgeschlossen sind. Dennoch muss das Wohnrecht des überlebenden Ehegatten Berücksichtigung finden. Die Verfügungsbeklagte verweist dazu zutreffend auf die Wertungen der §§ 563 bis 564 BGB. §564BGB bringt zum Ausdruck, dass der Erbe nach dem Tod des Mieters Nachrang gegenüber den in der Wohnung lebenden Familienangehörigen des Erblassers hat, die gemäß §§ 563, 563a BGB das Recht haben, das Mietverhältnis fortzusetzen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 2013 – VIII ZR 68/12 –, Rz. 17, juris), und zwar ohne, dass der Erbe unter Berufung auf den Mitbesitz des Erblassers mit in die Wohnung einzieht. Nach wohl zutreffender Auffassung ist § 857 BGB in diesem Fall daher dahingehend einzuschränken, dass der Besitz an der Wohnung auf die das Mietverhältnis fortsetzenden Familienangehörigen übergeht und nicht auf den Erben des verstorbenen Mieters, so dass dem Erben schon tatbestandlich kein Besitzschutzanspruch zusteht (LG Heidelberg, Urteil vom 25.November 2013 – 5 S 33/13 –, Rz. 45, juris; Staudinger/Gutzeit, BGB (2018), § 857 Rz. 27 m.w.Nachw.). Der Mieter muss sein Besitzrecht daher auch nicht im Wege der – auch im Besitzschutzverfahren jedenfalls in der Hauptsache zulässigen (BGHZ 53, 166, 168; ausf. Staudinger/Herrler, BGB (2018) § 863 Rz. 8 m.w.Nachw. und zuletzt Loyal, Petitorische Widerklage gegen eine Besitzklage?, ZfPW 2019, 356) – Widerklage nach § 33 ZPO geltend machen. Es liegt nahe, den § 563 BGB zugrundeliegenden Rechtsgedanken des Erhalts der den Lebensmittelpunkt bildenden Wohnung für nahe Familienangehörige des verstorbenen Mieters (hierzu MüKo/Häublein, BGB, 8. Aufl. 2020, § 563 Rz. 1; BGH, Urteil vom 11. Januar 2007 – III ZR 72/06 –, Rz. 11, juris) auch auf die vorliegende Fallkonstellation eines schuldrechtlichen Wohnrechts des überlebenden Ehegatten zu übertragen. Der in § 857 BGB nur rechtlich angeordnete Besitz des Erben ohne tatsächliche Sachherrschaft ist im Hinblick auf die dargestellte Schutzfunktion derart wertenden Einschränkungen durchaus zugänglich (vgl. zu weiteren wertenden Korrekturen des § 857 BGB nur Staudinger/Gutzeit, BGB (2018) § 857 Rz. 19 ff., zu petitorischen Einwendungen gegenüber auf §857 BGB gestützten Ansprüchen auch § 863 Rz. 5).

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin auch nicht aus § 1969 BGB (“Dreißigster”), wonach der Erbe verpflichtet ist, Familienangehörigen des Erblassers, die zur Zeit des Todes des Erblassers zu dessen Hausstand gehörten und von ihm Unterhalt bezogen, in den ersten 30 Tagen nach dem Eintritt des Erbfalls in demselben Umfang, wie der Erblasser es getan hat, die Benutzung der Wohnung und der Haushaltsgegenstände zu gestatten. Auch hierbei handelt es sich – wie im Fall der Miete nach § 563 BGB oder des hier vorliegenden schuldrechtlichen Wohnrechts – nach zutreffender herrschender Ansicht um ein schuldrechtliches Nutzungsrecht des Ehegatten des Erblassers, das zur Nutzung der Wohnung unter Ausschluss des Erben berechtigt, weil nur so der Zweck des § 1969 BGB, dem Ehegatten nach dem Tod des Erblassers die Fortdauer der bisherigen äußeren Lebensbedingungen zu sichern, erreicht werden kann. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass “der Erbe” eine – aus einer Vielzahl von Personen bestehende – Miterbengemeinschaft mit dem überlebenden Ehegatten unbekannten oder mit ihm verstrittenen Personen sein kann, welche ohne Rücksicht auf das Wohnrecht des Ehegatten das uneingeschränkte Mitbewohnen der Ehewohnung verlangen könnten. Der Erbe darf daher sein Besitzrecht aus § 857 BGB erst nach Ablauf der 30-Tages-Frist des § 1969 BGB geltend machen (ausf. Eberhardt/Ehrensperger, ZEV 2013, 653; MüKo/Küpper, 8. Aufl. 2020, § 1969 Rz. 3; Lohmann in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck, BGB, 4. Aufl. 2020, § 1969 Rz. 6; Erman/Horn, BGB, 15. Aufl. 2017, § 1969 Rz. 2; Palandt/Weidlich, BGB, 79. Aufl. 2020, § 1969 Rz. 2; BeckOGK/Grüner, BGB, Stand: 1.2.2020, § 1969 Rz. 6; a.A. AG Rheinbach, ZEV 2013, 682; Dutta in: Staudinger, BGB [2016], § 1969 Rz. 11, allerdings unter der Einschränkung, dass anderes im Fall der §§ 563, 563a BGB gelte). Es ist auch nicht ersichtlich, warum das Wohnrecht des Mieters nach § 563 BGB und das Wohnrecht nach § 1969 BGB in Bezug auf das Besitzrecht des Erben nach § 857 BGB unterschiedlich behandelt werden sollten, da ihr Schutzzweck derselbe ist. Nichts anderes kann für ein dem Ehegatten vom Erblasser eingeräumtes schuldrechtliches Wohnrecht gelten.

