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Auslegung emeinschaftliches Testaments nichteheliches vor 01.07.1949 geborenes Kind

AG Kiel – Az.: 1 VI 1211/19 – Beschluss vom 16.09.2019

Es wird festgestellt, dass die zur Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheines aufgrund testamentarischer Erbfolge, welcher die Beteiligten zu 1.) und 3.) als Miterben zu je 9/20 und die Beteiligte zu 2.) als Miterbin zu 1/10 ausweist, erforderlichen Tatsachen vorliegen.

Die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses wird ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.

Die Beteiligte zu 2.) trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1.) und 3.) sind die Enkelkinder des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin. Sie sind die Abkömmlinge von seiner vorverstorbenen aus erster Ehe stammenden Tochter R.. Die Beteiligte zu 2.), S., ist die nichteheliche Tochter des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin. Eine weitere Tochter des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin aus erster Ehe namens D. ist ebenfalls kinderlos vorverstorben. Die Erblasserin ist am 01.07.2018 verstorben. Sie hat keine Abkömmlinge hinterlassen. Ihre beiden Geschwister M. und H. sind ebenfalls vorverstorben.

Am 18.06.2019 hat der durch das Gericht ernannte Testamentsvollstrecker einen Erbscheinsantrag nach testamentarischer Erbfolge gestellt, welcher die Beteiligten zu 1.) und 3.) als Miterben zu je 9/20 und die Beteiligte zu 2.) als Miterbin zu 1/10 ausweisen sollte. Er hat dabei an Eides statt versichert, dass von der Erblasserin keine weiteren Verfügungen von Todes wegen hinterlassen wurden.

Die Erblasserin errichtete am 10.01.1979 ein handschriftliches Testament, in welchem sie ihren Ehemann als Erben und als „Nacherben“ ihre beiden Geschwister M. und H. einsetzte.

Am 22.08.1988 errichtete die Erblasserin gemeinsam mit ihrem Ehemann vor dem Notar ein gemeinschaftliches notarielles Testament mit folgendem Inhalt:

I. Wir setzen uns gegenseitig zu befreiten Vorerben ein. Der Nacherbfall tritt ein mit der Wiederverheiratung des Überlebenden. Nacherben sind die Kinder des Ehemannes und die Verwandten der Ehefrau entsprechend den Bestimmungen des Abschnitts II…

II. Erben des zuletzt versterbenden Ehegatten sollen sein einerseits die Kinder des Ehemannes:

D., …., zu 20 %,

R., …, zu 20 %,

S., geb. 09.06.1949, …(nicht-eheliche Tochter), zu 10 %,

insgesamt also zu 50 % des Nachlasswertes.

Die Geschwister der Ehefrau:

M.,…,

H.,..,

untereinander zu gleichen Teilen, zu 50 % des Nachlasses.

III. Sollte einer der vorbezeichneten Erben des Ehemannes den Erbfall nicht erleben, wächst deren Anteil bei D. und R. den Abkömmlingen gleichmäßig zu. Erlebt S. den Erbfall nicht, fällt ihr Anteil den beiden übrigen Kindern des Ehemannes gleichmäßig an.

Sofern eines der Geschwister der Ehefrau, also M. oder H. den Erbfall nicht erleben, fällt dessen Anteil den ehelichen Kindern des Ehemannes zu gleichen Teilen zu.

In Abschnitt IV. ordneten die Erblasser Testamentsvollstreckung an.

Die Beteiligte zu 2.) ist der Ansicht, ihr Erbteil erhöhe sich anteilig um die Erbteile der ebenfalls bedachten und vorverstorbenen Geschwister der Erblasserin sowie der vorverstorbenen Tochter des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin, D., durch Anwachsung.

Die Beteiligten zu 1.) und 3.) sind der Ansicht, der Erbscheinsantrag des Testamentsvollstreckers sei zutreffend.

II.

Das Gericht kann die zur Erteilung eines Erbscheins aufgrund testamentarischer Erbfolge erforderlichen Tatsachen feststellen.

Bei letztwilligen Verfügungen ist grundsätzlich gemäß §§ 133, 157 BGB i.V.m. § 2084 BGB nach Treu und Glauben der wirkliche Wille des Erblassers durch Auslegung zu ermitteln.

