OLG München – Az.: 31 Wx 459/14 – Beschluss vom 23.02.2015
Der Beschluss des Amtsgericht München vom 09.09.2014 wird aufgehoben und der Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1) vom 14.04.2014 zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Erblasserin, die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin einzusetzen.
Die am 14.02.2014 verstorbene Erblasserin hatte am 25.09.1984 mit ihrem am 10.12.1986 vorverstorbenen Ehemann folgendes gemeinschaftliches Testament errichtet:
1. Wir, die Eheleute … u. …, setzen uns gegenseitig als Erben auf das ganze Vermögen ein.
2. Nach dem Tod des Erstversterbenden fällt das gesamte Vermögen an den verbleibenden Ehegatten. Dieser ist zur unbeschränkten Verfügung über das Vermögen berechtigt.
3. Die Kinder sollen den Pflichtteilsanspruch nach dem Erstversterbenden nicht geltend machen. Sollte eines der Kinder seinen Pflichtteil dennoch verlangen, soll es auch nach dem Tode des Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten.
4. Die drei Kinder haben im Verhältnis unter sich die ihnen bei Lebzeiten von uns beiden und vom Letztversterbenden gemachten unentgeltlichen Zuwendungen zur Ausgleichung zu bringen. Jedes unserer Kinder soll gleich behandelt werden.
5. Sollte der Letztversterbende vorher wieder heiraten, dann sollen die drei Kinder …, … u. … zusammen 1/3 jeder also 1/6, des gesamten vorhandenen Vermögens als Vermächtnis erhalten.
Die Vermächtnisse sollen in angemessener Zeit ausgezahlt werden. Sollte die Auszahlung nicht aus Barmitteln erfolgen, sondern ein Verkauf bebauter oder unbebauter Grundstücke nötig sein, dann haben die Vermächtnisnehmer keinen Anspruch darauf, dass die Auszahlung auch bei schlechter Grundstücksmarktlage erfolgt.
Im übrigen tritt bei einer Wiederverheiratung bezüglich des 2/3- (Rest-)Vermögens die gesetzliche Erbfolge sein.
Ferner liegt ein handschriftliches Testament der Erblasserin vom 29.06.2013 vor, in dem sie die Beteiligte zu 1) zur „Alleinerbin meines gesamten Vermögens“ bestimmte und die Beteiligten zu 2) und 3) auf den Pflichtteil setzte. Ferner heißt es: „Sofern meine Söhne … vor dem Erbfall auf ihren Pflichtanteil an der Immobilie …, …weg 22 a, verzichtet haben (notariell beglaubigt), erhöht sich ihr Pflichtteil und sie haben Anspruch auf jeweils den hälftigen Anteil an der Immobilie …weg 22 a.“
Die Beteiligte zu 1) hat unter dem 14.04.2014 beim Amtsgericht die Erteilung eines Alleinerbscheins beantragt. Dem sind die Beteiligten zu 2) und 3) u.a. deshalb entgegengetreten, weil die Erblasserin durch das gemeinschaftliche Testament vom 25.09.1984 gebunden gewesen sei. Die Beteiligte zu 1) hat darauf verwiesen, dass die Erblasserin in keiner Weise aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments gebunden gewesen sei. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 09.09.2014 festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Alleinerbscheins für die Beteiligte zu 1) vorlägen. Das Testament aus dem Jahr 1984 enthalte für den zweiten Sterbefall lediglich eine Pflichtteilsstrafklausel und keine weiteren Verfügungen.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3), die der Auffassung sind, dass die Erblasserin wegen des in dem gemeinschaftlichen Testament vom 25.09.1984 niedergelegten Willens der Ehegatten zur gleichen Behandlung der Kinder nicht mehr widersprechend habe verfügen können. Der Senat hat mit Eingang der Akte darauf hingewiesen, dass er davon ausgeht, dass alle Beteiligten durch das gemeinschaftliche Testament vom 25.09.1984 – bindend – als Schlusserben zu gleichen Teilen eingesetzt worden sind. Dem hat die Beteiligte zu 1) widersprochen und darauf verwiesen, dass sich in dem gemeinschaftlichen Testament keine Schlusserbeneinsetzung fände. Jedenfalls im vorliegenden Fall sei die Pflichtteilsstrafklausel nicht entsprechend zu interpretieren. Insoweit treffe die Feststellungslast die Beteiligten zu 2) und 3). Auch aus der Wiederverheiratungsklausel gemäß Ziffer 5. des gemeinschaftlichen Testaments ergäbe sich keine Schlusserbeinsetzung. Vielmehr seien die Eheleute davon ausgegangen, dass ggf. die gesetzliche Erbfolge eingreife. Außerdem sei eine eventuelle Schlusserbeneinsetzung jedenfalls nicht wechselbezüglich, zumal in dem gemeinschaftlichen Testament eine Abänderungsklausel enthalten sei.
II.
