OLG Köln – Az.: 3 W 36/18 – Beschluss vom 18.09.2018
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 09.07.2018 wird der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 07.06.2018 aufgehoben und der Klägerin Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab Antragstellung für folgenden Antrag bewilligt:
Der Beklagte wird verurteilt, seine Einwilligung zum Verkauf des Eigentums an dem Grundstück Gemarkung A Flur 3 Nr. 939, Gebäude- und Freifläche, Bstraße 126, 1.560 qm groß, eingetragen im Grundbuch des Amtsgerichts Aachen von A Blatt 1414, zu einem Kaufpreis in Höhe des von einem von der C öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken festgestellten Verkehrswertes zu erteilen und alle notwendigen Erklärungen zur lastenfreien Eigentumsverschaffung des Käufers/der Käuferin abzugeben.
Zugleich werden der Klägerin Rechtsanwälte D, E & F in G zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in 1. Instanz beigeordnet.
Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Partei wird von der Anordnung einer ratenweisen Zahlung der Prozesskosten zunächst abgesehen. Sollten sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern, kann dieser Beschluss gemäß § 120a Abs. 1 ZPO abgeändert werden.
Der weitergehende Antrag der Klägerin sowie ihre weitergehende Beschwerde werden zurückgewiesen.
Eine Gerichtsgebühr wird nicht erhoben (KV 1820).
Eine Kostenerstattung erfolgt nicht.
Gründe
1.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den ihr Prozesskostenhilfegesuch insgesamt zurückweisenden Beschluss ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.
2.
Sie ist auch in der Sache überwiegend begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin bietet zumindest in dem tenorierten Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
Entgegen der vom Landgericht in dem angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung hat die Klägerin einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zustimmung zu dem beabsichtigten freihändigen Verkauf des hälftigen Miteigentumsanteils an dem im Tenor näher bezeichneten Grundstück aus § 2120 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Nacherbe, sofern zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses, insbesondere zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten, eine Verfügung erforderlich ist, die der Vorerbe nicht mit Wirkung gegen den Nacherben vornehmen kann, verpflichtet, seine Einwilligung zu der Verfügung in der entsprechenden Form zu erteilen, § 2120 BGB. Der Beklagte ist hinsichtlich des allein in den Nachlass fallenden hälftigen Miteigentumsanteils des Erblassers an dem im Tenor näher bezeichneten Grundstück Nacherbe, die Klägerin nicht befreite Vorerbin. Gemäß §§ 2112, 2113 BGB ist die Verfügung über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Entsprechendes gilt, wenn nur ein Bruchteil an einem Grundstück zum Nachlass gehört, bezüglich dieses Bruchteils (vgl. Palandt-Weidlich, BGB 77. Auflage, § 2113 Rn. 4). Der Verkauf des gesamten streitgegenständlichen Grundstücks – wie die Klägerin es ausweislich der Klageschrift beabsichtigt – würde die dem Beklagten aus der Nacherbschaft zustehenden Rechte an dem in den Nachlass fallenden hälftigen Miteigentumsanteil an dem in Rede stehenden Grundstück aufheben und auf den Verkaufserlös als Surrogat beschränken. Daher ist die von der Klägerin beabsichtigte Veräußerung des Gesamtgrundstückes ohne Zustimmung des Beklagten unwirksam (vgl. hierzu auch Palandt-Weidlich, BGB, § 2113 Rn. 4; vgl. ferner BGH ZEV 2005, 28).
Eine Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Einwilligung in den Verkauf des Grundstückes besteht gemäß § 2120 BGB nur dann, wenn sich der Verkauf des Grundstückes als zur ordnungsmäßigen Verwaltung des Nachlasses erforderliche Maßnahme darstellt. Dies kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Verkauf nicht zum Zwecke der Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten dienen soll. Denn die ordnungsmäßige Verwaltung geht – wie durch den „insbesondere“-Zusatz deutlich wird – über den Kreis der Maßnahmen zur Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten hinaus. Welche Maßnahmen im einzelnen als ordnungsmäßige Verwaltung angesehen werden können, ist objektiv und an den jeweiligen wirtschaftlichen Interessen und Besonderheiten des Nachlasses orientiert zu entscheiden (vgl. Palandt-Weidlich, BGB, § 2120 Rn. 2). Diese Frage muss sich darüber hinaus an den Besonderheiten der konkret in Rede stehenden Verfügung messen lassen (Palandt-Weidlich, BGB, § 2120 Rn. 2). Berücksichtigung finden muss ferner der von der Regelung des § 2120 BGB verfolgte Sinn und Zweck. Diese Vorschrift soll nach dem Willen des Gesetzgebers in erster Linie den Nacherben und sein Interesse an der Substanzerhaltung und -erlangung schützen und den Vorerben zur Wahrung dieses Interesses verpflichten (vgl. Staudinger-Avenarius, BGB (2013), § 2120 Rn. 1; Palandt-Weidlich, BGB, § 2120 Rn. 2; BGH NJW 1993, 1582; BGH MDR 1972, 496; BGH ZEV 2005, 28). Diesem – im Ansatz schützenswerten – Interesse des Beklagten hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung daher zu Recht eine hohe Bedeutung beigemessen und nicht verkannt, dass der von der Klägerin beabsichtigte Verkauf des Gesamtgrundstücks diesem Interesse diametral zuwiderläuft. Das bedeutet indes nicht, dass die Veräußerung von der Nacherbschaft unterliegenden Nachlassgegenständen nie als Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung angesehen werden könnte. Es bedeutet lediglich, dass hierfür nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen Raum ist, namentlich dann, wenn dem Nachlass ohne die Veräußerung des Nachlassgegenstandes eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung droht, zu deren Abwehr die Veräußerung geeignet und auch objektiv erforderlich ist (vgl. BGH MDR 1972, 496). Dies ist vorliegend entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung aufgrund der Besonderheiten der vorliegenden Gesamtkonstellation der Fall.
