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Auslegung wechselbezügliches gemeinschaftliches Testaments bei Ehepartnern

OLG Frankfurt – Az.: 20 W 3/20 – Beschluss vom 29.04.2021

Der angefochtene Beschluss des Nachlassgerichts, mit dem dieses den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 07.09.2017 (Urkunde des Notars A, Stadt1, Nr. …/2017) zurückgewiesen hat, wird unter Aufrechterhaltung im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die erforderlichen Tatsachen zur Erteilung des in vorgenannter Urkunde vom 07.09.2017 beantragten Erbscheins, wonach der Erblasser von der Beteiligten zu 1 alleine beerbt worden ist, werden für festgestellt erachtet.

Die Erteilung des entsprechenden Erbscheins bleibt dem Nachlassgericht vorbehalten.

Eine Erstattung der den Beteiligten im Verfahren der Beschwerde etwa entstandenen notwendigen Aufwendungen erfolgt nicht.

Gründe

I.

Der kinderlose Erblasser war zweimal verheiratet.

Mit seiner am XX.XX.2002 vorverstorbenen ersten Ehefrau, Vorname1 Nachname1, geborene Nachname2, ebenfalls kinderlos, hat er am 19.07.2002 vor dem Rechtsanwalt Vorname3 Nachname3 als amtlich bestellter Vertreter des Notars Vorname4 Nachname4, Stadt2, zu dessen Urkunde Nr. …/2002 ein vom Nachlassgericht eröffnetes gemeinschaftliches Testament errichtet, auf dessen Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird (Originalurkunde nach Bl. 41 d. A.; nachfolgend nur: Testament von 2002).

Dieses Testament hat auszugsweise folgenden Inhalt:

„Die Erschienenen bitten um Beurkundung des nachfolgenden

gegenseitigen wechselbezüglichen Testaments

(…)

§ 3

Der Notar erläuterte zunächst das Wesen gemeinschaftlicher wechselbezüglichen Testamente, insbesondere eines Berliner Testaments.

§ 4

Die Erschienenen erklären nunmehr ihren letzten Willen wie folgt:

(…)

2. Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein. Auf § 2270 BGB, den der Notar erläutert hat, nehmen wir Bezug.

3. Erben des Letztversterbenden sollen

a) Herr Nachname6, geb. XX.XX.1934 (…),

b) Frau Nachname10, geb. am XX.XX.1941 (…)

zu je 1/2 sein.

4. Sollte eine der beiden vorgenannten Erben durch Vorversterben nicht zur Erbfolge kommen, so bestimmen wir als Ersatzerben die ehelichen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge. Kommt auch danach niemand zur Erbfolge, so wächst der Anteil der weggefallenen Erben den übrigen Erben im Verhältnis zu ihren oben bestimmten Erbanteilen zu.

§ 5

Sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen sind wechselbezüglich und können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden.

Der Längstlebende von uns wird in keiner Weise in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass beschränkt oder beschwert. Er kann über das Nachlassvermögen und sein eigenes Vermögen in jeder Weise frei verfügen (…)“.

Die in diesem Testament genannten Vorname6 Nachname6, Bruder des Erblassers, und Vorname10 Nachname10, Nichte der ersten Ehefrau des Erblassers, sind am XX.XX.2013 bzw. XX.XX.2009 verstorben. Bei den hiesigen Beteiligten zu 2 bis 4 handelt es sich um die Kinder der Vorname10 Nachname10, bei den hiesigen Beteiligten zu 5 und 6 um die Kinder des Vorname6 Nachname6.

Mit seiner zweiten Ehefrau, der hiesigen Beteiligten zu 1, hat der Erblasser am 04.11.2004, vor dem Notar Vorname4 Nachname4, Stadt2, zu dessen Urkunde Nr. …/2004 ein ebenfalls vom Nachlassgericht eröffnetes gemeinschaftliches Testament errichtet, auf dessen Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird (beglaubigte Abschrift vor Bl. 55 d. A.; nachfolgend nur: Testament von 2004).

Dieses Testament hat auszugsweise folgenden Inhalt:

„(…) Die Erschienenen bitten um Beurkundung des nachfolgenden

gemeinschaftlichen Testaments nebst Pflichtteilsverzicht.

(…)

§ 1

Der Notar erläuterte zunächst das Wesen gemeinschaftlicher wechselbezügliche Testamente, insbesondere eines Berliner Testaments.

§ 2

(…)

Wir sind durch frühere Verfügungen von Todes wegen an der Errichtung dieses gemeinschaftlichen Testaments nicht gehindert. Dies gilt insbesondere für das Testament vom 19.07.2002 – UR.Nr. …/2002 – des amtierenden Notars, weil dort in § 5 Abs. 2 festgelegt ist, dass der Erschienene zu 1. in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass nicht beschränkt oder beschwert ist und dass er über sein Vermögen in jeder Weise frei verfügen kann.

§ 3

Die Erschienenen erklären nunmehr ihren letzten Willen wie folgt:

1. Alle etwa früher errichteten letztwilligen Verfügungen (…) sollen keine Geltung mehr haben. Dies gilt insbesondere auch für das oben bereits erwähnte Testament vom 19.07.2002 – UR. Nr. …/2002 – des amtierenden Notars. Der Erschienene zu 1. widerruft also ausdrücklich die Erbeinsetzung von Herrn Vorname6 Nachname6 und Frau Vorname10 Nachname10 in § IV Nr. 3 dieses Testaments.

2. Wir setzen uns gegenseitig zu Alleinerben ein. Auf § 2270 BGB, den der Notar erläutert hat, nehmen wir Bezug.“

Nach Vermächtnisanordnungen heißt es dann weiter:

„§ 5

Jeder Erschienene soll, wenn er den anderen überlebt, berechtigt sein, völlig frei von Todes wegen über seinen Nachlass zu verfügen, insbesondere also auch dieses Testament abzuändern oder zu vernichten (…)“.

