LG Deggendorf – Az.: 32 O 779/18 – Urteil vom 19.09.2019
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 68.400,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin macht als (Mit)Erbin ihres verstorbenen Vaters einen zum Nachlass gehörenden Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend. Hilfsweise, für den Fall und im Umfang der Zusprechung dieses Pflichtteilsergänzungsanspruchs, macht die Klägerin einen Rückzahlungsanspruch infolge Darlehensgewährung geltend.
Die Klägerin und die Beklagte sind Halbschwestern. Sie sind die Töchter des am x.12.1927 geborenen und am x.12.2016 verstorbenen F. Der gemeinsame Vater der Parteien war in zweiter Ehe mit der am x.01.1943 geborenen M., der Mutter der Beklagten, verheiratet. Die Eheleute lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft.
Der gemeinsame Vater der Parteien war Alleineigentümer des Grundstücks mit der FlNr. 2849/3 der Gemarkung Mü.. Dieses Grundstück übertrug er der Klägerin mit notarieller Überlassungsurkunde vom 12.02.2003 (Anlage B 1) unentgeltlich, ohne dass seine zweite Ehefrau hiervon Kenntnis hatte.
Die Mutter der Beklagten, M., war Alleineigentümerin des Grundstücks mit der FlNr. 91 der Gemarkung Me.. Dieses Grundstück übertrug die Mutter der Beklagten ihrer Tochter mit Zustimmung ihres Ehemanns mit notarieller Überlassungsurkunde vom 30.12.2014 zum Alleineigentum. Auf dem vorbezeichneten Grundstück befanden sich zum Zeitpunkt der Überlassung ein Einfamilienhaus, ein Bungalow mit Einliegerwohnung und Schwimmbad sowie ein im Rohbau befindliches Einfamilienhaus. Die Beklagte bestellte ihren Eltern im Gegenzug ein lebenslanges Wohnungsrecht an dem auf dem Grundstück befindlichen Bungalow. Ferner behielt sich die Mutter der Beklagten ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht an dem ebenfalls auf dem Grundstück befindlichen und vermieteten Einfamilienhaus vor. Zur Vervollständigung wird auf die Anlage K 3 Bezug genommen.
Die Mutter der Beklagten verstarb am x.11.2015. Der gemeinsame Vater der Parteien wurde aufgrund notariellen Testaments vom 28.01.1975 (Anlage K 2) Alleinerbe. Ein nennenswerter Nachlass war zum Zeitpunkt des Erbfalls jedoch nicht vorhanden.
Am x.12.2016 verstarb schließlich der gemeinsame Vater der Parteien. Die Klägerin und die Beklagte beerbten ihren gemeinsamen Vater zu je 1/2 aufgrund gesetzlicher Erbfolge.
Die Klägerin meint, dem gemeinsamen Vater habe infolge des Vorversterbens der Mutter der Beklagten und der vorbezeichneten Schenkung ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zugestanden. Diesen macht die Klägerin nunmehr zugunsten der aus der Beklagten und ihr selbst bestehenden Erbengemeinschaft geltend.
Die Klägerin beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird dazu verurteilt, die Zwangsvollstreckung zugunsten der Erbengemeinschaft nach F., verstorben am 06.12.2016, in Höhe eines Betrages von 68.400,– € zzgl. einer Verzinsung von 5 % p.a. über dem Basiszinssatz ab dem 27.10.2017 in ihr Grundstück Fl.Nr. 91 der Gemarkung Me., zu dulden, wobei es ihr vorbehalten bleibt, die Zwangsvollstreckung durch Zahlung des genannten Betrages an die Erbengemeinschaft nach F. abzuwenden.
