Erbschein-Streit: Zuwendungsverzicht und die Rechte der Abkömmlinge
Das OLG Celle entschied, dass der Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3, der Tochter des verstorbenen Ehemanns der Erblasserin aus einer früheren Ehe, wirksam war. Dieser Verzicht erstreckte sich jedoch nicht auf ihre Abkömmlinge, speziell die Beteiligte zu 4. Folglich wurde die Beteiligte zu 4 als Alleinerbin bestätigt, und die Testamentseinsetzungen der Beteiligten zu 1 und 2 wurden als unwirksam erklärt.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Wirksamkeit des Zuwendungsverzichts: Die Beteiligte zu 3 verzichtete wirksam auf ihre Erbansprüche gegenüber der Erblasserin.
- Nicht-Erstreckung auf Abkömmlinge: Der Verzicht betraf nicht die Abkömmlinge der Beteiligten zu 3, insbesondere nicht die Beteiligte zu 4.
- Alleinerbschaft der Beteiligten zu 4: Durch den Verzicht wurde die Beteiligte zu 4 als Alleinerbin der Erblasserin festgestellt.
- Unwirksamkeit des Testaments von 2019: Das Testament, das die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben einsetzte, wurde für unwirksam erklärt.
- Erbvertragliche Bindung: Die Entscheidung basierte auf der erbvertraglichen Bindung und den spezifischen Verzichtsregelungen.
- Bedeutung der Stiefkindrelation: Die Rolle der Beteiligten zu 3 als Stieftochter der Erblasserin war für die rechtliche Beurteilung relevant.
- Keine Anwendung von § 2349 BGB: Der § 2349 BGB (Erstreckung des Verzichts auf Abkömmlinge) fand keine Anwendung auf Stiefkinder.
- Bewertung des Nachlasses: Der Wert des Nachlasses war für die Entscheidung und den Beschwerdewert relevant.
Übersicht
Der Weg zum OLG Celle: Ein erbvertragliches Puzzle
Das Oberlandesgericht Celle befasste sich mit einem komplexen Erbrechtsfall, in dessen Zentrum der Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3 stand, einer Stieftochter der verstorbenen Erblasserin. Der Fall begann mit dem Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 und 2, ehemaligen Nachbarn der Erblasserin, die gemäß einem Testament der Erblasserin als Miterben eingetragen werden sollten. Dieser Antrag führte zu einer rechtlichen Auseinandersetzung, da die Beteiligte zu 3, Stieftochter der Erblasserin, einen früheren erbvertraglichen Anspruch geltend machte.
Erbverträge und Zuwendungsverzicht: Kern des Disputs
Die Erblasserin hatte in einem Erbvertrag aus dem Jahr 1970 ihre zweite Ehemann und die Beteiligte zu 3 zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt. Nach dem Tod des Ehemannes trat ein neuer Vertrag in Kraft, in dem die Beteiligte zu 3 aufalle Erbansprüche beim Tod der Erblasserin verzichtete, im Gegenzug wurde sie alleinige Eigentümerin eines Grundstücks. Dieser Zuwendungsverzicht bildete den Dreh- und Angelpunkt des Falles, da er sowohl für die Beteiligte zu 3 als auch für ihre Abkömmlinge gelten sollte.
Juristische Feinheiten: Interpretation des Zuwendungsverzichts
Das Gericht musste klären, inwiefern der Zuwendungsverzicht rechtlich bindend und umfassend war. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Interpretation der §§ 2349 und 2352 BGB, insbesondere ob diese auf Stiefkinder wie die Beteiligte zu 3 anwendbar sind. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Verzicht der Beteiligten zu 3 wirksam war, sich jedoch nicht auf ihre Abkömmlinge, insbesondere nicht auf die Beteiligte zu 4, erstreckte.
Das Urteil des OLG Celle: Klärung eines komplexen Erbfalls
Das Gericht entschied, dass der Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3 wirksam war, aber nicht ihre Abkömmlinge betraf. Somit war die Beteiligte zu 4, als einzige Tochter und damit Abkömmling der Beteiligten zu 3, die rechtmäßige Alleinerbin. Dieses Urteil machte das Testament der Erblasserin, das die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben benannte, unwirksam. Weiterhin entschied das Gericht, dass die Beteiligten zu 1 und 2 keine Kosten erstattet bekommen, da die Entscheidung auf einer komplexen Auslegung der notariell beurkundeten Erklärungen beruhte.
Dieses Urteil zeigt die Komplexität des Erbrechts und die Bedeutung detaillierter erbvertraglicher Regelungen. Es betont auch die Wichtigkeit, die rechtlichen Folgen von Verzichtserklärungen gründlich zu bedenken und klar zu formulieren, insbesondere in Fällen von Patchworkfamilien und mehrstufigen Erbverhältnissen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Was ist ein Zuwendungsverzicht im Erbrecht?