Verfahrensgegenständlich ist hier der notarielle Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 vom 07.09.2017, Urkunde Nr. …/2017 des Notars A, Stadt1, auf den Bezug genommen wird (Bl.123 ff. d. A.). Mit diesem beantragt die Beteiligte zu 1 unter Bezugnahme auf das Testament von 2004 einen Erbschein, der sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisen soll.

Die Beteiligten zu 2 bis 4 haben sich vor dem Nachlassgericht gegen den Erlass dieses Erbscheins gewandt. Der Erblasser und seine erste Ehefrau, die zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von 2002 – unstreitig – bereits schwer erkrankt gewesen ist, und deren tatsächlich dann auch etwa einen Monat später eingetretener Tod abzusehen gewesen sei, hätten mit diesem Testament ihren Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass das Vermögen in der Familie verbleibe, jeweils zur Hälfte in der Familie des Erblassers und der seiner ersten Ehefrau. Durch § 5 Abs. 2 des Testaments 2002 werde lediglich klargestellt, dass Verfügungen zu Lebzeiten des Längstlebenden zulässig sein sollten, nicht aber solche von Todes wegen. Genau dies sei der Wunsch des Erblassers und seiner ersten Ehefrau gewesen. Wegen ihrer Darlegungen im Einzelnen wird auf die Schriftsätze ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 10.10.2017, 19.03.2018 und 28.09.2019 Bezug genommen (Bl. 153 ff., 190 ff. und 319 ff. d. A.).

Die Beteiligte zu 1 hat demgegenüber bereits vor dem Nachlassgericht die Auffassung vertreten, dass der Erblasser durch das Testament 2002 nicht gebunden gewesen sei. Wegen der entsprechenden Darlegungen im Einzelnen wird auf ihren bereits in Bezug genommenen Erbscheinsantrag sowie auf die Schriftsätze ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 06.11.2017 (Bl. 164 ff. d. A.), 05.04.2018 (Bl. 200 ff. d. A.), 10.07.2019 (Bl. 292 ff. d. A.) und 18.10.2019 (Bl. 336 d. A.) verwiesen.

Die Beteiligte zu 6 hat mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 28.06.2019 beantragt, Frau Vorname4 Nachname6, die Witwe von Nachname6, dem Bruder des Erblassers, zu befragen und hat eine von dieser unterschriebene eidesstattliche Versicherung vom selben Tag an das Nachlassgericht übersandt, auf die Bezug genommen wird (Bl. 280 ff. d. A.). Diese hat auszugweise folgenden Inhalt:

„Ich habe mit Frau Vorname8 Nachname6 über den Nachlass im Falle ihres Todes gesprochen, zu einem Zeitpunkt, an dem sie noch im Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten befand, ungefähr 2 Monate vor dem Verfassen des ersten Testaments im Jahr 2002.

Dem Gespräch zufolge, habe für Frau Vorname8 Nachname6 immer an erster Stelle gestanden, dass sich die Familie Nachname6, nach dem Tod der Eheleute Vorname8, Nachname6 und Vorname9 Nachname6, keine finanziellen sowie existenziellen Sorgen machen müsse und berichtete darüber hinaus, dass sie aufgrund dessen die Familie Vorname6 Nachname6 ausreichend testamentarisch bedenken würde. Eine einseitige Änderung des gemeinschaftlichen Testaments von 2002, postum, ausgehend von Ihrem Ehemann, wäre für sie, ihren Erzählungen zufolge, niemals in Frage gekommen.“

Das Nachlassgericht hat den Notar Vorname4 Nachname4 wegen der Hintergründe der Testamente von 2002 und 2004 zunächst schriftlich und danach persönlich als Zeugen vernommen. Weiterhin hat es den Sohn des Vorname4 Nachname4, Rechtsanwalt Vorname5 Nachname4, persönlich vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf die schriftliche Aussage des Notars Vorname4 Nachname4 vom 27.02.2018 (Bl. 187 d. A.) und das Protokoll über die nachlassgerichtliche Zeugenvernehmung vom 15.06.2018 (Bl. 225 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 20.11.2019, auf den wegen seiner Begründung im Einzelnen verwiesen wird (Bl. 340 ff. d. A.), hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Das Nachlassgericht kommt zu dem Ergebnis, dass das Testament von 2002 für den Erblasser bindend sei und er mit Testament von 2004 nicht habe zugunsten seiner zweiten Ehefrau testieren können. Sämtliche von dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau in dem notariellen Testament von 2002 jeweils getroffenen letztwilligen Verfügungen stünden im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit, was sich bereits unzweifelhaft aus dem Wortlaut dieses Testaments ergebe. Das Nachlassgericht teile nicht die Auffassung der Beteiligten zu 1, dass der Erblasser trotz der Wechselbezüglichkeit der Verfügungen zu einer von der Schlusserbeneinsetzung abweichenden letztwilligen Verfügung zu ihren Gunsten berechtigt gewesen sei, weil er in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 zusammen mit seiner ersten Ehefrau bestimmt habe, dass der Längstlebende von ihnen in keiner Weise in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass beschränkt oder beschwert werde und über das Nachlassvermögen und sein eigenes Vermögen in jeder Weise frei verfügen könne. Aus dem Wortlaut dieses § 5 Abs. 2 sei nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass der Längstlebende zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen berechtigt sein solle, dies sei dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 – anders als in § 5 des Testaments 2004 – nicht zu entnehmen. Der zweite Absatz sei vielmehr lediglich als Klarstellung zu verstehen, dass der Längstlebende die volle Stellung eines unbeschränkten Vollerben haben solle, also sowohl über das eigene, als auch über das ererbte Vermögen des Erstverstorbenen habe lebzeitig uneingeschränkt verfügen dürfen. Dass § 5 Abs. 2 des Testaments 2002 eine abweichende Schlusserbeneinsetzung habe vorbehalten sollen, habe auch die durchgeführte Beweisaufnahme nicht ergeben. Vor dem Hintergrund des nahenden Todes der ersten Ehefrau spreche der Umstand der gemeinschaftlich erfolgten Schlusserbeneinsetzung zugunsten der jeweiligen nächsten Verwandten dafür, dass der ersten Ehefrau des Erblassers die gleichanteilige Beteiligung der beidseitigen Familienangehörigen an dem dereinstigen Nachlass besonders wichtig gewesen sei. Ein derartiger Wille der ersten Ehefrau des Erblassers ergebe sich auch aus den von der Schwägerin des Erblassers eidesstattlich versicherten Angaben vom 28.06.2019. Dass der Erblasser dies nach der Eheschließung mit der Beteiligten zu 1 habe anders sehen wollen und dementsprechend artikuliert habe, möge sein, ändere aber nichts an der mit dem Tod seiner ersten Ehefrau eingetretenen rechtlichen Bindungswirkung. Eine Kostenentscheidung sei nicht veranlasst. Die nach § 81 Abs. 2 FamFG erforderlichen Voraussetzungen, die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten aufzuerlegen, lägen nicht vor.

