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Testamentsauslegung über das „Verschenken“ eines Hausanteils

Erbschaftsstreit: Hausanteil durch umstrittenes Testament

Das Oberlandesgericht Brandenburg entschied, dass der Erblasser den Antragsteller als seinen Alleinerben eingesetzt hat, indem er ihm seinen Hausanteil vermachte. Trotz fehlender expliziter Erbeinsetzung und ungewöhnlicher Formulierung („verschenke ich meinen Hausanteil“) im handschriftlichen Testament, wurde der wirkliche Wille des Erblassers durch Auslegung ermittelt. Zentral war dabei, dass der Hausanteil nahezu das gesamte Vermögen des Erblassers darstellte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 W 31/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Hausanteil als Hauptnachlassgegenstand: Der Erblasser vermachte seinen wesentlichen Vermögenswert, den Hausanteil, dem Beschwerdeführer.
  2. Testament durch Auslegung bestätigt: Trotz unkonventioneller Formulierung im Testament wurde der Wille des Erblassers, den Antragsteller als Alleinerben einzusetzen, bestätigt.
  3. Keine explizite Erbeinsetzung notwendig: Der Erblasser muss nicht ausdrücklich als Alleinerbe bezeichnet werden, wenn der Hauptnachlassgegenstand zugewendet wird.
  4. Einschätzung des Vermögenswertes: Der Hausanteil stellte den Hauptteil des Vermögens dar; andere Vermögenswerte waren unerheblich.
  5. Gültigkeit der testamentarischen Verfügung: Die Verfügung wurde als echt und wirksam angesehen.
  6. Geschäftsfähigkeit des Erblassers: Trotz psychischer Erkrankung wurde der Erblasser als geschäftsfähig eingestuft.
  7. Keine Bedeutung der Formulierung „plötzlichen Ablebens“: Diese spezifische Formulierung schränkte die Gültigkeit des Testaments nicht ein.
  8. Ablehnung formunwirksamen Vermächtnisses: Das Gericht sah die Verfügung nicht als formunwirksames Vermächtnis, sondern als gültige Erbeinsetzung.

Testamentsauslegung und Erbrecht: Ein juristischer Überblick

Das Erbrecht, ein wesentlicher Bestandteil des Zivilrechts, befasst sich mit der Regelung der Vermögensnachfolge nach dem Tod einer Person. Ein zentrales Element in diesem Rechtsgebiet ist die Testamentsauslegung, die häufig bei Unklarheiten oder Streitigkeiten über den wahren Willen des Erblassers zur Anwendung kommt. Besonders interessant wird es, wenn es um bedeutende Vermögenswerte wie einen Hausanteil geht, dessen Übertragung oft komplex und emotional aufgeladen ist. Die Frage, ob es sich bei einer testamentarischen Äußerung um eine Schenkung, ein Vermächtnis oder eine direkte Erbeinsetzung handelt, ist von entscheidender Bedeutung. Hierbei spielt der Erbschein eine wichtige Rolle, denn er bestätigt die Rechtsstellung des Erben und ist somit ein unverzichtbares Dokument im Erbrechtsverfahren.

Das folgende Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Komplexität der Testamentsauslegung, insbesondere im Kontext der Übertragung von Immobilienanteilen. Es beleuchtet, wie Gerichte den Willen des Erblassers interpretieren und welche Kriterien herangezogen werden, um zwischen verschiedenen Arten der Vermögensübertragung zu unterscheiden. Tauchen Sie mit uns in die Details dieses faszinierenden Falles ein und erfahren Sie mehr über die feinen Nuancen des Erbrechts.

„Ein Testament ohne das Wort Testament“: die Geschenkformel und das Versehen des Erblassers

Das Oberlandesgericht Brandenburg sah sich 2023 mit einem Fall von Testamentsauslegung konfrontiert, der um ein Dokument kreiste, das der Erblasser handschriftlich verfasst und in dem er seinen Hausanteil „verschenkt“ hatte. Der Wortlaut wie folgt, vermerkt wurde: „Für den Fall meines plötzlichen Ablebens, verschenke ich meinen Hausanteil an den Mitbesitzer des Hauses Herrn S. W.“ Grundlegend wurde argumentiert, ob die Verwendung des Wortes „verschenken“ für eine Testamentserklärung ausreichend war. Es galt zu klären, ob der Verstorbene den Antragsteller als Alleinerben einsetzen wollte und ob die Verfügung über seinen dominanten Besitz, das Haus, entscheidend für die Testamentsauslegung war.