Die Frage, ob demnach bei einem schuldrechtlichen Wohnrecht bereits tatbestandlich ein Anspruch des Erben auf Einräumung des Mitbesitzes im Wege des Besitzschutzes ausscheidet, kann aber letztlich offen bleiben, denn jedenfalls müssen diese Umstände dahingehend Berücksichtigung finden, dass die Verfügungsklägerin für die einstweilige Einräumung des Mitbesitzes an der früheren Ehewohnung eine besondere Dringlichkeit glaubhaft machen muss. Ähnliche Erwägungen dürften letztlich auch der Entscheidung des Landgerichts zugrunde gelegen haben, wenn es aufgrund eines zwar glaubhaft gemachten, aber mit beachtlichen Gründen umstrittenen Erbrechts der Verfügungsklägerin den Mitbesitz an der Ehewohnung nicht einstweilen einräumen wollte, auch wenn es diese Umstände unzutreffend bei den Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Erbenstellung berücksichtigt hat.

bb) Einen danach erforderlichen hinreichenden Verfügungsgrund hat die Verfügungsklägerin jedoch nicht glaubhaft gemacht. Die Verfügungsklägerin ist nicht von Wohnungsnot bedroht oder sonst akut auf den Mitbesitz des von der Verfügungsbeklagten bewohnten Hauses angewiesen, sondern sie lebt in einem eigenen großzügigen Wohnhaus in München. Soweit sie darauf verweist, dass sie sich um die Belange des Nachlasses kümmern müsse und sich die Verfügungsbeklagte erst vor Kurzem wegen notwendiger Dachreparaturen an sie gewendet habe, die diese mit Nachlassmitteln finanzieren wolle, so ergibt sich daraus kein hinreichender Verfügungsgrund für die von der Verfügungsklägerin beantragte Einräumung des unmittelbaren Mitbesitzes durch Übergabe der Schlüssel und Gewährung eines unbeschränkten Zugangs. Zur Regelung des Verhältnisses zwischen Erbschaftsbesitzer und Erben – sowohl für die Verpflichtung zum Erhalt der Nachlasssache als auch zu den Voraussetzungen von Erstattungsansprüchen gegen den Nachlass – finden sich in §§2019ff.BGB ausführliche Regelungen, die an die Regelungen der §§987 ff. BGB über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis angelehnt sind. Im Übrigen ergibt sich ein Schuldverhältnis der Parteien aus dem schuldrechtlichen Wohnrecht. Ergänzend besteht die Möglichkeit der Anregung einer Nachlasspflegschaft beim Nachlassgericht gemäß § 1960 BGB, wenn wie hier ernstliche Zweifel über die Person des Erblassers bestehen und der Nachlass bis zur Klärung der Verwaltung bedarf (dazu MüKo/Leipold, BGB, 8. Aufl. 2020, § 1960 Rz. 21). Freilich bleibt es den Parteien unbenommen und erscheint es vorzugswürdig, wenn sie sich im wechselseitigen Interesse auf eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Schäden und der notwendigen Reparaturarbeiten und ihre Finanzierung einigen. Es besteht damit aber keine besondere Dringlichkeit, die den starken Eingriff in das Wohnrecht der Verfügungsbeklagten durch Einräumung des jederzeitigen und unbeschränkten Zugangs zu allen Räumen des Wohnhauses und zum Grundstück durch die Verfügungsklägerin rechtfertigen würde.

b) Weitere bewegliche Gegenstände

aa) Bezüglich der weiteren, insbesondere der im früheren Alleinbesitz des Erblassers stehenden beweglichen Gegenstände können zwar die bezüglich der Wohnung geltenden Erwägungen nicht in gleicher Weise gelten. So soll § 857 BGB auch im Falle des § 563 BGB keine Einschränkung für die in der Mietwohnung verbliebenen Gegenstände finden (Staudinger/Gutzeit, BGB (2018) §857Rz. 27). Allerdings wird auch vertreten, dass die Inbesitznahme der in der Ehewohnung befindlichen Gegenstände durch den überlebenden Ehegatten keine verbotene Eigenmacht darstellt, solange die Gegenstände – wie hier – in der Ehewohnung verbleiben (OLG Celle, NdsRpfl1949, 199 in einem Fall der Miterbschaft des überlebenden Ehegatten; zustimmend Lorenz in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 857 BGB, Rz. 4).