Gegen den ihnen am 02.12.2019 zugestellten Beschluss (Bl. 349) haben die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 mit Schriftsatz an das Nachlassgericht – dort eingegangen am 02.01.2020 – Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss vom 20.11.2019 aufzuheben und einen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligte zu 1 als Alleinerbin des Erblassers ausweist. Weiterhin haben sie äußerst vorsorglich hilfsweise beantragt, einen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligte zu 1 zu ½ und die Beteiligten zu 2 bis 4 zu ½ als Erben des Erblassers ausweisen soll. Sie wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Vortrag, wonach der Erblasser und seine erste Ehefrau sich im Testament von 2002 hinsichtlich der erfolgten Schlusserbeneinsetzung schon nicht wechselbezüglich hätten binden wollen, sie jedenfalls mit der Regelung in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 bestimmt hätten, dass der Überlebende unter Lebenden wie auch von Todes wegen frei verfügen könne. Wegen der Darlegungen im Einzelnen wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen (Bl. 352 ff. d. A.).

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 03.01.2020 nicht abgeholfen (Bl. 374 d. A.).

Mit Schriftsatz vom 18.02.2020 hat der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 6 deren Vertretung angezeigt und mit Schriftsatz vom 18.05.2020, auf den wegen seiner Begründung Bezug genommen wird (Bl. 401 ff. der Akte), beantragt, die Beschwerde sowie den Hilfsantrag zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist gemäß § 58 Absatz 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht eingelegt wurde (§§ 63, 64 FamFG) und die Beteiligte zu 1 als Beschwerdeführerin durch eine Erteilung des angekündigten Erbscheins aufgrund ihres möglicherweise bestehenden eigenen umfassenden Erbrechts in ihren Rechten beeinträchtigt ist (§ 59 Absatz 1 FamFG). Schon Hinblick auf das sich im Nachlass befindliche Hausgrundstück ist auch der Beschwerdewert erreicht (§ 61 Abs. 1 FamFG).

Die Beschwerde ist auch begründet, denn die Beteiligte zu 1 ist mit dem Testament von 2004 von dem Erblasser zu dessen alleiniger Erbin eingesetzt worden.

Streitentscheidend ist dabei alleine die Frage, ob der Erblasser mit diesem Testament die Beteiligte zu 1 als seine alleinige Erbin einsetzen durfte.

Dies ist zur Überzeugung des Senats der Fall.

Die Erblasser war an einer derartigen Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 durch das gemeinschaftliche Testament mit seiner vorverstorbenen Ehefrau von 2002 rechtlich nicht gehindert.

Allerdings dürfte dabei der Ansicht der Beteiligten zu 1, dass die dortige Schlusserbeneinsetzung der beiderseitigen Verwandten des Erblassers und seiner ersten Ehefrau und deren gegenseitige Erbeinsetzung nicht im Verhältnis einer Wechselbezüglichkeit standen, wohl nicht zu folgen sein. Mit dem Amtsgericht dürfte vielmehr wohl aufgrund des eindeutigen Wortlauts von § 5 Abs. 1 des Testaments von 2002, das immerhin notariell errichtet worden ist und laut dem etwa auch das Wesen gemeinschaftlicher wechselbezüglicher Testamente erläutert worden ist (§ 3 des Testaments von 2002), von einer derartigen Wechselbezüglichkeit im Sinne von § 2270 Abs.1 BGB auszugehen sein. Der Wortlaut „Sämtliche in diesem Testament niedergelegten Verfügungen sind wechselbezüglich und können daher nur gemeinschaftlich geändert oder durch Widerruf beseitigt werden“ ist jedenfalls klar und eindeutig. Damit dürfte es schon an den Voraussetzungen für eine weitere Auslegung nach allgemeinen Grundsätzen bzw. einen Rückgriff auf die Auslegungsregeln des § 2270 Abs. 2 BGB für den Fall, dass eine weitere Auslegung zu keinem klaren Ergebnis führen würde, fehlen (vgl. hierzu etwa Braun in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2270 BGB, Rn. 22, zitiert nach beck-online; Müßig in Kroiß/Ann/Mayer, Ebrecht, § 2270 BGB, 5. Aufl. 2018, Rn. 50, zitiert nach beck-online; Weidlich in Palandt, BGB, 80. Aufl., § 2270, Rn. 4; Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.03.2012, Az. 21 W 35/12, zitiert nach juris).

