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Erbvertrag von Eheleuten mit Pflichtteilsstrafklausel und ohne Schlusserbeneinsetzung – Auslegung

Erbvertrag mit Pflichtteilsstrafklausel: OLG Düsseldorf ordnet Neubeurteilung an

Zusammenfassung: Der Oberlandesgericht Düsseldorf hat in seinem Beschluss (Az.: I-3 Wx 64/13) die Entscheidung des Nachlassgerichts aufgehoben und eine erneute Entscheidung angeordnet, betreffend die Erteilung eines Erbscheins im Zusammenhang mit einem Erbvertrag von 1967, der eine Pflichtteilsstrafklausel enthält, aber keine klare Schlusserbeneinsetzung der Kinder der Erblasser.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der OLG Düsseldorf hat die Entscheidung des Nachlassgerichts aufgehoben und eine Neubeurteilung des Falls angeordnet, der die Auslegung eines Erbvertrages mit Pflichtteilsstrafklausel betrifft.
  • Der Erbvertrag von 1967 setzt die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein, mit einer Klausel, die pflichtteilsberechtigten Kindern nur den Pflichtteil zusichert, sollte einer von ihnen den Pflichtteil nach dem ersten Todesfall fordern.
  • Das Nachlassgericht hatte fälschlicherweise angenommen, dass die Klausel eine bindende Schlusserbeneinsetzung der Kinder impliziert, was vom OLG nicht bestätigt wurde.
  • Der Erbvertrag von 1967 und ein weiterer von 1947 legen den Schwerpunkt auf die gegenseitige Alleinerbensetzung der Eheleute ohne eindeutige Schlusserbeneinsetzung der Kinder.
  • Der Erbschein soll nach der Neubeurteilung die tatsächlichen Erbverhältnisse gemäß dem Erbvertrag von 1967 und den testamentarischen Verfügungen reflektieren.
  • Das Urteil betont die Bedeutung einer präzisen Formulierung in Erbverträgen, besonders hinsichtlich der Nachfolge und der Pflichtteilsrechte.
  • Die Rechtsprechung verlangt eine sorgfältige Auslegung letztwilliger Verfügungen, um den wahren Willen der Erblasser zu erfassen und rechtliche Klarheit zu schaffen.

Erbverträge und Pflichtteilsrechte

Erbverträge spielen eine wichtige Rolle in der Nachlassregelung. Sie ermöglichen es Ehegatten, die Erbfolge verbindlich zu regeln. Oft enthalten Erbverträge Klauseln, die das Pflichtteilsrecht der Kinder einschränken.

Bei der Auslegung solcher Pflichtteilsstrafklauseln stellt sich die Frage, ob damit auch eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder verbunden ist. Die Rechtsprechung legt großen Wert auf den tatsächlichen Willen der Erblasser. Präzise Formulierungen in Erbverträgen sind daher unerlässlich, um Streitigkeiten zu vermeiden und Klarheit über die Rechtsfolgen zu schaffen.

➜ Der Fall im Detail


Streit um Erbschein und Interpretation eines Erbvertrags

Im Fokus des Rechtsstreits steht die Auslegung zweier Erbverträge von 1947 und 1967, die von einem Ehepaar geschlossen wurden, das später verstarb. Nach dem Tod der Eheleute entbrannte ein Rechtsstreit zwischen ihren drei Kindern über die Auslegung dieser Verträge. Ein Kind forderte auf Basis eines handschriftlichen Testaments der Mutter aus dem Jahr 2009 einen Erbschein als Alleinerbe, während die anderen beiden Kinder sich auf den Erbvertrag von 1967 beriefen, der eine gegenseitige Alleinerbensetzung der Eheleute und eine Pflichtteilsstrafklausel enthielt. Sie argumentierten, dass diese Klausel eine Schlusserbeneinsetzung impliziere, was vom ersten Kind bestritten wurde.

