AG Groß-Gerau – Az.: 41 VI 546/18 – Beschluss vom 20.02.2019
1. Die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet.
Beantragter Erbschein: Die Antragsteller sind Erben des Erblassers zu je 1/20 aufgrund des Testaments vom XX.XX.2011 geworden.
2. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses wird ausgesetzt.
3. Die Erteilung des Erbscheins wird bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückgestellt.
4. Die gerichtlichen Kosten des Erbscheinsverfahrens tragen die Beteiligten zu je 1/3.
Gründe
I.
Der Erblasser, A, verstarb am XX.XX.2017.
Der Erblasser war in erster Ehe mit B, geb. […], verheiratet. Die Ehe wurde 1958 geschieden. B ist am XX.XX.2011 verstorben. Aus dieser Ehe ging ein gemeinsames Kind, C (geb. …), geb. am XX.XX.1955 hervor.
In zweiter Ehe war der Erblasser verheiratet mit D, geb. […], geb. am XX.XX.1927. D ist am XX.XX.2013 verstorben. Diese zweite Ehe blieb kinderlos.
Der Erblasser hat folgende Testamente hinterlassen:
– Ein notarieller Erbvertrag vom XX.XX.1964, in welchem der Erblasser und seine Ehefrau sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und die Tochter des Erblassers C zur Schlusserbin zu 1/3 sowie die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben zu 2/3 bestimmt wurden. Für den Fall, dass keine gemeinsamen Kinder aus der Ehe hervorgehen, sollten C die Hälfte und der Bruder von D die andere Hälfte erhalten. Der Erbvertrag wurde am XX.XX.1985 geändert dahingehend, dass C als Schlusserbin zu ½ und der Neffe von D, Herr E, zum Schlusserben zu ½ bestimmt wurden.
– Ein handschriftliches gemeinschaftliches Testament vom XX.XX.2011, das der Erblasser gemeinsam mit seiner Ehefrau D verfasste, und in dem sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Als Schlusserben wurden für den Erbteil I C und für den Erbteil II eine „Erbengemeinschaft aus 5 befreundeten Familien“ bestimmt. Die Antragsteller wurden zu einer der 5 befreundeten Familien bestimmt. Die genaue Bezeichnung der 5 Familien erfolgte nicht im handschriftlichen gemeinschaftlichen Testament, sondern in einer computergeschriebenen Anlage zum Testament, die vom Erblasser und D unterschrieben und datiert wurde. Das handschriftliche Testament nimmt ausdrücklich Bezug auf diese Anlage.
– Eine „Verzichtserklärung“ vom XX.XX.2013, in der der Erblasser auf den Erbteil in I „verzichtet“ und verfügt, dass dieser nach Eintreten des Erbfalls an die vorgesehenen Nacherben übergehen soll. Zudem werden im Rahmen der Verzichtserklärung Zuwendungen von D geändert.
– Ein notarielles Testament vom XX.XX.2014, in dem der Erblasser seine Tochter C als Alleinerbin bestimmte.
Die Antragsteller haben mit Antrag vom XX.XX.2018 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie zu Erben von je 1/20 ausweist.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, sind gegeben. Die Antragsteller sind Erben des Erblassers zu je 1/20 geworden.
Die Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“, zu denen die Antragsteller als eine der fünf Familien bestimmt wurden, im gemeinschaftlichen Testament des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau vom XX.XX.2011 erfolgte formwirksam.
Die Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ stellt eine wechselbezügliche Verfügung dar, die durch das notarielle Testament vom XX.XX.2014 nicht wirksam widerrufen oder angefochten wurde, §§ 2271 II, 2281 BGB analog.
Das gemeinschaftliche Testament und insbesondere auch die Erbeinsetzung der Antragsteller erfolgte formwirksam, §§ 2231 Nr. 2, 2247 I, 2267 BGB durch den Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau.
Der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau haben am XX.XX.2011 formwirksam ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und als Schlusserben die Tochter des Erblassers, C, und eine „Erbengemeinschaft aus 5 befreundeten Familien“ einsetzten. Die konkrete Benennung der befreundeten Familien erfolgte in einer computergeschriebenen Anlage, die vom Erblasser und seiner vorverstorbenen Ehefrau unterschrieben und datiert wurde.