Weiterhin dürfte es jedenfalls bei der ausdrücklich erfolgten Anordnung der Wechselbezüglichkeit auch unerheblich sein, dass – wie nachfolgend noch dargelegt wird – sich der Erblasser und seine erste Ehefrau das Recht zum Widerruf mit Abänderungsmöglichkeit für deren jeweilige eigene Verfügungen auch durch Verfügungen von Todes wegen des Letztlebenden eingeräumt haben. Es entspricht nämlich allgemeiner Auffassung, dass Bestimmungen in einem gemeinschaftlichen Testament, die den überlebenden Ehegatten für die Zeit nach dem Eintritt des ersten Erbfalls zu einer einseitigen Abänderung wechselbezüglicher Verfügungen ermächtigen, rechtlich grundsätzlich unbedenklich sind und nicht notwendig gegen eine Wechselbezüglichkeit sprechen. Grund hierfür ist, dass es den Ehegatten freisteht, zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen wechselbezüglich sein sollen und sie dann auch in dem gemeinschaftlichen Testament einander das Recht einräumen können, eigene wechselbezügliche Verfügungen nach dem Tode des anderen Ehegatten einseitig aufzuheben oder zu ändern, ohne dass sie damit aufhören würden, wechselbezügliche Verfügungen zu sein (vgl. hierzu etwa Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 19.02.2016, Az. I-3 Wx 34/15, Oberlandesgericht Zweibrücken, Beschluss vom 01.09.2003, Az. 3 W 180/03, Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 07.11.1994, Az. 15 W 288/94, jeweils zitiert nach juris und m.w.N.; Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.07.1964, Az. V ZR 57/62, zitiert nach juris; Litzenburger in Hau/Poseck, BeckOK, BGB, § 2271, Rn. 25, und Musielak in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., 2020, § 2271, Rn. 31, jeweils zitiert nach beck-online).

Letztlich kann die Frage der Anordnung der Wechselbezüglichkeit der Schlusserbeneinsetzungen zur Einsetzung des Erblassers durch seine erste Ehefrau hier aber dahinstehen, da sich die damaligen Eheleute im Testament von 2002 in dessen § 5 Abs. 2 gegenseitig einen Widerruf mit Abänderungsmöglichkeit einräumen wollten, so dass das Recht des Erblassers zum Widerruf und der Abänderung seiner dort getroffenen letztwilligen Verfügungen nicht mit dem Tode seiner ersten Ehefrau und seiner Annahme der Erbschaft erloschen ist (§ 2271 Absatz 2 Satz 1 BGB). Dies ergibt die individuelle Auslegung des Testaments von 2002.

Im Einzelnen gilt:

Zunächst wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreitet – und unter Hinweis auf den von ihr angenommenen strengen Maßstab bzw. eine für geboten erachtete Zurückhaltung – die Auffassung vertreten, dass jedenfalls die häufig verwendeten Bestimmungen, wonach etwa der Überlende „frei und ungehindert über sein Vermögen verfügen“ könne, „über den beiderseitigen Nachlass frei verfügen könne“, oder „frei und unbeschränkt über den Nachlass verfügen“ könne, mangels anderer Anhaltspunkte im Zweifel nur Ermächtigungen zur Vornahme von Verfügungen des Letztlebenden unter Lebenden enthalten sollen (vgl. etwa Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 27.01.2014, Az. 3 Wx 75/13; Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 09.08.2013, Az. 2 Wx 198/13, Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27.09.2001, Az. 15 W 88/01, Kammergericht, Beschluss vom 09.09.1997, Az. 1 W 678/96, jeweils zitiert nach juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 30.08.1984, Az. Breg. 1 Z 71/84, in FamRZ 1985, 209 f; Weidlich a.a.O., § 2271, Rn. 21, m.w.N.; allerdings im Falle einer Bestimmung: der „Überlebende von ihnen ist berechtigt über seinen Nachlass frei zu verfügen“ für eine Verfügungsmöglichkeit des Überlebenden auch von Todes wegen, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 02.02.1987, Az. BReg. 1 Z 61/86, zitiert nach beck-online). Der hier von dem Erblasser und seiner ersten Ehefrau im Testament von 2002 in § 5 Abs. 2 gewählte, den Ausgangspunkt für die Auslegung bildende Wortlaut – „Der Längstlebende von uns wird in keiner Weise in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass beschränkt oder beschwert. Er kann über das Nachlassvermögen und sein eigenes Vermögen in jeder Weise frei verfügen“ – unterscheidet sich jedoch von den die Grundlage für die vorgenannte allgemeine Auffassung bildenden Testamentsformulierungen. Es ist hier ausdrücklich im Sinne einer doppelten Bekräftigung geregelt, dass der Überlebende „in keiner Weise“ in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass beschränkt oder beschwert wird, und er „in jeder Weise frei“ verfügen können soll. Diese Wortwahl spricht schon dem Wortsinn nach eher dafür, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau mit ihr auch Verfügungen von Todes erfassen wollten (in diesem Sinne bereits Senat, Beschlüsse vom 16.06.2015, Az. 20 W 71/14 und vom 05.10.2012, Az. 20 W 252/11, jeweils n.v.). Demnach kann dem Nachlassgericht schon nicht darin gefolgt werden, dass dem Wortlaut von § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 im Unterschied zu § 5 des Testaments von 2004 nicht zu entnehmen sei, dass der Überlebende berechtigt sein solle, frei von Todes wegen über den Nachlass zu verfügen. Dass eine derartige Verfügungsbefugnis in § 5 des Testaments von 2004 ausdrücklich mit den Worten von „Todes wegen …. zu verfügen, insbesondere also auch dieses Testament abzuändern oder zu vernichten… “ ausgedrückt worden ist, ändert nichts daran, dass auch die Wortwahl im Testament von 2002 jede Art von Verfügungen umfasst, also auch Verfügungen von Todes wegen.

Daneben haben sich in veröffentlichten Entscheidungen das Oberlandesgericht Braunschweig mit Beschluss vom 09.07.2020, Az. 3 W 19/20, das vom Nachlassgericht in Bezug genommene Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 20.04.2018, Az. 3 Wx 202/17, und das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 08.06.2010, Az. 10 U 126/09, jeweils zitiert nach juris, mit Klauseln der auch hier vorliegenden Art befasst, wonach der Überlebende „in keiner Weise beschränkt oder beschwert“ sein solle und „in jeder Weise frei verfügen“ könne.

Diese Fälle sind jedoch mit dem hier dem Senat vorliegenden Fall nicht maßgeblich vergleichbar und bieten keinen Anlass zu einer abweichenden Auslegung des hier vorliegenden Testaments von 2002.

So schlossen sich dort die entsprechenden Klauseln in allen drei genannten Entscheidungen unmittelbar an die dort bestimmte jeweilige gegenseitige Erbeinsetzung der Eheleute an und folgten gerade nicht – wie vorliegend – erst nach der Einsetzung der Schlusserben. Im Falle des Oberlandesgerichts Hamm (a.a.O.) handelte es sich darüber hinaus um einen Erbvertrag, für den das Oberlandesgericht somit für die von ihm vorgenommene Auslegung zum einen darauf hinweisen konnte, dass es sich bei der Klausel lediglich um einen Hinweis auf § 2286 BGB (Verfügungen unter Lebenden) gehandelt habe und dann, wenn dies anders zu verstehen sei und auch Verfügungen von Todes wegen hätten umfasst sein sollen, eine derartige Regelung einem Totalvorbehalt gleichgekommen wäre, dessen Wirksamkeit im Bereich des Erbvertrages gerade zweifelhaft sei. Im Falle des Oberlandesgerichts Braunschweig (a.a.O.) konnte dieses für die Auslegung der fraglichen Klausel darauf abstellen, dass am Ende des Testaments eine weitere Klausel regelte, dass nach dem Tode eines Teils der überlebende Teil berechtigt sein sollte, das Testament einseitig zu ändern, sofern nach seiner Auffassung in der Person der Schlusserben hierfür berechtigte Gründe vorlägen. Dies konnte das Oberlandesgericht dann veranlassen, zu folgern, dass sich aus dieser Systematik klar ergebe, dass sich die vorausgehende Klausel über die Verfügungsmöglichkeit „in jeder Weise“ ausschließlich auf lebzeitige Verfügungen beziehen sollte. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (a.a.O.) hat zwar zunächst allgemein darauf hingewiesen, dass es inzwischen als „in der obergerichtlichen Rechtsprechung gesichert“ gelte, dass eine Formulierung „der hier in Rede stehenden Art“ zunächst einmal nur als klarstellender Hinweis darauf angesehen werde, dass der Überlebende die volle Stellung eines unbeschränkten Erben haben solle. Für diese Auffassung hat es jedoch lediglich auf Beschlüsse anderer Oberlandesgerichte Bezug genommen, die gerade nicht die ihm und dem Senat hier vorliegende Formulierung „in jeder Weise frei verfügen“ zur Grundlage hatten. Sodann hat es zur Entscheidung seines konkreten Falles darauf abgestellt, dass die „Beimessung eines gesteigerten Wertes der wörtlichen Fassung der Klausel im Einzelfall – hier etwa in Form der adverbialen Ergänzung „in jeder Weise“ – zumindest dann fehl am Platze (sei), wenn es sich – wie hier – um eine nicht notariell beurkundete Verfügung von Todes wegen juristischer Laien…“ handele. Ergänzend hat es dann argumentiert: „Dies gilt heutzutage umso mehr, als des Öfteren nicht mehr festgestellt werden kann, ob sich ein solcher Testierender nicht „Muster“, „Formulierungshilfen“ oder anderer allgemein zugänglicher Vorgaben bedient hat, ohne zutreffende Vorstellungen von ihrem sachlichen Gehalt entwickelt zu haben“. Ob das Oberlandesgericht für den Fall eines – wie dem Senat vorliegenden – notariellen Testaments an dieser Stelle anders argumentiert hätte, ist also offen. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht dort dann zur Begründung darauf abgestellt, dass die dortige Klausel im Anschluss an die Regelung des ersten Erbganges und gerade nicht erst nach der Regelung der Schlusserbfolge formuliert war; also ebenfalls anders, als in dem hier dem Senat vorliegenden Fall. Letztlich hat das Oberlandesgericht dann noch auf das „Gewicht“ hingewiesen, dass die Eheleute dort der Person des im Testament bestimmten Schlusserben, nämlich ihres gemeinsamen Sohnes beigemessen haben. Im vorliegenden Fall hatten der Erblasser und seine erste Ehefrau jedoch zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung keine Kinder und solche waren damals auch nicht mehr zu erwarten.

Aus dem Umstand dieser Kinderlosigkeit folgt auch, dass das u.a. von dem Oberlandesgericht Düsseldorf (a.a.O.) und auch vom Nachlassgericht angeführte Argument im vorliegenden Fall nicht maßgeblich ist, wonach Klauseln der hier in Rede stehenden Art deswegen im Sinne eines Hinweises nur auf Verfügungen des Letztlebenden unter Lebenden zu verstehen seien, weil nur lebzeitige Verfügungen des Überlebenden unmittelbar den – finanziellen – Notwendigkeiten seiner Lebensführung dienen würden und dessen Lebensunterhalt zu sichern vermögen, was typischerweise ein weiteres Motiv für ein Berliner Testament sei.

Dieses Argument hatte bereits auch das von dem Nachlassgericht und dem Oberlandesgericht Düsseldorf (a.a.O.) zitierte Oberlandesgericht Köln (a.a.O.) herangezogen und vertiefend erklärt, dass dem Berliner Testament der Gedanke zu Grunde liege, ohne Beteiligung der nächsten Generation dem Längstlebenden den Zugriff auf den Nachlass des Erstversterbenden zur Finanzierung der eigenen Lebensführung zu ermöglichen. An einer derartigen nächsten und damit pflichtteilsberechtigten Generation fehlt es im vorliegenden Fall aber gerade.