2. Hilfsweise für den Fall der (ggf. auch nur teilweisen) Stattgabe der Klage in Ziff. 1.):
Die Beklagte wird weiter dazu verurteilt, als Mitglied der Erbengemeinschaft nach F. an der Zahlung in Höhe des ausgeurteilten Betrages gem. Klageantrag Ziff. 1), höchstens jedoch in Höhe von 55.000,– € zzgl. einer Verzinsung in Höhe von 5 % p.a. über den Basiszinssatz ab dem 11.07.2017, an die Klägerin mitzuwirken.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der gemeinsame Vater habe nach dem Ableben ihrer Mutter auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch verzichtet, indem er ihr gegenüber erklärt habe, dass er zwar formal der Erbe sein möge, dennoch aber nichts von der Klägerin haben wolle. Ferner habe ihr Vater habe nach dem Tod der Mutter mehrfach erklärt, dass alles, was „Me.“ betreffe, der Beklagten und alles, was „Mü.“ betreffe, der Klägerin gehören solle, während er selbst nichts davon haben wolle. Da ihr Vater von dem Pflichtteilsergänzungsanspruch gewusst habe und diesen dennoch bis zu seinem Tod nicht geltend gemacht habe, sei dieser jedenfalls verwirkt.
In der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2019 sind die Klägerin sowie die Beklagte informatorisch angehört worden. Zudem hat das Gericht Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen A.. Hinsichtlich des Ergebnisses der informatorischen Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das entsprechende Sitzungsprotokoll verwiesen. Zur weiteren Ergänzung wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Über den Hilfsantrag war mangels Bedingungseintritts nicht zu entscheiden.
I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Deggendorf ist sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, §§ 1, 12, 13 ZPO.
II.
Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet.
1.
Der von der Klägerin geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht nicht, da der gemeinsame Vater der Parteien nach dem Ableben seiner Ehefrau im Wege eines Erlassvertrages wirksam auf diesen Anspruch verzichtet hat.
a)
Verzichtet der Erbe nicht bereits vor dem Tod auf sein Pflichtteilsrecht, sondern erst nach dem Ableben des Erblassers auf den Pflichtteil bzw. den Pflichtteilsergänzungsanspruch, so ist dieser „Verzicht“ in rechtlicher Hinsicht als Erlassvertrag gemäß § 397 BGB einzuordnen (BeckOGK/Everts, BGB, Stand: 01.06.2019, § 2346 Rn. 22). Der Abschluss eines solchen Erlassvertrages ist auch formlos möglich (vgl. hierzu KG, Urteil vom 05.06.1975 – 12 U 195/75).
b)
Die Kammer verkennt nicht, dass an die Annahme eines solchen Erlassvertrages nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.05.2001 – VII ZR 356/00). Danach muss in der Erklärung mit hinreichender Deutlichkeit unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles zum Ausdruck kommen, dass eine materiell-rechtlich wirkende Erklärung abgegeben werden soll. Das Angebot auf Abschluss eines Erlassvertrages muss unmissverständlich erklärt werden. An die Feststellung eines Verzichtswillens sind dabei strenge Anforderungen zu stellen; er darf insbesondere nicht vermutet werden. Selbst bei einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Anspruchsgläubigers darf ein Verzicht nicht angenommen werden, ohne dass bei der Feststellung zum erklärten Vertragswillen sämtliche Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH, Urteil vom 03.06.2008 – XI ZR 353/07; BGH, Urteil vom 07.03.2006 – VI ZR 54/05).
c)
Auch unter Berücksichtigung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten strengen Anforderungen ist die Kammer davon überzeugt, dass der verstorbene Vater der Parteien durch Erlassvertrag wirksam auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch verzichtet hat. Dementsprechend konnte dieser Anspruch nach seinem Ableben auch nicht im Wege der Universalsukzession nach § 1922 BGB übergehen.
aa)
Als Beweismaß ist eine Überzeugung des Gerichts erforderlich. Weniger als die Überzeugung von der Wahrheit reicht für das Bewiesensein nicht aus. Ein bloßes Glauben, Wähnen, für Wahrscheinlichhalten berechtigt den Richter nicht zur Bejahung des streitigen Tatbestandmerkmals (Zöller/Greger, ZPO, 32. Auflage, § 286, Rn. 18).
bb)
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der gemeinsame Vater der Parteien Anfang März 2016 gegenüber der Beklagten anlässlich eines Schreibens des Nachlassgerichtes erklärt hat, dass er in rechtlicher Hinsicht zwar Alleinerbe sein möge, dass er aber von seiner Tochter dennoch nichts haben wolle. Diese Erklärung ist nach der Auffassung der Kammer als Antrag auf Abschluss eines Erlassvertrages auszulegen; die Beklagte hat diesen Antrag auch angenommen.