Wer bestimmt die Vermächtnisse?: Der Wert des Vermögens und die eigenen Interpretationen

Der fragliche Hausanteil war offensichtlich das Hauptvermögen des Erblassers. Dieser hatte den Hausanteil zusammen mit dem Antragsteller, einem langjährigen Freund, erworben. Die Kernfrage zu dieser Thematik war, ob der Verstorbene den Erbscheinantragsteller durch die Zuweisung seines Hausanteils zum Alleinerben machen wollte. Die Tatsache, dass der Hausanteil fast das gesamte Vermögen des Erblassers ausmachte, brachte den Antragsteller zu der Überzeugung, dass er als Alleinerbe eingesetzt wurde. Das Amtsgericht teilte diese Ansicht jedoch nicht und lehnte den Antrag zurück. Es argumentierte, dass die bloße Schenkung eines Hausanteils in Form einer testamentarischen Verfügung noch keine Erbeinsetzung darstelle. Zudem ging das Amtsgericht davon aus, dass der Antragsteller nicht in den vollständigen Vermögensbestand des Verstorbenen eingesetzt wurde.

Die Suche nach der Wahrheit: Zeugenanhörungen und widersprüchliche Aussagen

Das Amtsgericht führte auch eine Zeugenuntersuchung durch. Die in dieser Untersuchung gesammelten Aussagen lieferten widersprüchliche Aussagen darüber, ob der Erblasser den Hausanteil tatsächlich „schenken“ oder ihn als Erbe einsetzen wollte. Alle Zeugen stimmten darin überein, dass der Erblasser den Hausanteil auf den Antragsteller übertragen wollte. Aber niemand konnte definitiv sagen, dass der Verstorbene auch beabsichtigt hatte, dass der Antragsteller den Großteil seines Vermögens erben sollte. Die Behauptung, dass es sich um ein Testament handle, konnte somit nicht eindeutig bestätigt werden.

Der Kampf um den Erbschein: Das endgültige Urteil und sein Haken

Schließlich entschied das Oberlandesgericht Brandenburg, dass trotz der Nutzung des Wortes „verschenken“ und trotz der fehlenden expliziten Erwähnung des Wortes „Testament“, der Antragsteller als Alleinerbe des Verstorbenen eingesetzt wurde. Dies lag daran, dass das Hauptvermögen des Erblassers, sein Hausanteil, übertragen wurde. Bei der Auslegung dieses Falls wurde deutlich, dass nicht unbedingt am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften bleiben muss, der vom Testierenden gewählt wurde. Der wirkliche Wille des Testierenden ist hier entscheidend. Dies unterstreicht die Komplexität von Erbschaftsfällen und die Bedeutung der Testamentsauslegung in diesen Fällen. Es spielt keine Rolle, ob das Testament formell korrekt ist, solange der wirkliche Wille des Erblassers deutlich ist.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist ein Erbschein und warum ist er wichtig?

Ein Erbschein ist ein amtliches Zeugnis in Form einer öffentlichen Urkunde, das die Erbenstellung einer Person nachweist. Dieses Dokument wird vom Nachlassgericht ausgestellt und bestätigt, wer Erbe ist und wie groß der Erbteil ist (§ 2353 BGB).

Der Erbschein ist besonders wichtig, wenn es Unstimmigkeiten darüber gibt, wer tatsächlich Erbe wird, oder wenn die Erbenstellung nicht durch ein anderes Dokument nachgewiesen werden kann. Er wird oft benötigt, um gegenüber Dritten, wie Banken, Versicherungen oder dem Grundbuchamt, die Erbenstellung nachzuweisen.

Ein Erbschein kann jederzeit beantragt werden und es gibt keine festgelegte Frist für die Beantragung. Antragsberechtigt sind der oder die Erben, der Testamentsvollstrecker, Nachlassverwalter, Nachlassinsolvenzverwalter, der Abwesenheitspfleger und sogar jeder Gläubiger des Erben, der über einen vollstreckbaren Titel verfügt.

Die Kosten für einen Erbschein hängen vom Wert der Erbschaft ab. Zum Beispiel kostet der Erbschein rund 150 Euro, wenn der Wert der Erbschaft 10.000 Euro beträgt.

Sollte sich später herausstellen, dass der erteilte Erbschein falsch ist, zum Beispiel wenn ein jüngeres Testament auftaucht, das die Erbfolge anders bestimmt, als es im Erbschein steht, muss das Nachlassgericht den Erbschein einziehen (§ 2361 BGB).

