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Freistellung von Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments

Freistellung von Bindungswirkung: OLG Frankfurt stärkt Erblasserrechte

In der Welt des Erbrechts treffen vielfältige Regelungen und persönliche Schicksale aufeinander. Im Kern geht es oft um die Frage, inwieweit letztwillige Verfügungen ihre Gültigkeit behalten oder unter bestimmten Umständen abgeändert werden können. Ein besonders sensibler Bereich ist dabei die Bindungswirkung von gemeinschaftlichen Ehegattentestamenten. Diese rechtliche Konstellation berührt nicht nur das Verhältnis zwischen den Erbenden, sondern auch das zwischen den ursprünglichen Testierenden. Besonders komplex wird die Materie, wenn es um Freistellungen geht, die es einem überlebenden Ehepartner erlauben, über bestimmte Vermögenswerte anders zu verfügen, als ursprünglich festgelegt.

Hinzu kommt die Testamentsvollstreckung, die als Instrument dient, den Willen des Erblassers über dessen Tod hinaus zu wahren und umzusetzen. Bei all diesen Fragen geht es im Kern um die Balance zwischen der Respektierung des letzten Willens, der Wahrung des Nachlasses und den Interessen der Erben. Diese Thematik berührt tiefgründig die juristische sowie menschliche Dimension und stellt die beteiligten Parteien vor Herausforderungen, die weit über das rein Finanzielle hinausgehen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 21 W 69/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das OLG Frankfurt bestätigt die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments und weist die Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses zurück, ändert jedoch den Beschluss über die Erteilung eines Erbscheins ab, da das Testament einen Freistellungsvorbehalt für bestimmte Immobilien enthielt, der eine Dauertestamentsvollstreckung nur für diese Immobilie zulässt.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bindungswirkung des Ehegattentestaments: Das OLG Frankfurt sieht die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments von 1974 als gegeben an, die eine spätere Änderung durch die Erblasserin bezüglich der Erbeinsetzung ihrer Kinder einschränkt.
  2. Freistellungsvorbehalt: Trotz der Bindungswirkung erlaubte ein Freistellungsvorbehalt im Testament die nachträglicheAnordnung einer Dauertestamentsvollstreckung über bestimmte Immobilien.
  3. Erbscheinsantrag abgeändert: Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 wurde abgeändert, da das Testament für die Immobilie A-Straße 2 eine Dauertestamentsvollstreckung wirksam anordnete.
  4. Testamentsvollstreckerzeugnis abgewiesen: Der Antrag der Beteiligten zu 1 auf ein Testamentsvollstreckerzeugnis wurde zurückgewiesen, da die Erblasserin nur hinsichtlich bestimmter Nachlassgegenstände zur Anordnung einer Testamentsvollstreckung berechtigt war.
  5. Auslegung des Testaments: Die Entscheidung betont die Bedeutung der Auslegung des Testaments und der Ermittlung des wirklichen Willens der Erblasser.
  6. Kostenentscheidung: Das Gericht sah von der Erhebung der Gerichtskosten ab und ordnete an, dass jeder Beteiligte seine eigenen außergerichtlichen Kosten trägt.
  7. Rechtsmittel: Die Entscheidung ist nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln angreifbar.
  8. Zweck der Testamentsvollstreckung: Die Testamentsvollstreckung sollte einen angemessenen Lebensstandard des behinderten Kindes sichern und das Vermögen vor dem Zugriff der Sozialhilfe schützen.

Das juristische Dilemma der Testamentsbindung

Im vorliegenden Fall steht das Oberlandesgericht Frankfurt vor der komplexen Aufgabe, ein gemeinschaftliches Ehegattentestament auszulegen, das mehrere Jahrzehnte zurückliegt und durch nachfolgende Testamente der Erblasserin ergänzt wurde. Konkret geht es um die Frage, inwiefern die Erblasserin nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1982 in der Lage war, die im gemeinschaftlichen Testament festgelegte Bindungswirkung abzuändern, insbesondere hinsichtlich der Einsetzung ihrer Kinder als Schlusserben und der Anordnung einer Testamentsvollstreckung.

Testamentarische Weichenstellungen und ihre Folgen

Die Erblasserin hatte zusammen mit ihrem bereits verstorbenen Mann ein handschriftliches Testament verfasst, in dem sich beide gegenseitig zu Alleinerben einsetzten. Darüber hinaus sollte der überlebende Ehepartner das Vermögen frei verwalten dürfen und war verpflichtet, den Nachlass an die gemeinsamen Kinder weiterzugeben. Hierbei ist anzumerken, dass eine solche Klausel, die eine freie Verfügbarkeit des Nachlasses durch den überlebenden Ehegatten und die gleichzeitige Verpflichtung zur Weitergabe an die Kinder festlegt, rechtlich komplex ist, da sie Fragen der Bindungswirkung und der Verpflichtung zur Weitervererbung aufwirft.

Erbliche Dispositionen unter der Lupe

Nach dem Tod des Ehemannes nahm die Erblasserin mehrere Änderungen an ihrer letztwilligen Verfügung vor. So setzte sie beispielsweise Enkelkinder als zusätzliche Erben ein und ordnete eine Dauertestamentsvollstreckung über den Erbteil ihres behinderten Sohnes an. Diese Anordnungen wurden jedoch vom Nachlassgericht als unwirksam betrachtet, da sie in Widerspruch zur Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments standen. Das Gericht argumentierte, dass die Erblasserin nicht berechtigt gewesen sei, die Stellung ihres Sohnes als nicht durch Testamentsvollstreckung beschränkter Schlusserbe zu verschlechtern.

Komplexe Testamentsgestaltung und ihre Konsequenzen

Die Tochter der Erblasserin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein und brachte vor, dass das Nachlassgericht zu Unrecht von einer Wechselbezüglichkeit der Einsetzung der Kinder als Schlusserben ausgegangen sei. Sie argumentierte, dass die Erblasserin im Hinblick auf das von ihren Eltern geerbte Immobilienvermögen abweichend hätte verfügen dürfen.

Das Oberlandesgericht folgte dieser Argumentation teilweise und stellte klar, dass die Erblasserin tatsächlich durch einen im gemeinschaftlichen Testament enthaltenen Freistellungsvorbehalt berechtigt war, über die geerbten Eigentumswohnungen abweichend zu verfügen. Dies bedeutet, dass die Anordnung der Testamentsvollstreckung über den Erbteil des behinderten Sohnes insoweit wirksam war und im Erbschein hätte berücksichtigt werden müssen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was versteht man unter der „Bindungswirkung“ eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments?

Die „Bindungswirkung“ eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments bezieht sich auf die rechtliche Verpflichtung, die durch das Testament entsteht. Ein gemeinschaftliches Testament von Ehegatten entfaltet nach dem Gesetz (§ 2271 BGB) eine sogenannte Bindungswirkung. Das bedeutet, dass die im Testament getroffenen Verfügungen für beide Ehegatten bindend sind und nicht ohne Weiteres geändert oder widerrufen werden können.