Die Überzeugung der Kammer beruht auf den glaubhaften Angaben der Beklagten im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung in Zusammenschau mit den Angaben des Zeugen A. und den eigenen Angaben der Klägerin unter Würdigung sämtlicher Begleitumstände.
Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was er für wahr und was für nicht wahr erachtet. Er kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17). Von einer Parteivernehmung war abzusehen; ein weitergehender Erkenntnisgewinn wäre infolge der bereits vorliegenden vollen Überzeugung des Gerichts auch durch eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO nicht zu erwarten gewesen.
Die Beklagte hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung auch angegeben, der gemeinsame Vater habe bereits zu Lebzeiten ihrer Mutter gewollt, dass sie selbst den Grundbesitz der Mutter in Me. erhalte, während die Klägerin den Grundbesitz des Vaters in Mü. bekommen sollte.
Der Erblasser und seine zweite Ehefrau haben eine entsprechende Aufteilung des Grundbesitzes zu ihren Lebzeiten tatsächlich auch vorgenommen. Die Mutter der Beklagten, die Alleineigentümerin des Grundbesitzes in Me., hat ihr Eigentum mit notariellem Überlassungsvertrag vom 30.12.2014 (Anlage K 3) „mit Zustimmung ihres Ehemannes F.“ (S. 2 des Überlassungsvertrages) auf die Beklagte übertragen. Umgekehrt hatte der Vater der Parteien das in seinem Alleineigentum stehende Grundstück in Mü. zuvor bereits mit notariellem Überlassungsvertrag vom 12.02.2003 auf die Klägerin übertragen (Anlage B1). Dabei wusste der gemeinsame Vater der Parteien, dass eine Übertragung ohne Aufnahme einer Regelung für den Fall des Vorversterbens der Klägerin dem Willen seiner zweiten Ehefrau widersprach und er – nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Parteien – Gefahr lief, die „Hölle auf Erden“ (Bl. 38 und 39 d.A.) zu erleben, sollte diese je von der Übertragung erfahren. Dem gemeinsamen Vater der Parteien schien die lebzeitige Aufteilung des Grundbesitzes jedoch ein derart großes Anliegen zu sein, dass er bereit war, dieses Risiko einzugehen.
Auch die Klägerin hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung bestätigt, dass der gemeinsame Vater zu seinen Lebzeiten immer wieder geäußert habe, die Beklagte solle „Me.“ bekommen und sie selbst solle „Mü.“ erhalten.
Nach dem Dafürhalten der Kammer kommt es mithin nicht entscheidend darauf an, ob der gemeinsame Vater der Parteien nach dem Ableben seiner Ehefrau tatsächlich wusste, dass er in rechtlicher Hinsicht im Wege der Pflichtteilsergänzung die an die Beklagte erfolgte Schenkung (teilweise) rückgängig hätte machen können. Entscheidend ist vielmehr, dass der gemeinsame Vater der Parteien Kenntnis von der Schenkung hatte und dieser sogar zugestimmt hat. Er wusste mithin in tatsächlicher Hinsicht auch, dass er mehr geerbt hätte, hätte es diese Schenkung an die Beklagte nicht gegeben. Nach der Überzeugung der Kammer stellte der gemeinsame Vater der Parteien den Umfang seines Erbes aber nicht einmal in Frage, sondern erklärte gegenüber der Beklagten, dass er sogar von diesem nach der Schenkung verbliebenen Erbe nichts haben wolle.
Der Zeuge A. hat ebenfalls angegeben, dass sich die Eltern der Beklagten stets einig gewesen seien, dass die Beklagte „Me.“ erhalten solle, während die Klägerin „Mü.“ bekommen sollte. Soweit das Gericht den Zeugen gefragt hat, ob es im Nachgang zu einem Schreiben vom Nachlassgericht ein Gespräch zwischen der Beklagten, ihrem Vater und ihm gegeben habe, so hat der Zeuge angegeben, dass er sich an ein explizit auf ein solches Schreiben Bezug nehmendes Gespräch nicht erinnern könne. Der gemeinsame Vater der Parteien habe auch nach dem Ableben der Mutter jedoch mehrfach erklärt, dass er von dem Erbe seiner Ehefrau nichts haben wolle und alles seine Richtigkeit habe.