Rechtliche Kernfragen des Falles

Das zentrale rechtliche Problem in diesem Fall betrifft die korrekte Auslegung der Pflichtteilsstrafklausel im Erbvertrag von 1967. Diese Klausel schützt den überlebenden Ehepartner vor Pflichtteilsansprüchen ihrer Kinder, falls diese nach dem ersten Todesfall einen Pflichtteil fordern würden. Die Frage, die das Gericht zu klären hatte, war, ob diese Klausel auch eine bindende Schlusserbeneinsetzung der Kinder nach dem Tod des zuletzt verstorbenen Elternteils beinhaltet.

Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob die Entscheidung des Nachlassgerichts auf, welches den Erbschein zugunsten der zwei Kinder erteilt hatte. Das Gericht wies das Nachlassgericht an, den Fall neu zu bewerten und dabei insbesondere die Auslegung der strittigen Pflichtteilsstrafklausel zu überprüfen. Das OLG legte dar, dass nicht automatisch von einer Schlusserbeneinsetzung ausgegangen werden könne, nur weil eine Pflichtteilsstrafklausel vorhanden ist. Die richterliche Interpretation muss den tatsächlichen Willen der Erblasser und die genauen Formulierungen im Erbvertrag berücksichtigen.

Juristische Auslegung von Erbverträgen

Das Gericht erläuterte, dass bei unklarem Wortlaut eines Testaments oder Erbvertrags der wahre Wille des Erblassers durch sorgfältige Auslegung ermittelt werden muss. Dabei ist nicht nur der buchstäbliche Wortlaut, sondern der gesamte Kontext und Zweck der letztwilligen Verfügung zu betrachten. In diesem Fall führte das zu der Notwendigkeit, die Pflichtteilsstrafklausel im Lichte früherer und späterer Testamente und Erbverträge neu zu bewerten.

Bedeutung der Entscheidung für zukünftige Erbfälle

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf unterstreicht die Komplexität der rechtlichen Auslegung von Testamenten und Erbverträgen, insbesondere wenn es um Pflichtteilsstrafklauseln und die Erbfolge geht. Dieser Fall zeigt deutlich, wie wichtig eine klare und eindeutige Formulierung in allen letztwilligen Verfügungen ist, um zukünftige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden und den wahren Willen der Erblasser zu respektieren.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist ein Erbvertrag und wie unterscheidet er sich von einem Testament?

Die wichtigsten Unterschiede zwischen einem Erbvertrag und einem Testament sind:

Ein Erbvertrag ist eine vertragliche Vereinbarung zwischen mindestens zwei Personen, während ein Testament eine einseitige Verfügung des Erblassers ist. Der Erbvertrag bindet die Vertragsparteien, ein Testament kann jederzeit frei widerrufen oder geändert werden.

Für einen wirksamen Erbvertrag ist eine notarielle Beurkundung zwingend erforderlich, bei der alle Vertragsparteien anwesend sein müssen. Ein Testament kann entweder eigenhändig verfasst oder notariell beurkundet werden.

Durch den Erbvertrag können vorherige und nachfolgende Testamente, soweit sie dem Erbvertrag widersprechen, unwirksam werden. Ein späteres Testament hebt dagegen ein früheres auf.

Der Erbvertrag eignet sich besonders, wenn der Erblasser eine verbindliche und endgültige Regelung treffen möchte, von der er nicht mehr abweichen will. Das Testament ist flexibler und kann sich besser an Änderungen der Lebensumstände anpassen.

Trotz der grundsätzlichen Bindungswirkung kann ein Erbvertrag durch einen Rücktrittsvorbehalt, einvernehmliche Aufhebung oder aus wichtigem Grund (z.B. Scheidung) aufgehoben werden. Auch eine Anfechtung wegen Willensmängeln ist möglich.

Der Erbvertrag bietet somit mehr Rechtssicherheit für die vertraglichen Erben, schränkt aber die Testierfreiheit des Erblassers stärker ein als ein Testament. Welches Instrument geeigneter ist, hängt von den individuellen Umständen und Zielen des Erblassers ab.

Welche Rolle spielt eine Pflichtteilsstrafklausel in einem Erbvertrag?

Eine Pflichtteilsstrafklausel spielt in einem Erbvertrag keine Rolle, da sie nur in Testamenten, insbesondere im Berliner Testament, Anwendung findet.