Die Erwägungen des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss wären aus Sicht des Senates uneingeschränkt zustimmungswürdig, wenn das gesamte Grundstück in den Nachlass fallen würde und mit der Nacherbschaft belastet wäre. In dem Fall wäre dem Landgericht in der Einschätzung beizutreten, dass der klägerische Vortrag zur fehlenden Vermietbarkeit und Erhaltbarkeit des Grundstückes im Nachlass bei weitem nicht ausreichend ist, um die objektive Erforderlichkeit seiner Veräußerung zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile zu begründen. Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht jedoch gerade darin, dass nicht das gesamte Grundstück, sondern nur das hälftige Miteigentum an diesem in den Nachlass fällt, während der andere hälftige Miteigentumsanteil der Klägerin bereits vor dem Erbfall allein und unbelastet zustand (vgl. zu dieser Konstellation Palandt-Weidlich, BGB, § 2113 Rn. 4). In einer solchen Situation kann der Nacherbe von vorneherein sein Begehren nach einer Substanzerhaltung des Grundstückes nicht mit Erfolg durchsetzen. Denn es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dann, wenn dem Vorerben schon vor dem Vorerbfall ein ideeller Hälftebruchteil an einem Grundstück zustand und er mit dem Erbfall als Vorerbe auch die andere Hälfte erworben hat, er trotz der insoweit angeordneten Nacherbschaft berechtigt ist, eine Teilungsversteigerung gemäß § 180 ZVG durchführen zu lassen (vgl. BGH ZEV 2005, 28; Palandt-Weidlich, BGB, § 2113 Rn. 4). Die bisher geteilte Rechtszuordnung setzt sich in diesem Fall trotz der Vereinigung beider Rechte in einer Person fort, weil die Verfügungsmacht des Rechteinhabers hinsichtlich der einzelnen Bruchteile verschieden ausgestaltet ist (BGH ZEV 2005, 28). Die schutzwürdigen Interessen des Nacherben an der Substanzerhaltung müssen in diesem Fall – trotz der mit der Teilungsversteigerung zwangsnotwendig verbundenen Beeinträchtigung seiner Rechte – hinter den schutzwürdigen Interessen des Vorerben zurückstehen. Sähe man dies anders, dann würde auch der dem Vorerben schon vor dem Erbfall zu eigenem Recht zustehende Miteigentumsanteil im Ergebnis den Verfügungsbeschränkungen der Nacherbschaft unterworfen, was gegenüber der Schmälerung der Rechtsstellung des Nacherben das größere Übel darstellen würde (BGH ZEV 2005, 28). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der Möglichkeit einer Teilungsversteigerung gemäß § 180 ZVG um einen Umstand handelt, der beim Erbfall bereits vorbestand und dem Vorerben durch die nachträgliche Entstehung der Nacherbschaft auch nicht mehr genommen werden kann (BGH ZEV 2005, 28). Berücksichtigt man somit, dass die Klägerin vorliegend jederzeit berechtigt ist, eine Teilungsversteigerung durchführen zu lassen, die unweigerlich zum Substanzverlust führt, stellt sich der freihändige Verkauf des Grundstückes vor dem Hintergrund der ansonsten drohenden Alternative dieser Teilungsversteigerung als Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung dar. In dieser Hinsicht ist der vorliegende Fall auch vergleichbar mit dem vom BGH entschiedenen Sachverhalt, in dem ohne die beabsichtigte freihändige Veräußerung das Grundstück enteignet und dabei nur eine Entschädigung erzielt worden wäre, die erheblich unterhalb des bei einem freihändigen Verkauf erzielbaren Kaufpreises gelegen hätte (BGH MDR 1972, 496). Es ist aus Sicht des Senates auch mit hinreichender Gewissheit davon auszugehen, dass im Falle des Misserfolgs der Klägerin mit ihrem in diesem Rechtsstreit verfolgten Begehren die Klägerin in eben dieser Weise vorgehen und die Teilungsversteigerung durchführen lassen wird. Denn sie hat mit der Klage sehr deutlich gemacht, dass sie angesichts ihres zwischenzeitlichen Auszugs aus der auf dem Grundstück befindlichen Immobilie, ihres Alters und gesundheitlichen Zustandes sowie ihrer finanziellen Situation weder ein Interesse an der Beibehaltung des Grundstückes hat, noch hierzu bereit ist bzw. sich subjektiv hierzu in der Lage sieht. Sie hat ferner sehr deutlich gemacht, dass auf ihrer Seite der gegebenen Situation ein großes Interesse daran besteht, sich durch eine Veräußerung des Grundstückes einerseits der Verantwortung für dieses zu entledigen, und sich andererseits liquide finanzielle Mittel zu beschaffen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Würde man sie – wie das Landgericht es tut – auf die Möglichkeit der Teilungsversteigerung verweisen, würde dies zwangsläufig zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung (auch) des Nachlasses und damit des in diesen fallenden Rechts des Beklagten führen. Denn im Rahmen einer Teilungsversteigerung ist erfahrungsgemäß nur ein geringerer Erlös zu erzielen als bei einem freihändigen Verkauf.