Ein Zuwendungsverzicht ist eine Vereinbarung, in der eine Person auf eine zu erwartende Zugewinnausgleichforderung, ein Erbe oder ein Vermächtnis verzichtet. Dieser Verzicht kann durch einen Vertrag mit dem Erblasser erfolgen und ist insbesondere dann relevant, wenn der Erblasser aufgrund eines gemeinschaftlichen Testaments oder eines Erbvertrags gebunden ist und nicht mehr anderweitig testieren kann. Der Zuwendungsverzicht ist ein vertragliches, erbrechtliches, selbständiges Verfügungsgeschäft und beseitigt die Erbaussicht des künftigen Erben, Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmers so, als ob sie beim Erbfall nicht mehr lebten.
Die rechtlichen Folgen eines Zuwendungsverzichts für Abkömmlinge sind seit dem 01.01.2010 im deutschen Recht klar definiert. Ein Zuwendungsverzicht entfaltet Wirkung für die Abkömmlinge des Verzichtenden, sofern nicht ein anderes bestimmt wird. Das bedeutet, dass sich der Verzicht auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, unabhängig davon, ob der Verzichtende für seinen Verzicht abgefunden wird oder nicht. Wenn der Erblasser diese Folge ausschließen möchte, muss er ausdrücklich bestimmen, dass diese vermutete Erstreckung nicht gilt.
Diese Regelung kann zu ungerechten Ergebnissen führen, insbesondere wenn der Erbe für seinen Verzicht vollständig abgefunden wird und danach seine Abkömmlinge an seiner Stelle erben. Dies würde zu einer Doppelbegünstigung des Stammes des Verzichtenden führen. Daher ist es wichtig, die spezifischen Bedingungen und Folgen eines Zuwendungsverzichts sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.
Das vorliegende Urteil
OLG Celle – Az.: 6 W 37/23
Der angefochtene Beschluss wird geändert und der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 28. September 2021 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 615.333,33 €.
Gründe
A.
Die Beteiligte zu 3 wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Feststellung des Amtsgerichts, es sei der gemeinschaftliche Erbschein zu erteilen, der als Miterben zu je 1/2 die Beteiligten zu 1 und 2 ausweist, die ehemaligen Nachbarn der Erblasserin.
Seit dem 22. Mai 1970 war die am 15. September 1920 geborene und am 24. Februar 2021 verstorbene Erblasserin in zweiter Ehe mit dem am 15. Dezember 1911 geborenen und am 20. Juli 1982 verstorbenen J. W. verheiratet. Die am 31. Dezember 1939 geborene Beteiligte zu 3 ist dessen Tochter aus erster Ehe und die Mutter der am 24. Oktober 1966 ehelich geborenen Beteiligten zu 4 (Geburtsurkunde vom 28. Oktober 1966, Bl. 12 d. A.).
Die Erblasserin und ihr zweiter Ehemann schlossen den notariellen Ehe- und Erbvertrag vom 23. Juni 1970 (Bl. 55-58 der Testamentsakten 6 IV 1008/19 Amtsgericht Syke). Die Eheleute vereinbarten Gütertrennung. Der Ehemann setzte die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 zu gleichen Teilen als Erben ein. Als Vorausvermächtnis wandte er der Erblasserin das – wenn sie nicht wiederheiratet lebenslängliche – Nießbrauchsrecht an dem Grundstück in B. zu. Die Erblasserin setzte den Ehemann als Alleinerben ein. Der Überlebende der Ehegatten setzte jeweils die Beteiligte zu 3 als „Alleinerbin“ ein und bestimmte:
„Ersatzerben sind deren ehelichen Abkömmlinge stammesweise zu gleichen Teilen.“
Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 20. Juli 1982.
Die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 schlossen den notariellen Vertrag zur „Erbauseinandersetzung mit Erbverzicht“ vom 16. September 2019 (Bl. 38-44 der Testamentsakten). In der Urkunde ist festgestellt, dass die Erblasserin und die Beteiligte zu 3 Erben des Ehemanns der Erblasserin zu je 1/2-Anteil sind und zum Nachlass nur noch der Grundbesitz in B. mit einem Verkehrswert von ca. 250.000 € gehört. Diese Erbengemeinschaft setzten die Vertragsbeteiligten dahin auseinander, dass die Beteiligte zu 3 alleinige Eigentümerin wird und die Erblasserin auf ihren Nießbrauch verzichtet. Weiter heißt es im Vertrag:
„§ 3 Ausgleichszahlungen/Gegenleistungen
3.1.1 Ausgleichszahlungen zwischen den Beteiligten werden nicht vereinbart.
3.1.2 Gemäß Erbvertrag zwischen J. W. und (der Erblasserin) vom 23. Juni 1970 … ist Schlusserbe nach dem Tode des Längerlebenden von ihnen die (Beteiligte zu 3). (Der Ehemann der Erblasserin) ist bereits verstorben, sodass (die Beteiligte zu 3) Alleinerbin nach der (Erblasserin) werden würde. (Die Erblasserin) möchte jedoch neu über ihren Nachlass verfügen.