Der Erbvertrag ist eine vertragliche, bindende Vereinbarung zwischen mindestens zwei Personen zur Regelung der Erbfolge. Er kann, anders als ein Testament, nicht einseitig widerrufen werden. Durch diese stärkere Bindungswirkung soll die langfristige Sicherheit der getroffenen Vereinbarungen gewährleistet werden.

Pflichtteilsstrafklauseln finden sich dagegen typischerweise in gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten wie dem Berliner Testament. Hier setzen sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein und enterben zunächst die gemeinsamen Kinder. Die Pflichtteilsstrafklausel soll nun verhindern, dass die Kinder nach dem ersten Erbfall ihren Pflichtteil einfordern und so den überlebenden Ehegatten finanziell belasten. Fordert ein Kind trotzdem seinen Pflichtteil, verliert es durch die Klausel seine Erbenstellung für den zweiten Erbfall.

Im Erbvertrag besteht für eine solche Klausel kein Anwendungsbereich, da die Erbfolge hier verbindlich und unwiderruflich geregelt wird. Zudem können in einem Erbvertrag auch Pflichtteilsverzichte der Erben aufgenommen werden, um Pflichtteilsansprüche von vornherein auszuschließen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Pflichtteilsstrafklauseln ein Instrument des Testaments sind, um die Geltendmachung von Pflichtteilen zu sanktionieren. Im Erbvertrag spielen sie aufgrund seiner besonderen rechtlichen Natur keine Rolle.

Was bedeutet der Begriff „Schlusserbeneinsetzung“ in einem Erbvertrag?

Der Begriff „Schlusserbeneinsetzung“ spielt in einem Erbvertrag eine wichtige Rolle, um die endgültige Erbfolge nach dem Tod des letztversterbenden Vertragspartners verbindlich zu regeln.

In einem Erbvertrag setzen sich die Vertragspartner, meist Ehegatten, häufig zunächst gegenseitig als Alleinerben ein. Der überlebende Partner erbt dann beim ersten Erbfall das gesamte Vermögen des Verstorbenen und kann frei darüber verfügen.

Die Schlusserbeneinsetzung bestimmt nun, wer nach dem Tod auch des letztversterbenden Partners erben soll. Meist werden hier die gemeinsamen Kinder als Schlusserben eingesetzt. Diese erhalten dann nach dem zweiten Erbfall das gesamte verbliebene Vermögen beider Elternteile.

Durch die ausdrückliche Benennung von Schlusserben im Erbvertrag wird eine klare und verbindliche Regelung der Erbfolge über mehrere Generationen erreicht. Anders als im Testament kann diese Verfügung aufgrund der vertraglichen Bindung nicht einseitig widerrufen oder geändert werden.

Wird im Erbvertrag keine explizite Schlusserbeneinsetzung vorgenommen, gilt die gesetzliche Erbfolge, sobald auch der zweite Vertragspartner verstirbt. Um Unklarheiten und Streit unter den Erben zu vermeiden, ist eine eindeutige Formulierung daher sehr wichtig.

Die Schlusserbeneinsetzung grenzt sich von der Vor- und Nacherbschaft ab. Letztere ist gesetzlich in §2100ff. BGB geregelt und an bestimmte Beschränkungen für den Vorerben geknüpft. Der Schlusserbe ist dagegen der „finale“ Erbe, der das Vermögen uneingeschränkt und endgültig erhält.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schlusserbeneinsetzung ein zentrales Element in Erbverträgen ist, um den letzten Willen der Vertragspartner für die Erbfolge verbindlich und generationenübergreifend festzulegen. Sie schafft Klarheit und Sicherheit für alle Beteiligten.

Wie wird ein Erbvertrag rechtlich ausgelegt?

Bei der Auslegung eines Erbvertrages sind folgende Grundsätze zu beachten:

Zunächst ist vom Wortlaut des Erbvertrages auszugehen. Dabei ist der gesamte Vertragsinhalt in den Blick zu nehmen und der sich daraus ergebende objektive Sinngehalt zu ermitteln.

Lässt der Wortlaut verschiedene Deutungen zu, ist im Zweifel diejenige Auslegung vorzuziehen, bei der die vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen Wirksamkeit entfalten kann (Auslegung zugunsten der Wirksamkeit, § 2084 BGB analog).