Ein gemeinschaftliches Testament kann sowohl einseitige als auch wechselbezügliche Verfügungen enthalten. Wechselbezügliche Verfügungen sind solche, die in einem inneren Zusammenhang zueinander stehen und voneinander abhängen. Ein typisches Beispiel für eine wechselbezügliche Verfügung ist die gegenseitige Einsetzung der Ehegatten als Alleinerben.

Die Bindungswirkung tritt ein, sobald einer der Ehegatten stirbt. Ab diesem Zeitpunkt kann der überlebende Ehegatte das Testament nicht mehr ändern oder widerrufen, es sei denn, er schlägt die Erbschaft aus. Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann das gemeinschaftliche Testament jedoch von jedem Ehegatten einseitig widerrufen werden, allerdings nur in notarieller Form.

Die Bindungswirkung dient dem Schutz des verstorbenen Ehegatten und soll sicherstellen, dass sein letzter Wille auch nach seinem Tod respektiert wird. Sie kann jedoch in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, wenn der überlebende Ehegatte seinen letzten Willen ändern möchte, beispielsweise aufgrund geänderter Lebensumstände.

Um solche Schwierigkeiten zu vermeiden, ist es ratsam, die Wechselbezüglichkeit oder das Fehlen einer Bindungswirkung im Ehegattentestament ausdrücklich und positiv zu bestimmen.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 21 W 69/23 – Beschluss vom 23.10.2023

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Stadt1 vom 24.03.2023 (Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses) wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss vom 24.03.2023 auf Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) am 12.10.2022 beantragten Erbscheins abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.

Von einer Erhebung der im Beschwerdeverfahren erwachsenen Gerichtskosten wird abgesehen. Eine Erstattung im Beschwerdeverfahren entstandener außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die seit dem XX.XX.1982 verwitwete Erblasserin ist am XX.XX.2022 mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Stadt2 verstorben. Bei der Beteiligten zu 1) und dem wegen einer Behinderung unter gesetzlicher Betreuung stehenden Beteiligten zu 2) handelt es sich um die einzigen Abkömmlinge der Eheleute.

Folgende letztwillige Verfügungen der Erblasserin liegen vor:

Gemeinschaftliches, von ihrem Ehemann geschriebenes und von der Erblasserin mitunterzeichnetes handschriftliches Testament vom 08.01.1974 (Bl. 7 ff. der Testamentsakte). Die Eheleute setzten sich darin zu Alleinerben mit der Maßgabe ein, „dass der Überlebende von uns unbeschränkt und frei über das gemeinsame Vermögen verfügen darf“. Insbesondere sollte dies für die im gemeinschaftlichen Eigentum beider Eheleute stehende Immobilie A-Straße 3 in Stadt1 gelten.

Unter II. ordneten die Eheleute an, dass der Überlebende „verpflichtet“ sein sollte, den gesamten Nachlass an die Beteiligten zu 1) und 2) als die gemeinsamen Kinder der Eheleute „weiterzuvererben“, wobei diese „Verpflichtung zur Weitervererbung“ jedoch die „Verfügungsfreiheit“ des Überlebenden über den Nachlass „nicht berühren“ sollte. Unter Ziffer III sah das gemeinschaftliche Testament eine Verpflichtung des überlebenden Ehegatten vor, im Falle seiner Wiederverheiratung Gütertrennung zu vereinbaren, damit zugunsten der Beteiligten zu 1) und 2) „keine Vermischung des Vermögens des überlebenden Ehegatten mit dem Vermögen des anderen eintritt“. Ferner wurde dort eine Einigkeit der testierenden Ehegatten über den Umstand festgehalten, dass die Erblasserin von ihren Eltern die Eigentumswohnungen A-Straße 2 und B-Straße 1 in Stadt1 ererbt habe. Sodann heißt es „Diese Eigentumswohnungen fallen nicht unter dieses Testament“.

Unter IV trafen die Eheleute für den Fall, dass eines ihrer Kinder das Testament „nicht anerkennen“ sollte, „als daß der Pflichtteil geltend gemacht wird“, eine Regelung, wonach der überlebende Ehegatte „weder rechtlich noch moralisch verpflichtet“ sein sollte, „auch nur einen Teil des Nachlasses auf das Kind oder dessen Kinder zu übertragen“. Die „Verpflichtung zur Übertragung des Nachlasses“ bestehe für diesen Fall nur zugunsten des Kindes, welches den Pflichtteil nicht geltend gemacht habe.

Der Ehemann der Erblasserin ist am XX.XX.1982 vorverstorben.

Unter dem 14.05.2002 errichtete die Erblasserin sodann einen eigenhändigen Nachtrag zu dem gemeinschaftlichen Testament vom 08.01.1974, mit dem sie als „zusätzliche Erben“ ihre beiden Enkelkinder Vorname1 und Vorname2 Nachname1 einsetzte.

Mit eigenhändigem Testament vom 20.06.2005 widerrief die Erblasserin diesen Nachtrag sodann und beschwerte die Beteiligten zu 1) und 2) als ihre „Erben“ mit Vermächtnissen zugunsten beider Enkelkinder.

Zuletzt errichtete die Erblasserin unter dem 01.07.2015 ein notarielles Testament (UR …/2015 des Notars C, Stadt3), wonach sie durch das gemeinschaftliche Testament vom 08.06.1974 nicht in ihrer Befugnis zu Verfügungen von Todes wegen beschränkt worden sei (Ziffer I). Alle etwaigen früheren Testamente wurden von ihr widerrufen (Ziffer II § 1). Als ihren Erben berief sie nunmehr (Ziffer II § 2) die Beteiligten zu 1) und 2) mit der Maßgabe, dass der von ihr in diesem Zusammenhang als ihr „behinderter Sohn“ angesprochene Beteiligte zu 2) zum befreiten Vorerben und seine Abkömmlinge (Enkelkinder der Erblasserin) Vorname1 und Vorname2 Nachname1 für den Fall seines Todes zu Nacherben bestimmt werden. Zugleich ordnete die Erblasserin (Ziffer II § 5) eine Dauertestamentsvollstreckung über den Erbteil des Beteiligten zu 2) an. Zur Begründung führte sie aus, dass der Beteiligte zu 2) im Hinblick auf seine Behinderung dauerhaft außerstande sei, den Nachlass zu verwalten. Zur Testamentsvollstreckerin bestimmte die Erblasserin die Beteiligte zu 1). Der Zweck der Testamentsvollstreckung wurde dahingehend bestimmt, dass der Beteiligte zu 2) hierdurch aus seiner Beteiligung am Nachlass dauerhaft einen angemessenen Lebensstandard erhalten solle, der über das Niveau der Sozialhilfe hinausgeht. Insoweit traf die Erblasserin verschiedene Verwaltungsanordnungen, darunter auch die Anweisung, dass die Testamentsvollstreckerin berechtigt sein solle, „die Immobilie“ zu verwalten und zu veräußern.