3.1.3 Als Gegenleistung für die heutige Zuwendung und den Verzicht auf den Nießbrauch verzichtet daher die (Beteiligte zu 3), hiermit für sich persönlich und für ihre Abkömmlinge auf alle Erbansprüche beim Tode der (Erblasserin). Diese nimmt den Verzicht an.
3.1.4. Der Verzicht kann nur von den Erschienenen gemeinsam wieder aufgehoben oder geändert werden.
3.1.5 Der Notar hat die Erschienenen ausdrücklich über die Folgen dieses Vertrages belehrt.“
In seiner Kostenrechnung für diese Beurkundung vom 26. September 2019 setzte der Notar als Geschäftswert 350.000 € an (Bl. 15 d. A.).
Mit notariell beurkundetem Testament vom 25. Oktober 2019 (Bl. 60-64 der Testamentsakten) widerrief die Erblasserin unter Verweis auf die notariellen Urkunden vom 23. Juni 1970 und 16. September 2019, „soweit rechtlich möglich“, sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen, setzte die am 21. Februar 1968 geborene Beteiligte zu 1 und die am 7. Februar 1947 geborene Beteiligte zu 2 als Erben zu je 1/2 ein und ordnete Vermächtnisse an.
Am 24. Februar 2021 verstarb die Erblasserin.
Die Beteiligte zu 1 hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausweist.
Den Nachlasswert hat sie mit 923.000 € angegeben.
Die Beteiligte zu 3 hat der Erbscheinserteilung widersprochen und geltend gemacht, der Zuwendungsverzicht sei unwirksam.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben in der Sitzung vom 19. Oktober 2022 (Bl. 90 ff. d. A.) durch Vernehmung des Notars Dr. S. und der Beteiligten zu 4 als Zeugen.
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2022 (Bl. 122 ff. d. A.) hat das Amtsgericht festgestellt, es sei ein Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je ½ ausweist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Testament der Erblasserin vom 25. Oktober 2019 sei wirksam, weil der notarielle Vertrag vom 16. September 2919 einen wirksamen Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3 für sich und ihre Abkömmlinge enthalte.
Gegen diesen Beschluss, auf dessen Einzelheiten der Senat zur näheren Sachdarstellung verweist, wendet die Beteiligte zu 3 sich mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihr erstinstanzliches Ziel weiterverfolgt.
B.
Die Beschwerde ist begründet.
I.
Der Senat hat in vollem Umfang zu prüfen, ob der angekündigte Erbschein richtig ist.
Zwar hat die Beteiligte zu 4 bisher nicht geltend gemacht, Alleinerbin der Erblasserin geworden zu sein.
Doch hat „im Erbscheinsverfahren … das Beschwerdegericht die Richtigkeit des angekündigten Erbscheins auch insoweit zu prüfen, als der Beschwerdeführer durch eine Unrichtigkeit des Erbscheins nicht beschwert sein kann“. „Gegenstand des Beschwerdeverfahrens im Falle eines Feststellungsbeschlusses nach § 352 e FamFG … ist der vom Nachlassgericht angekündigte Erbschein, für dessen Erlass es die Tatsache als festgestellt erachtet hat. Hierbei handelt es sich … um einen unteilbaren Verfahrensgegenstand, über den der Beschwerdeführer nicht disponieren kann und der deshalb unter allen erbrechtlichen Gesichtspunkten zu Überprüfung durch das Beschwerdegericht gestellt ist.“ (Beschluss des BGH vom 16. Dezember 2015 zu IV ZB 13/15, zitiert nach juris, dort Rn. 18).
II.
Es sind nicht die Tatsachen für festgestellt zu erachten (§ 352 e Abs. 1 Satz 1 FamFG), die erforderlich sind, den von der Beteiligten zu 1 am 28. September 2021 beantragten gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterben zu je 1/2 ausweist.
Die Erblasserin ist allein von der Beteiligten zu 4 beerbt worden, weil die Beteiligte zu 3 durch notariellen Vertrag mit der Erblasserin vom 16. September 2019 wirksam auf ihre Einsetzung als alleinige Schlusserbin der Erblasserin aus dem notariellen Erbvertrag vom 23. Juni 1970 verzichtet hat, sodass die Erbschaft der Beteiligten zu 4 als Ersatzerbin angefallen und die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 aus dem notariellen Testament vom 25. Oktober 2019 gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam ist.
1. Für den eingetretenen Fall, dass ihr Ehemann vorverstirbt, hat die Erblasserin mit diesem erbvertragsmäßig (§ 2278 Abs. 1 BGB) bestimmt, dass die Beteiligte zu 3, die Tochter des Ehemanns der Erblasserin aus dessen erster Ehe, ihre „Alleinerbin“ wird und ferner:
„Ersatzerben sind deren ehelichen Abkömmlinge stammesweise zu gleichen Teilen“.