Neben dem Wortlaut sind auch die konkreten Umstände bei Vertragsschluss sowie der wirkliche Wille der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Hierbei können auch außerhalb der Vertragsurkunde liegende Anhaltspunkte herangezogen werden, um die Intention der Erblasser zuverlässig zu bestimmen.

Besonderheiten gelten bei wechselbezüglichen Verfügungen der Vertragspartner. Hier ist eine den Bindungswillen beider Seiten berücksichtigende Gesamtauslegung geboten. Einseitige Änderungen sind dann nur unter den engen Voraussetzungen des § 2295 BGB möglich.

Ergibt die Auslegung, dass eine Regelungslücke im Erbvertrag besteht, kann diese durch ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden. Maßgeblich ist dann der hypothetische Wille der Parteien.

Führt auch die ergänzende Auslegung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, greift im Zweifel die gesetzliche Regelung ein. Eine unbestimmte und daher unwirksame Verfügung liegt nur vor, wenn sich die Begünstigten auch unter Heranziehung aller Auslegungsmittel nicht feststellen lassen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Auslegung eines Erbvertrages in erster Linie am Wortlaut und der Intention der Vertragsparteien ausgerichtet ist. Ziel ist es, deren wirklichen Willen bestmöglich zur Geltung zu bringen und Widersprüche durch eine Gesamtbetrachtung aufzulösen. Nur wo dies nicht gelingt, kommen gesetzliche Auffangregelungen zum Tragen.

Welche Konsequenzen hat die Anfechtung eines Erbscheins?

Die wichtigsten Konsequenzen einer erfolgreichen Anfechtung eines Erbscheins sind:

Der Erbschein wird für nichtig erklärt und ist damit unwirksam. Rechtlich wird der angefochtene Erbschein so behandelt, als hätte er niemals existiert (§ 142 Abs. 1 BGB).

In der Folge gilt das Erbe nicht mehr als angenommen, weil die Annahme der Erbschaft durch den Erbschein als nicht erfolgt gilt. Der Erbe, der aufgrund des angefochtenen Erbscheins als Erbe galt, verliert seine Erbenstellung.

Stattdessen wird die Erbfolge neu geregelt. Wer nun Erbe ist, richtet sich entweder nach einem vorrangigen Testament oder Erbvertrag, oder es tritt die gesetzliche Erbfolge ein.

Der „neue“ Erbe kann einen korrigierten Erbschein beantragen, der ihn als Erben ausweist. Alternativ kann er sein Erbrecht auch in einem Erbenfeststellungsprozess gerichtlich feststellen lassen.

Rechtsgeschäfte, die der „alte“ Erbe über Nachlassgegenstände getätigt hat, sind in der Regel trotz Anfechtung des Erbscheins wirksam, wenn der Geschäftspartner gutgläubig war. Der „neue“ Erbe hat dann nur Ausgleichsansprüche gegen den „alten“ Erben.

Durch die Anfechtung kann der „neue“ Erbe auch einer Haftung für Nachlassverbindlichkeiten entgehen, wenn er die Erbschaft ausschlägt. Dies ist ein häufiges Motiv für die Anfechtung überschuldeter Nachlässe.

Die Anfechtung eines Erbscheins führt somit zu einer Neujustierung der gesamten erbrechtlichen Situation. Sie korrigiert die Erbfolge zugunsten des wahren Erben und beseitigt die Rechtswirkungen des unzutreffenden Erbscheins. Damit können erhebliche vermögensrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten verbunden sein.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

§ 2270 Abs. 2 BGB
Regelt die wechselbezügliche Bindung von Erbverträgen. Im gegebenen Fall impliziert dies, dass die Erblasserin in ihrer Entscheidungsfreiheit beschränkt war, nachdem ihr Ehemann verstorben ist. Das Gericht bezieht sich auf diesen Paragraphen, um zu erklären, warum der letzte Wille der Erblasserin möglicherweise nicht mehr frei war, wenn bereits bindende Vereinbarungen im Erbvertrag bestanden.