Bei Ableben der Erblasserin am XX.XX.2022 befand sich von den in dem gemeinschaftlichen Testament vom 08.01.1974 als darin ausgenommenen Teil ihres elterlichen Erbes bezeichneten beiden Immobilien die Eigentumswohnung A-Straße 2 noch in ihrem Eigentum. Die weitere dort genannte Immobilie B-Straße 1 war von ihr zwischenzeitlich veräußert worden. Ferner stand die Immobilie A-Straße 3 in ihrem Alleineigentum.

Die Beteiligte zu 1) hat mit Erklärung vom 12.07.2022 (Bl. 1 d.A.) das Testamentsvollstreckeramt angenommen. Mit notariellem Antrag vom 06.09.2022 (Bl. 4 d.A.) in Verbindung mit Ergänzungsantrag vom 11.10.2022 (Bl. 10 ff. d.A.) hat sie die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses beantragt, das sie als Dauertestamentsvollstreckerin über den Nachlass ausweisen soll.

Der für den Beteiligten zu 2) eingesetzte Betreuer des Beteiligten zu 2) hat für diesen mit notariellem Antrag vom 12.10.2022 (Bl. 17 d.A.) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, mit dem die Beteiligten zu 1) und 2) aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 08.01.1974 als Miterben der Erblasserin zu je ½ ausgewiesen werden sollen. Soweit der Beteiligte zu 2) in dem notariellen Einzeltestament der Erblasserin vom 01.07.2015 durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft sowie Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung in der ihm nach dem früheren Testament von 1974 zugewiesenen Stellung als Vollerbe einschränkt worden sei, seien diese Anordnungen wegen Verstoßes gegen die Bindungswirkung seiner wechselbezüglichen Einsetzung als Vollerbe aus dem gemeinschaftlichen Testament vom 08.01.1974 unwirksam. Der Beteiligte zu 2) ist zugleich dem Antrag der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses entgegengetreten. Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung scheitere bereits an ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit, da sich im Nachlass zwei Immobilien befänden, während die Erblasserin in ihren Verwaltungsanordnungen nur von „der Immobilie“ gesprochen habe.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 24.03.2023 (Bl. 61 d.A.) den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses zurückgewiesen. Die Anordnung der Testamentsvollstreckung aus dem notariellen Einzeltestament der Erblasserin vom 01.07.2015 sei unwirksam, da sie in Widerspruch zur Bindungswirkung einer in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament der Erblasserin vom 08.01.1974 im Wege der Auslegung enthaltenen und wechselbezüglichen Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als Schlusserben der Erblasserin stehe. Insbesondere könne nicht angenommen werden, dass sie auch dem Willen des vorverstorbenen Ehegatten der Erblasserin entsprochen habe.

Zugleich hat das Nachlassgericht mit Beschluss gleichfalls vom 24.03.2023 (Bl. 62 d.A.) die zur Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) am 12.10.2022 beantragten Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Die Erteilung des Erbscheins ist bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt worden.

Zur Begründung der Erteilung hat das Nachlassgericht ausgeführt: Für die Erbfolge sei das als wechselbezügliche Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als testamentarische Schlusserben der Eheleute auszulegende Testament der Eheleute vom 08.01.1974 maßgeblich. Soweit von den Eheleuten darin eine bloße Verpflichtung des Überlebenden zur Weitervererbung des Nachlasses an die Kinder der Eheleute formuliert worden war, sei dies vor dem Hintergrund der von den Eheleuten nach dem Gesamtinhalt ihrer übrigen Anordnungen beabsichtigten Bindungswirkung hinsichtlich einer uneingeschränkten Erbenstellung der gemeinsamen Kinder und gemäß § 2084 BGB im Sinne einer Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder als Schlusserben der Eheleute auszulegen, für die von den Eheleuten eine Wechselbezüglichkeit nach §§ 2270, 2271 BGB gewollt gewesen war. Die von der Erblasserin in ihrem nach Vorversterben ihres Ehemannes errichteten Einzeltestament vom 01.07.2015 angeordnete Beschränkung des Beteiligten zu 2) auf die Stellung eines Vorerben mit Nacherbschaft der Beteiligten zu 1) oder der von der Erblasserin bestimmen Ersatznacherben sei damit wegen Verstoßes gegen diese Bindungswirkung unwirksam.

Die Beteiligte zu 1) wendet sich mit ihrer am 14.04.2023 eingereichten Beschwerde (Bl. 72 ff. d.A.) gegen diesen ihr am 28.03.2023 zugestellten Beschluss und macht geltend, das Nachlassgericht habe nicht schon allein daraus auf eine Wechselbezüglichkeit der Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als Schlusserben schließen dürfen, dass die Schlusserbenbestimmung in einem gemeinschaftlichen Testament erfolgt war. Die Wechselbezüglichkeit verstehe sich gerade nicht von selbst, wo von Ehegatten die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben bestimmt worden waren. Jedenfalls habe das Nachlassgericht aber unberücksichtigt gelassen, dass nach dem Inhalt des Testaments vom 08.01.1974 die nachlasszugehörige Immobilie A-Straße 2 von dessen Geltung und damit einer etwaigen Bindungswirkung ausgenommen worden war. Die Erblasserin habe deshalb jedenfalls im Hinblick auf dieses Immobiliarvermögen anderweitig verfügen dürfen.

Der Beteiligte zu 2) ist der Beschwerde der Beteiligten zu 1) unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidungen entgegengetreten.

II.

1. Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1) ist gemäß § 58 FamFG statthaft und fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses beim Nachlassgericht eingegangen, § 63 FamFG. Die Beteiligte zu 1) ist hinsichtlich der Zurückweisung ihres Antrags auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses in ihrer Stellung als Antragstellerin und hinsichtlich der Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins in ihrer Stellung als Erbprätendentin beschwerdebefugt (vgl. Sternal/Meyer – Holz, FamFG, 2023, § 59 Rn 80).

2. Die gegen die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat auch in der Sache Erfolg.

Zwar konnte die Erblasserin den in dem gemeinschaftlichen Testament aus dem Jahre 1974 unbeschränkt zum Schlusserben zu ½ bestimmten Beteiligten zu 2) infolge einer Bindungswirkung dieses Testaments nicht nachträglich durch das von ihr 2015 notariell errichtete Testament als bloßen Vorerben mit Nacherbschaft der Beteiligten zu 1) einsetzen.

In dem beantragten Erbschein ist jedoch der Umstand unberücksichtigt geblieben, dass die Erblasserin hinsichtlich der im Nachlassvermögen vorhandenen Immobilie A-Straße 2 aufgrund eines in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament vom 08.01.1974 insoweit wirksam enthaltenen Abänderungsvorbehalts auch nach Ableben ihres vorverstorbenen Ehemannes zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des in dem Testament zum Mit-Schlusserben bestimmten Beteiligten zu 2) berechtigt war. Im Umfang dieses Freistellungsvorbehalts erweist sich die in dem notariellen Testament der Erblasserin vom 01.07.2015 enthaltene Anordnung einer Testamentsvollstreckung über den Erbteil des Beteiligten zu 2) als wirksam und hätte daher durch einen in den Erbschein aufgenommenen Testamentsvollstreckervermerk berücksichtigt werden müssen. In der beantragten Fassung vom 12.10.2022 ist der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) nicht erteilungsfähig gewesen.

a) Die Beteiligten zu 1) und 2) sind in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 08.01.1974 allerdings im Ausgangspunkt zu gleichen Teilen als unbeschränkte Schlusserben des letztverstorbenen Ehegatten bestimmt worden.