Die Angaben des Zeugen sind glaubhaft. Soweit der Zeuge angibt, der gemeinsame Vater habe gewollt, dass die Beklagte „Me.“ und die Klägerin „Mü.“ erhalte, so steht dies bereits in Einklang mit den Angaben beider Parteien. Aber auch soweit der Zeuge angegeben hat, der spätere Erblasser habe nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau wiederholt erklärt, von dem Erbe seiner Ehefrau nichts haben zu wollen, sieht die Kammer keinen Anlass, an den Angaben des Zeugen zu zweifeln. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass es sich bei dem Zeugen um den langjährigen Lebensgefährten und Verlobten der Beklagten handelt. Hätten sich die Beklagte und der Zeuge jedoch absprechen wollen, so wäre es dem Zeugen – spätestens nach Vorhalt der Existenz eines nachlassgerichtlichen Schreibens durch die Vorsitzende – ein Leichtes gewesen, die Angaben der Beklagten zu bestätigen. Der Zeuge hat jedoch angegeben, er könne sich explizit weder an ein solches Schreiben noch an ein aus Anlass eines solchen Schreibens geführtes Gespräch erinnern.
Die Kammer verkennt auch nicht, dass die Klägerin eingewandt hat, der Zeuge habe zum Erblasser kein gutes Verhältnis gehabt. Jedoch steht das angeblich schlechte Verhältnis des Zeugen zum Erblasser der Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht entgegen. Der Zeuge hat nicht etwa angegeben, er sei ein enger Vertrauter des Erblassers gewesen und habe nur deshalb von dem zu bezeugenden Sachverhalt Kenntnis erlangt. Vielmehr hat der Erblasser (zunächst) im Haushalt der Beklagten und des Zeugen gelebt; es scheint dem Gericht plausibel, dass der Zeuge bei dieser Gelegenheit Gespräche zwischen der Beklagten und dem Erblasser zwanglos mitverfolgen hat können bzw. dass sich solche Gespräche auch zwischen der Beklagten, dem Zeugen und dem Erblasser zwanglos ergeben haben. Auch gibt es entgegen der Auffassung der Klägerin keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass Zeugen, die sich gegenüber alten und pflegebedürftigen Personen ungebührlich verhalten, vor Gericht die Unwahrheit sagen.
Auch der Vortrag der Klägerin, wonach ihr der Erblasser eine Wochenendhütte in Me. habe zuwenden wollen, vermag kein anderes Ergebnis zu begründen. Die Kammer sieht keinen Widerspruch zu den unstreitigen (!) Äußerungen des Erblassers, wonach die Beklagte „Me.“ und die Klägerin „Mü.“ bekommen sollte. In Anbetracht der von den Ehegatten vorgenommenen lebzeitigen Übertragungen besteht für die Kammer kein Zweifel, dass der Erblasser mit „Me.“ und „Mü.“ den wesentlichen – ohnehin bereits auf die Töchter übertragenen – Grundbesitz meinte. Es ist daher unschädlich, wenn der Erblasser tatsächlich der Klägerin eine in seinem Eigentum stehende Wochenendhütte hätte zuwenden wollen.
Soweit die Klägerin darauf abstellt, in den von der Beklagten behaupteten Äußerungen des Erblassers könne kein Verzicht auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gesehen werden, weil ein solch „generelle[r] Verzicht an allen Anrechten“ (Bl. 22 d.A.) schon nicht plausibel sei, weil der Erblasser sicherlich nicht auf sein Wohnungsrecht habe verzichten wollen, so vermag die Kammer dieser Argumentationslinie nicht zu folgen. Denn das Wohnungsrecht des Erblassers wurde zu seinen Gunsten begründet (S. 4 des Überlassungsvertrages vom 30.12.2004); es handelt sich folglich nicht etwa um ein geerbtes Recht. Wenn also der Erblasser nach dem Tod seiner zweiten Ehefrau zum Ausdruck bringen will, dass er von ihrem Nachlass nichts haben wolle, so bedeutet dies gerade nicht, dass er unisono auch auf sämtliche eigenen – nicht geerbten – Rechte verzichtet oder verzichten müsste.