§ 2091 BGB
Betrifft die Auslegung von Verfügungen. Da die Erblasserin die Kinder in einem Erbvertrag möglicherweise als Schlusserben eingesetzt hatte, wurde ihr Testament, das einen Alleinerben benennt, durch diesen Paragraphen beeinflusst, was zu rechtlichen Spannungen zwischen den testamentarischen Anordnungen und den vertraglichen Bestimmungen führt.

§ 2353 BGB
Befasst sich mit der Ausstellung eines Erbscheins und dessen Bedeutung als amtlicher Nachweis über das Erbrecht. Im Fall wurde der Antrag auf einen Erbschein durch das Nachlassgericht initial abgelehnt, was zeigt, wie zentral dieser Paragraph für das Verständnis der Erbfolge und der Legitimation der Erben ist.

§ 2359 BGB
Legt fest, unter welchen Voraussetzungen ein Erbschein erteilt wird, nämlich nur, wenn die erforderlichen Tatsachen vom Nachlassgericht als festgestellt erachtet werden. Dieser Punkt ist entscheidend, da das Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins auf Basis einer bestimmten Auslegung des Erbvertrags zunächst angekündigt hatte.

§ 133 BGB
Wichtiger Paragraph zur Auslegung der Willenserklärungen. Er betont, dass nicht der buchstäbliche Wortlaut, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden entscheidend ist. Diese Regelung ist im Kontext des Falls zentral, um zu ermitteln, was die Erblasser mit der Pflichtteilsstrafklausel wirklich beabsichtigt hatten.

§ 157 BGB
Dieser Paragraph besagt, dass Verträge so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Er ist relevant für die Interpretation des Erbvertrages und des Testaments im Sinne der realen Absichten der Erblasser, besonders in Anbetracht der komplexen Familienverhältnisse und der verschiedenen juristischen Dokumente.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-3 Wx 64/13 – Beschluss vom 14.01.2014

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, über den Antrag des Beteiligten zu 1 nach Maßgabe der Gründe dieses Beschlusses erneut zu entscheiden.

Wert: 200.000,- Euro

Gründe

I.

Die am 06. März 2011 verstorbene Erblasserin war die Mutter der Beteiligten; sie war mit dem am 30. Juli 1998 vorverstorbenen P. H. M., dem Vater der Beteiligten, verheiratet.

Die Erblasserin schloss gemeinsam mit ihrem Ehemann Erbverträge zu UR.- Nr. 239/1947 des Notars Dr. B. in Rheydt/Odenkirchen vom 27. März 1947 und zu UR.- Nr. 761/1967 des Notars R. in Jüchen vom 30. November 1967 sowie allein ein privatschriftliches Testament vom 12. Mai 2009.

Der Beteiligte zu 1 hat, gestützt auf das handschriftliche Testament vom 12. Mai 2009, beantragt, ihm einen Erbschein auszustellen, der ihn als alleinigen Erben nach der Erblasserin ausweist.

Die Beteiligten zu 2 und 3 haben beantragt, ihnen einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der alle drei Beteiligten zu je 1/3 Anteil als Erben ausweist. Hierzu haben sie sich auf den Erbvertrag vom 30. November 1967 berufen, in dem es heißt:

„Hiermit setzen wir uns gegenseitig zu uneingeschränkten Alleinerben ein derart, dass der Überlebende den zuerst Versterbenden von uns allein beerbt, ohne Rücksicht darauf, dass pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden sind oder in Zukunft noch sein werden.

Sollte aber einer unserer Abkömmlinge aus dem Nachlass des Erst-Versterbenden von uns den Pflichtteil verlangen, so soll er nach dem Tode (des (Letztbenden) lies: des Überlebenden von uns ebenfalls nur den Pflichtteil erhalten.“