2. Diese Erbeinsetzungen sind nicht nach § 7 des Erbvertrages entfallen, wonach ein Abkömmling der Eheleute „mit seinem gesamten Stamm von allen … Zuwendungen ausgeschlossen und auf den Pflichtteil beschränkt sein“ soll, wenn er „aus dem Nachlaß des betreffenden Elternteils seinen Pflichtteil verlang(t)“. Ein solches Pflichtteilsverlangen ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
3. Der Ehemann der Erblasserin verstarb am 20. Juli 1982.
4. Auf diese Erbeinsetzung hat die Beteiligte zu 3 mit notariellem Vertrag vom 16. September 2019 gegenüber der Erblasserin wirksam verzichtet.
a) Nach § 2352 Satz 1, 2 BGB kann derjenige, der „durch (Erbvertrag) als Erbe eingesetzt oder mit einem Vermächtnis bedacht ist, … durch Vertrag mit dem Erblasser auf die Zuwendungen verzichten“.
Der Erbvertrag, den die Erblasserin mit dem Vater der Beteiligten zu 3 geschlossen hat, enthält die Zuwendung der Erblasserin an die Beteiligte zu 3, sie als Alleinerbin für den eingetretenen Fall einzusetzen, dass der Vater der Beteiligten zu 3 vorverstirbt.
b) § 3 des notariellen Vertrages vom 16. September 2019 enthält in wenigen, einfachen und für alle Beteiligten klar verständlichen Worten die Erklärung, dass die Beteiligte zu 3 nach dem „Erbvertrag … vom 23. Juni 1970 … Alleinerbin nach der (Erblasserin) werden würde (; diese) … jedoch neu über ihren Nachlass verfügen (möchte und die Beteiligte zu 3) hiermit für sich persönlich und für ihre Abkömmlinge auf alle Erbansprüche beim Tode“ der Erblasserin „verzichtet“.
Die Erklärung bringt klar und deutlich zum Ausdruck, dass die Beteiligte zu 3 „als Gegenleistung für die heutige Zuwendung und den Verzicht auf den Nießbrauch“ „auf alle Erbansprüche beim Tode der Erblasserin“ „verzichtet“.
c) Die umfangreichen Schriftsätze der Beteiligten zu 3 enthalten nichts für die Feststellung, dass sie bei Abschluss des Vertrages über dessen Inhalt im Unklaren war und die behaupteten Belehrungs- oder Beurkundungsmängel für den Abschluss des Vertrages ursächlich geworden sind.
Sinn und Zweck der Regelung in § 3 sind eindeutig.
Die Beteiligte zu 3, die nicht wissen konnte, ob sie die Erblasserin überlebt, wollte mit dem notariellen Vertrag die Erbauseinandersetzung für den Nachlass ihres Vaters herbeiführen, damit sie das Grundstück für sich nutzen oder verwerten kann. Durch den notariellen Vertrag verschaffte sich die Beteiligte zu 3 die Möglichkeit, noch zu ihren Lebzeiten über den Nachlass ihres Vaters verfügen zu können. Eine Unkenntnis oder ein Irrtum der Beteiligten zu 3 über den Wert des sonstigen Vermögens der Erblasserin war insoweit unerheblich.
d) Der Wirksamkeit des Verzichts steht nicht entgegen, dass der Notar die Vertragsüberschrift „Erbauseinandersetzung mit Erbverzicht“ gewählt hat. § 3 des Vertrages enthält nicht den Begriff „Erbverzicht“, sondern die Begriffe „Verzicht“ und „verzichtet“. Der Oberbegriff Verzicht gilt nicht nur für einen Erbverzicht im engeren Sinne des § 2346 BGB, sondern auch für einen Zuwendungsverzicht im Sinne des § 2352 BGB.
e) Dieser Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3 hat zur Folge, dass ihr die Erbschaft nicht angefallen ist.
Er entkleidet als abstraktes Verfügungsgeschäft die betreffende Verfügung von Todes wegen im Umfang des Verzichts ihrer Wirkung, hebt sie aber nicht auf. Der Anfall der Zuwendung unterbleibt, wie wenn der Bedachte den Erbfall nicht erlebt hätte (Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2352 Rn. 4).
5. Mit dem Eintritt des Erbfalls am 24. Februar 2021 ist die Erbschaft der Beteiligten zu 4 angefallen, weil die Beteiligte zu 3 aufgrund ihres Verzichts als Erbe weggefallen ist (siehe oben) und für einen solchen Wegfall die Erblasserin und der Vater der Beteiligten zu 3 im Erbvertrag vom 23. Juli 1970 angeordnet haben, dass „Ersatzerben … deren ehelichen Abkömmlinge stammesweise zu gleichen Teilen“ sind, hier allein die Beteiligte zu 4, das einzige Kind der Beteiligten zu 3, das aus der Ehe mit dem Dipl.-Ing. H. S. stammt (Bl. 12 d. A.).