Für die von der Kammer gewonnene Überzeugung spricht auch, dass der Erblasser durch die lebzeitige Übertragung seines Grundbesitzes in Mü. und durch Zustimmung zur lebzeitigen Übertragung des Grundbesitzes seiner Ehefrau in Me. offensichtlich beiden Töchtern Grundbesitz an ihrem jeweiligen Lebensmittelpunkt verschaffen wollte und ihnen dabei das mit der jeweiligen Mutter gemeinsam Geschaffene hinterlassen wollte. Hätte der Erblasser gegenüber der Beklagten einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht, so hätte er die Beklagte gegenüber der Klägerin benachteiligt, da er in diese Aufteilung nachträglich eingegriffen hätte. Dieser Erwägung steht auch nicht entgegen, dass der Grundbesitz in Mü. wertmäßig hinter dem Grundbesitz in Me. zurückstehen mag. Denn dem Erblasser ging es offensichtlich nicht um eine betragsmäßige Gleichbehandlung der beiden Töchter, sondern um die Weitergabe seines mit der jeweiligen Mutter geschaffenen Lebenswerks.
Die Kammer verkennt auch nicht, dass der Erblasser in dem notariellen Überlassungsvertrag vom 30.12.2004 – zumindest ausdrücklich – keinen entsprechenden Verzicht erklärt hat. Dies steht jedoch der gefundenen Auslegung der Erklärung des Erblassers als Antrag auf Abschluss eines Erlassvertrages nicht entgegen. Der Erblasser war 16 Jahre älter als seine zweite Ehefrau. Im Zeitpunkt des Überlassungsvertrages war der Erblasser bereits 77 Jahre alt, während seine zweite Ehefrau erst 61 Jahre alt war. Es ist daher zum einen davon auszugehen, dass der Erblasser und seine Ehefrau schlichtweg davon ausgingen, dass der Erblasser seinem deutlich höheren Lebensalter entsprechend als erster versterben werde und daher keinen Regelungsbedarf gesehen haben. Zum anderen schienen sich die Eheleute hinsichtlich der Zuwendung des Grundbesitzes in Me. an die gemeinsame Tochter seit jeher einig zu sein und haben daher aufgrund dieser Einigkeit offensichtlich ebenfalls kein Regelungsbedürfnis für den unwahrscheinlicheren Fall des Vorversterbens der zweiten Ehefrau gesehen. Dabei haben die Eheleute – beide juristische Laien – schlichtweg den Fall, dass der Ehemann vor der Ehefrau versterben könnte und seinerseits dann vor Ablauf der entsprechenden Verjährungsfrist verstirbt, nicht bedacht. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass der Überlassungsvertrag vor einem Notar geschlossen wurde und die Eheleute daher rechtlich beraten waren. Aus rechtlicher Sicht bestand jedoch infolge der Zustimmung des Ehemannes – wie nachfolgend noch darzulegen ist – auch kein Anlass, neben der erklärten Zustimmung einen ausdrücklichen Verzicht auf etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche aufzunehmen.
cc)
Unter Berücksichtigung der eigenen Angaben der Klägerin, der Aussage des Zeugen A. und den dargestellten Begleitumständen ist die Kammer vom Wahrheitsgehalt der Angaben der Beklagten im Rahmen der informatorischen Anhörung überzeugt. In der Gesamtschau der dargestellten Begleitumstände ist die nach den glaubhaften Angaben der Beklagten vom Erblasser abgegebene Erklärung, wonach er von der Beklagten nichts haben wolle, als Antrag zum Abschluss eines Erlassvertrages auszulegen. Diesen Antrag hat die Beklagte auch angenommen. Ein (übergegangener) Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht daher nicht.
2.
Aber auch wenn man mit der Klägerin keinen wirksamen Verzicht des gemeinsamen Vaters annehmen würde, scheitert ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aufgrund der analog zur Anwendung gelangenden Vorschrift des § 1375 Abs. 3 BGB
a)
In den erbrechtlichen Vorschriften über den Pflichtteilsergänzungsanspruch, §§ 2325 ff. BGB, besteht eine planwidrige Regelungslücke im Hinblick auf Schenkungen des Erblassers die mit Zustimmung des Pflichtteilsergänzungsberechtigten erfolgten.
aa)
Nach § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte im Falle einer Schenkung des Erblassers an einen Dritten als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Da sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 Abs. 1 BGB gegen den oder die Erben richtet, bestimmt § 2329 Abs. 1 S. 2 BGB einen Herausgabeanspruch des pflichtteilsberechtigten Alleinerbens unmittelbar gegen den Beschenkten.