Die Beteiligten zu 2 und zu 3 haben geltend gemacht, in der Pflichtteilsstrafklausel liege eine Schlusserbeneinsetzung der drei Abkömmlinge. Dem gegenüber hat der Beteiligte zu 1 gemeint, in diesem Erbvertrag sei nur eine gegenseitige Erbeinsetzung der Eltern, aber keine Benennung von Schlusserben zu sehen.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 20. Februar 2013 den Antrag des Beteiligten zu 1 vom 27. April 2011 auf Erteilung eines Alleinerbescheins zurückgewiesen, die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 2 und zu 3 vom 23. März 2011 in Verbindung mit dem Antrag vom 17. Juli 2012 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet und die Erteilung des beantragten Erbscheins angekündigt.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Erblasserin habe den Beteiligten zu 1 aufgrund ihres alleinigen handschriftlichen Testamentes vom 12. Mai 2009 nicht mehr zum Alleinerben bestimmen können, weil sie in ihrer Testierfreiheit durch den Erbvertrag vom 30. November 1967 beschränkt gewesen sei.

In der Pflichtteilsstrafklausel des angesprochenen Erbvertrages liege zugleich eine Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder, hier der drei Beteiligten. Bereits im ersten Ehe- und Erbvertrag vom 27. März 1947 hätten die Erblasserin und ihr Ehemann deutlich gemacht, dass es ihnen wichtig ist, die Interessen der Kinder zu wahren. Im Erbvertrag von 1967 sei dann insoweit auch von „pflichtteilsberechtigten Erben“ die Rede. Im nächsten Satz folge die Formulierung „…einer unserer Abkömmlinge“. Damit würden die gemeinsamen Kinder hier als Erben bezeichnet. Von der Wahrung der Interessen der Kinder habe der Erbvertrag von 1967 nicht abweichen sollen. Vielmehr sei dieser Erbvertrag gegenüber dem von 1947 insoweit einschränkender.

Wenn die Ehegatten größeren Wert darauf gelegt haben sollten, dass der überlebende Ehegatte die freie Verfügung über den Nachlass eingeräumt bekommen soll, weil sie sich gegenseitig das Vertrauen entgegen brachten, der Überlebende werde eine gerechte Regelung über die Schlusserbenfolge treffen, hätten sie die Formulierung des Ehevertrages von 1947 wählen können. Dies hätten sie aber gerade nicht getan. Insoweit sprächen die Umstände für den Willen der Eheleute, den Längstlebenden nicht nur vor dem Pflichtteilsverlangen eines der Abkömmlinge zu schützen, sondern gerade ihre Kinder als Schlusserben einzusetzen. Die Pflichtteilsstrafklausel ergebe im Übrigen auch nur dann Sinn, wenn die Kinder, die beim ersten Erbfall ihren Pflichtteil nicht geltend machen, jedenfalls beim zweiten Todesfall mehr als den Pflichtteil erhalten. Die Strafklausel könne also nur dann Bedeutung haben, wenn es tatsächlich für die Abkömmlinge auch zu einer Schlusserbeneinsetzung komme. Die Formulierung „ohne Rücksicht darauf, dass pflichtteilsberechtigte Erben vorhanden oder in Zukunft noch sein werden…“ enthalte nur die Ermächtigung des überlebenden Ehegatten über den Nachlass unter Lebenden nicht aber auch von Todes wegen frei verfügen zu können.

Da die die Erblasserin an die gemäß § 2270 Abs. 2 BGB wechselbezügliche Schlusserbenbestimmung gebunden gewesen sei, erbten die Beteiligten gemäß § 2091 BGB zu gleichen Teilen.

Der Beteiligte zu 1 hat hiergegen Beschwerde eingelegt, mit der er seinen Antrag auf Erteilung eines ihn als Alleinerben nach der Erblasserin ausweisenden Erbscheins weiter verfolgt.

Er macht geltend, mit der Pflichtteilsstrafklausel habe nur eine unerwünschte Pflichtteilsforderung bereits beim ersten Erbfall verhindert werden sollen. Hieraus folge aber nicht, dass die Abkömmlinge der Erblasserin damit zu Schlusserben nach dem Tode des Letztversterbenden eingesetzt werden sollten und auch nicht die Bindung des überlebenden Ehegatten im Sinne einer Wechselbezüglichkeit in Bezug auf die letztlich zu regelnde Erbfolge. Schließlich hätten die Beteiligten zu 2 und 3 im Jahre 2004 an dem Erlös aus dem Verkauf einer im gemeinsamen Eigentum der Eltern stehenden Immobilie in Belgien beteiligt werden wollen, was als zumindest teilweise Geltendmachung ihres Pflichtteils anzusehen sei und jedenfalls zur Verwirkung ihres etwaigen Erbanspruchs geführt habe.