Gemäß §§ 2231 Nr. 2, 2247 I BGB ist ein Testament durch eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung zu errichten. Bei gemeinschaftlichen eigenhändigen Testament gilt zudem § 2267 BGB, der vorsieht, dass es ausreichend ist, wenn ein Ehegatte das Testament in der von § 2247 BGB vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig unterzeichnet.
Das Erfordernis der Eigenhändigkeit erlaubt es jedoch, in einem eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testament auf computergeschriebene Anlagen Bezug zu nehmen.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Erblasser hinsichtlich des Inhalts seiner letztwilligen Verfügung nur auf eigenhändig geschriebene, formwirksame Schriftstücke oder wirksam errichtete öffentliche Testamente Bezug nehmen kann. Der Sachverhalt liegt hier jedoch anders, da die computergeschriebene Anlage nur der Erläuterung der formwirksamen Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ dient. Da die Anlage selbst keine Erbeinsetzung darstellt, sondern nur der Erläuterung der formwirksamen Erbeinsetzung dient, ist eine Bezugnahme auf die computergeschriebene Anlage möglich (Burandt/Rojahn/Lauck, Erbrecht, 3. Aufl. 2019, § 2247 BGB Rn. 23), zumal in dem hier gegebenen Sachverhalt keine Gefahr der Fälschung der computergeschriebenen Anlage besteht, da die Anlage durch den Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau unterschrieben und datiert wurde.
Vorliegend ist lediglich die konkrete Bezeichnung der „5 befreundeten Familien“ in der Anlage erfolgt. Im Testament selbst ist mit der Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ hinreichende Grundlage vorhanden, um die computergeschriebene Anlage zur Auslegung heranziehen zu können (OLG Zweibrücken, NJW-RR 1989, 1413; OLG Hamm FamRZ 2006, 1484). Anders als im Beschluss des BayObLG vom 10.07.1979 (BayObLGZ 1979, 215), kann hier aus dem Wortlaut des formwirksamen eigenhändigen Testaments zumindest der Kreis der Erben ermittelt werden. Die computergeschriebene Anlage dient lediglich der Erläuterung dieses Kreises.
Die formwirksame Erbeinsetzung der Antragsteller durch den Erblasser stellt eine zur Erbeinsetzung des Erblassers durch die vorverstorbene Ehefrau D wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 I BGB dar.
Wechselbezügliche Verfügungen sind dann gegeben, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Erblassers nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen werden würde. Die Frage der Wechselbezüglichkeit ist demnach nicht für das gemeinschaftliche Testament im Ganzen, sondern für jede Verfügung, die der Wechselbezüglichkeit fähig ist, gesondert zu prüfen.
Wechselbezüglich sind solche Verfügungen, zwischen denen ein Gegenseitigkeitsverhältnis derart besteht, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre, sie also miteinander stehen oder fallen sollen. Maßgeblich ist hierbei der Wille beider Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Fehlt es an einer eindeutigen Festlegung der Wechselbezüglichkeit, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob und welche Verfügungen wechselbezüglich sein sollen. Dabei sind der Inhalt der Verfügungen und alle sonstigen Umstände in die Prüfung einzubeziehen. Kann im Rahmen der Auslegung nicht ermittelt werden, ob nach dem Willen der Erblasser wechselbezügliche Verfügungen vorliegen, ist auf die Auslegungsregel des § 2270 II BGB abzustellen.
Vorliegend hat sich der Wille des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau, dass die Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ wechselbezüglich zur Erbeinsetzung des Erblassers durch die vorverstorbene Ehefrau ist, im gemeinschaftlichen Testament vom XX.XX.2011 manifestiert. Im gemeinschaftlichen Testament ist ausdrücklich festgelegt, dass die Erbeinsetzung der 5 befreundeten Familien erfolgt, da D außer dem Erblasser keine Erben hat und ihr „vorgesehener Nacherbe“ (ihr Neffe) mit 62 Jahren verstorben ist. Hieraus wird deutlich, dass die vorverstorbene Ehefrau des Erblassers den 5 befreundeten Familien die gleiche Stellung wie ihrem eigentlich „vorgesehenen Nacherben“ einräumen wollte, bei dessen Erbeinsetzung jedenfalls aus der Auslegungsregel des § 2270 II BGB eine Wechselbezüglichkeit vorgelegen hätte.