Eine Schenkung des Erblassers bleibt nach § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB nur dann (vollständig) unberücksichtigt, wenn seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes zehn Jahre verstrichen sind oder wenn es sich um eine Anstandsschenkung handelt, § 2330 BGB.
Eine Regelung, wonach eine Schenkung im Rahmen der Pflichtteilsergänzung nicht berücksichtigt wird, wenn der Pflichtteilsergänzungsberechtigte mit dieser Schenkung einverstanden war, findet sich in den erbrechtlichen Normen jedoch nicht.
bb)
Endet aber der Güterstand nicht durch den Tod eines Ehegatten, sondern auf andere Weise – beispielsweise durch Scheidung -, so wird im Rahmen des Zugewinnausgleichs eine Schenkung auch dann nicht berücksichtigt und nicht fiktiv dem Endvermögen hinzugerechnet, wenn der andere Ehegatte mit der unentgeltlichen Zuwendung einverstanden war, § 1375 Abs. 3 BGB.
Wird der Güterstand auf andere Weise als durch den Tod eines Ehegatten beendet (§ 1371 Abs. 1 BGB), so wird der Zugewinn nach den Vorschriften der §§ 1373 bis 1390 BGB ausgeglichen, § 1372 BGB. Grundsätzlich wird dem Endvermögen nach § 1375 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB eines Ehegatten der Betrag hinzugerechnet, um den dieses Vermögen dadurch vermindert ist, dass ein Ehegatte nach Eintritt des Güterstandes unentgeltliche Zuwendungen gemacht hat. Nach § 1375 Abs. 3 BGB findet eine solche Hinzurechnung des Betrages der Vermögensminderung unter anderem dann nicht statt, wenn der andere Ehegatte mit der unentgeltlichen Zuwendung einverstanden war.
cc)
Wäre die Ehe des gemeinsamen Vaters der Parteien mit der Mutter der Beklagten nicht durch deren Tod, sondern durch Scheidung beendet worden, so wäre die Regelung des § 1375 Abs. 3 BGB zur Anwendung gelangt.
b)
Diese aufgezeigte Regelungslücke ist auch planwidrig. Die Regelungen der §§ 2325 ff. BGB sollen verhindern, dass der Erblasser durch Rechtsgeschäfte unter Lebenden den Pflichtteilsanspruch aushöhlt und die verfassungsrechtlich garantierte Mindestteilhabe am Vermögen des Erblassers faktisch aushebelt, indem er sich kurz vor seinem Tod vermögenslos stellt. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch soll daher eine Mindestbeteiligung nicht nur am realen Nachlass, sondern am wirtschaftlichen Wert des lebzeitigen Vermögens des Erblassers sicherstellen (vgl. hierzu ausführlich MüKo/Lange, BGB, 7. Aufl., § 2325 Rn. 1).
Dieser Normzweck wird jedoch nicht beeinträchtigt, wenn Schenkungen, die mit Einverständnis des späteren Pflichtteilsergänzungsberechtigten erfolgten, von der Pflichtteilsergänzung ausgenommen sind.
Der Gesetzgeber hat es jedoch offensichtlich übersehen, im Erbrecht einen dem § 1375 Abs. 3 BGB entsprechenden Ausnahmetatbestand zu schaffen. Dieses Versehen des Gesetzgebers dürfte auf den nachfolgenden Besonderheiten beruhen:
Eine Schenkung bedarf grundsätzlich nicht der Zustimmung eines Dritten. Denn im Grundsatz unterliegt es der freien Entscheidung des Schenkers, einen Vermögensgegenstand unentgeltlich auf einen anderen zu übertragen. Dieses typische Bild der gänzlich „freien“ Schenkung hatte offensichtlich auch der Gesetzgeber in Bezug auf die §§ 2325 ff. BGB vor Augen und hat daher keine Regelung für den Fall getroffen, dass der Erblasser die Zustimmung des späteren Pflichtteilsergänzungsberechtigten einholt.