Soweit die Eheleute in diesem Testament eine Verpflichtung des Überlebenden zur Weitergabe bzw. Weitervererbung des ihm von dem Vorverstorbenen angefallenen Erbes ausgesprochen hatten, ist dies im Sinne einer Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) als gemeinsamer Erben des Letztverstorbenen auszulegen.

aa) Die Testamentsauslegung hat zum Ziel, den wirklichen Willen des Erblassers zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen. Dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr sind der Wortsinn und die vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten hat sagen wollen und ob er mit ihnen genau das wiedergegeben hat, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Maßgeblich ist insoweit allein sein subjektives Verständnis der von ihm verwendeten Begriffe (BGH FamRZ 1987, 475, 476; Grüneberg/Weidlich, BGB, 82. Aufl. 2023, § 2084 Rn. 1). Zur Ermittlung des Inhalts der testamentarischen Verfügungen ist der gesamte Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher außerhalb des Testaments, heranzuziehen und zu würdigen (BGH NJW 1993, 256 m.w.N.). Solche Umstände können vor oder auch nach der Errichtung des Testamentes liegen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Erblassers, seine Äußerungen und Handlungen (Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2084 BGB Rn. 2 m.w.N.), jedoch müssen sich mit Blick auf die Formerfordernisse des § 2247 BGB für einen entsprechenden Willen des Erblassers in der letztwilligen Verfügung – wenn auch nur andeutungsweise – Anhaltspunkte finden lassen (vgl. BGHZ 80, 242, 244; BGHZ 86, 41; Grüneberg/Weidlich, a.a.O., § 2084 Rn. 4).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Formulierung aus dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute, wonach der überlebende Ehegatte verpflichtet sei, den ihm bei Ableben des vorverstorbenen Ehemannes angefallenen Nachlass an die gemeinsamen Kinder weiterzuvererben, im Sinne einer Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Schlusserben auszulegen. Denn eine bloße schuldrechtliche Verpflichtung des überlebenden Ehegatten zur Errichtung einer letztwilligen Verfügung mit dem Inhalt einer Erbeinsetzung der gemeinsamen Kinder wäre gemäß § 2302 BGB nichtig. Sie kann jedoch gemäß § 2084 BGB im Wege der Umdeutung als Erbeinsetzung der Kinder aufrechterhalten werden (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2302 BGB Rn. 6). Der Gesamtinhalt des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute lässt einen zweifelsfreien Rückschluss zu, dass die von ihnen formulierte Verpflichtung des Überlebenden als eine solche Erbeinsetzung gemeint war oder jedenfalls von ihnen als Erbeinsetzung formuliert worden wäre, wenn sie sich des Verbots aus § 2302 BGB bei Errichtung des Testaments bewusst gewesen wären. Denn erkennbar sollte der Nachlass des überlebenden allein an die gemeinschaftlichen Kinder fallen und waren andere Personen nicht als Erben vorgesehen oder gewollt.

b) Ferner ist grundsätzlich auch davon auszugehen, dass die Einsetzung der gemeinschaftlichen Kinder als Erben des überlebenden Ehegatten in dem für den Eintritt einer Bindungswirkung nach §§ 2270, 2271 geforderten Verhältnis der Gegenseitigkeit zur Einsetzung des überlebenden Ehegatten als Erbe des Vorverstorbenen gestanden hat. Die Erblasserin war damit bei Beurkundung ihres notariellen Einzeltestaments vom 01.07.2015 vorbehaltlich eines ihr von den Eheleuten eingeräumten Abänderungsvorbehalts gehindert, die Rechtsstellung des in dem Testament aus dem Jahre 1974 zum unbeschränkten Mit-Schlusserben bestimmten Beteiligten zu 2) durch Anordnung einer Testamentsvollstreckung und Einsetzung als bloßer Vorerbe nachträglich zu verschlechtern.

aa) Dabei ist im Wege einer Auslegung der in dieser Hinsicht teils allerdings ungenauen Formulierungen der Eheleute von einem letztlich auf Einsetzung des überlebenden Ehegatten zum alleinigen Vollerben des vorverstorbenen Ehegatten auszugehen.

Zwar mag die in III a) des gemeinschaftlichen Testaments getroffene Anordnung der Eheleute, dass der überlebende Ehegatte im Falle seiner Wiederverheiratung Gütertrennung vereinbaren müsse, um eine „Vermischung des Vermögens des überlebenden Ehegatten mit dem Vermögen des anderen“ zu verhindern, für sich genommen nahe legen können, dass der dem überlebenden Ehegatten angefallene Nachlass des Letztverstorbenen nicht in dessen Gesamtvermögen eingehen, sondern als vom Eigenvermögen des Überlebenden getrennte Vermögensmasse an die Kinder als Schlusserben gehen sollte. Dass eine solche Einsetzung des überlebenden Ehegatten zum bloßen Vorerben des vorverstorbenen Ehegatten mit Nacherbschaft der gemeinsamen Kinder bei Ableben des überlebenden Ehegatten nicht gewollt gewesen sein kann, ergibt sich jedoch hinreichend zweifelsfrei aus den übrigen Anordnungen des Testaments, wonach dem Überlebenden das „gemeinsame Vermögen“ unbeschränkt zustehen solle (Ziffer II) und „der gesamte“, also von den Eheleuten ersichtlich als Einheit aufgefasste Nachlass bei Ableben des Überlebenden an die gemeinsamen Kinder fallen sollte.

bb) Diese Einsetzung der Kinder als gemeinsame Schluss-Vollerben des überlebenden Ehegatten hat auch in dem für den Eintritt einer Bindungswirkung nach §§ 2270, 2271 BGB erforderlichen Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zur Einsetzung der überlebenden Erblasserin als Vollerbin ihres vorverstorbenen Ehemannes gestanden.

Gemäß § 2270 Abs. 1 BGB sind letztwillige Verfügungen, die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament getroffen haben, dann wechselbezüglich, wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden wäre. Dafür ist maßgeblich, ob diejenige Verfügung, um deren Wechselbezüglichkeit es jeweils geht, nach dem Willen der Eheleute mit Rücksicht auf eine Verfügung des anderen Ehegatten getroffen worden war und gleichsam mit dieser stehen und fallen sollte. Ob dies der Fall ist, muss im Wege der Testamentsauslegung entschieden werden.