Es gibt verschiedene Arten von Erbscheinen, die auf bestimmte Situationen in Erbfällen zugeschnitten sind. Beispielsweise gibt es den Alleinerbschein für den Alleinerben, den gemeinschaftlichen Erbschein oder Teilerbschein für mehrere Erben und den Fremdrechtserbschein und gegenständlich beschränkten Erbschein für spezielle Fälle.

Es ist jedoch zu erwähnen, dass ein Erbschein nicht immer notwendig ist. Wenn die Erben sich auf andere Weise ausweisen können, zum Beispiel mit einem Testament, oder noch eine wirksame Vollmacht des Erblassers haben, kann der Erbschein überflüssig sein.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 31/22 – Beschluss vom 22.02.2023

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Königs Wusterhausen vom 14.12.2021 – 6 VI 564/19 – aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, den beantragten Erbschein zu erteilen.

Der Beschwerdewert beträgt bis zu 80.000 €.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist.

Der Erblasser war geschieden und hatte einen Sohn, den am 09.06.1992 geborenen Beteiligten zu 2. Dieser hatte nach der (kurz nach seiner Geburt erfolgten) Trennung seiner Eltern nur sporadisch Kontakt zu dem Erblasser, seit 2014 ist der Kontakt gänzlich abgebrochen.

Der Beteiligte zu 1 war ein langjähriger Freund des Erblassers. Gemeinsam erwarben sie im Jahr 2008 zwei zusammenhängende und mit einem Haus bebauten Grundstücke in P., wobei der Erblasser mit einem Anteil von 64,29/100 und der Beteiligte zu 1 mit einem Anteil von 35,71/100 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen wurden.

Der Antragsteller hat nach dem Tod des Erblassers ein handschriftlich verfasstes und vom 20.03.2013 datierendes Schriftstück mit folgendem Wortlaut eingereicht:

„Für den Fall meines plötzlichen Ablebens,

verschenke ich meinen Hausanteil an den Mitbesitzer des Hauses Herrn S. W..

C. S.“ (Bl. 4 der Akte 6 IV 487/19).

Unter Bezugnahme auf dieses Schriftstück hat der Antragsteller unter dem 08.07.2019, eingegangen beim Amtsgericht am 11.07.2019, unter Beifügung einer notariell beurkundeten eidesstattlichen Versicherung beantragt, ihm einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben ausweist.

Er ist der Ansicht, bei dem Schriftstück vom 20.03.2013 handele es sich um ein Testament, mit dem der Erblasser ihn als Alleinerben eingesetzt habe, da der Miteigentumsanteil an dem Hausgrundstück nahezu das gesamte Vermögen des Erblassers ausgemacht habe. Dass er damit zugleich seinen Sohn enterbt habe, sei angesichts des fehlenden Kontakts verständlich.

Dem tritt der Beteiligte zu 2 mit der Behauptung entgegen, der Erblasser habe das Schriftstück vom 20.03.2013 nicht eigenhändig geschrieben. Ungeachtet dessen handele es sich dabei um ein formunwirksames Vermächtnis. Der Erblasser sei außerdem aufgrund seiner Erkrankung nicht testierfähig gewesen. Deshalb sei er – der Beteiligte zu 2 – aufgrund gesetzlicher Erbfolge Alleinerbe.