Die Beschwerde hat Erfolg, weil die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments vom 25.09.1984 ergibt, dass die Eheleute – wechselbezüglich – die Beteiligten zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt haben.
1. Im vorliegenden Fall kann der Beteiligten zu 1) darin beigetreten werden, dass allein in der Pflichtteilsstrafklausel gemäß Ziffer 3. des gemeinschaftlichen Testaments keine Schlusserbeinsetzung zu erblicken ist. Denn mit einer Verwirkungsklausel möchten Ehegatten ihre Kinder im Grundsatz lediglich enterben, dagegen ist die Annahme, dass die Kinder als Schlusserben bedacht seien sollen, nur ausnahmsweise gerechtfertigt (vgl. Reymann, MittBayNot 2011, 411<412> in Anmerkung zu OLG Frankfurt mit BayNot 2012, 409 und OLG Saarbrücken NJW-RR 1992, 841; siehe auch OLG Düsseldorf NJW-RR 2014, 837 unter II .2. b. aa. (b)).
2. Es ist allerdings im Wege der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments festzustellen, dass die Eheleute ihre Kinder als Schlusserben zu gleichen Teilen vorgesehen haben, auch wenn dies im Testament nicht unmittelbar ausgedrückt ist. Dennoch können alle Beteiligten als die gemeinsamen Kinder der Ehegatten nach deren Willen in dem gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben bestimmt sein, sofern infolge Auslegung nach den Grundsätzen im Sinne der §§ 133, 157 BGB ein entsprechender Wille festgestellt werden kann (vgl. etwa Palandt/Weidlich BGB 74. Auflage <2015> § 2269 Rn. 5). Maßgebend ist der Wille beider Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Diesem kommt auch im Falle eines auf einen anderen Sinn hindeutenden Wortlauts der Vorrang zu, so dass der Auslegung durch diesen keine Grenzen gesetzt sind. Insbesondere dann, wenn gemeinsame Kinder vorhanden sind, ist nach den allgemeinen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen geltenden Regeln sorgfältig zu prüfen, ob sich der Wille der Ehegatten feststellen lässt, dass das gemeinsame Vermögen nach dem Tode des Längstlebenden an diese fallen soll. Dabei sind auch die unausgesprochenen Prämissen der Erbfolgeanordnung zu berücksichtigen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die letztwillige Verfügung insofern stillschweigend erfolgt, als der Wille des Erblassers hinter anderen Bestimmungen verborgen ist und sich nur aus dem übrigen Testamentsinhalt entnehmen lässt. Häufig erscheint einem Erblasser gerade das aus rechtlicher Sicht Wichtige als so selbstverständlich, dass er es neben seinen einzelnen Sonderanordnungen nicht ausdrücklich festhält. Diese auf den – wahren – Willen des Erblassers gerichtete Testamentsauslegung ist nur dadurch begrenzt, dass der Wille des Erblassers im Testament irgendwie Ausdruck gefunden haben muss (Senat, NJW-RR 2013, 202, Gründe unter 1.a) m. w. N.).
Demgemäß kann hinter der Anordnung der Enterbung für den Fall der Geltendmachung des Pflichtteils und der gleichen Behandlung der gemeinsamen Kinder auch eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 – 3 verborgen sein, sofern sie nicht den Pflichtteil verlangen. Dem Ausschluss der den Pflichtteil fordernden Kinder von der Beerbung des längstlebenden Ehegatten muss nicht der Wille zugrunde liegen, dass für die Kinder, auch wenn sie den Pflichtteil nicht verlangen, nur eine vom freien Willen des längstlebenden Ehegatten abhängige Möglichkeit besteht, dessen Erbe zu werden. Es kann im Gegenteil auch Wille der testierenden Eheleute gewesen sein, den gemeinschaftlichen Kindern, wenn sie sich der von den Eltern beim Tode des Erstversterbenden gewollten Regelung fügen, eine erbrechtliche Stellung einzuräumen. Dass beim Vorhandensein eines solchen Willens eine Erbenstellung der Abkömmlinge nicht ausdrücklich bestimmt worden ist, kann auch darauf beruhen, dass die testierenden Eheleute eine solche als selbstverständlich angesehen haben (BayObLG 1959,199/204; BayObLG 1960, 216/219).
a) Hier ergibt sich der Schluss auf die Einräumung einer – gleichen – Erbenstellung für alle gemeinsamen Kinder aus Textziffer 4. des gemeinschaftlichen Testaments. Dort ist einerseits angeordnet, dass die Kinder bei Eintritt des Schlusserbfalls die ihnen zu Lebzeiten gemachten Zuwendungen untereinander zum Ausgleich zu bringen hätten und dann heißt es: „Jedes unserer Kinder soll gleich behandelt werden.“ Betrachtet man diese Anordnung im Gesamtzusammenhang des Testaments, wird deutlich, dass die Eheleute Wert darauf legten, jedes ihrer Kinder gleich zu behandeln und zwar dergestalt, dass einerseits die diesen zu Lebzeiten gemachten Zuwendungen zum Ausgleich untereinander zu bringen seien und andererseits die Kinder im Schlusserbfall – zwingend – gleich bedacht werden sollten.