Eine ausdrückliche Anordnung zur Wechselbezüglichkeit der Einsetzung des überlebenden Ehegatten als Vollerbe des Vorverstorbenen mit der Einsetzung der gemeinsamen Kinder als Vollerben des Letztverstorbenen ist in dem Testament der Eheleute zwar nicht enthalten. Sie ergibt sich jedoch aus dem Testament schon im Wege einer zur Zweifelsregelung des § 2270 Abs. 2 BGB vorrangigen Ermittlung des konkreten Erblasserwillens. Wenn die Eheleute in IV des gemeinschaftliche Testaments festgelegt haben, dass die Verpflichtung des überlebenden Ehegatten zur Weiterleitung des Nachlasses an die gemeinsamen Kinder entfallen solle, sofern eines der Kinder das Testament durch Geltendmachung des Pflichtteils angreifen sollte, wird daraus im Umkehrschluss deutlich, dass von den Eheleuten ansonsten eine Bindung des überlebenden Ehegatten auch über den Tod des Vorverstorbenen hinaus an die Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder gewollt gewesen ist. Es kommt dann nicht mehr darauf an, dass die Wechselbezüglichkeit zudem ohnedies nach der Zweifelsregelung aus § 2270 Abs. 2 BGB zu vermuten stünde.

c) Ist in einem gemeinschaftlichen Testament durch eine wechselbezügliche Verfügung ein unbeschränkter Erbe eingesetzt worden, stellt die Anordnung einer Testamentsvollstreckung eine beeinträchtigende Verfügung dar und ist damit unwirksam (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 05.05.2003 – 20 W 279/01 – juris; OLG Köln, Beschluss vom 05.08.2013 – I-2 Wx 198/13, ZErb 2014, 118, juris, Rn. 19). Gleiches gilt, sofern der in dem Testament als Vollerbe eingesetzte Schlusserbe von dem überlebenden Ehegatten durch nachträgliche Anordnung auf die Stellung eines bloßen Vorerben beschränkt wird.

Dabei hat die Auslegung allerdings auch zu berücksichtigen, dass es den Ehegatten freisteht, ob und inwieweit von ihnen eine solche Wechselbezüglichkeit gewollt ist. Dem nunmehrigen Erblasser kann deshalb in dem gemeinschaftlichen Testament hinsichtlich der Verfügung, um deren mögliche Bindungswirkung es nunmehr geht, auch das Recht eingeräumt worden sein, die wechselbezügliche Verfügung nach dem Tod des anderen Ehegatten einseitig aufzuheben oder zu ändern, ohne dass der wechselbezügliche Charakter dieser Verfügung damit ansonsten in Frage gestellt wäre (vgl. BGH NJW 1964, 2056; juris, Rn. 40 ff.). (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2271 BGB Rn. 20). In welchem Umfang dies der Fall ist, muss durch Auslegung des Testaments geklärt werden. Der Vorbehalt muss sich auf die Befugnis zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen beziehen. Er braucht aber nicht ausdrücklich erklärt zu sein. Vielmehr kann auch im Wege der Auslegung ermittelt werden. In den allgemeinen Grenzen einer ergänzenden Testamentsauslegung kann dem Testament dabei ein darin nicht ausdrücklich formulierter Änderungsvorbehalt auch durch ergänzende Auslegung zu entnehmen sein (vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1992, 608, juris, Rn. 21; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, § 2271 BGB Rn. 21).

aa) Dem Testament der Eheleute kann nach diesen Grundsätzen nicht entnommen werden, dass die Erblasserin als überlebender Ehegatte für den gesamten ihr angefallenen Nachlass dazu berechtigt gewesen sein soll, die in dem gemeinschaftlichen Testament vom 08.01.1974 angeordnete Stellung des Beteiligten zu 2) als nicht durch Testamentsvollstreckung beschränkter Schlusserbe durch Anordnung einer Testamentsvollstreckung und Beschränkung auf die Stellung eines bloßen Vorerben zu verschlechtern.

(1) Eine solche Auslegung lässt sich insbesondere auch nicht darauf stützen, dass die Eheleute sich wechselseitig das Recht zur unbeschränkten und freien Verfügung über das dem Überlebenden angefallene gemeinsame Vermögen eingeräumt hatten und nach Ziffer II diese „Verfügungsfreiheit über den Nachlass“ auch durch die dort geregelte, nach den vorstehenden Ausführungen als Erbeinsetzung auszulegende „Verpflichtung zur Weitervererbung“ unberührt bleiben sollte.

(a) Ist in einem Testament ohne sonstige Besonderheiten und im unmittelbaren Zusammenhang mit der wechselseitigen Erbeinsetzung der Eheleute formuliert worden ist, dass der überlebende Ehegatte über den beiderseitigen Nachlass „frei“ oder „unbeschränkt“ verfügen könne, kommt zwar nach Lage des Einzelfalls auch eine Auslegung dahin in Betracht, dass dem überlebenden Ehegatten auch eine Abweichung von der wechselbezüglichen Berufung des Schlusserben durch letztwillige Verfügung gestattet werden soll (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2021, 1757, juris, Rn. 26 ff. m.w.N.). Ebenfalls nahe liegen kann aber auch die Auslegung, dass der überlebende Ehegatte damit nur hinsichtlich lebzeitiger Verfügungen über den ihm angefallenen Nachlass freier als sonst gestellt werden sollte, insbesondere dadurch, dass er auch von dem anderenfalls von ihm in entsprechender Anwendung des § 2287 BGB zu beachtenden Verbots lebzeitiger, den Erwerb des Schlusserben beeinträchtigender Schenkungen freigestellt werden soll. In diesem Fall bleibt hinsichtlich letztwilliger Verfügungen die aus der Wechselbezüglichkeit folgende Bindungswirkung bestehen (vgl. OLG Schleswig NJW-RR 2014, 965; BayObLG NJW-RR 2002, 1160; OLG Hamburg ZEV 1997, 504).

(b) Von der letzteren, allein auf Ermöglichung lebzeitiger Verfügungen gerichteten Willensrichtung der testierenden Eheleute ist auch hier auszugehen. Dafür spricht insbesondere auch in diesem Zusammenhang die Fassung der in Ziffer IV des Testaments enthaltenen Pflichtteilsklausel. Wenn der überlebende Ehegatte nach der dort getroffenen Regelung im Falle, dass eines der beiden Kinder seinen Pflichtteil geltend machen sollte, „weder rechtlich noch moralisch verpflichtet“ sein sollte, den Nachlass diesem Kind zukommen zu lassen, setzt dies notwendig voraus, dass der überlebende Ehegatte umgekehrt hinsichtlich der Verfügung über seinen Nachlass gebunden sein sollte, falls von den gemeinsamen Kindern bei Ableben des vorverstorbenen Elternteils von der Geltendmachung des Pflichtteils Abstand genommen worden war.

(2) Eine den Gesamtnachlass der Erblasserin umfassende Befugnis zur Verschlechterung der Stellung der gemeinsamen Kinder als unbeschränkter Vollerben des letztversterbenden Elternteils kann dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute auch nicht im Wege der ergänzenden Auslegung entnommen werden.