Das Amtsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen S., B., T. und K. (wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme siehe die Sitzungsprotokolle vom 02.07.2020, Bl. 177 ff. und vom 19.02.2021, Bl. 237 ff.) den Antrag mit Beschluss vom 14.12.2021 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Schriftstück vom 20.03.2013 kein Testament sei, weshalb dahinstehen könne, ob der Erblasser es eigenhändig verfasst habe und ob er testierfähig gewesen sei. Es fehle an einer entsprechenden Überschrift wie bei privatschriftlichen Testamenten üblich. Auch habe der Erblasser nicht sein Vermögen oder Bruchteile dessen vererbt, sondern nach seinem Wortlaut seinen „Hausanteil verschenkt“ und damit lediglich einen Teil eines bzw. mehrerer Gegenstände zugewandt, so dass nach § 2087 Abs. 2 BGB hier nicht von einer Erbeinsetzung auszugehen sei. Zwar könne die Auslegung einer letztwilligen Verfügung ergeben, dass mit der Zuwendung einzelner Gegenstände eine Erbeinsetzung erfolgt sei. Dies sei vorliegend aber nicht anzunehmen, weil der Hausanteil des Erblassers nach dessen Vorstellungen am 20.03.2013 nicht den gesamten Nachlass umfasst habe. So habe er über nicht unerhebliche Bausparguthaben und eine Lebensversicherung verfügt, wobei er das Bezugsrecht bezüglich letzterer erst 2016 auf seine ehemalige Lebensgefährtin übertragen habe. Auch die weiteren Umstände sprächen nicht für eine Erbeinsetzung. Sämtliche Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, dass der Erblasser eine Grundstücksübertragung auf den Beteiligten zu 1 gewollt habe, nicht aber, dass er diesem auch seine weiteren Vermögenswerte habe überlassen und ihn den Nachlass habe abwickeln lassen wollen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sich der Erblasser darüber keine Gedanken gemacht habe und lediglich die Eigentumsverhältnisse an seinem Grundstück habe regeln wollen. Anhaltspunkte dafür, dass er seinen Sohn von der Erbfolge habe ausschließen wollen, gebe es nicht, auch wenn er nur sporadisch Kontakt zu ihm gehabt habe. Es könne dahinstehen, ob es sich um ein formunwirksames Schenkungsversprechen nach §§ 125, 518 Abs. 1 BGB oder um ein Schenkungsversprechen von Todes wegen gemäß § 2301 Abs. 1 BGB handele, da in beiden Fällen aus den vorgenannten Gründen allein eine Umdeutung in ein Vermächtnis und nicht in eine Erbeinsetzung in Betracht komme.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er meint, dass die Verfügung vom 20.03.2013 unabhängig von einer entsprechenden fehlenden Überschrift als Testament anzusehen sei. Auch der von dem Erblasser laienhaft verwendete Begriff der Schenkung sei nicht maßgeblich. Entscheidend sei vielmehr, ob der Erblasser mit seinem Hausanteil über sein gesamtes Vermögen verfügt habe. Das Amtsgericht habe bei der Beurteilung dieser Frage fälschlich auf ein Bausparguthaben in Höhe von 30.394 € abgestellt. Dieser Bausparvertrag sei aber erst im Jahr 2015 abgeschlossen worden. Auch der weitere Bausparvertrag vom 23.10.2015 mit der Nummer 6… sei erst nach dem hier maßgeblichen 20.03.2013 geschlossen worden. Im Übrigen stellten die Bausparverträge kein zusätzliches Vermögen des Erblassers dar, da sie gerade der Finanzierung der Immobilie gedient hätten und somit im Immobilienwert enthalten seien. Selbst wenn man, wie es das Amtsgericht fehlerhaft getan habe, auf den Vermögensbestand zum Todeszeitpunkt abstelle, sei seit 2013 kein Vermögenswert hinzugekommen. Ob der von dem Erblasser benutzte Krankenstuhl zu dessen Vermögen am 20.03.2013 gezählt habe, sei völlig ungeklärt. Da der Erblasser von einer EU-Rente gelebt habe, sei davon auszugehen, dass seine Krankenkasse den Krankenstuhl als Hilfsmittel finanziert und dem Erblasser leihweise zur Verfügung gestellt habe. Der Hausrat stelle keinen wesentlichen Vermögenswert dar und gehöre bei verständiger Auslegung der Verfügung vom 20.03.2013 ohnehin zum Hausanteil. Der Erblasser habe gewollt, dass sein Anteil am Grundstück mit dem Haus, so wie es steht und liegt, als sein einziger Vermögenswert nach seinem Tod an ihn – den Antragsteller – habe fallen sollen. Die Girokonten wiesen kein wesentliches Guthaben auf. Wenn das Amtsgericht von mehreren Vermögenswerten ausgegangen sei, hätte es einen Bruchteilserbschein erlassen müssen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde des Antragstellers nicht abgeholfen und die Sache mit Beschluss vom 23.02.2022 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt und zur Begründung auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Ergänzend hat es ausgeführt, es bestünden Zweifel an einer Erbeinsetzung, die nicht mit hinreichender Sicherheit hätten ausgeräumt werden können. Dies gehe zu Lasten des Antragstellers, den die Feststellungslast hinsichtlich der wirksamen Errichtung eines Testaments treffe. Ein Bruchteilserbschein könne schon mangels eines entsprechenden Antrags nicht erlassen werden.

II.

Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde ist begründet. Der beantragte Erbschein ist zu erteilen, weil der Beschwerdeführer von dem Erblasser als dessen Alleinerbe eingesetzt wurde.

1.

Zwar hat der Erblasser den Beschwerdeführer in der Verfügung vom 20.03.2013 nicht ausdrücklich als seinen Alleinerben eingesetzt. Die Verfügung ist jedoch auszulegen, wobei es nach § 133 BGB auf den wirklichen Willen eines Testierenden ankommt und nicht zwingend an dem von ihm buchstäblich gewählten Sinn des Ausdrucks zu haften ist (OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.10.2021 – 20 W 24/21, ZEV 2022, 274 Rn. 19). Ausgangspunkt der Auslegung ist zwar der Wortlaut der Verfügung, Vorrang hat aber stets der wirkliche erklärte Wille des Erblassers, der sich auch aus dem Zusammenhang mit anderen Teilen des Testaments und der Gesamtheit der zu berücksichtigenden Umstände (auch außerhalb des Testaments) ergeben kann. Auch der scheinbar klare und eindeutige Wortlaut setzt der Auslegung keine Grenzen. Insbesondere können auch Rechtsbegriffe, die in der juristischen Fachsprache einen ganz bestimmten Sinn haben, vom Erblasser anders verstanden und verwendet werden (MüKo/Leipold, BGB, 9. Aufl., § 2084 Rn. 12). Das Schriftstück muss auch nicht die Bezeichnung „Testament“, „letzter Wille“, „letztwillige Verfügung“ oder ähnliches enthalten (Staudinger/Baumann (2022) BGB § 2247, Rn. 57).

Dass der Erblasser dem Beschwerdeführer für den Fall seines plötzlichen Ablebens seinen Hausanteil „verschenken“ wollte, ist nicht als Schenkung im Rechtssinn zu verstehen. Denn im Zweifel ist die Auslegung so vorzunehmen, dass die Verfügung Erfolg haben kann, § 2084 BGB. Damit kommt hier nur eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis in Betracht, weil dafür nach § 2247 Abs. 1 BGB eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung ausreichend ist.

Gemäß § 2087 Abs. 2 BGB ist die Zuwendung nur einzelner Gegenstände im Zweifel allerdings nicht als Erbeinsetzung aufzufassen. Die Vorschrift kommt jedoch erst dann zur Anwendung, sofern im Wege der individuellen Auslegung (§§ 133, 2084 BGB) kein anderer Erblasserwillen festgestellt werden kann. Führt diese zu einem eindeutigen Ergebnis, ist für die Anwendung der gesetzlichen Regel kein Raum (OLG München, FGPrax 2020, 141).

Hier ergibt die Auslegung der Verfügung vom 20.03.2013, dass der Erblasser die Beschwerdeführer als seinen Alleinerben einsetzen wollte und ihn nicht nur im Wege eines Vermächtnis bedenken wollte. Für die Abgrenzung zwischen Erbeinsetzung und Vermächtnis stellt die Rechtsprechung auf die Wertverhältnisse der verteilten Gegenstände ab. Danach liegt es nahe, als Alleinerben die Person oder Personen anzusehen, der oder denen wertmäßig der Hauptnachlassgegenstand zugewiesen ist und als Vermächtnisnehmer die Personen, die mit Gegenständen von verhältnismäßig geringem Wert bedacht sind. Insbesondere wenn eine Immobilie ihrem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet, liegt es nahe, in ihrer Zuwendung an eine bestimmte Person deren Einsetzung als Alleinerbe zu sehen. Maßgebend dabei sind die Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenstände hat (BGH, NJW-RR 2017, 1035 Rn. 29; OLG Brandenburg, NJW-RR 2009, 14; BayObLG, Beschluss vom 19.04.2000 – 1Z BR 130/99, BeckRS 2000, 4390 Rn. 20; OLG Düsseldorf, ZEV 2017, 143 Rn. 19, Burandt/Rojahn/Czubayko, Erbrecht, 4. Aufl., BGB § 2087 Rn. 7 m.w.N.).