6. Der Zuwendungsverzicht der Beteiligten zu 3 aus dem notariellen Vertrag vom 16. September 2019 erstreckt sich nicht auf die Beteiligte zu 4, die an dem notariellen Vertrag nicht beteiligt war.
Zwar enthält § 3 des notariellen Vertrages vom 16. September 2019 die Erklärung der Beteiligten zu 3, „für sich persönlich und für ihre Abkömmlinge auf alle Erbansprüche“ beim Tod der Erblasserin zu verzichten.
Doch hat diese Erklärung nicht zur Folge, dass die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 4 entfällt. Denn § 2352 Satz 3 BGB bestimmt nur, „die Vorschriften der §§ 2347 bis 2349 (BGB) finden Anwendung“.
a) Die Voraussetzungen des § 2349 BGB liegen nicht vor.
Diese Vorschrift lautet:
„Verzichtet ein Abkömmling oder ein Seitenverwandter des Erblassers auf das gesetzliche Erbrecht, so erstreckt sich die Wirkung des Verzichts auf seine Abkömmlinge, sofern nicht ein anderes bestimmt wird.“
Die Beteiligte zu 3 ist aber weder ein „Abkömmling“ noch ein „Seitenverwandter“ der Erblasserin, sondern nur deren Stieftochter. Auf die Stiefkinder eines Erblassers findet § 2349 BGB keine direkte Anwendung.
b) Im vorliegenden Fall kommt keine entsprechende Anwendung des § 2349 BGB auf die Beteiligte zu 4 als Abkömmling der „Stieftochter“ in Betracht.
Bei der Frage, auf wen sich ein Zuwendungsverzicht erstreckt, sind mindestens drei Fälle zu unterscheiden:
1. Der Verzichtende ist mit dem Erblasser, mit dem er den Zuwendungsverzichtsvertrag schließt, im Sinne des § 2349 BGB verwandt („Abkömmling oder ein Seitenverwandter des Erblassers“). Dann findet § 2349 BGB auf den Zuwendungsverzichtsvertrag unmittelbare Anwendung.
2. Der Verzichtende ist nicht mit dem Erblasser, sondern mit demjenigen, der die erbvertragliche Bindung herbeigeführt hat (beim gemeinschaftlichen Testament der vorverstorbene Ehegatte oder beim Erbvertrag die vorverstorbene Erbvertragspartei, die mit dem Erblasser bindende letztwillige Verfügungen getroffen hat) als „Abkömmling“ oder „Seitenverwandter“ verwandt (z. B. ein Kind aus erster Ehe des Vorverstorbenen).
3. Für den Verzichtenden besteht keine Verwandtschaft nach Nr. 1 oder 2 (z. B. das Patenkind des vorverstorbenen Erblassers).
Für die Fallgruppe Nr. 3 ist unstreitig, dass § 2349 BGB keine entsprechende Anwendung findet (Staudinger/Schotten, BGB, Neubearbeitung 2022, § 2352 Rn. 76 m. w. N., zitiert nach juris).
Für die Fallgruppe Nr. 2 wird eine analoge Anwendung teilweise für zulässig gehalten (Staudinger/Schotten a. a. O. und Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Auflage 2023, § 2352 Rn. 5 m. w. N.).
Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 2349 BGB auf die Fallgruppe Nr. 2 liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor.
aa) Für die Analogie gelten folgende Grundsätze:
Sie ist die Übertragung der für einzelne bestimmte Tatbestände im Gesetz vorgesehene Regel auf einen anderen, aber rechtsähnlichen Tatbestand, von dem angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber bei einer Interessenabwägung nach den Grundsätzen, von denen er sich bei Erlass der herangezogenen Norm hat leiten lassen, zum gleichen Abwägungsergebnis gekommen wäre (BGH, NJW 2021, 1942). Sie überschreitet die Grenze des möglichen Wortsinnes, die für die eigentliche, auch die extensive Auslegung eine Schranke darstellt und setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält (BGHZ 149, 165, 174). Bei der Einzelanalogie wird die Rechtsfolge einer Norm auf einen vergleichbaren Fall übertragen. Bei der Rechtsanalogie wird aus mehreren Rechtssätzen ein übergeordnetes Prinzip herausgearbeitet und sodann auf ähnliche gelagerte Fälle angewendet (Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023 Einleitung vor § 1 Rn. 48 m. w. N.).
