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Klage auf Pflichtteilsergänzung – Streitwert von Klage und Widerklage

Ein Familienstreit um das Erbe führt zum Streitwert

In einem komplexen Erbfall, der in die gerichtliche Auseinandersetzung eskalierte, setzte das Oberlandesgericht Braunschweig den Streitwert auf 22.000 Euro fest. Die Ausgangslage betraf eine testamentarische Alleinerbin, die Witwe des Verstorbenen, und ihren Sohn, der einen höheren Pflichtteilsanspruch forderte. Im Kern des Disputs standen der Wert verschiedener Nachlassgegenstände und die Frage der Pflichtteilsergänzung infolge einer möglichen Schenkung.

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Kampf ums Erbe: Pflichtteil und Ergänzungsforderungen

Im Mittelpunkt des Falles stand die Berechnung des Pflichtteils und der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung. Der Sohn forderte Informationen über den Wert mehrerer Nachlassgegenstände, darunter eine Modellbausammlung, und Zahlung eines ergänzenden Pflichtteils aufgrund einer früheren Grundstücksschenkung. Dies führte zu Diskrepanzen hinsichtlich des tatsächlichen Werts des Nachlasses und der korrekten Berechnung des Pflichtteils.

Streitige Gutachten und Rückforderungen

Die Beklagte hingegen forderte die Abweisung der Klage und erhob eine Widerklage, basierend auf einer anderen Schätzung des Grundstückswerts und der Behauptung, dass die Modellbausammlung bereits in der Berechnung des Nachlasswerts berücksichtigt worden sei. Sie behauptete auch, dass sie dem Kläger zu viel Pflichtteil gezahlt habe und forderte einen Teil davon zurück.

Die Rolle des Streitwerts

Nach einem Vergleich, in dem beide Parteien alle gegenseitigen Ansprüche für erledigt erklärten, stellte sich die Frage des richtigen Streitwerts. Dieser wurde vom Landgericht ursprünglich auf 19.000 Euro festgesetzt. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers legte jedoch Beschwerde ein und argumentierte, dass der Streitwert auf 22.000 Euro festgesetzt werden sollte, da die Streitwerte der Klage und der Widerklage zu addieren seien. Das Oberlandesgericht Braunschweig stimmte dieser Ansicht zu und erhöhte den Streitwert auf 22.000 Euro.


Das vorliegende Urteil

OLG Braunschweig – Az.: 3 W 30/21 – Beschluss vom 07.07.2021

Auf die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 3. Mai 2021 gegen die Streitwertfestsetzung durch Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 27. April 2021 – 6 O 6512/19 – wird der Gegenstandswert auf die Wertstufe bis 22.000,00 € festgesetzt.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers begehrt aus eigenem Recht eine höhere Streitwertfestsetzung.

Die Beklagte ist die Ehefrau und testamentarische Alleinerbin des Erblassers, der Kläger eines der drei gemeinsamen Kinder. Der Erblasser war ursprünglich alleiniger Eigentümer des von den Eheleuten bewohnten Hausgrundstücks. Im Jahr 1993 übertrug der Erblasser ½ Eigentumsanteil an dem Hausgrundstück auf die Beklagte.

Nach dem Tod des Erblassers zahlte die Beklagte 16.444,25 € auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers.

Mit der vorliegenden Klage nahm der Kläger die Beklagte auf Auskunft über den Wert mehrerer Nachlassgegenstände (unter anderem einer Modellbausammlung), auf Zahlung des sich daraus ergebenen Pflichtteilsanspruchs sowie auf Zahlung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs in Höhe von 13.750,00 € in Anspruch. Aus dem notariellen Nachlassverzeichnisses ergebe sich, dass die genannten Nachlassgegenstände einen Wert von 3.350,00 € hätten, so dass ihm ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/12 dieses Wertes zustehe. Zudem sei die Grundstückshälfte im Jahr 1993 im Wege einer Schenkung auf die Beklagte übertragen worden; zum Zeitpunkt des Erbfalls habe das Grundstück einen Wert von mindestens 330.000,00 € gehabt, woraus sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von (330.000,00 € : 2 x 1/12 =) 13.750,00 € ergebe.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und Widerklage gerichtet auf Zahlung von 5.081,27 € erhoben; der Wert der Modellbausammlung sei bei der Berechnung des Nachlasswertes bereits berücksichtigt worden; das Grundstück habe laut Wertgutachten zum Todestag nur einen Verkehrswert von 270.000,00 € gehabt, der auf den Pflichtteilsanspruch des Klägers gezahlte Betrag sei seinerzeit aber anhand eines damals von einer Bank geschätzten Marktwertes von 375.000,00 € berechnet worden; ferner seien zusätzliche Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 3.734,40 € zu berücksichtigen. Auf dieser Basis stehe dem Kläger ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 11.362,98 € zu; die Beklagte habe dem Kläger also (16.444,25 € – 11.362,98 € =) 5.081,27 € zu viel gezahlt, die der Kläger zu erstatten habe.

Die Parteien beendeten den Rechtsstreit mit dem Vergleich vom 27. April 2021, mit dem sie – gegen eine Zahlung der Beklagten an den Kläger in Höhe von 5.000,00 € – alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Erbfall für erledigt erklärten.

Mit angegriffenem Beschluss vom selben Tage hat das Landgericht den Wert des Streitgegenstands für den Rechtsstreit und den Vergleich auf die Wertstufe bis 19.000,00 € festgesetzt.

Gegen diesen ihm am 3. Mai 2021 zugestellten Beschluss hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom selben Tage im eigenen Namen Beschwerde eingelegt. Der Streitwert sei auf die Wertstufe bis 22.000,00 € festzusetzen, da die Streitwerte der Klage und der Widerklage zu addieren seien, namentlich 250,00 € (Klageantrag zu Ziffer 2), 13.750,00 € (Klageantrag zu Ziffer 3) und 5.081,21 € (Widerklage), mithin in der Summe 19.081,27 €.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 12. Mai 2021 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Streitwerte der Klage und der Widerklage seien nicht zu addieren, da beide Ansprüche nicht nebeneinander bestehen könnten; sie schlössen sich aus.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, und auch ansonsten Zulässig. Insbesondere kann ein Rechtsanwalt – wie hier der Klägervertreter – sie aus eigenem Recht mit dem Ziel einlegen, dass der Streitwert erhöht wird (Zimmermann, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 68 GKG, Rn. 17 m.w.N.).

Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt auch die Schwelle von 200,00 € gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG: Bei dem vom Landgericht angenommenen Gegenstandswert von bis zu 19.000,00 € beträgt eine 1,0-fache Gebühr gemäß § 13 RVG 770,00 €, bei dem vom Klägervertreter geltend gemachten Gegenstandswert von bis zu 22.000,00 € beträgt sie 822,00 €, ist also 52,00 € höher. Da der Klägervertreter eine 1,3-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG, eine 1,2 -fache Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV RVG sowie eine 1,0-fache Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer abrechnen kann, beträgt die hier maßgebliche Differenz ([1,3 + 1,2 + 1,0] x 52,00 € x 1,19 =) 216,58 €.

2. Die Beschwerde hat Erfolg; der Gegenstandswert von Klage und Widerklage beträgt 19.138,36 €, denn der Gegenstandswert der Klage beträgt 14.057,09 € (a) und der Gegenstandswert der Widerklage ist in voller Höhe zu addieren (b).

a) Die Klageanträge zu Ziffer 1 und zu Ziffer 2 stehen im Stufenverhältnis zueinander. Das Auskunfts- und Wertermittlungsinteresse eines Pflichtteilsberechtigten ist mit einer Quote des Wertes des Leistungsanspruchs zu bestimmen, die in der Regel zwischen 1/10 und 1/4 bemessen wird und umso höher anzusetzen ist, je geringer die Kenntnisse des Pflichtteilsberechtigten und sein Wissen über die zur Begründung des Leistungsanspruchs maßgeblichen Tatsachen sind (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 – IV ZR 195/04 –, ZEV 2006, S. 265 m.w.N.). Hier kennt der Kläger die Nachlassgegenstände, auf die sich sein Wertermittlungsbegehren bezieht, und hat eine genaue Vorstellung über deren Wert, den er mit 3.350,00 € beziffert, so dass der Wertermittlungsanspruch hier mit 1/10 des Wertes des Leistungsanspruchs zu bemessen ist.

Der Wert des Leistungsanspruchs (Klageantrag zu Ziffer 2) ist hier mit der erhofften Zahlung zu beziffern, bei einem behaupteten Wert der Nachlassgegenstände von 3.350,00 € und einer Pflichtteilsquote von 1/12 also mit (3.350,00 € x 1/12 =) 279,17 €.

Daraus ergeben sich für die Klage folgende Streitwerte: 27,92 € (Klageantrag zu Ziffer 1, Auskunft weiterer Pflichtteil), 279,17 € (Klageantrag zu Ziffer 2, Zahlung weitere Pflichtteil) und 13.750,00 € (Klageantrag zu Ziffer 3, Zahlung Pflichtteilsergänzung), mithin in der Summe 14.057,09 €.

b) Dazu ist gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG der Streitwert der Widerklage in voller Höhe von 5.081,21 € zu addieren, denn § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet hier keine Anwendung.

aa) Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe auf den Pflichtteilsanspruch des Kläger 5.081,27 € zu viel gezahlt, der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe der mit Klageantrag zu Ziffer 2 geltend gemachte Betrag als weitere Zahlung auf seinen Pflichtteilsanspruch zu. Dabei handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, so dass § 45 Abs. 1 Satz1 GKG maßgeblich ist.

Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche grundsätzlich zu addieren. Allerdings ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend, wenn die einander gegenüberstehenden Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. Letzteres ist unabhängig vom zivilprozessualen Streitgegenstand bei wirtschaftlicher Identität von Klage und Widerklage der Fall. Diese Identität ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass beiden stattgegeben werden kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 261/12 –, NJW 2014, S. 1456 [Rn. 4] m.w.N.; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 45 GKG, Rn. 4 f.).

Dies ist hier zwar an sich der Fall, denn bezüglich des Pflichtteilsanspruchs schließen sich ein weiterer Zahlungsanspruch des Klägers und ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten aus. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG findet aber auch dann keine Anwendung, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen. Dementsprechend findet eine Werteaddition nach Maßgabe von § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG auch in den Fällen statt, in denen der Kläger aus einem Rechtsverhältnis einen über geleistete Zahlungen hinausgehenden Rest- oder Mehrbetrag beansprucht, während der Beklagte widerklagend einen Teil der bereits geleisteten Zahlungen als nicht geschuldet zurückverlangt. In einer solchen Situation bildet die aus dem Rechtsverhältnis geschuldete Gesamtzahlung den Gegenstand des Streits der Parteien; es geht wirtschaftlich um die Summe von Klage- und Widerklageforderung (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 261/12 –, NJW 2014, S. 1456 [Rn. 5] m.w.N.; Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, § 45 GKG, Rn. 5 f. m.w.N.; Schindler, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, 33. Edition, Stand 1. April 2021, § 45 GKG, Rn. 15).

bb) Auch im Verhältnis der Widerklage zum Klageantrag zu Ziffer 3 handelt es sich nicht um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe eine zu hohe Zahlung auf den Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB) des Klägers geleistet; der Kläger ist zu seinem Klageantrag zu Ziffer 3 der Ansicht, ihm stehe neben dem Pflichtteilsanspruch auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 BGB) zu. Diese Ansprüche bestehen unabhängig voneinander (BGH, Urteil vom 21. März 1973 – IV ZR 157/71 –, NJW 1973, S. 995); sie bilden nicht denselben Gegenstand im obigen Sinne, auch wenn ihre Höhe unter Umständen von denselben Faktoren – hier dem Wert des Grundstücks – bestimmt wird.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG

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