Die Rechtsprechung geht regelmäßig von einem „Gesamtverfügungswillen“ aus, wenn der Erblasser über mindestens 80% seines gesamten Vermögens verfügt hat (jurisPK-BGB/Reymann, BGB, 9. Aufl., Stand: 18.01.2023, § 2174, Rn. 99 m.w.N.). Entgegen dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB, der nur bei Fehlen eines Erblasserwillens zur Anwendung gelangt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Testierende, wenn er davon ausging, über nahezu sein gesamtes Vermögen zu verfügen, (zumindest) eine Erbeinsetzung vornehmen wollte (OLG München, FGPrax 2020, 141; jurisPK/Reymann, a.a.O., Rn. 98).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist hier davon auszugehen, dass der Erblasser den Beschwerdeführer als Alleinerben eingesetzt hat, indem er ihm seinen Hausanteil zugedacht hat. Denn dieser machte am 20.03.2013 den wesentlichen Teil seines Vermögens aus. Der Erblasser hat seinen 64,29/100 Anteil der Gebäude- und Freifläche F.-sraße … in P. (Grundbuch von P., Blatt …, Flur … Flurstück …und Flur …Flurstück …) durch notariellen Vertrag vom 19.12.2008 erworben. Ausweislich des Nachlassverzeichnisses des Nachlasspflegers hatten die Anteile des Erblassers an dem aus zwei zusammenhängenden Flurstücken bestehenden Hausgrundstück zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers am 28.03.2019 einen Wert von insgesamt 103.764,06 € (43.074,30 € + 60.689,76 €). Darüber hinaus verfügte der Erblasser am 20.03.2013 über kein wesentliches Vermögen.

Insbesondere hatte er kein Bausparguthaben, das als solches anzusehen wäre. Zur Finanzierung des Grundstückserwerbs hat er mit Vertragsbeginn zum 16.06.2008 einen Bausparvertrag bei der W. AG zur Vertragsnummer 6… geschlossen (Anlage ASt 03). Im Jahr 2015 hat er diesen umgeschuldet (Kontoauszug aus Januar 2016, Anlage ASt 03, Bl. 259). Die noch offene Darlehenssumme aus dem Vertrag vom 16.06.2008 wurde durch ein mit Bausparvertrag vom 20.10.2015 zur Vertragsnummer 6… ausgezahltes Darlehen in Höhe von 12.371,57 € abgelöst (Anlagen ASt 01, Bl. 257, und ASt 03, Bl. 259). Das zum 31.12.2015 ausgewiesene Bausparguthaben in Höhe von 24.496,62 € (Anlage Ast 02, Bl. 258) ist in Zusammenhang mit dem Zwischendarlehen über 50.000 € zu sehen, wie sich den Kontoauszügen (Anlagen ASt 01 bis 03, Bl. 257 ff.) entnehmen lässt, in denen von „Ablösung Auffüllkredit“ bzw. „Kreditbesparung“ im Zusammenhang mit der Summe von 25.000 € die Rede ist, aus der das Guthaben in Höhe von 24.496,62 € ermittelt wurde. Dieses Bausparguthaben diente allein der Kredittilgung nach Zuteilung, wie sich aus dem Schreiben der W. AG vom 01.10.2020 (Anlage ASt 05, Bl. 261) ersehen lässt, wonach das ausgezahlte Zwischendarlehen in Höhe von 50.000 € mit dem Sparguthaben in Höhe von 24.536,39 € einschließlich Zinsen verrechnet wurde, so dass ein Anfangsdarlehen von 25.972,88 € verbleibt, was weiterhin durch monatliche Raten von 175 € abzuzahlen ist. Nichts anderes gilt für das Bausparguthaben in Höhe von 6.194,54 € zum Vertrag 6…, wie sich den Erläuterungen des Nachlasspflegers zum Nachlassverzeichnis entnehmen lässt.

