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Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments

KG Berlin – Az.: 6 W 54/18 – Beschluss vom 16.11.2018

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Nachlassgerichts vom 2. Mai 2018 geändert:

Das Nachlassgericht wird angewiesen, den am 11. Mai 2012 erteilten Erbschein zur Geschäftsnummer 61 VI S 144/12 einzuziehen.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Die Beteiligten tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Gründe

I. Der Beteiligte zu 1) ist der eheliche Sohn des Erblassers und der Beteiligten zu 2). Die Eheleute waren bis zum Tod des Erblassers verheiratet. Aus dieser Ehe stammt auch die Tochter T…, die Schwester des Beteiligten zu 1). Er begehrt die Einziehung des vom Amtsgericht Köpenick erteilten Erbscheins vom 11. Mai 2012, der die Beteiligte zu 1) als Alleinerbin des Erblassers ausweist.

Die Eheleute haben am 20. März 1992 ein gemeinschaftliches Testament verfasst, über dessen Auslegung zwischen den Beteiligten Streit besteht.

Der Text des gemeinschaftlichen Testamentes lautet auszugsweise wie folgt:

“Unser letzter Wille

1. Wir, die Eheleute … setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein. Nach dem Tod des Überlebenden setzen wir unsere Kinder, F… und T…, zu Erben ein.

2. Sollte eines unserer Kinder nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, soll es auch nach dem Letztversterbenden nur den Pflichtteil erhalten.

3. Das Grundstück mit Bebauung soll unbedingt unser Sohn F… erhalten.

Bei der Bewertung ist davon auszugehen, daß die Gewächshäuser und der Schuppen ihm zu 50% gehörten.

Berlin, den 20. März 1992 [folgt die Unterschrift G… S… ]

Dieses Testament ist auch mein letzter Wille

Berlin, den 20. März 1992 [folgt die Unterschrift von E… S… ]”

Das gemeinsam von den Eheleuten und dem Beteiligten zu 1) bewohnte Grundstück stand im Miteigentum der Eheleute und stellte deren gesamtes Vermögen dar. Die Tochter T… hatte kein Interesse an dem Hausgrundstück. Im Familienkreis war im Zusammenhang mit der Testamentserrichtung deshalb besprochen worden, dass der Beteiligte zu 1) das Grundstück erhalten sollte, wenn der letzte Elternteil verstorben ist. Er sollte dafür eine Ausgleichszahlung an die Schwester T… leisten. Zugleich wollten sich die Eheleute gegenseitig finanziell absichern, sollte ein Ehepartner versterben.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Eheleute sich gegenseitig zu unbeschränkten Vollerben eingesetzt haben oder ob das Testament im Sinne einer Einsetzung der Beteiligten zu 2) zur Vorerbin auszulegen ist.

Der Beteiligte zu 1) befürchtet, dass das Grundstückseigentum unentgeltlich auf den Sohn der Tochter T… übertragen werden soll (Bl. 59 d. A.) und macht geltend, dass eine unentgeltliche Weitergabe des Grundstücks nichts mit der finanziellen Absicherung des überlebenden Ehepartners zu tun und nicht dem Willen des Erblassers entsprochen habe.

Die Beteiligte zu 2) hat zwei eidesstattliche Versicherungen eingereicht. In ihrer eigenen hat sie erklärt: “Wir waren uns beide einig, daß in erster Linie wir uns gegenseitig als Alleinerbe einsetzen. Vorrangig war uns wichtig, uns gegenseitig abzusichern. Der länger Lebende kann, wenn nötig, entscheiden; wenn die Entscheidung zum Besten ist” (Bl. 42 d. A.). In derjenigen der Tochter T… heißt es: “In gemeinsamen Gesprächen, insbesondere während der Krebserkrankung meines Vaters, wurde mir wiederholt bestätigt, dass meine Eltern sich gegenseitig als Alleinerben einsetzen und das der länger Lebende alle vermögensrechtlichen Entscheidungen treffen darf” (Bl. 43 d. A.).

Das Nachlassgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag auf Einziehung des erteilten Erbscheins zurückgewiesen. Aus dem eindeutigen Wortlaut des Testamentes ergebe sich, dass die Ehegatten sich ohne Einschränkung als Alleinerben einsetzen wollten. Dies werde durch die eidesstattlichen Versicherungen bestätigt und entspreche auch der allgemein üblichen Motivation bei Berliner Testamenten. Der Passus bezüglich des Grundstücks stelle eine Teilungsanordnung dar.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beteiligte zu 1) mit seiner Beschwerde, mit der er weiterhin die Einziehung des Erbscheins begehrt. Zu den Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.

II. Die zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist begründet. Der erteilte Erbschein ist unrichtig und gemäß § 2361 BGB einzuziehen, weil die Beteiligte zu 2) nicht Vollerbin des Erblassers geworden ist. Entsprechend ist das Nachlassgericht anzuweisen.