Aus dem Vortrag der Antragsteller geht zudem hervor, dass zwischen den Antragstellern und dem Erblasser und D ein familiäres Verhältnis, das über eine bloß lose Freundschaft hinausging, bestand. Die Antragsteller standen in ständigem Brief- und E-Mail-Kontakt mit dem Erblasser und D. Zudem trafen sie sich regelmäßig im Urlaub in […]. Die Antragsteller und der Erblasser und D tauschten in ihren Brief- und E-Mail-Wechseln viele persönliche Angelegenheiten aus, wie dies in der Regel nur mit Verwandten üblich ist, unter anderem wurde auch die Testamentserrichtung intensiv diskutiert. Dies spricht für ein hohes Maß an Nähe und Vertrauen. Insbesondere der Kontakt zwischen D und den Antragstellern war sehr rege und intensiv.
Für eine Wechselbezüglichkeit der Verfügung spricht zudem, dass der Erblasser und D schon im Erbvertrag von 1964 ganz klar zwischen den Schlusserben des Erblassers und den Schlusserben von D trennten. Schon damals legte das Ehepaar fest, dass – im Falle einer kinderlosen Ehe – zur Hälfte die Tochter C des Erblassers und zur Hälfte der Bruder von D Schlusserben werden sollten. Dieser Grundgedanke setzte sich in allen weiteren Verfügungen fort. Dies ist im Rahmen der Auslegung dahingehend zu berücksichtigen, dass D ihren Ehemann, den Erblasser, nur als Alleinerben einsetzte, falls der Erblasser den von D ausgewählten Schlusserben einsetzte. Dieser Schlusserbe änderte sich zwar im Zeitverlauf (zunächst der Bruder von D, dann ihr Neffe und sodann die 5 befreundeten Familien). Dieser Umstand bedeutet jedoch nicht, dass die Wechselbezüglichkeit entfallen würde. Vielmehr wird deutlich, dass trotz des Vorversterbens des Neffen eine Schlusserbeinsetzung des „Anteils“ von D an C gerade nicht gewollt war und dass D den Erblasser nicht als Alleinerben eingesetzt hätte, wenn die von ihr benannten Schlusserben nicht als Schlusserben Bestand gehabt hätten. Gerade dies ist jedoch Wesen der Wechselbezüglichkeit, nämlich dass die Verfügungen miteinander stehen und fallen sollen.
Das vom Erblasser am XX.XX.2014 errichtete notarielle Testament stellt keinen wirksamen Widerruf der wechselbezüglichen Verfügung dar, §§ 2271 i.V.m. 2289 I 2 BGB.
Gemäß § 2271 II 1, 1. Hs. BGB erlischt das Recht zum Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung mit dem Todes des anderen Ehegatten, hier also mit dem Tod von D am XX.XX.2013. Gemäß § 2270 II 1, 2. Hs. BGB kann der Überlebende seine Verfügung aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt. Dies ist hier jedoch nicht erfolgt. Nach dem Tod des anderen Ehegatten entfalten wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament dieselbe Bindungswirkung wie vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag. §§ 2281 bis 2285 BGB sind daher analog anzuwenden. Eine Anfechtung ist hier jedoch durch den Erblasser nicht erfolgt. Die wechselbezügliche Verfügung im Testament vom XX.XX.2011, durch die die Antragsteller zu Schlusserben zu je 1/20 eingesetzt wurden, wurde daher nicht wirksam beseitigt.
Die Antragsteller sind Erben zu je 1/20 geworden, da den 5 befreundeten Familien nach dem Willen des Erblassers und D im gemeinschaftlichen Testament vom XX.XX.2011 die Hälfte des Erbteils zufallen sollte. Im gemeinschaftlichen Testament wurde ausdrücklich festgehalten, dass der Erbteil in I und der Erbteil in II je in etwa die Hälfte des Vermögens des Ehepaars ausmachen. Den befreundeten Familien kommt daher eine Erbstellung zu. Von einem Vermächtnis ist nicht auszugehen (siehe auch die Auslegungsregel des § 2087 BGB). Als eine der 5 befreundeten Familien erhalten die Antragsteller einen Erbteil von 1/10 und einzeln jeweils 1/20.
Die Entscheidung zu Ziffer 2. und 3. folgt aus § 352e II FamFG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 I, II FamFG. Den Antragstellern sind nicht sämtliche Kosten aufzuerlegen, auch wenn sie die Vorteile des Erbscheins genießen. Vielmehr ist zu beachten, dass die Antragsteller mit ihrem Antrag Erfolgt hatten, sodass es billig ist, der Beteiligten zu 3) ein Drittel der Kosten aufzuerlegen.