Auch das allgemeine Argument des Nachlassgerichts, wonach § 5 Abs. 2 des Testaments 2002 lediglich als „Klarstellung“ zu verstehen sei, dass der Längstlebende die volle Stellung eines unbeschränkten Vollerben erhalten solle, spricht nicht maßgeblich dafür, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau den dargelegten weiten Wortsinn der von ihnen gewählten Klausel in diesem Sinne einschränkend verstanden haben. Zwar mag es durchaus denkbar sein, dass im Einzelfall selbst in notariellen Testamenten auch überflüssige Hinweise erfolgen; eine allgemeine Vermutung dahingehend besteht jedoch nicht. Hier bestand auch tatsächlich keine Notwendigkeit für eine derartige Klarstellung, nachdem der Erblasser und seine erste Ehefrau ersichtlich ein Berliner Testament errichten wollten und errichtet haben. Sie sind über das Wesen eines Berliner Testaments ausdrücklich belehrt worden (§ 3 des Testaments von 2002), haben sich entsprechend gegenseitig zu „Alleinerben“ (§ 4 Nr. 2 des Testaments von 2002) und sodann als „Erben des Letztversterbenden“ die beiderseitigen Verwandten eingesetzt (§ 4 Nr. 3 u. 4 des Testaments von 2002). Eine etwaige Notwendigkeit in Abgrenzung zu einer Vor- und Nacherbschaft nochmals die Stellung des Längstlebenden als unbeschränkter Vollerbe zu dessen Schutz zu betonen, womit häufig gerade im Zusammenhang mit der Auslegung von Klauseln der genannten Art in privatschriftlichen Ehegattentestamenten argumentiert wird, bestand hier ersichtlich nicht.

Dafür, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau der von ihnen gewählten Formulierung in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 auch die von dem Wortsinn ohne Weiteres erfasste Bedeutung einer Berechtigung des Letztlebenden zum Widerruf unter Abänderung dessen damaliger Verfügung beigemessen haben, spricht entgegen der Ansicht des Nachlassgerichts und der Beteiligten zu 2 bis 4 und 6 maßgeblich auch der tatsächliche Umstand der Vornahme der Beurkundung des Testaments von 2004 durch den Notar Vorname4 Nachname4 (nachfolgend nur: der Notar).

An dieser Stelle ist zunächst darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich auch Meinungsäußerungen der Ehegatten und deren Verhalten nach Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments Schlussfolgerungen etwa auf die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen zulassen, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass es alleine auf den Willen beider Testierender zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung ankommt. Spätere Willensänderungen im Hinblick auf eine etwaige Wechselbezüglichkeit und auf die sich daraus ergebende Bindung sind somit ohne Einfluss, so dass etwa die nachträgliche Errichtung eines einseitigen, den wechselbezüglichen Verfügungen widersprechenden Testaments durch einen der Ehegatten nicht ohne Weiteres als Indiz gegen eine Wechselbezüglichkeit gewertet werden kann (vgl. Musielak, a.a.O., § 2270, Rn. 7, und Braun in BeckOGK, BGB, Stand 15.02.2021, § 2270, Rn. 48, 49, zitiert nach beck-online, jeweils m.w.N. zur obergerichtlichen Rspr.; auch Senat 20 W 97/18 n.v.). Mithin dürfte also auch hier dem Verhalten des Erblassers selbst, der mit der Beteiligten zu 1 das Testament von 2004 errichtet und dort in § 2 erklärt hat, insbesondere nicht durch das Testament von 2002 an dieser Testamentserrichtung gehindert zu sein, weil dort festgelegt sei, dass er in seinem Verfügungsrecht über den Nachlass nicht beschränkt oder beschwert sei, und er über sein Vermögen in jeder Weise frei verfügen könne, entgegen der Ansicht der Beschwerde keine entscheidende Bedeutung für die Auslegung der Auslegung der Klausel in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 beizumessen sein.

Derartige grundsätzliche Vorbehalte bestehen jedoch im Hinblick auf die Bewertung des Verhaltens eines beurkundenden Notars nicht.

Allerdings hat der Notar vorliegend in seiner schriftlichen Aussage und in seiner persönlichen Vernehmung ausdrücklich erklärt, sich an den Vorgang der zu Errichtung des Testaments aus dem Jahr 2002 führte, nicht mehr konkret zu erinnern. Dabei hat er aber für den Senat nachvollziehbar bereits in seiner schriftlichen Aussage erklärt, dass er dann, wenn er im Jahr 2004 nicht davon ausgegangen wäre, dass anlässlich der Testamentserrichtung im Jahr 2002 eine freie Verfügung über den Nachlass gewollt gewesen wäre, er dieses Testament aus dem Jahr 2004 so nicht beurkundet hätte. Soweit er dann erklärt hat, er gehe daher davon aus, dass der Erblasser und seine erste Ehefrau gewollt hätten, dass der Überlebende nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch von Todes wegen hätte frei verfügen können dürfen, mag dies zwar, worauf das Nachlassgericht abstellt, lediglich eine Schlussfolgerung sein. Daraus folgt jedoch nicht, dass diese seine Schlussfolgerung nicht auch ohne Weiteres genau auf seiner Erinnerung im Jahr 2004 an die Testamentsgestaltung des Testaments von 2002 und der von den damaligen Eheleuten gewollten Regelungen gründete. Für den Senat ist es vielmehr naheliegend, dass sich der Notar – zumal bei jedenfalls in den Jahren 2002 und 2004 bis zu den jeweiligen Beurkundungen ersichtlich relativ geringen Urkundennummern – im Jahr 2004 noch an den Vorgang, der zu Beurkundung des vorausgehenden Testaments geführt hat, erinnern konnte. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Beurkundung des Testaments von 2002 selbst nicht durch ihn persönlich, sondern durch seinen Vertreter Vorname3 Nachname3 durchgeführt worden ist. Dieser hat ausweislich der Aussage des Zeugen Vorname5 Nachname4 damals lediglich die Protokollierung auf Grundlage des bereits erstellten Entwurfs durchgeführt, zu dessen Änderung es anlässlich der Protokollierung nicht gekommen sein soll; Letzteres wird durch die im Original vorliegende Testamentsurkunde von 2002 bestätigt, in der lediglich zwei Worte wegen Rechtschreibfehlern berichtigt worden sind und der Wert des gemeinschaftlichen Vermögens ergänzt worden ist.