Auch insoweit kann dahinstehen, ob bereits tatbestandlich keine verbotene Eigenmacht vorliegt, da mit Blick auf den Schutzzweck des § 857 BGB – Erhalt des Nachlasses – jedenfalls auch hier ein Verfügungsgrund zu fordern ist, solange die Nachlassgegenstände in der Ehewohnung verbleiben. Denn für diese Konstellation hat das Landgericht – entsprechend der Auffassung der Verfügungsbeklagten und entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin – im Ergebnis zutreffend auf den Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren hingewiesen. Die Herausgabe der Erbschaft vom Erbschaftsbesitzer ist grundsätzlich nach § 2018 BGB – ggf. verbunden mit einem Stufenantrag auf Feststellung der Erbschaft und auf Auskunft über die Nachlassgegenstände – oder auch nach § 985 BGB in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen, in deren Rahmen auch eine streitige Erbschaft zu klären ist (vgl.Gierl in: Klinger, Münchener Prozessformularbuch Erbrecht, 4. Aufl. 2018, Formular H.I.3.). Entsprechend ist auch nach der anwaltlichen Beratungsliteratur bei der Geltendmachung des Besitzschutzes nach §§ 861, 858, 857 BGB im einstweiligen Verfügungsverfahren der Aspekt der Vorwegnahme der Hauptsache zu berücksichtigen, weshalb eine Anordnung nur in Betracht komme, wenn der Verfügungsbeklagte sich den Besitz an einer Nachlasssache verschafft oder auf die Sache für seinen Lebensunterhalt oder zur Vermeidung einer Notlage angewiesen ist, oder wenn eine wesentliche Verschlechterung der Sache droht (vgl. Flechtner in: Klinger, Münchener Prozessformularbuch, Bd. 4: Erbrecht, 4. Aufl. 2018, Formular J.II.6.).

Nach diesen Maßstäben ist ein Verfügungsgrund hier erforderlich, von der Verfügungsklägerin aber nicht glaubhaft gemacht. Die Verfügungsklägerin hat bereits nicht vorgetragen, dass die Verfügungsbeklagte irgendwelche Gegenstände oder Unterlagen von dem Grundstück weggeschafft hätte oder dies auch nur konkret zu befürchten wäre. Vielmehr verweigert die Verfügungsbeklagte lediglich die Herausgabe an die Verfügungsklägerin, welche bisher keine tatsächliche Sachherrschaft über die Nachlassgegenstände hatte, unter Hinweis auf die streitige Erbfolge. Der Verfügungsklägerin geht es in erster Linie darum, die tatsächliche Sachherrschaft über den Nachlass zu erlangen, wozu sie auf das entsprechende Hauptsacheverfahren zu verweisen ist. Dass der Besitz ihr die Voraussetzungen für die Verwaltung des Nachlasses verschafft, weil er ihr Einblick in die Unterlagen ermöglicht, begründet keine hinreichende Dringlichkeit. Soweit die Verfügungsklägerin geltend macht, sie müsse sich einen Überblick über etwaige Bauvorhaben verschaffen, gilt das zur Verwaltung des Hausgrundstücks Gesagte entsprechend.

3. Hilfsantrag

Der für den Fall gestellte Hilfsantrag, dass der Hauptantrag zu 2. auf Einräumung des Alleinbesitzes wegen Unwirksamkeit des Testaments vom 11.12.2015 zurückgewiesen wird, ist nicht zu entscheiden. Denn der Hauptantrag scheitert nicht an der Unwirksamkeit des Testaments, sondern am Fehlen eines Verfügungsgrundes, der im Übrigen für den Hilfsantrag in gleicher Weise fehlt.

III.

Der Verfügungsklägerin war die beantragte Erklärungsfrist auf den Hinweis des Senats, dass im vorliegenden Fall ein Verfügungsgrund erforderlich ist, nicht zu bewilligen. Unabhängig davon, dass eine Erklärungsfrist im einstweiligen Verfügungsverfahren nur unter engen Voraussetzungen gewährt werden kann, hat die Verfügungsklägerin sowohl in erster als auch in zweiter Instanz bereits zum Verfügungsgrund vorgetragen. Die rechtlichen und tatsächlichen Fragen, die hier zum Erfordernis eines Verfügungsgrundes führen (schuldrechtliches Wohnrecht, Parallele zu § 563 BGB usw.), wurden in den Schriftsätzen der Parteien in erster und zweiter Instanz ebenfalls umfänglich erörtert. Sie waren zudem ausführlich Gegenstand der mündlichen Erörterung im Termin, im Rahmen derer der Klägerinvertreter erklärte, er habe sich erst vor einer Woche noch einmal ausführlich mit der Frage befasst, ob es eines besonderen Besitzschutzinteresses bedürfe, und die Klägerinvertreterin auf den “Dreißigsten” verwies, der dem Besitzanspruch des Erben nach ihrer Auffassung nicht entgegengehalten werden könne. Eine Erklärungsfrist auf die – im Einzelnen nicht benannten – “weiteren” Hinweise des Senats war schon deshalb nicht zu bewilligen, weil sie den Verfügungsanspruch betrafen, auf den die Klageabweisung nicht gegründet ist.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 6, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zulässig, § 542 II 1 ZPO.

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