Die Auslegung des gemeinschaftlichen Testamentes führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass die Beteiligte zu 2) lediglich befreite Vorerbin des Erblassers geworden ist.

1) Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dieser Aufgabe kann der Richter nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt. Es geht dabei nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens des Erblassers, sondern um die Klärung der forensisch im Vordergrund stehenden Frage, was der Erblasser mit seinen Worten habe sagen wollen. Die Erforschung dieses wirklichen Willens des Erblassers (beim gemeinschaftlichen Testament: der Erblasser) ist dem Richter durch § 133 BGB aufgetragen. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt“ werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll (BGH, Urteil vom 28. Januar 1987 – IVa ZR 191/85 -, Rn. 17, juris). Es müssen daher der gesamte Text der Verfügung und auch alle dem Richter zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde ausgewertet werden, die zur Aufdeckung des Erblasserwillens möglicherweise dienlich sind (vgl. BGH, a. a. O.). Hierzu gehören unter anderem die Vermögens- und Familienverhältnisse des Erblassers, seine Beziehungen zu den Bedachten und seine Zielvorstellungen. Auch können weitere Schriftstücke des Erblassers oder die Auffassung der Beteiligten nach dem Erbfall von dem Inhalt des Testaments Anhaltspunkte für den Willen des Erblassers geben. Steht der Erblasserwille fest und ist er formgerecht erklärt, geht er jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor (BGH, Urteil vom 24. Juni 2009 – IV ZR 202/07 -, Rn. 25, juris).

Gerade weil es um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers geht, und weil dieser auch in den seltenen Fällen „klaren und eindeutigen“ Wortlauts den Vorrang vor eben diesem Wortlaut hat, kann der Auslegung daher durch den Wortlaut keine Grenze gesetzt sein. Der Richter ist auch bei einer ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutigen Willenserklärung an den Wortlaut nicht gebunden, wenn – allerdings nur dann – sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BGH, Urteil vom 08. Dezember 1982 – IVa ZR 94/81 -, BGHZ 86, 41-51, Rn. 16, juris, m. w. Nachw.).

Handelt es sich – wie hier – um ein gemeinschaftliches Testament, dann ist bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat (BGHZ 112, 229, 233; BGH, Beschluss. v.10. 12. 14 – IV ZR 31/14 – Rn. 12, juris). Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur aufeinander abgestimmt werden (§ 2270 BGB), sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind. Lässt sich bei der Auslegung der einzelnen Verfügungen eine derartige Übereinstimmung der beiderseitigen Vorstellungen und Absichten nicht feststellen oder lag eine solche nicht vor, dann muss allerdings auf den Willen gerade des Erblassers abgestellt werden, um dessen testamentarische Verfügung es geht. Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Verfügungen der Ehegatten für den jeweils anderen Teil kommt es hierbei jedoch, anders als bei einseitigen Testamenten, nicht allein auf den Willen des betreffenden Testators an, um dessen Verfügung es geht; vielmehr muss gemäß dem hier anzuwendenden § 157 BGB eine Beurteilung aus der Sicht (Empfängerhorizont) des anderen Ehegatten stattfinden: Dieser muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf diejenigen des anderen Teiles einzustellen und umgekehrt (BGH, Urteil vom 07. Oktober 1992 – IV ZR 160/91 -, Rn. 12, juris). Geht es um die Interpretation einer testamentarischen Anordnung des Erstversterbenden, ist der Wille des Zweitversterbenden bei der Testamentserrichtung zu berücksichtigen, für dessen Ermittlung auch das Verhalten des Längstlebenden nach dem Tod seines Ehegatten von Bedeutung ist, soweit es einen entsprechenden Schluss zulässt (BGH, Beschl. v. 10. 12. 14 – IV ZR 31/14 – Rn. 13, juris).