Darüber hinaus musste sich der Notar vor Beurkundung des Testaments von 2004 tatsächlich auch mit dem Testament von 2002 auseinandersetzen und insbesondere dessen Regelung in § 5 Abs. 2 in Erinnerung gerufen haben, wie sich ohne Weiteres aus § 2 und § 3 des Testaments von 2004 ergibt.

Wenn er damals die dort gezogene Schlussfolgerung des Erblassers aus der in Bezug genommenen Regelung von § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 ernsthaft in Zweifel gezogen hätte, dann hätte er außerdem Anlass zu einem Vorgehen nach § 17 Abs. 2 S. 2 BeurKG gehabt. Danach soll der Notar bei Zweifeln an der Wirksamkeit eines Geschäfts und einem Bestehen der Beteiligten auf Beurkundung seine Belehrung und die dazu abgegebenen Erklärungen der Beteiligten in der Niederschrift vermerken; an einem solchen Vermerk fehlt es hier jedenfalls.

Letztlich hat der Senat insoweit auch keinen Anlass dafür, dass der Notar mit der Beurkundung des Testaments von 2004 bewusst über eine Bindung des Erblassers aus dem Testament von 2002 hätte hinwegsehen wollen, etwa aufgrund besonderer persönlicher Bindungen zum Erblasser oder der Beteiligten zu 1 und deren Familie oder aufgrund eines gesteigerten wirtschaftlichen Eigeninteresses.

Der Senat sieht auch im Hinblick auf die von den Beteiligten zu 2 bis 4 besonders angeführte unterschiedliche Formulierung in § 5 des Testaments von 2004 und von § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 keine ausreichende Veranlassung für einen sicheren Rückschluss dahingehend, dass mit der Formulierung im Testament von 2002 notwendig nur lebzeitige Verfügungen des Längstlebenden umfasst sein sollten, weil andernfalls bereits dort die im Testament von 2004 gewählte Formulierung herangezogen worden wäre. So kann die im Testament von 2004 gewählte abweichende Formulierung ohne Weiteres ihren Grund etwa auch darin gefunden haben, eine klarere Regelung als im Testament von 2002 zu treffen, um nachfolgende Schwierigkeiten bei der Auslegung, wie sie im vorliegenden Verfahren dann ja tatsächlich zu Tage getreten sind, zu vermeiden.

Weiterhin kann der Senat schon aufgrund des entsprechenden Testamentsinhalts auch unterstellen, dass, worauf die Beteiligten zu 2 bis 4 ausdrücklich hinwiesen, es der „Wunsch“ der ersten Ehefrau des Erblassers und damals auch des Erblassers selbst gewesen sei, dass das Vermögen der Familie in der Familie bleiben sollte und zwar zur Hälfte in der Familie des Erblassers und zur Hälfte in der Familie seiner ersten Ehefrau, was auch besonders dadurch deutlich werde, dass entsprechende Ersatzerben nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge bestimmt worden seien. Dass dieser beiderseitige Wunsch dann aber auch mit einer für den Längstlebenden testamentarisch nicht abänderbaren Schlusserbeneinsetzung hätte gesichert werden sollen, ergibt sich daraus jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit.

Dies gilt auch für die mit der eidesstattlichen Versicherung der Vorname7 Nachname6 vom 28.06.2019 gestützte Behauptung der Beteiligten zu 6, wonach einem Gespräch mit Vorname7 Nachname6 etwa zwei Monate vor Testamentserrichtung zu Folge für die erste Ehefrau des Erblassers immer an erster Stelle gestanden habe, dass sich die Familie Vorname6 Nachname6 nach dem Tod der Eheleute keine finanziellen sowie existenziellen Sorgen machen müsse und die erste Ehefrau darüber hinaus berichtet habe, dass sie aufgrund dessen die Familie Vorname6, Nachname6 ausreichend testamentarisch bedenken würde. Auch dies als wahr unterstellt, ergibt sich nicht mit ausreichender Sicherheit, dass die erste Ehefrau bei der erfolgten testamentarischen Umsetzung gemeinsam mit dem Erblasser diese Erbeinsetzung der Familie Vorname6 Nachname6 nicht einem Änderungsvorbehalt hätte unterwerfen wollen. Daran ändert auch der ersichtlich wertende und nicht weiter spezifizierte weitere Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Vorname7 Nachname6 nichts, wonach den Erzählungen der ersten Ehefrau zu Folge eine einseitige Änderung des gemeinschaftlichen Testaments von 2002, postum, ausgehend von ihrem Ehemann, für die erste Ehefrau niemals in Frage gekommen wäre. Im Übrigen folgt auch hieraus nicht, worauf sich die erste Ehefrau dann mit dem Erblasser in ihrem zwei Monate später errichteten gemeinschaftlichen Testament dann tatsächlich geeinigt hat, zumal derartige Mitteilungen eines potentiellen Erblassers an potentielle Erben vielfältige Gründe haben können. Dabei gibt es auch keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass potentielle Erblasser gegenüber potentiellen Erben stets wahrheitsgemäße Angaben dazu machen, ob, in welcher Weise und mit welchem konkreten Inhalt sie eine letztwillige Verfügung zu errichten beabsichtigen.

Dass ein beiderseitiger, entsprechend durch das Testament von 2002 auch umgesetzter Wunsch der damaligen Eheleute auf Schlusserbeneinsetzung ihrer jeweiligen Verwandten testamentarisch für den Letztlebenden nicht hätte abänderbar sein sollen, ergibt sich auch nicht daraus – worauf jedoch die Beteiligten zu 2 bis 4 und auch das Nachlassgericht Bezug genommen haben -, dass die erste Ehefrau des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments von 2002 bereits schwer erkrankt und abzusehen gewesen sei, dass sie nicht mehr besonders lange leben würde. Unabhängig von der Frage, inwieweit jedenfalls die Erblasserin selbst tatsächlich überhaupt auch von ihrem kurzfristigen Ableben ausgegangen ist, folgt hieraus selbst im Verbund mit der Anordnung der Wechselbezüglichkeit auch der Schlusserbeneinsetzungen nicht mit ausreichender Sicherheit, dass sich die damaligen Eheleute ganz unabhängig von der weiteren Lebensentwicklung an die Schlusserbeneinsetzungen binden wollten. Vielmehr ist es ohne Weiteres auch denkbar, dass die damaligen Eheleute sich trotz der mit der Wechselbezüglichkeit einhergehenden Bindung – so etwa im Hinblick auf die Form des lebzeitigen Widerrufs – für besondere Situationen zu einer abweichenden Erbeinsetzung ermächtigen wollten, so etwa gerade dann, wenn, wie eingetreten, der Letztlebende noch einmal heiraten würde, oder aber auch, um auf besondere Pflegesituationen etc. in noch höherem Alter auch testamentarisch reagieren zu können.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die damaligen Eheleute etwa auch davon abgesehen haben, im Testament eine Wiederverheiratungsklausel aufzunehmen, die dann hier eine zusätzliche Sicherung der Schlusserben hätte bewirken können. Dass, etwa für den Fall eines beiderseits erwartenden Längerlebens des Erblassers, dessen erste Ehefrau seine Wiederheirat alleine im Hinblick auf dessen Alter von 7X Jahren bei Errichtung des Testaments von 2002 für ausgeschlossen erachtet hätte, ist nicht ersichtlich.

Gerade, wenn es der ersten Ehefrau des Erblassers tatsächlich darauf angekommen wäre, ihre und auch die Verwandtschaft ihres Ehemannes „sicher“ in den späteren Genuss des Erbes zu bringen, hätte es nahegelegen, hier andere Wege einer derartigen Absicherung der Verwandtschaft vorzunehmen.

Auch wenn die Klausel in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 tatsächlich nur einen Hinweis auf das Verfügungsrecht des Letztlebenden unter Lebenden hätte beinhalten sollen, wäre eine derartige Absicherung mit dem Testament von 2002 nicht erfolgt. Der Überlebende wäre – im Unterschied etwa zur Anordnung einer nicht befreiten Vor- und Nacherbschaft – völlig frei gewesen, über den Nachlass und sein Vermögen so zu verfügen, dass den vorgesehenen Schlusserben letztlich ein nennenswerter Nachlass, mit dem diese sich sogar keine finanziellen Sorgen mehr hätten machen müssen, möglicherweise nicht mehr verblieben wäre.

Die Gesamtbetrachtung aller von den Beteiligten vorgetragenen und sich aus der Verfahrensakte ergebender Umstände ergibt somit für den Senat, dass die damaligen Eheleute mit der von ihnen in § 5 Abs. 2 des Testaments von 2002 gewählten weiten Formulierung auch Verfügungen des Letztlebenden von Todes wegen über den Nachlass ermöglichen wollten.

Es bestehen auch keine Bedenken gegen die von dem Erblasser für die Abänderung seiner Verfügung aus dem Testament von 2002 gewählte Form, da er hierfür mit dem Testament von 2004 sogar die notarielle Testamentsform gewählt hat (vgl. zu den formalen Anforderungen Weidlich, a.a.O., § 2271, Rn. 23; Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 25.02.1986, Az. 8 W 553/85, zitiert nach juris).

Da auch die sonstigen formalen Voraussetzungen zur Erteilung des beantragten Erbscheins erfüllt sind, war der angefochtene Beschluss des Nachlassgerichts bis auf die Nebenentscheidungen aufzuheben, und hatte nunmehr der Senat – und nicht das Nachlassgericht – die zur Begründung des Erbscheinsantrags erforderlichen Tatsachen festzustellen; alleine die Erteilung des Erbscheins hat nunmehr durch das Nachlassgericht zu erfolgen (vgl. § 2353 BGB, §§ 352e Abs. 1, 352 Abs. 2 und 3 FamFG; vgl. u.a. Sternal in Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 69, Rn. 11 m.w.N.).

Im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde ist das Verfahren der Beschwerde gerichtskostenfrei (§§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG); ein Anlass zu einer abweichenden Entscheidung über die Gerichtskosten besteht nicht.

Unabhängig davon, ob den Beteiligten im Verfahren der Beschwerde überhaupt erstattungsfähige notwendige Aufwendungen entstanden sind, hält es der Senat im Hinblick auf die unterschiedlichen Entscheidungen in erster und zweiter Instanz, die letztlich lediglich auf einer unterschiedlichen Testamentsauslegung beruhen, für angemessen, eine Erstattung notwendiger Aufwendungen nicht anzuordnen (§ 81 Abs. 1 S. 1 FamFG). Eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Nachlassgerichts im Hinblick auf die dort bestimmte Kostenfolge sieht der Senat ebenfalls nicht veranlasst.

Aufgrund der Gerichtskostenfreiheit des Beschwerdeverfahrens und die nicht erfolgte Anordnung der Erstattung notwendiger Aufwendungen der Beteiligten im Verfahren der Beschwerde ist die Festsetzung eines Geschäftswertes für das Verfahren der Beschwerde entbehrlich.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind (§ 70 FamFG). Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die Entscheidung beruht vielmehr trotz der vielfältigen Rechtsprechung zur Frage von Abänderungsklauseln auf einem besonderen Einzelfall. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht gegeben (Meyer-Holz, in Keidel, a.a.O., § 70 Rn. 4 und 41).

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