Soweit hierfür erforderlich ist, dass die letztwillige Verfügung der Erblasserin eine ungewollte Regelungslücke aufweist (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1035, juris, Rn. 13 f.), mag zwar jedenfalls dann von einer solchen Regelungslücke auszugehen sein, wenn die Eheleute nicht schon bei Errichtung ihres Testaments im Jahre 1974 damit gerechnet und den Fall bedacht hatten, dass für den Beteiligten zu 2) infolge seiner Behinderung das Bedürfnis für die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung und die Gefahr entstehen konnte, dass ein ihm als Erbe zugefallenes Vermögen von den zuständigen Trägern der Sozialhilfe zur Deckung des ihnen aus Versorgung des Beteiligten zu 2) entstandenen Aufwands herangezogen werden könnte. Die Regelungslücke wäre dann darin zu sehen, dass die Eheleute bei Abfassung des Testaments im Jahre 1974 eine Behinderung des Beteiligten zu 2) und sein Angewiesensein auf Sozialleistungen nicht in Rechnung gestellt hatten und von ihnen damit auch unberücksichtigt geblieben war, dass der ihm zugedachte Erbteil im Falle seines Sozialleistungsbezugs und ohne die Wahl einer besonderen, darauf bezogenen Testamentsgestaltung (sog. Bedürftigen- bzw. Behindertentestament) wirtschaftlich nicht dem Beteiligten zu 2), sondern dem zuständigen Leistungsträger zugutekommen werde.

Dass Erwägungen zur Schließung einer derartigen Regelungslücke hinter dem notariellen Testament der Erblasserin vom 01.07.2015 gestanden haben müssen, ergibt sich zweifelsfrei aus dessen Abschnitt IV. Die dort geregelte Kombination der Einsetzung des behinderten Kindes als Vorerbe mit Nacherbschaft der Beteiligten zu 1) als enger Verwandter sowie Einsetzung als Testamentsvollstreckerin mit der Aufgabenstellung, die dem Beteiligten zu 2) zustehenden Mittel der Erbschaft in einer Weise zu verwenden, die dem Zugriff des zuständigen Sozialhilfeträgers nach Möglichkeit entzogen bleibt, entspricht einem gängigen Gestaltungsvorschlag (vgl. z.B. Otto, in: Münchener  Vertragshandbuch Bd. 6.2, Formular XII 18 = S. 993 ff.), der auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung seit längerem  als grundsätzlich zulässig und sachgerecht angesehen wird (vgl. BGH NJW 2020, 58, juris, Rn. 12 mwN).

Zweifel an einer von den Eheleuten nicht vorhergesehenen Regelungslücke mögen allenfalls dann bestehen, falls die Behinderung des Beteiligten zu 2) und sein daraus erwachsender Bedarf nach staatlichen Fürsorgeleistungen für die testierenden Eheleute schon im Jahre 1974 bekannt oder jedenfalls als naheliegend absehbar war und die Eheleute gleichwohl von den schon damals für die Fallgestaltung eines Bedürftigentestaments bekannten Gestaltungsformen abgesehen hatten.

Dies muss hier aber nicht näher aufgeklärt werden.

Denn es fehlt jedenfalls an der weiteren Voraussetzung für eine ergänzende Testamentsauslegung dahin, dass die Ehegatten der Erblasserin eine Beschränkung der Schlusserbenstellung des Beteiligten zu 2) durch die für ein solches Behindertentestament erforderlichen Regelungen gestattet hätten, falls sie dieses ihnen bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments im Jahre 1974 unbekannte Erfordernis vorausgesehen und berücksichtigt hätten.

Voraussetzung für die ergänzende Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments ist neben dem Vorliegen einer Regelungslücke des Weiteren auch, dass sich gerade die in Frage stehende Ergänzung als Ergebnis der hypothetischen Willensrichtung der Erblasser ermitteln lässt, mit der sie die Lücke geschlossen hätten. Dabei handelt es sich nicht um den mutmaßlichen wirklichen Willen der Erblasser, sondern den Willen, den sie vermutlich gehabt hätten, wenn sie die planwidrige Unvollkommenheit ihrer Verfügung im Zeitpunkt der Errichtung erkannt hätten. Erforderlich ist deshalb, dass die für die Lückenschließung in Aussicht genommene Regelung, hier ein Änderungsvorbehalt, der gerade die von der Erblasserin gewählte Variante eines Behindertentestaments abdeckt, auf eine bestimmte, durch Auslegung der letztwilligen Verfügung erkennbare Willensrichtung des Erblassers zurückgeführt werden kann (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1035, juris, Rn. 24). Jedenfalls daran fehlt es.

Selbst wenn den testierenden Eheleuten der Eintritt einer Behinderung und eine daraus resultierende Bedürftigkeit des Beteiligten zu 2) bei Abfassung des Testaments im Jahre 1974 noch nicht absehbar gewesen war und damit eine Regelungslücke vorliegt, erscheint es bereits fern liegend, dass die Eheleute schon damals zu der von der Erblasserin in ihrem späteren Testament vom 01.07.2015 gewählten Gestaltungsvariante einer mit Testamentsvollstreckung kombinierten Vor- und Nacherbschaft gegriffen hätten. Denn die Zulässigkeit solcher Gestaltungen hat sich auch in der Rechtsprechung erst allmählich auf der Grundlage einer 1993 ergangenen Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 20.10.1993 – IV ZR 231/92, BGHZ 123, 368) etabliert und ist zuvor im Hinblick auf die damit für die Allgemeinheit und den Rückgriff des Leistungsträgers verbundenen Nachteile erheblich umstritten gewesen.

Zudem gibt es für das Regelungsziel eines solchen Behindertentestaments, dem bedürftigen Kind die Nachlasswerte möglichst in einer dem Rückgriff des Sozialhilfeträgers entzogenen Weise zukommen zu lassen, neben der Kombination einer Vor- und Nacherbschaft mit Testamentsvollstreckung noch weitere Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 13.05.2013 – 3 Wx 43/13, NJW-RR 2013, 906, juris, Rn. 25). Zudem versteht sich keineswegs von selbst, dass Eltern eines behinderten Kindes, wenn sie die Möglichkeit eines Rückgriffs des Sozialhilfeträgers bedenken, von zwar rechtlich zulässigen, aber letztlich zu Lasten der Allgemeinheit gehenden Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch machen, mit denen ein Zugriff des Sozialhilfeträgers auf das ererbte Vermögen vereitelt werden kann (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 13.05.2013 – 3 Wx 43/13, NJW-RR 2013, 906, juris, Rn. 26).

Inwiefern die Eheleute gleichwohl im Jahre 1974, wenn sie die von einer Behinderung des Beteiligten zu 2) aufgeworfene Problematik erkannt hätten, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten, dem überlebenden Ehegatten durch einen Änderungsvorbehalt eine geeignete Umgestaltung der Rechtsstellung des Beteiligten zu 2) zu ermöglichen, ist weder aus dem Testament der Eheleute noch in sonstiger Weise ersichtlich und damit jedenfalls nicht in der für die Wahrung der Testamentsform des § 2247 Abs. 1 BGB in dem gemeinschaftlichen Testament angedeutet. Dafür reicht nicht aus, dass dem Testament ersichtlich das Ziel zugrunde liegt, das elterliche Erbe letztlich den Kindern als Schlusserben zugute kommen zu lassen. Denn bei einer solchen Sichtweise wäre schlechthin jedem Ehegattentestament mit Einsetzung der Kinder als Schlusserben ein auf Ermöglichung eines sogenannten Behindertentestaments gerichteter Änderungsvorbehalt eingeschrieben.

bb)

Im Sinne eines Änderungsvorbehalts ist deshalb nur die weitere in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute enthaltene Klausel auszulegen, wonach zwischen den Eheleuten eine Einigkeit darüber bestehe, dass zwei von der nunmehrigen Erblasserin von ihren Eltern ererbte Eigentumswohnungen „nicht unter dieses Testament“ fallen sollen.