Mit weiterem Beschluss vom 15. März 2013 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und hat die Sache dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung vorgelegt.

Die Beteiligten zu 2 und 3 bitten um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Sie verteidigen die Auslegung des Nachlassgerichts und machen geltend, dass ihnen ein Erbschein gemeinsam mit der Beteilen zu 1 zu je 1/3Anteil zu erteilen sei, habe auch das Landgericht Mönchengladbach in seiner Entscheidung vom 26. Februar 2013 (3 O 253/12) festgestellt. Pflichtteilsansprüche hätten sie zu keiner Zeit geltend gemacht; der Nachlass in Belgien sei zudem nach belgischem Recht abzuwickeln gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Nachlassakte sowie der Testamentsakten 6 IV 300 und 389/98 und 126/11 AG Grevenbroich, Bezug genommen.

II.

1.

Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 2, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 64 Abs. 1 und 2; 352 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beteiligten zu 1 ist begründet; sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

2.

a)

Das Nachlassgericht hat dem Erben auf Antrag ein Zeugnis über sein Erbrecht zu erteilen, § 2353 BGB. Der Erbschein bezeugt demnach das Erbrecht zur Zeit des Erbfalles (Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013, § 2353 Rdz. 2). Der Erbschein ist nur zu erteilen, wenn das Nachlassgericht die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, § 2359 BGB.

b)

Mit Erfolg wendet sich der Beteiligte zu 1 gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts, seinen Antrag auf Erteilung eines Alleinerbscheins zurückzuweisen und die zur Begründung des Antrages der Beteiligten zu 2 und zu 3 vom 23. März 2011 in Verbindung mit dem Antrag vom 17. Juli 2012 auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt zu erachten (§ 352 Abs. 1 FamFG).

Das Nachlassgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Beteiligten zu 1, 2 und 3 gemeinschaftliche Erben zu 1/3 Anteil nach der Erblasserin aufgrund einer im Erbvertrag vom 30. November 1967 zu ihren Gunsten enthaltenen bindenden vertraglichen Schlusserbenregelung geworden seien.

aa)

(a)

Bei nicht eindeutigem und daher auslegungsbedürftigem Wortlaut der letztwilligen Verfügung ist gemäß § 133 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergegeben hat, was er ausdrücken wollte (vgl. Palandt-Weidlich, BGB 72. Auflage 2013, § 2084 Rdz. 1 m. N.). Diese eigentliche (erläuternde) Auslegung hat festzustellen, welchen Inhalt die Erklärung hat, während die ergänzende Auslegung den Zweck verfolgt, Lücken der rechtsgeschäftlichen Erklärung zu schließen; beides gilt auch für Erbverträge (Palandt- Ellenberger, BGB 72. Auflage 2013 § 157 Rdz. 2 f.)

(b)

Auslegungsprobleme ergeben sich, wenn ein gemeinschaftliches Testament – wie hier – zwar eine Pflichtteilsklausel, aber keine Einsetzung von Schlusserben enthält (Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 2074 BGB Rdn. 51).

Einigkeit besteht darin, dass eine Sanktionsklausel gegen die pflichtteilsberechtigten gemeinschaftlichen Kinder der Ehegatten u. U. als bindende Schlusserbeneinsetzung für den Fall, dass sie nicht den Pflichtteil verlangen, auszulegen sein kann (OLG München, FGPrax 2012, 205f.; OLG Hamm, FGPrax 2005, 74, 76; Frankfurt OLGR 2001, 289; Stürner in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch 14. Auflage 2011 § 2270 Rdn. 3). Andererseits ist der Pflichtteilsklausel allein nicht zwingend eine stillschweigende Schlusserbeneinsetzung zu entnehmen (OLG Hamm NJW-RR 2004, 1520; OLG Karlsruhe ZEV 2006, 409); kann nicht festgestellt werden, dass Eheleute die sich gegenseitig als Erben eingesetzt und im Hinblick auf ihre Kinder eine Pflichtteilsstrafklausel in den Erbvertrag aufgenommen haben, die Kinder als Schlusserben einsetzen wollten, so darf ein solcher Wille nicht unterstellt werden (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O. für das Ehegattentestament). Die Pflichtteilsstrafklausel genügt aber als Anhaltspunkt für eine solche Auslegung, wenn der Gesamtzusammenhang des Erbvertrags oder weitere Umstände (auch außerhalb der letztwilligen Verfügung) dafür sprechen (Leipold, Münchener Kommentar zum BGB 6. Auflage 2013 § 2074 Rn. 51; die stillschweigende Schlusserbeneinsetzung bejahen in diesem Falle z. B. OLG Hamm FGPrax 2005, 74; OLG München ZEV 2006, 411; OLG München FGPrax 2012, 205; OLG Frankfurt DNotZ 2011, 552, 553 [Kanzleiter]). Andererseits wird dann, wenn sich aus der Auslegung der Pflichtteilsstrafklausel und aller anderen Umstände der Testamentserrichtung nicht ergibt, ob eine stillschweigende Schlusserbeneinsetzung oder nur eine „reine“ Pflichtteilsstrafklausel gewollt war, im Zweifel davon auszugehen sein, dass die Erblasser lediglich den Strafcharakter der Pflichtteilsstrafklausel als Inhalt ihrer letztwilligen Verfügung wollten, nicht jedoch eine Schlusserbeneinsetzung ihrer Kinder (Fischer, ZEV 2005, 189, 190 mit Nachweisen).

bb)

Dies vorausgeschickt hat das Nachlassgericht den Erbvertrag zu UR.- Nr. 761/1967 des Notars R. in Jüchen vom 30. November 1967 zu Unrecht dahin ausgelegt, dass die Erblasserin und ihr verstorbener Ehemann in dem Erbvertrag nicht nur einander gegenseitig zu Erben eingesetzt, sondern auch bindend eine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 bis 3 vereinbart haben.

Der Wortlaut des Erbvertrages vom 30. November 1967 gibt keinen Hinweis auf einen den unmittelbaren Regelungsgehalt einer gegenseitigen Erbeinsetzung der Eheleute in Verbindung mit der Sanktion einer Geltendmachung des Pflichtteils beim ersten Erbfall überschreitenden, auf eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder gerichteten Willen. Anknüpfungspunkte in diese Richtung lassen sich auch nicht einer aus dem früheren Erbvertrag zu UR.- Nr. 239/1947 des Notars Dr. B. in Rheydt/Odenkirchen vom 27. März 1947 abgeleiteten Entwicklung des Erblasserwillens entnehmen und sind auch sonst weder aufgezeigt worden noch ersichtlich. Unverständlich erscheint in diesem Zusammenhang die Interpretation des Nachlassgerichts, wonach der Erbvertrag 1967 von der Wahrung der Interessen der Kinder nicht habe abweichen wollen; denn dem Erbvertrag 1947 eine derartige „Interessenwahrung“ der Kinder nicht zu entnehmen ist.

Hiernach mag es sein, dass die Erblasserin und ihr Ehemann über den im Erbvertrag aus dem Jahr 1967 verbalisierten Regelungsgehalt hinaus den Willen einer Schlusserbeneinsetzung gehabt haben; ein solcher lässt sich indes nicht anhand greifbarer Tatsachen feststellen. Deshalb kann hier dahinstehen, wie sich ein solcher Wille dokumentieren müsste, ob es etwa hierzu stets einer Andeutung im Erbvertrag bedürfte (vgl. hierzu Senat, FG-Prax 2012, 22).

cc)

Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass sich dem Erbvertrag vom 30. November 1967 eine Bindung der Erblasserin durch eine Schlusserbeneinsetzung nicht entnehmen lässt, mit der Folge, dass die Erblasserin nach dem Tode ihres Ehemannes hierdurch nicht daran gehindert war, den Beteiligten zu 1 durch die letztwillige Verfügung vom 12. Mai 2009 zum Alleinerben einzusetzen.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Wertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO.

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