Eine Lücke im Gesetz liegt nicht schon vor, wenn es für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält. Sie ist nur bei einer planwidrigen Unvollständigkeit gegeben. Dabei muss der dem Gesetz zugrundeliegende Regelungsplan im Wege historischer und teleologischer Auslegung ermittelt werden. Die Regelungslücke kann von Anfang an bestanden haben. Hier sind zwei Unterarten zu unterscheiden, die bewusste und die unbewusste Regelungslücke. Die erste liegt vor, wenn der Gesetzgeber eine Frage offengelassen hat, um sie der Entscheidung durch Rechtsprechung und Lehre zu überlassen, die zweite, wenn der Gesetzgeber ein regelungsbedürftiges Problem übersehen oder nicht entsprechend den Vorgaben ranghöheren Rechts geregelt hat. Eine nachträgliche Lücke kann durch wirtschaftliche oder technische Änderungen entstehen. Sie kann auch dann zu bejahen sein, wenn das Recht zwar formell eine Regelung enthält, diese aber wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse offensichtlich nicht sachgerecht ist. Die Feststellung einer Lücke ist danach ein wertender Vorgang. Die Ausfüllung der Regelungslücke muss entsprechend den allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen in möglichst enger Anlehnung an das geltende Recht vorgenommen werden. Sie geschieht in der Regel durch Analogie (Grüneberg, a. a. O., Rn. 55 f. m. w. N.).
bb) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze gilt für den vorliegenden Fall:
Zu § 2352 BGB heißt es im „Gesetzentwurf der Bundesregierung“ (Bundesdrucksache 16/8954 vom 24.04.2008):
„Zu Nummer 31 (§ 2352 BGB)
Nach § 2352 BGB kann ein Verzicht auch für Zuwendungen, die auf einer Verfügung von Todes wegen beruhen, vereinbart werden. Ein solcher Zuwendungsverzicht erstreckt sich – im Gegensatz zu einem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht nach § 2346 BGB – nicht auf Abkömmlinge des Verzichtenden.
In der Praxis kann aber der Erblasser bei Erbeinsetzungen oder Vermächtnissen, die in einem gemeinschaftlichen Testament oder Erbvertrag bindend angeordnet wurden, das Bedürfnis haben, sich davon wieder zu lösen, weil er z. B. den Erben oder Vermächtnisnehmer bereits zu Lebzeiten durch eine Zuwendung abfinden will. Der Erblasser kann hier einen Zuwendungsverzicht mit dem Begünstigten vereinbaren. Dabei ist regelmäßig gewollt, dass sich dieser Zuwendungsverzicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Andernfalls kann dies zu ungerechten Ergebnissen führen, insbesondere wenn der Erbe für seinen Verzicht vollständig abgefunden wird und danach seine Abkömmlinge an seiner Stelle erben (Doppelbegünstigung des Stammes des Verzichtenden).
Daher hat die Rechtsprechung durch einen Rückgriff auf die allgemeinen Vermutungsregeln die Möglichkeit geschaffen, eine solche Doppelbegünstigung des Stammes zu vermeiden, indem der Zuwendungsverzicht unter bestimmten Voraussetzungen doch wieder auf Abkömmlinge erstreckt wird:
Ist der Verzichtende für seinen Verzicht vollständig abgefunden worden und hat der Erblasser keinen Ersatzerben ausdrücklich eingesetzt, kämen also die Abkömmlinge des Verzichtenden aufgrund der Auslegungsregel des § 2069 BGB zum Zuge; so besteht nach Ansicht der Rechtsprechung eine Vermutung dahingehend, dass die Abkömmlinge von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollen (ausführlich dazu Schotten in Staudinger, 1997, § 2352 Rn. 31 ff.).
Dem bestehenden praktischen Bedürfnis, den Zuwendungsverzicht auch auf die Abkömmlinge zu erstrecken, soll künftig durch eine ausdrückliche Regelung entsprochen werden. Die Verweisung in § 2352 BGB-E wird auf § 2349 BGB erweitert. Damit wird vermutet, dass sich der Zuwendungsverzicht künftig auf die Abkömmlinge erstreckt, unabhängig davon, ob der Verzichtende für seinen Verzicht abgefunden wird oder nicht. Will der Erblasser diese Folge ausschließen, muss er künftig ausdrücklich bestimmen, dass diese vermutete Erstreckung nicht gilt.
Die vorgeschlagene Reglung stärkt die Testierfreiheit des Erblassers.“
Zum Gesetzgebungsverfahren gilt ferner:
„In der Gesetzesbegründung und bei den Beratungen zur Erbrechtsreform 2010 wurde – soweit ersichtlich – das Problem nicht thematisiert; auch in der Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss wurde § 2349 BGB nur am Rande erwähnt … Selbst wenn die Frage im Rechtsausschuss erörtert worden sein sollte …, dürfte der Gesetzgeber die Vielschichtigkeit der Probleme, die bei der Anwendung des allein auf die gesetzliche Erbfolge zugeschnittenen § 2349 BGB im Rahmen der gewillkürten Erbfolge entstehen, kaum in ausreichender Weise im Blick gehabt haben; anderenfalls hätte er bemerken müssen, dass die gesetzliche Neuregelung bei einer streng am Wortlaut ausgerichteten engen Auslegung in viel zu vielen Fällen ihren Zweck, nämlich dem Zuwendungsverzicht endlich zu einem geeigneten Mittel der Rechtsgestaltung zu machen, verfehlt hätte.“ (Staudinger/Schotten a. a. O., § 2352 Rn. 76 m. w. N.).