Maßgebend ist der Wille des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (Palandt-Weidlich, BGB, 78. Auflage, § 2084 Rn. 2).

Da es sich hier um ein gemeinschaftliches Testament handelt, ist entsprechend der übereinstimmende Wille der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu ermitteln, d.h. „welche Vorstellungen die Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung mit der von ihnen gewählten Formulierung hatten“ (OLG Bamberg, ZEV 2016, 397 ff).

Bei den Erbeinsetzungen unter Ziff. I und II handelt es sich um wechselbezügliche Verfügungen nach § 2270 BGB. Danach handelt es sich um Wechselbezüglichkeit, wenn die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament Verfügungen getroffen haben, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde (Abs. 1). Ein solches Verhältnis der Verfügungen zueinander ist im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahe steht (Abs. 2).

Die Eheleute haben sich wechselseitig zu Erben eingesetzt und nach dem Tode des Längerlebenden zum einen die Töchter des Ehemannes und zum anderen die Geschwister der Ehefrau eingesetzt. Damit haben sie wechselbezüglich testiert.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes galt das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG; in der bis zum 29.05.2009 geltenden Fassung). Nach Art. 12 § 10 Abs. 2 dieses Gesetzes waren gesetzliche Erbansprüche für vor dem 01.07.1949 geborene nichteheliche Kinder und ihrer Abkömmlinge gegen den Kindesvater nicht begründet. Sie wurden auf einen Erbersatzanspruch verwiesen. Die am 09.06.1949 geborene Beteiligte zu 2.) galt demnach als mit dem Erblasser nicht verwandt und war deshalb nicht erbberechtigt.

Die Erbeinsetzung der Erblasser zugunsten der Beteiligten zu 2.) ging also über das hinaus, was gesetzlich vorgesehen war. Den Erblassern war diese Tatsache offensichtlich bekannt, da diese Erbeinsetzung mit dem Klammerzusatz „nicht-eheliche Tochter“ versehen wurde.

Die Erblasser haben für die drei Kinder des Erblassers stets die Formulierung „Kinder“ gewählt. In Abschnitt III. des Testamentes ist im zweiten Absatz ganz deutlich formuliert, dass bei Vorversterben eines der Geschwister der Erblasserin dieser Erbteil den „ehelichen Kinder“ zufallen sollte. Damit waren zweifelsfrei D. und R. gemeint, nicht die Beteiligte zu 2.).

Nach der Auslegungsregel des § 2069 BGB ist im Zweifel anzunehmen, wenn ein Abkömmling, den der Erblasser bedacht hat, nach der Errichtung des Testaments wegfällt, dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. Da sowohl die Geschwister der Erblasserin als auch die beiden ehelichen Kinder des Erblassers vorverstorben sind, treten an deren Stelle die Enkel des Erblassers, die Bet. zu 1.) und 3.). Eine andere Auslegung ist nach Auffassung des Gerichts nicht möglich, da die Erblasser klar formuliert haben, dass die Erbmasse lediglich an die ehelichen Kinder, im Zweifel also auch an deren Abkömmlinge, gehen soll.

Im ersten Absatz des Abschnittes III. wird ganz deutlich in der Formulierung zwischen „Abkömmlingen“ und „Kindern“ unterschieden. Mit „Kinder“ sind die in Abschnitt II. genannten Kinder des Erblassers gemeint, mit „Abkömmlingen“ demnach die Abkömmlinge dieser Kinder, und zwar explizit die Abkömmlinge der ehelichen Kinder, was sich aus der Formulierung “ …wächst deren Anteil bei D. und R. den Abkömmlingen gleichmäßig zu.“. Da D. keine Abkömmlinge hinterlassen hat, fallen auch diese Erbteile den Bet. zu 1.) und 3.) zu.

Im Übrigen findet die Auslegungsregel des § 2069 BGB nur auf Abkömmlinge Anwendung, die Beteiligte zu 2.) war nach den bisherigen Ausführungen zum Zeitpunkt der Errichtung des Testamentes kein Abkömmling und ihr stand kein gesetzliches Erbrecht zu, so dass eine entsprechende Auslegung auch vor diesem Hintergrund nicht in Betracht kommt.

Danach ist der Erbschein wie tenoriert zu erteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

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