b) Der Einwand der Beteiligten zu 1), dass die Ausgleichsklausel in Satz 1 von Ziffer 4. des gemeinschaftlichen Testaments für den Fall der bindenden Schlusserbeinsetzung keinen Sinn mache, weil es wegen § 2050 BGB nur im Falle der gesetzlichen Erbfolge zu einem Ausgleich komme, greift nicht durch. Denn sie übersieht, dass auch für den Fall, dass die Eheleute von der Schlusserfolge ihrer Kinder zu gleichen Teilen ausgegangen wären, im Zweifel über § 2052 BGB die Ausgleichungspflicht nach § 2050 BGB gegolten hätte.
c) Insgesamt kommt aus der Formulierung des Testaments, insbesondere aus Satz 2 von Textziffer 4. zum Ausdruck, dass die Eheleute ihre Kinder sowohl hinsichtlich der Zuwendungen zu Lebzeiten als auch bei der Schlusserbeinsetzung gleich behandeln wollten, so dass im vorliegenden Fall davon auszugehen ist, dass die Beteiligten zu 1) bis 3) gleichberechtigt als Erben eingesetzt werden sollten. Zwar ergibt sich aus dem Inhalt des Testaments, dass sich die Eheleute hinsichtlich der Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments und der Frage der Erbanordnungen sachkundig gemacht haben. Jedoch bestehen keine Anhaltspunkte für differenzierte juristische Spezialkenntnisse. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass die Eheleute die ausdrücklich angeordnete Gleichbehandlungspflicht ihrer Kinder nicht nur auf die Zuwendungen unter Lebenden, sondern auch auf den Fall bezogen haben, dass die Kinder den Letztversterbenden von ihnen überleben würden. Wenn dann ausdrücklich angeordnet ist „jedes unserer Kinder soll gleich behandelt werden“ legt das den Schluss nahe, dass die Kinder nach dem übereinstimmenden Willen der Testierenden die Schlusserben zu gleichen Teilen sein sollten.
d) Es mag sein, wie die Beteiligte zu 1) ausführen lässt, dass sich aus der Wiederverheiratungsklausel in Textziffer 5, die bereits unter dem Rechenfehler leidet, dass die Eheleute davon ausgingen, dass der dritte Teil eines Drittels ein Sechstel und nicht – wie tatsächlich – ein Neuntel ist, keine Schlusserbeinsetzung ergibt. Aus dieser Anordnung ergibt sich lediglich, dass dem Verfasser des gemeinschaftlichen Testaments bewusst war, dass er die Kinder für den Fall der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten im Wege des Vorausvermächtnisses in den Genuss von Teilen des Nachlasses des vorversterbenden Ehegatten gelangen lassen und hinsichtlich des Restnachlasses die gesetzliche Erbfolge anordnen konnte. Das allerdings lässt keinen Rückschluss darauf zu, ob und welche gemeinschaftlichen Vorstellungen die Ehegatten bezüglich der Schlusserbeinsetzung hatten.
3. Im Übrigen ergibt die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, dass die Schlusserbeinsetzung der gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen wechselbezüglich i. S. v. § 2270 BGB ist. Denn wenn angeordnet ist, dass die Kinder gleich behandelt werden sollen, ergibt sich die ersichtlich gewollte Absicherung dieser Verfügung nur aus dem Umstand, dass diese nur im Benehmen beider Ehegatten abänderbar sein sollte. Dagegen spricht nicht, dass in Textziffer 2. des gemeinschaftlichen Testaments angeordnet ist, dass der überlebende Ehegatte „zur unbeschränkten Verfügung über das Vermögen berechtigt“ sei. Daraus ergibt sich lediglich, dass die Eheleute davon ausgingen, dass der überlebende Ehegatte bis zum Eintritt des Schlusserbfalls frei über das gemeinschaftliche Vermögen verfügen können sollte. Dazu galt allerdings nach Ziffer 4. die Einschränkung, dass die Kinder untereinander etwa überschießende unentgeltliche Zuwendungen des Überlebenden zum Ausgleich bringen sollten und außerdem – im Schlusserbfall – gleich zu behandeln seien. Die Eheleute gingen also davon aus, dass der Überlebende von ihnen einerseits zu Lebzeiten frei verfügen können sollte, andererseits im Erbfall dahin gebunden sein würde, dass die gemeinsamen Kinder zu gleichen Teilen erben sollten. Es mag im Übrigen sein, dass das 1986 verstorbene Ehemann der Erblasserin „sehr dominant“ war, wie die Beteiligte zu 1 behaupten lässt, allerdings vermag der Senat daraus nicht abzuleiten, dass dieser sich für den Fall seines Überlebens gegenüber „seinen drei Kindern“ nicht „binden wollte“.
4. Angesichts des Erfolgs der Beschwerde erübrigt sich eine Kostenentscheidung.