2) Bei Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze lässt sich ein gemeinsamer Wille der Eheleute erkennen, der auf zwei Ziele gerichtet war. Der als Alleinerbe eingesetzte überlebende Ehepartner sollte in seiner Verfügungsbefugnis über das Grundstück weitgehend unbeschränkt sein, soweit es um die eigene finanzielle Absicherung der zukünftigen Lebensgestaltung ging. Der Senat hegt insoweit keine Zweifel an der Richtigkeit der eidesstattlichen Versicherung der Beteiligten zu 2). Denn wenn diese darin bestätigt, dass es “vorrangig” für die Eheleute “wichtig” war, sich gegenseitig abzusichern, und der länger Lebende, wenn nötig, entscheiden kann, bedeutet dies, dass die Beteiligte zu 2) eine rechtliche Position erlangen sollte, bei der sie über das gesamte Eigentum am Grundstück – bestehend aus dem Miteigentumsanteil des Erblassers und ihrem eigenen – verfügen konnte, wenn sie zu ihrer Lebensgestaltung entsprechende finanzielle Mittel benötigte. Aus der eigenen eidesstattlichen Versicherung der Beteiligten zu 2) folgt jedoch auch, dass das Grundstück nur verwertet werden sollte, wenn “die Entscheidung zu seinem Besten ist”. Unter der Prämisse der finanziellen Absicherung des überlebenden Ehepartners spricht dies dafür, dass jedenfalls eine unentgeltliche Übertragung des Eigentums am Grundstück nicht vorgenommen werden sollte. Denn eine unentgeltliche Weggabe des Grundstücks führt zum Verlust der finanziellen Absicherung. Darüber hinaus spricht die Formulierung “unbedingt” in der Nr. 3 des Testamentes dafür, dass die Eheleute bei der Abfassung des Testamentes gemeinsam davon ausgingen, der überlebende Partner werde weiter auf dem Grundstück leben und dieses werde bei unveränderter Situation nach dessen Tod auf den Beteiligten zu 1) übergehen. Es gibt demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute überhaupt nur in Erwägung zogen, dass der überlebende Ehegatte das Eigentum am Grundstück unentgeltlich auf Dritte übertragen würde.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Eheleute zwei Ziele mit ihrem Testament verfolgten. Der überlebende Ehegatte sollte erstens finanziell abgesichert sein. Deshalb sollten den gemeinsamen Kindern Vermögenswerte erst mit dem Tod des überlebenden Ehegatten zufließen. Zur Erreichung dieses Zweckes diente auch die Pflichtteilsstrafklausel. Diese finanzielle Absicherung bedingte, dass der überlebende Ehegatte über das gesamte Eigentum am Grundstück verfügen durfte, um diese finanzielle Absicherung zu verwirklichen. Denn das Grundeigentum stellte den wesentlichen Vermögensgegenstand der Eheleute dar.

Zugleich sollte jedoch zweitens der Zweck erreicht werden, dass der Beteiligte zu 1) das Grundeigentum am gesamten Grundstück erhalten sollte, weil er auf dem Grundstück seinen Lebensmittelpunkt hatte, während die Schwester unstreitig kein Interesse an dem Grundstück hatte. Das Grundstück sollte, wenn der überlebende Ehepartner nicht aus Gründen der Beschaffung finanzieller Mittel das Grundstück veräußern wollte, innerhalb der Familie an den Beteiligten zu 1) weitergegeben werden. Ausgeschlossen werden sollte deshalb erkennbar eine “grundlose” unentgeltliche Übertragung des Grundstücks an einen Dritten, die die Weitergabe an den Beteiligten zu 1) innerhalb der Familie verhindert.

Diesen Zielen widersprach eine Einsetzung der Beteiligten zu 2) als Vollerbin des Erblassers, denn in diesem Fall dürfte sie den ererbten Eigentumsanteil am Grundstück auch unentgeltlich an Dritte übertragen.

Dem übereinstimmenden Willen der Eheleute bei Testamentserrichtung entsprach deshalb die Anordnung einer befreiten Vorerbschaft für den überlebenden Ehegatten. Denn nur auf diese Weise konnten die Ehepartner sicherstellen, dass beide mit der Testamentserrichtung verfolgten Ziele sichergestellt werden konnten, wobei auch der bezweckte Vorrang der finanziellen Absicherung des überlebenden Ehepartners gewährleistet war.

3) Dieser übereinstimmende Wille der Eheleute, wie er durch die eidesstattliche Versicherung der Beteiligten zu 2) geschildert wird, geht einer Auslegung nach dem Wortlaut, der tatsächlich eher für eine Einsetzung des überlebenden Partners zum Vollerben spricht, vor. Die eidesstattliche Versicherung der Schwester des Beteiligten zu 1) steht der eidesstattlichen Versicherung der Beteiligten zu 2) nicht entgegen, denn grundsätzlich sollte der überlebende Ehegatte alle vermögensrechtlichen Entscheidungen betreffend den Nachlass des Erstversterbenden alleine treffen dürfen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Eheleute sich bei der Testamentserrichtung darüber einig waren, dass eine unentgeltliche Übertragung des Grundstückseigentums ausgeschlossen sein sollte.

Die Beteiligte zu 2) ist nur als befreite Vorerbin eingesetzt worden. Nacherben des Erblassers sind der Beteiligte zu 1) und seine Schwester zu gleichen Teilen.

4) Da die Beschwerde begründet ist, gleichwohl die Beteiligten gut vertretbare Gründe für ihre Rechtsauffassung vorweisen können, war es bei der gemäß § 353 Abs. 1 FamFG zu treffenden Kostenentscheidung angemessen, dass die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen.

Für die anwaltlichen Gebühren orientiert sich der Wert am Interesse des Beteiligten zu 1) an der Einziehung des Erbscheins. Dieses Interesse ist mit der Hälfte des Nachlasswertes zu bewerten und auf 45.000,- EUR festzusetzen.

 

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