Die für die Analogie angeführten Gründe überzeugen den Senat nicht.
Die Annahme, ein sachlicher Grund, warum sich der Zuwendungsverzicht nur bei Verwandten des Erblassers und nicht auch bei Verwandten des meist vorverstorbenen Ehegatten auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstrecken soll, sei nicht ersichtlich (Staudinger/Schotten, a. a. O., Rn. 75), ist nicht tragfähig, weil die Gründe für die erbvertragliche Bindung und die ausdrücklich erfolgte Ersatzerbenanordnung auch aus Sicht des Vorverstorbenen zu beurteilen ist, der an der Vereinbarung der erbvertraglichen Bindung beteiligt war.
Das weitere Argument, eine Differenzierung hinsichtlich der Person des Verzichtenden zwischen eigenen Verwandten einerseits und den Verwandten des meist vorverstorbenen Ehegatten bzw. eingetragenen Lebenspartners des Erblassers oder sonstiger Personen andererseits hätte zur Folge, dass der Zweck der gesetzlichen Regelung, den Zuwendungsverzicht zu einem geeigneten Mittel der Rechtsgestaltung zu machen, zu einem wesentlichen Teil verfehlt würde, insbesondere würden Regelungen bei der immer öfter anzutreffenden Patchworkfamilie erschwert oder sogar unmöglich gemacht (Staudinger/Schotten a. a. O.), überzeugt nicht, weil der Wille des Vorverstorbenen übergangen wird, der den Erblasserwillen durch wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament oder durch Erbvertrag gebunden hat. Bei der „Vielschichtigkeit der Probleme“ ist eine Entscheidung des Gesetzgebers erforderlich, die nicht vorliegt. Obwohl offensichtlich war, dass für die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit sich ein Zuwendungsverzicht auf Abkömmlinge des Verzichtenden erstrecken soll, zwischen dem Verzicht auf das gesetzliche Erbrecht im Sinne der §§ 2346, 2349 BGB und einem Zuwendungsverzicht nach § 2352 BGB erhebliche Unterschiede bestehen, hat der Gesetzgeber nur für die Fallgruppe Nr. 1 eine Entscheidung dahin getroffen, dass allein auf den Willen des noch lebenden Erblassers abzustellen ist. Das kann gerechtfertigt sein, weil es sich um seine eigenen Abkömmlinge oder Seitenverwandten handelt und hier eher die Annahme gerechtfertigt ist, dass der vorverstorbene Ehegatte dem überlebenden Ehegatten freie Hand lassen wollte.
Für die Fallgruppen zu Nrn. 2 und 3 hat der Gesetzgeber keine Entscheidung getroffen. Insoweit enthält das Gesetz nicht die vom Amtsgericht angenommene „Systematik“, ob und wenn ja in welcher Weise insbesondere der Wille desjenigen zu berücksichtigen ist, der die erbvertragliche Bindung mit herbeigeführt hat und vorverstorben ist.
Zum einen beschränkt sich § 2352 Satz 3 BGB darauf, § 2349 BGB für anwendbar zu erklären, ohne anzuordnen, dass die Vorschrift entsprechende Anwendung findet. Es war offensichtlich, dass diese Verweisung keine Personen erfasst, die nicht mit dem Erblasser, hier der Erblasserin, verwandt sind. Das können Stiefkinder oder Dritte sein (z. B. das Patenkind des vorverstorbenen Ehegatten als Ersatzerbe).
Bei Stiefkindern ist keine analoge Anwendung gerechtfertigt, weil nicht nur auf den Willen der Parteien des Zuwendungsverzichtsvertrages, sondern auch auf denjenigen der vorverstorbenen Partei des Erbvertrages abzustellen ist, die mit dem Erbvertrag eine erbvertragliche Bindung für Personen herbeigeführt hat, die nicht mit der anderen Partei des Erbvertrages verwandt sind, sondern nur mit ihr.
7. Im Übrigen spricht für die Entscheidung des Senats folgende ergänzende Auslegung.
a) Zum einen hat der Senatsbeschluss keine „Doppelbegünstigung des Stammes des Verzichtenden“ zur Folge. Die Beteiligte zu 3 ist nicht „vollständig“ oder „vollwertig“ abgefunden worden (vgl. zu einer ergänzenden Auslegung des Erblasserwillens für den Fall, dass eine analoge Anwendung des § 2349 BGB nicht erfolgt: Staudinger/Schotten, a. a. O., § 2352 Rn. 77 m. w. N.).
b) Zum anderen wird für den Fall der entsprechenden Anwendung des § 2349 BGB die Ansicht vertreten, es gebiete die Testierfreiheit des Erblassers, dass dieser die Erstreckungswirkung in der Verfügung von Todes wegen, auf der die Zuwendung beruht, als anderweitige Bestimmung im Sinne des § 2349 BGB („sofern nicht ein anderes bestimmt wird“) ausschließen kann, was durch ggfls. ergänzende Auslegung festzustellen ist (so Grüneberg/Weidlich, a. a. O., § 2352 Rn. 5, a. A. Staudinger/Schotten, a. a. O., Rn. 70 und 74).
c) Die nach diesen beiden Meinungen erforderliche ergänzende Auslegung ergibt, dass die Erblasserin und ihr Ehemann die Erstreckungswirkung des Zuwendungsverzichts auf die Beteiligte zu 4 ausgeschlossen hätten, wenn sie bei Abschluss des Erbvertrages den eingetretenen Fall bedacht hätten, dass die im Zuwendungsverzichtsvertrag vereinbarte Abfindung sich nur auf die Vermögenswerte bezieht, die aus dem Nachlass des Ehemanns stammen, aber nicht auf das sonstige Vermögen der Erblasserin. Denn der Ehemann der Erblasserin hat das Erbrecht seiner Tochter, der Beteiligten zu 3, durch den Nießbrauch zugunsten der Erblasserin an dem o. g. Grundstück und durch die Pflichtteilsklausel (§ 7 des Erbvertrages) erheblich eingeschränkt und als Ausgleich dafür vorgesehen, dass beide Eheleute („jeder von uns“) die Beteiligte zu 3 als alleinige Schlusserbin einsetzen, was in der Abfindungsvereinbarung keine ausreichende Berücksichtigung gefunden hat. Nach dem Willen des Ehemannes der Erblasserin sollten seine Enkel erben, wenn die Beteiligte zu 3 vor Eintritt des Erbfalls wegfällt. Diese ausdrückliche und nicht auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbfolge sollte nicht dadurch umgangen werden, dass die Beteiligte zu 3 eine Abfindung erhält, die sich auf die Vermögenswerte beschränkt, die aus dem Nachlass des Ehemanns der Erblasserin stammen, sondern sollte das Vermögen der Erblasserin insgesamt umfassen, soweit keine Vermächtnisanordnung eingreift.
Die vereinbarte Abfindung war als Gegenleistung nicht angemessen, weil unstreitig ist, dass das Vermögen der Erblasserin mehr als 900.000 € betrug.
Der erbrechtliche Stamm der Beteiligten zu 3 wird nicht doppelt begünstigt, weil die Beteiligte zu 3 ohne Verzichtsvertrag beim Schlusserbfall sowohl die darin vereinbarte Abfindung als auch das restliche Vermögen der Erblasserin als Alleinerbin erhalten hätte.
8. Die Anordnung aus dem notariellen Testament der Erblasserin vom 25. Oktober 2019, sämtliche früheren Verfügungen von Todes wegen zu widerrufen und die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben zu je 1/2 einzusetzen, ist nach § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Nach dieser Vorschrift ist „eine spätere Verfügung von Todes wegen unwirksam“, „soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würde.“
Wie bereits ausgeführt ist, ist die Beteiligte zu 4 durch den Erbvertrag vom 23. Juni 1970 vertragsmäßig als Ersatzerbin bedacht worden, sodass die Erblasserin diese Erbeinsetzung der Beteiligten zu 4 nicht mehr einseitig widerrufen konnte und die abweichende Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 das Erbrecht der Beteiligten zu 4 beeinträchtigen würde, weil sie dann den Nachlass der Erblasserin nicht vollständig erhielte.
III.
Eine Kostenentscheidung war entbehrlich.
Für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren fallen keine Gerichtsgebühren an.
Es war nicht anzuordnen, dass die Beteiligten zu 1 und 2 als Beschwerdegegner der Beteiligten zu 3 als Beschwerdeführerin die zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen Kosten erstattet. Eine solche Anordnung entspräche weder billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 FamFG) noch liegen die Voraussetzung für eine Kostenentscheidung nach § 81 Abs. 2 FamFG vor. Die Entscheidung hing von einer schwierigen Auslegung der notariell beurkundeten Erklärungen vom 23. Juni 1970 und 16. September 2019 ab.
Der Beschwerdewert wurde gem. § 36 Abs. 1, § 61 Abs. 1 Satz 1 GNotKG auf 615.333,33 € festgesetzt (= 2/3 von 923.000 €). Das Interesse der Beteiligten zu 3 war darauf gerichtet, am Nachlass der Erblasserin als Alleinerbin beteiligt zu werden. Dessen Wert hat die Beteiligte zu 1 mit 923.000 € angegeben (Bl. 2 d. A.). Ein Drittel war wegen der eingeschränkten Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) abzuziehen.