Diese Regelung ist zugleich als Freistellung von einer etwaigen Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments auszulegen, soweit letztwillige Verfügungen der Erblasserin mit Bezug auf diese beiden Grundstücke betroffen sind. Ersichtlich wollten die Eheleute der Ehefrau freistellen, wie sie mit diesem Teil ihres Vermögens umgehen wolle, und von vornherein nur das Schicksal des übrigen gemeinsamen Nachlasses verbindlich für die Zukunft regeln.

Denn es kann nicht angenommen werden, dass die Eheleute mit dieser Klausel in über eine solche Freistellung hinausgehender Weise eine Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen regeln wollten. Die Klausel müsste dann dahin ausgelegt werden, dass sich die testamentarische Erbeinsetzung aus dem gemeinschaftlichen Testament bei Ableben der Ehefrau auf die Erbquote beschränken sollte, die sich nach Abzug des Werts der in der Klausel benannten Grundstücke vom Wert des Gesamtnachlasses der Erblasserin ergibt. Eine solche Einsetzung auf aus dem Wertverhältnis der in Frage stehenden Gegenstände abgeleitete Erbquoten ist zwar ein grundsätzlich mögliches Auslegungsergebnis (vgl. BGH FamRZ 1990, 396, juris, Rn. 25 f.). Sie ist aber streitanfällig und umständlich. Daher darf sie nicht als Regelfall angesehen werden (vgl. BGH NJW 1997, 392, juris, Rn. 12). So muss im Wege der Auslegung geklärt werden, ob sich die in Frage stehende Erbquote nach dem Wertverhältnis des Zugewendeten zum Gesamtnachlass der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung oder im späteren Zeitpunkt des Ablebens richten sollte (vgl. BGH NJW 1997, 392, juris, Rn. 14 f.). Eine Frage der Auslegung ist es dabei auch, ob die Ermittlung der Quoten ganz nach den objektiven Wertverhältnissen erfolgen sollte oder bei den testierenden Eheleuten davon abweichende und für die Quotenbildung maßgebliche Vorstellungen bestanden hatten. Weitere schwierige Auslegungsfragen wirft eine solche Erbeinsetzung nach Vermögensgruppen dann auf, wenn sich ein Teil der zugewendeten Vermögensgegenstände – hier die veräußerte Immobilie B-Straße 1 – im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr im Nachlass befindet (vgl. BGH NJW 1997, 392, juris Rn. 14 f.).

Zudem mag zwar naheliegen, wäre aber gleichfalls nur durch Ermittlung des wirklichen oder mutmaßlichen Erblasserwillens bei Testamentserrichtung im Jahre 1974 abschließend zu klären, ob die in Frage stehende Klausel neben der Festlegung einer Erbquote zugleich eine Teilungsanordnung des Inhalts enthielt, dass die in Frage stehenden Grundstücke dem für diese Quote eingesetzten Erben bei der Erbauseinandersetzung auch gegenständlich zukommen sollen.

Damit liegt auch insgesamt fern, dass die Eheleute die Erbteilung zwischen ihren in dem Testament als Schlusserben bestimmten Abkömmlinge mit solchen Zweifelsfragen belasten wollten. Vielmehr ist allein von einer Freistellungsklausel zugunsten der Erblasserin auszugehen.

Die Erblasserin war damit zwar jedenfalls nicht durch eine Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments gehindert, über die in Frage stehenden Eigentumswohnungen testamentarisch auch nach Ableben ihres Ehemannes in Abweichung zur Einsetzung der Beteiligten zu 1) und 2) anders zu verfügen.

Die in dem notariellen Testament vom 01.07.2015 enthaltene Beschränkung des Beteiligten zu 2) durch Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft kann allerdings trotz Deckung durch den Freistellungsvorbehalt des Testaments vom 08.01.1974 nicht aufrechterhalten werden. Denn dies liefe auf eine rechtlich unzulässig für einzelne Nachlassgegenstände beschränkte Einsetzung des Beteiligten zu 2) als Vorerbe hinaus. Der aus §§ 1922, 1967 BGB abzuleitende Grundsatz, dass der Erbe nur für den Nachlass oder Bruchteile davon, aber nicht für einzelne Nachlassgegenstände eingesetzt werden kann, gilt jedoch in gleicher Weise wie für den Vollerben auch für die Einsetzung als Vorerbe (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2018, 639, juris Rn. 14). Eine Anordnung diesen Inhalts kann in der unmittelbaren Anwendung allenfalls als Vermächtnis oder als mit einer Teilungsanordnung (§ 2048 BGB) kombiniertes Vorausvermächtnis (§ 2150 BGB) aufrecht erhalten werden. Dies würde jedoch nichts an der Einsetzung des Beteiligten zu 2) als hälftiger Voll-Miterbe ändern.

Das Nachlassgericht ist deshalb im Ergebnis zu Recht der Auffassung gewesen, dass der Beteiligte zu 2) in gleicher Weise wie die Beteiligte zu 1) als Vollerbe zu ½ berufen worden ist.

cc) Der angefochtene Erbschein ist jedoch gleichwohl deshalb nicht zu erteilen, weil darin die in dem notariellen Testament der Erblasserin vom 01.07.2015 in wirksamer Weise angeordnete Beschränkung des Beteiligten zu 2) durch eine Dauertestamentsvollstreckung über die in seinen Erbteil fallende Immobilie A-Straße 2 unberücksichtigt geblieben ist.

Eine solche auf einzelne Nachlassgegenstände beschränkte Anordnung der Testamentsvollstreckung ist grundsätzlich zulässig und wirksam (vgl. BayObLG NJW-RR 2005, 1245, juris, Rn. 27; Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, Vor § 2197 BGB Rn. 2; Zimmermann, Testamentsvollstreckung, 2023, Rn. 51 i.V.m. Rn. 42b).

In einem zu erteilenden Erbschein muss dabei auch eine solche nur für einzelne Nachlassgegenstände angeordnete Testamentsvollstreckung unter Angabe ihres Gegenstands verlautbart werden (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 2023, Vor § 2197 BGB Rn. 4). Anderenfalls stellt sich der erteilte Erbschein als fehlerhaft dar und muss eingezogen werden (vgl. BayObLG NJW-RR 2005, 1245, juris, Rn. 27).

Hiernach fehlt es deshalb an den Voraussetzungen für die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) am 12.10.2022 beantragten Erbschein, weil in dem Antrag des Beteiligten zu 2) die Beschränkung unberücksichtigt geblieben ist, der sein Erbteil durch wirksame Anordnung einer auf die Immobilie A-Straße 2 begrenzten Testamentsvollstreckung unterworfen worden ist.