Diese Sichtweise führt auch nicht zu einer völligen Aushöhlung und Entkernung des Nachlasses, da sich die Nacherbschaft am Veräußerungserlös fortsetzt und somit im Falle eines freihändigen Verkaufs werthaltiger ist als im Falle einer Teilungsversteigerung. Die von dem Beklagten gegen das bereits vorliegende Verkehrswertgutachten und den dort ermittelten Verkehrswert der Immobilie erhobenen Einwände sind in diesem Zusammenhang unerheblich. Denn die Klägerin begehrt nicht die Zustimmung zur Veräußerung des Grundstückes auf der Grundlage des vorhandenen Verkehrswertgutachtens zu dem in diesem ermittelten Verkehrswert, sondern ausweislich der Antragsfassung wie auch der Begründung in der Klageschrift die Zustimmung zu der Veräußerung des Grundstücks auf der Grundlage eines völlig neu einzuholenden aktuellen Verkehrswertgutachtens.
3.
Soweit das klägerische Begehren über den Tenor hinausgeht, fehlen der beabsichtigten Rechtsverfolgung indes die hinreichenden Erfolgsaussichten, § 114 ZPO. Insoweit ist zu sehen, dass der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zustimmung zu dem beabsichtigten freihändigen Verkauf gemäß § 2120 BGB allein auf der Erwägung beruht, dass bei einem freihändigen Verkauf ein höherer Erlös erzielt werden kann als bei einer Teilungsversteigerung. Diese die Ordnungsmäßigkeit der beabsichtigten Verfügung allein begründende wirtschaftliche Erwägung würde zu Lasten des Beklagten in dem Maße wieder relativiert, in dem er verpflichtet würde, auch einem freihändigen Verkauf zu einem unterhalb des Verkehrswertes liegenden Kaufpreis zuzustimmen. Denn dann würde an die Stelle des mit der Nacherbschaft belasteten Miteigentumsanteils nur ein weniger werthaltiger Verkaufserlös treten. Soweit die Klägerin meint, ihr müsse eine Veräußerung zu einem unterhalb des Verkehrswertes gelegenen Preis ermöglicht werden, um ihr einen Verhandlungsspielraum zu eröffnen, vermag der Senat die Notwendigkeit hierfür nicht zu erkennen. Es sind vorliegend keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Verkehrswert bei einem freihändigen Verkauf des Grundstückes nicht zu erzielen und ein Verkauf des Grundstückes nur zu einem unterhalb des Verkehrswertes liegenden Kaufpreis möglich sein wird. Dagegen spricht die nach wie vor sehr gute Lage auf dem Immobilienmarkt bei anhaltend niedrigem Zinsniveau. Derartiges wird klägerseits auch nicht behauptet oder ansatzweise schlüssig dargetan. Vor diesem Hintergrund stellt sich nur ein freihändiger Verkauf zu einem (mindestens) dem Verkehrswert entsprechenden Kaufpreis als Maßnahme der ordnungsmäßigen Verwaltung dar. Sollte ein Kaufpreis in dieser Höhe aus welchen Gründen auch immer nicht zu erzielen sein, bleibt der Klägerin immer noch der Weg der Teilungsversteigerung gemäß § 180 ZVG.
4.
Nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Klägerin ist ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Nach Abzug der Freibeträge und der geltend gemachten Verbindlichkeiten ergibt sich rechnerisch ein zu berücksichtigendes monatliches Einkommen der Klägerin in Höhe von 92 EUR. Hiervon abzuziehen ist aus Sicht des Senates jedoch als besondere Belastung der Mehrbedarfsbetrag, den § 30 SGB XII bestimmten Personengruppen zubilligt (vgl. Zöller-Geimer, ZPO 32. Auflage, § 115 Rn. 39). Angesichts des Alters der Klägerin und des nachgewiesenen Pflegegrades ist jedenfalls der in § 30 V SGB XII vorgesehene angemessene Mehrbedarf für kranke Menschen in Abzug zu bringen. Danach verbleibt kein relevantes Einkommen der Klägerin, das die Anordnung monatlicher Raten rechtfertigen würde.