Im Güterstand der Zugewinngemeinschaft schränkt jedoch § 1365 BGB die rechtsgeschäftliche Handlungsfreiheit der Ehegatten in Bezug auf ihr eigenes Vermögen ein, wenn eine Verfügung über das Vermögen im Ganzen erfolgen soll. Nach § 1365 Abs. 1 BGB kann ein Ehegatte sich nur mit Einwilligung des anderen Ehegatten verpflichten, über sein Vermögen im Ganzen zu verfügen. Hat er sich ohne Zustimmung des anderen Ehegatten verpflichtet, so kann er die Verpflichtung nur erfüllen, wenn der andere Ehegatte einwilligt.
Diese Einschränkung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiheit rechtfertigt sich aus den beiden Schutzzwecken des § 1365 Abs. 1 BGB. Zum einen soll die wirtschaftliche Grundlage der Ehe- und Familiengemeinschaft erhalten bleiben und nicht durch einseitige Vermögenstransaktionen eines Ehegatten beeinträchtigt werden können. Zum anderen soll im Falle des Scheiterns der Ehe die faktische Durchsetzung der Zugewinnausgleichsforderung gesichert werden (MüKo/Koch, BGB, 7. Aufl., § 1365 Rn. 1).
c)
Es besteht insoweit auch eine vergleichbare Interessenlage. Sowohl die Regelungen des § 1365 Abs. 1 BGB und des § 1375 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB als auch die §§ 2325 ff. BGB bezwecken, die Benachteiligung des Ehegatten bzw. des späteren Pflichtteilsberechtigten zu verhindern und dessen Teilhabe am Vermögen des Schenkers im Wege des Pflichtteils bzw. im Wege des Zugewinnausgleichs sicherzustellen. Während das Familienrecht in § 1375 Abs. 3 BGB aber eine Ausnahme für den Fall vorsieht, dass der andere Ehegatte mit dieser „Benachteiligung“ einverstanden ist und auf seinen Schutz verzichtet, fehlt eine solche Regelung in den erbrechtlichen Bestimmungen. Es ist daher interessengerecht, die Regelung des § 1375 Abs. 3 Alt. 2 BGB auch im erbrechtlichen Kontext zur Anwendung zu bringen. Dies gilt umso mehr, als sowohl das eheliche Güterrecht als auch die erbrechtlichen Bestimmungen im Übrigen übereinstimmend Ausnahmen für den Fall der Anstandsschenkung (§ 1375 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB und § 2330 BGB) und für den Fall des Ablaufs von zehn Jahren vorsehen (§ 1375 Abs. 3 S. Alt. 1 BGB und § 2325 Abs. 3 S. 2 BGB).
Es gibt auch keinen sachgerechten Grund dafür, dass der Ehegatte des Schenkers im Fall der Beendigung der Gütergemeinschaft durch den Tod besser stehen sollte, als im Falle der Beendigung durch Scheidung.
Würde § 1375 Abs. 3 BGB vorliegend nicht analog zur Anwendung gelangen, so wäre die Geltendmachung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs jedenfalls rechtsmissbräuchlich. Denn ein widersprüchliches Verhalten (venire contra factum proprium) ist nach § 242 BGB missbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Der gemeinsame Vater der Parteien hat aber vor dem Notar – auch gegenüber der ebenfalls anwesenden Beklagten – gerade ausdrücklich erklärt, mit der Schenkung einverstanden zu sein. Die Klägerin macht aber gerade einen (geerbten) Anspruch des gemeinsamen Vaters geltend. Es ist ihr als Rechtsnachfolgerin ebenso verwehrt, sich zu der vorherigen Zustimmung in Widerspruch zu setzen und nunmehr Pflichtteilsergänzungsansprüche in Bezug auf diese Schenkung geltend zu machen.
d)
Die mit Zustimmung des Erblassers erfolgte streitgegenständliche Schenkung hat daher analog § 1375 Abs. 3 BGB unberücksichtigt zu bleiben. Der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch besteht daher auch aus diesem Grunde nicht.
III.
Über den Hilfsantrag der Klägerin war mangels Bedingungseintritts nicht zu entscheiden.
IV.
1.
Kosten: § 91 Abs. 1 ZPO
2.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 S. 1, S. 2 ZPO
3.
Streitwert: §§ 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO