OLG Hamm – Az.: I-10 W 33/20 – Beschluss vom 22.01.2021
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1. wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Auslagen der Beteiligten.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 95.000,-EUR festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der zwischen dem 02.05.2019 und dem 11.05.2019 in F kinderlos verstorbene I war mit der Beteiligten zu 2. verheiratet. Der Beteiligte zu 1. ist sein Bruder. Ein Testament hat der Erblasser nicht hinterlassen. Sein Nachlass beläuft sich auf rd. 190.000,-EUR.
Der Erblasser und die Beteiligte zu 2. heirateten am 00.00.1995. Seit Mai 2001 lebten die Eheleute voneinander getrennt. Die Beteiligte zu 2. zog aus dem gemeinsam erworbenen und bewohnten Haus Nstr. 00 in F aus. Mit Vertrag vom 15.04.2002 erwarb der Erblasser von der Beteiligten zu 2. ihren hälftigen Miteigentumsanteil an dem Haus für 74.860,-EUR (vgl. Bl. 14 ff).
Im Oktober 2008 beantragte der Erblasser beim Familiengericht die Scheidung der Ehe (AG Lemgo, 9 F 381/08). Die Eheleute reichten die ausgefüllten Fragebögen zur Regelung des Versorgungsausgleichs ein. Ein bereits anberaumter Verhandlungstermin wurde aufgehoben, weil außergerichtliche Verhandlungen bzgl. des nachehelichen Unterhalts und Zugewinnausgleichs liefen. Die Beteiligte zu 2. wollte ohne Klärung dieser Folgesachen nicht geschieden werden (BA Bl. 74, 80). Das Verfahren vor dem Familiengericht wurde von den Parteien nicht mehr weiter betrieben (vgl. BA Bl. 84 ff). Die außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen liefen noch bis November 2009. Dann einigten sich die Eheleute darauf, dass das Scheidungsverfahren wegen der Nachteile nach dem neu geltenden Versorgungsausgleich derzeit nicht weiter betrieben werden soll. Der Erblasser verpflichtete sich zur Zahlung eines monatlichen Ehegattenunterhalts von 940,-EUR an die Beteiligte zu 2. (vgl. Schreiben vom 09.11.2009, Bl. 38 ff d.A.). Diesen Betrag zahlte er bis zu seinem Tod, ebenso wie er die Krankenkassenkosten seiner Ehefrau bezahlte, insgesamt war das ein Betrag von 1.200,-EUR monatlich. Ob ein Kontakt bzw. eine Wiederannäherung der Eheleute in der Folgezeit stattfand, ist streitig (vgl. Bl. 42, 61 – Bl. 43, 54). Jedenfalls wohnten die Eheleute weiter getrennt. Das Scheidungsverfahren wurde bis zum Erbfall nicht wiederaufgenommen.
Am 08.07.2019 hat der Beteiligte zu 1. einen Antrag auf Erteilung eines Erbscheins gestellt, der ihn als Alleinerben ausweist. Er hat vorgetragen, die Beteiligte zu 2. sei wegen des Scheidungsantrags seines Bruders in dem Verfahren 9 F 381/08, AG Lemgo – von der Erbfolge gem. § 1933 BGB ausgeschlossen, so dass er ihn allein beerbt habe (Bl. 1 ff d.A. ). Dem hat die Beteiligte zu 2. widersprochen. Sie hat darauf verwiesen, dass das Scheidungsverfahren vom Erblasser nicht mehr weiter betrieben worden sei.
Mit Beschluss vom 23.01.2020 hat das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das gesetzlichen Erbrecht der Ehefrau sei nicht gem. § 1933 BGB ausgeschlossen. Zwar hätten die Voraussetzung für eine Scheidung, § 1565 BGB, im Zeitpunkt des Erbfalls vorgelegen. Der Erblasser habe am 17.10.2008 einen Scheidungsantrag gestellt und diesen formal nicht zurückgenommen. Das Gericht gehe indes davon aus, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes diese Scheidung nicht mehr gewollt und auch den Antrag auf Ehescheidung nicht mehr habe aufrecht erhalten wollen. Vor diesem Hintergrund komme es auf ein formelles Zurückziehen des Scheidungsantrags nicht an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den ergangenen Beschluss (Bl. 73 ff d.A.) verwiesen.
Gegen diesen Beschluss hat der Beteiligte zu 1. form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt. Er hält seinen Erbscheinsantrag aufrecht und verweist dazu auf den Verlauf des Scheidungsverfahrens. Danach seien alle Voraussetzungen des § 1933 BGB erfüllt. Bis zum Erbfall habe es weder eine Versöhnungsbereitschaft noch eine Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft gegeben. Kontakte habe es nur zur Abklärung finanzieller Punkte gegeben. Die vom Antragsteller angeführten Entscheidungen seien nicht einschlägig. Die vom Nachlassgericht vorgenommene Gesetzesauslegung unzutreffend. Die im Jahr 2009 geführten Vergleichsverhandlungen seien höchst kontrovers gewesen. Vor diesem Hintergrund hätten die Parteien nur „derzeit“ das Scheidungsverfahren nicht weiter betrieben, einen Scheidungswillen habe der Erblasser aber weiterhin gehabt. Auch der Erblasser sei stets davon ausgegangen, dass seine Frau wegen des eingeleiteten Scheidungsverfahrens nicht erbberechtigt sei. Schließlich habe diese sich auch weder um die Beerdigung, bei der sie noch nicht einmal anwesend gewesen sei, noch um die Abwicklung des Nachlasses gekümmert.
Die Beteiligte zu 2. beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss. Sie verweist darauf, dass die Darlegungslast für die Voraussetzungen des § 1933 BGB beim Beschwerdeführer lägen. Seine Schlussfolgerungen seien überwiegend spekulativ. Im Übrigen hätten die Scheidungsvoraussetzungen bei Einreichung des Scheidungsantrags nicht vorgelegen. Damals sei das Trennungsjahr noch nicht abgelaufen gewesen. Trotz räumlicher Trennung hätten die Eheleute ihre Lebensgemeinschaft fortgesetzt. So habe der Erblasser selbst hohe Unterhaltslasten seiner Ehefrau weiter getragen. Die Verhandlungen über den Versorgungsausgleich und den Zugewinn seien nicht wieder aufgenommen worden. Dies zeige, dass der Erblasser seinen damaligen Scheidungswillen aufgegeben habe. Das werde auch durch den Zeitablauf belegt. An der Beerdigung habe sie nur aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen können.
Mit Beschluss vom 26.02.2020 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 115 d.A.).
Die Akten des AG Lemgo – 9 F 381/08 – sind beigezogen worden.
II.
Die gem. §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Erbscheinsantrags hat in der Sache keinen Erfolg. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 08.07.2019 ist zu Recht zurückgewiesen worden
Da der Erblasser kein Testament hinterlassen hat, gilt die gesetzliche Erbfolge. Danach ist der Erblasser von seinem Bruder, dem Beteiligten zu 1., gem. §§ 1925 I , III BGB und seiner Ehefrau, der Beteiligten zu 2., gem. § 1931 BGB zusammen beerbt worden. Das gesetzliche Erbrecht der Ehefrau ist nicht wegen des im Oktober 2008 vom Erblasser rechtshängig gemachten Scheidungsverfahrens gem. § 1933 S.1 BGB ausgeschlossen.
Die Vorschrift des § 1933 S. 1 BGB schließt das gesetzliche Ehegattenerbrecht aus, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Die Gleichstellung mit den Rechtsfolgen einer rechtskräftigen Auflösung der Ehe beruht auf der Überlegung, dass die Beteiligung des überlebenden Ehegatten am Nachlass nach Rechtshängigkeit eines auf Beendigung der Ehe gerichteten gerichtlichen Verfahrens nicht mehr von dem Zufall abhängen soll, ob der Erblasser die Rechtskraft eines eheauflösenden Urteils noch erlebt. Deshalb wird davon ausgegangen, dass es dem mutmaßlichen Willen des Erblassers entspricht, den Ausschluss des gesetzlichen Erbrechts des Ehegatten schon an die auf Ehescheidung gerichteten Prozesshandlungen des Erblassers zu knüpfen (BGH Urt. v. 6.6.1990, IV ZR 88/89, FamRZ 1990, 109; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 24.8.2010, 5 W 185/10 – Juris-Rz. 15).
Der Erblasser hat bereits im Oktober 2008 ein Scheidungsverfahren anhängig gemacht. Der von ihm gestellte Antrag auf Scheidung ist der Beteiligten zu 2. am 23.10.2008 zugestellt worden. Das Verfahren ist anschließend weder gem. § 136 FamFG ausgesetzt noch formell durch eine Rücknahme des Scheidungsantrags beendet worden. Vielmehr wurde das Verfahren vor dem Familiengericht lediglich nicht weiter betrieben, weil die Beteiligten wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen um die Folgesachen hierum gebeten hatten (vgl. SS. v. 25.08.2009; AG Lemgo, 9 F 381/08, Bl. 83). Das Verfahren wurde anschließend vom Familiengericht wegen Nicht-Betreibens abgerechnet und die Akte weggelegt ( AG Lemgo, 9 F 381/08, Bl. 84 ff ).
Damit ist die Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages grundsätzlich zwar noch nicht entfallen. Allerdings ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass das Nicht-Betreiben eines anhängig gemachten Scheidungsverfahrens über einen längeren Zeitraum als Rücknahme des Scheidungsantrags zu behandeln ist, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Ehegattenerbrechts nicht mehr vorliegen (vgl. Juris-PK-M. Schmidt, 9. Aufl., § 1933 BGB Rz. 9; Münch-Komm-Leipold, 8. Aufl., § 1933 BGB Rz. 15; Palandt-Weidlich, 79. Aufl., § 1933 BGB Rz. 2. So ist ein Nicht-Betreiben eines eingeleiteten Scheidungsverfahrens über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren dahingehend gewertet worden, dass der Erblasser dadurch seinen Scheidungswillen endgültig aufgegeben hat (OLG Düsseldorf Urt.v. 18.12.1990, 7 U 7/89 – Juris Rz. 40; OLG Saarbrücken, a.a.O., Juris Rz.16).
Ein Zeitraum von etwas mehr als 6 Jahren (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 19.9.2017, 6 UF 30/17) sowie von 15 Jahren (OLG Köln, Beschluss v. 30.11.2011, 2 WX 122/11) ist dagegen als noch nicht ausreichend erachtet worden. Allerdings lagen diesen Fällen besondere Umstände zugrunde. So wurde in dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf zugrunde liegenden Fall ein Verfahren zum Ausgleich gemeinsamer Vermögenswerte weiter geführt (a.a.O., Juris Rz. 20) und im Fall des OLG Köln hatte der Erblasser nach 7 Jahren einen neuen Scheidungsantrag gestellt und damit erneut seinen Scheidungswillen kund getan (a.a.O.- Juris Rz.13).
Nach den vorliegend gegebenen Umständen ist das Nachlassgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Erblasser durch das Nicht-Weiterbetreiben des Scheidungsverfahrens von September 2009 bis zu seinem Versterben im Mai 2019 seinen Scheidungswillen endgültig aufgegeben hatte. Dies legt bereits der lange Zeitraum von fast 10 Jahren nahe. Hinzukommt, dass die Eheleute nach einer im Jahr 2009 getroffenen außergerichtlichen Einigung über den Unterhalt der Beteiligten zu 2. und weiterer Modalitäten die Scheidung ihrer Ehe nicht mehr gewollt haben.
Die vermögensrechtliche Auseinandersetzung des in der Ehe erworbenen Vermögens hatten der Erblasser und die Beteiligte zu 2. bereits mit Vertrag vom 15.04.2002 vorgenommen, indem der Erblasser der Beteiligten zu 2. ihren hälftigen Miteigentumsanteil an dem gemeinsam erworbenen Haus in F abgekauft hat. Ende 2009 einigten sie sich dann über einen an die Beteiligte zu 2. zu zahlenden Unterhalt von 940,-EUR monatlich und über Verpflichtungen bei anstehenden Renovierungsarbeiten und steuerlichen Veranlagungen. Dabei waren sie sich einig, dass „das Scheidungsverfahren nicht weiterbetrieben wird“. Dem lag die Einsicht zugrunde, dass es für beide Parteien wirtschaftlich nicht von Vorteil ist, wenn der mit einer Scheidung einhergehende Versorgungsausgleich nach neuem Recht durchgeführt würde, weil das sowohl den Erblasser wegen Entfallens des Rentnerprivilegs als auch die Beteiligte zu 2. wegen des Altersunterschiedes benachteiligen würde. Deshalb einigten sich die Eheleute darauf, dass eine Scheidung nicht ausgesprochen werden sollte und rechneten die bereits entstandenen Kosten des familiengerichtlichen Verfahren endgültig ab (vgl. dazu: Schreiben vom 10.11.2009, Bl. 38 ff d.A.). Nach dieser im November 2009 getroffenen Einigung zahlte der Erblasser bis zu seinem Versterben seiner Ehefrau den vereinbarten Unterhalt nebst Krankenkassenbeitrag.
Dieses Verhalten zeigt deutlich, dass der Erblasser von seinem Antrag auf Scheidung der Ehe aus dem Jahr 2008 nicht nur zeitweise, sondern endgültig Abstand genommen hat. Dem steht nicht entgegen, dass er aus rein wirtschaftlichen Erwägungen die im November 2009 getroffenen Vereinbarungen mit seiner Ehefrau getroffen und bis zu seinem Tod erfüllt hat. Auch ist es unerheblich, dass die im Jahr 2009 geführten Vergleichsverhandlungen zwischen den Eheleuten – wie die nun vorgelegte anwaltliche Korrespondenz zeigt (Bl. 97 ff d.A.) – höchst kontrovers gewesen sind. Denn letztendlich haben die Eheleute die im Schriftsatz vom 10.11.2019 niedergelegte Vereinbarung aus wirtschaftlichen Erwägungen getroffen und damit von einem Weiterbetreiben der Scheidung einvernehmlich Abstand genommen. Hierdurch ist das im Jahr zuvor eingeleitete Scheidungsverfahren dauerhaft beendet worden, auch wenn in der Vereinbarung von November 2009 noch von einem „derzeit“ nicht Weiter-Betreiben die Rede ist. Denn unstreitig ist ein Scheidungsverfahren bis zum Erbfall vom Erblasser nicht wieder aufgenommen worden.
Unter Berücksichtigung all dieser Gesamtumstände ist das Nichtbetreiben des Scheidungsverfahrens über einen Zeitraum von fast 10 Jahren als Rücknahme des Scheidungsantrags zu werten. Dabei ist es unerheblich, weshalb der Erblasser so gehandelt hat und ob er fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass seine Frau schon wegen des einmal eingeleiteten Verfahrens nicht mehr erbberechtigt sein könne. Auch kommt es nicht darauf an, ob die Eheleute sich später wieder angenähert oder miteinander versöhnt haben, weil dies die materiellen Voraussetzungen für eine Scheidung betrifft und hier bereits von einer Rücknahme des Scheidungsantrags auszugehen ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 I FamFG.
Der Gegenstandswert ist nach dem geschätzten wirtschaftlichen Interesse des Beschwerdeführers bemessen worden. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren, § 70 II FamFG.