Es beruht auf den Besonderheiten des Bausparvertrags als Zwecksparvertrag, dass der Bausparer erst nach Leistung von Bauspareinlagen einen Rechtsanspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens erwirbt (§ 1 Abs. 2 BauSparkG). Das Bausparen besteht aus einem zweiphasigen Vertragsverhältnis in Form eines kombinierten Spar- und Darlehensvertrags. In der Ansparphase leistet der Bausparer bis zu einem festgelegten Betrag zumeist ratierliche Bauspareinlagen, die Bestandteil des zweckgebundenen Vermögens der Bausparkasse werden (sog. Zuteilungsstock). Diese Mittel dienen – wie hier – u.a. den Tilgungsleistungen bereits laufender Bauspardarlehen (v. Westphalen/Thüsing VertrR/AGB-Klauselwerke, 48 EL März 2022, Bausparbedingungen (ABB) Rn. 4). Der Bausparvertrag kombiniert also einen, ebenfalls als Darlehensvertrag einzuordnenden, Sparvertrag mit einem Darlehensvertrag zu einem einheitlichen Gelddarlehensvertrag mit der Besonderheit, dass Bausparer und Bausparkasse bei Inanspruchnahme des Bauspardarlehens ihre Rollen als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschen (MüKo/K.P.Berger, BGB, 8. Aufl., vor § 488 Rn. 28). Wird dem Bausparer – wie hier – zur Überbrückung der Wartefrist ein Zwischenkredit gewährt, so handelt es sich um einen selbständigen, ebenfalls zweckgebundenen Darlehensvertrag. Der Bausparer hat in diesem Fall keinen Anspruch auf Auszahlung seines Bausparguthabens, und auch eine Verrechnung der für den Bausparvertrag und den Zwischenkredit zu zahlenden Zinsen kommt nicht in Betracht (MüKo/K.P.Berger, a.a.O., vor § 488 Rn. 29), denn bei der Gewährung eines Zwischenkredits werden auch die schon erbrachten Sparleistungen kreditiert (BGH, Urteil vom 29.03.1976 – III ZR 126/73, BeckRS 2009, 89108). Demzufolge ist das Bausparguthaben im vorliegenden Fall kein neben dem Immobilienvermögen separat zu wertendes Vermögen.

Außer dem Immobilienwert von 103.764,06 € hatte der Erblasser – selbst wenn man davon ausgeht, dass sein Eigentumsanteil im Jahr 2013 etwas weniger wert war als 2019 – keine nennenswerten Vermögenswerte. Dem Hausrat hat der Nachlasspfleger keinen Wert beigemessen. Dieser erreicht jedenfalls zusammen mit dem von dem Beschwerdeführer angegebenen Verkaufserlös von 1.800 € für den fahrbaren Rollstuhl (siehe Schriftsatz vom 28.10.2019, Bl. 48) keinesfalls mehr als 20% des Immobilienwerts, wie sich aus den von den Beteiligten eingereichten und von dem Nachlasspfleger angefertigten Fotos und den Angaben der Zeugen zum Hausrat feststellen lässt. Allenfalls die Möbel könnten noch einen Erlös im Bereich eines niedrigen vierstelligen Betrages erbringen. Dies gilt auch, wenn die Lebensversicherung im Jahr 2013 schon bestanden haben sollte, da diese sich seinerzeit allenfalls auf rund 5.000 € belief. Weitere Vermögenswerte hatte der Erblasser nicht. Sein Girokonto wies im Todeszeitpunkt ein Guthaben von 331,33 € und sein Extrakonto von 51,19 € auf. Angesichts der Tatsache, dass der Erblasser auch schon 2013 nur eine geringe EU-Rente bezog (diese belief sich zuletzt auf 1.056,60 €, siehe Bl. 38 der beigezogenen Akte 61 VI 972/20), und durch einen Minijob nur zeitweise einen geringfügigen Hinzuverdienst hatte, ist auch nicht davon auszugehen, dass er bei Errichtung der Verfügung über nennenswertes Geldvermögen verfügte.

Auch die sonstigen Umstände sprechen nicht gegen eine Erbeinsetzung des Beschwerdeführers. Dieser war ein enger Freund des Erblassers seit Schulzeiten, die Zeugin S. bezeichnete ihn sogar als Familienmitglied des Erblassers. Zu seinem Sohn – dem Beteiligten zu 2 – hatte der Erblasser hingegen kaum Kontakt.

2.

Der Formulierung „plötzlichen Ablebens“ kommt hier keine einschränkende Bedeutung – etwa im Sinne der Geltung der Verfügung nur für bestimmte Todesarten – zu. Eine solche nur auf bestimmte Fälle beschränkte Wirksamkeit wird nur im Rahmen gemeinschaftlicher Ehegattentestamente diskutiert (vgl. Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, 2. Aufl., § 26 Rn. 19 ff.; MüKo/Leipold, a.a.O., § 2084 Rn. 51 ff); im vorliegenden Fall hat das Wort „plötzlich“ keinen besonderen Sinn.

3.

Die testamentarische Verfügung vom 20.03.2013 ist auch echt. Der Erblasser hat sie eigenhändig geschrieben und unterschrieben. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen werden, wonach ein Schriftvergleich mit anderen Schriftstücken des Erblassers im Wege des Augenscheins keine Anhaltspunkte für eine Fälschung gibt. Dies wird noch dadurch gestützt, dass der Erblasser später gegenüber dem Zeugen W. erwähnte, dass er eine handschriftliche Verfügung getroffen habe, wonach der Beschwerdeführer das Haus erben solle. Die Aussage ist auch glaubhaft. Der Zeuge W. hat als ehemaliger Nachbar des Erblassers kein erkennbares Eigeninteresse an einem bestimmten Ausgang des vorliegenden Erbscheinsverfahrens, zumal er auch kein Näheverhältnis zu dem Beschwerdeführer hat, den er hauptsächlich vom Sehen und aus Erzählungen des Erblassers sowie einer Geburtstagsfeier kennt. Die Einholung eines graphologischen Gutachtens ist entbehrlich. Denn das Gericht kann selbst einen Schriftvergleich mit anderen Schriftstücken des Erblassers anstellen und sich auf das Ergebnis seines Augenscheins nach freier Überzeugung verlassen. Haben Zeugenaussagen zur Überzeugung von der Eigenhändigkeit geführt, kann ebenfalls von der Einholung eines schriftvergleichenden Gutachtens abgesehen werden (BayObLG NJW-RR 1986, 494; ZEV 1994, 369; OLG Bamberg, Beschluss vom 25.02.2019 – 1 W 4/19, Rn. 9, juris; Erman/Kappler, BGB, § 2247 Rn. 13).

4.

Schließlich war der Erblasser bei Abfassung der testamentarischen Verfügung vom 20.03.2013 auch geschäftsfähig. Davon ist aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin K. auszugehen. Die Zeugin K. ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und hat den Erblasser seit 1998 wegen einer bipolaren affektiven Psychose behandelt. Dabei handelt es sich um eine sog. Gemütserkrankung, bei der depressive und manische Phasen im Wechsel auftreten. Dass er – wie der Beteiligte zu 2 meint – an einer schizophrenen Psychose litt, schloss die Zeugin aus. Die Zeugin schätzte den Erblasser in der gesamten Behandlungszeit – also von 1998 bis zu seinem Tod – als jemanden ein, der wusste, was er tat, also mit anderen Worten geschäftsfähig war. Dies gelte etwas eingeschränkt für die Zeiten seiner manischen Phasen. Am 20.03.2013 befand sich der Erblasser jedoch nicht in einer manischen Phase. Der Erblasser suchte die Praxis der Zeugin regelmäßig im Abstand von sechs bis acht, maximal zwölf Wochen auf. Die Zeugin sah den Erblasser vor Abfassung der testamentarischen Verfügung vom 20.03.2013 zuletzt am 04.03.2013 und nach dem 20.03.2013 erstmalig wieder am 23.04.2013, wie sie ihren Unterlagen entnehmen konnte. Während sie den Erblasser am 04.03.2013 als leicht depressiv erlebte, ging es ihm am 23.04.2013 noch schlechter. Da der Erblasser am 23.04.2013 keine zwischenzeitliche manische Phase erwähnte, was er nach Aussage der Zeugin K. getan hätte, ist anzunehmen, dass er sich am 20.03.2013 nicht in einer solchen befand. Dass es sich nicht um eine Augenblicksentscheidung in einer manischen Phase handelte, wird auch aus den Äußerungen des Erblassers gegenüber den Zeugen W. und S. deutlich, denen er von der Verfügung berichtete bzw. von einem Willen, dem Beschwerdeführer das Haus zukommen zu lassen.

Die Einschätzung der sachverständigen Zeugin K. bezüglich der Geschäftsfähigkeit des Erblassers deckt sich auch damit, dass dieser trotz seiner psychischen Erkrankung einschränkungslos am Geschäftsleben teilnahm. So konnte er 2008 den notariellen Grundstückskaufvertrag abschließen. Der beurkundende Notar hatte offenbar keine Zweifel an der von ihm gemäß §§ 11, 28 BeurkG zu prüfenden Geschäftsfähigkeit des Erblassers, andernfalls hätte er die Beurkundung ablehnen bzw. etwaige Zweifel in der Urkunde vermerken müssen. Auch die Bausparkasse sah offenbar keinen Hinderungsgrund, mit dem Erblasser 2008 sowie 2015 Bausparverträge abzuschließen.

5.

Da die Beschwerde erfolgreich war, fallen keine Gerichtskosten an (§ 25 GNotKG). Die Anordnung der Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beteiligten zu 1 ist nicht geboten.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 40 GNotKG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

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