Denn insoweit enthält die in dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute aus dem Jahre 1974 hinsichtlich der von ihren Eltern ererbten beiden Wohnungen enthaltene Freistellungsklausel zugleich eine Befugnis der Erblasserin, den Beteiligten zu 2) hinsichtlich dieses Teils ihres Nachlasses durch nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung zu beschränken.

Soweit die Anordnung einer Testamentsvollstreckung in Ziffer IV des notariellen Testaments der Erblasserin vom 01.07.2015 weitergehend den gesamten Erbteil des Beteiligten zu 2) und nicht nur das von dem Freistellungsvorbehalt umfasste Immobilienvermögen der Erblasserin erfasst, kann die Anordnung der Erblasserin dabei gemäß § 2084 BGB in dem Umfang aufrechterhalten bleiben, in dem sie von diesem Änderungsvorbehalt gedeckt ist. Denn nach dem Gesamtzusammenhang der Regelungen, die von der Erblasserin im Zusammenhang mit der Anordnung der Testamentsvollstreckung getroffen worden sind, kann zweifelsfrei davon auszugegangen werden, dass die Erblasserin zumindest eine gegenständlich auf die nachlasszugehörige Immobilie A-Straße 2 beschränkte Testamentsvollstreckung angeordnet hätte, wenn ihr bei Abfassung des Testaments vom 01.07.2015 bewusst gewesen wäre, dass sie entgegen ihrer im Eingang des Testaments verlautbarten Annahme im Übrigen durch das zuvor am 08.01.1974 errichtete Ehegattentestament gebunden war.

Das mit einem sogenannten Behindertentestament verfolgte Ziel, dem auf Sozialleistungen angewiesenen Erben die Erträge des Nachlasses möglichst so zukommen zu lassen, dass der zuständige Sozialhilfeträger darauf keinen Zugriff nehmen kann, lässt sich im Grundsatz auch mit der Einsetzung des Erben als nur durch Testamentsvollstreckung und nicht durch zusätzliche Anordnung einer Nacherbschaft beschränkten Vollerben erreichen. Denn soweit der Nachlass einer Dauertestamentsvollstreckung mit der Auflage an den Testamentsvollstrecker unterliegt, dass der Nachlass nur in dem Zugriff des Sozialleistungsträgers entzogener Weise verwendet werden darf, ist der Nachlass nach sozialgerichtlicher Auffassung nicht als gemäß § 88 BSHG verwertbares Vermögen anzusehen und damit einem Rückgriff entzogen (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 17.03.2006, 3 R 2/05, MittbayNot 2007, 65). Zwar mag dann anders als im Falle der Einsetzung als bloßer Vorerbe ein Zugriff des Sozialhilfeträgers gemäß § 102 SGB XII auf das Erbe in Betracht kommen, sobald der bedürftige Erbe stirbt (vgl. Spall, MittbayNot 2007, 67 f.). Jedoch liegt fern, dass diese der Anordnung einer isolierten Testamentsvollstreckung als Gestaltungsmittel eines Behindertentestaments anhaftende Schwäche die Erblasserin davon abgehalten hätte, den für den Beteiligten zu 2) bestimmten Erbteil wenigstens in dem von dem Freistellungsvorbehalt aus dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute ermöglichten Umfang, also für das der Erblasserin von ihren Eltern zugeflossene Immobiliarvermögen durch Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung vor dem möglichen Zugriff des Sozialleistungsträgers zu schützen.

Ferner ist die Anordnung der Erblasserin zur Anordnung einer Testamentsvollstreckung entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 2) nicht schon deshalb wegen einer durch Auslegung nicht behebbaren Unbestimmtheit unwirksam, weil sich in dem Nachlass der Erblasserin neben der von dem Freistellungsvorbehalt aus dem gemeinschaftlichen Testament der Eheleute vom 08.01.1974 erfassten Immobilie A-Straße 2 mit der Immobilie A-Straße 3 eine weitere Immobilie befunden hat, während die Erblasserin innerhalb der Verwaltungsanordnungen für die Testamentsvollstreckung an zwei Stellen nur von „der Immobilie“ gesprochen hat. Die Verwendung der Einzahl statt des Plurals ist zum einen schon deshalb unschädlich, weil die Erblasserin – auch wenn ihr dies bei Errichtung des notariellen Testaments unbekannt gewesen sein mag – ohnedies nur hinsichtlich einer einzelnen Immobilie, nämlich der ihr von ihren Eltern angefallenen Immobilie A-Straße 2 eine Testamentsvollstreckung anordnen durfte. Zudem wäre selbst dann, wenn auch die Immobilie A-Straße 3 in wirksamer Weise vom Umfang der Testamentsvollstreckung umfasst wäre, insoweit von einer durch Auslegung behebbaren, rein redaktionellen Ungenauigkeit bei Abfassung des Testaments auszugehen. Denn als Gegenstand der Testamentsvollstreckung war ausdrücklich der gesamte Erbteil des Beteiligten zu 2) benannt worden. Zudem hat die Erblasserin in Abschnitt II § 5.4 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie die Zielsetzung einer Absicherung des Beteiligten zu 2) auch gesichert sehen wollte, falls die Anordnung einer Testamentsvollstreckung nicht in der von der Erblasserin konkret angeordneten Weise möglich sein sollte.

Eine Unwirksamkeit der angeordneten Testamentsvollstreckung lässt sich insoweit auch nicht aus der von der Erblasserin in II § 6 des notariellen Testaments enthaltenen Auffangregelung ableiten, wonach der Beteiligte zu 2) nur den Pflichtteil erhalten solle, wenn die getroffene Regelung „etwa aufgrund einer Änderung der Rechtslage unwirksam sein oder werden“ sollte. Nach dem Zusammenhang der Regelungen der Erblasserin meint dies nur den Fall, dass die Anordnung der Testamentsvollstreckung an Gründen scheitern sollte, die mit den möglichen Rückgriffsansprüchen des leistungspflichtigen Sozialhilfeträgers in Zusammenhang stehen. Hingegen kann gerade nicht angenommen werden, dass die Erblasserin den Beteiligten zu 2) bereits dann auf den Pflichtteil beschränken wollte, wenn die von ihr angezielte Schaffung eines Behindertentestaments zugunsten des Beteiligten zu 2) nur in einzelner Hinsicht an einer – von der Erblasserin gerade nicht in Rechnung gestellten – Bindung an ihr früheres gemeinschaftliches Testament aus dem Jahre 1974 scheitern sollte.

3. Soweit die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses gerichtet ist, bleibt sie ohne Erfolg.

Die Beteiligte zu 1) ist sowohl in ihrem ursprünglichen Antrag vom 15.08.2022 (Bl. 5 d.A.) wie auch in dessen Ergänzung vom 11.10.2022 (Bl. 10 d.A.) unzutreffend davon ausgegangen, dass die in dem Testament des Erblassers angeordnete Dauertestamentsvollstreckung den Gesamtnachlass erfasst. Jedoch war von der Erblasserin in Abschnitt II § 5.1 ihres notariellen Testaments vom 01.07.2015 allein eine Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des Erbteils des Beteiligten zu 2) angeordnet worden. Der Antrag hätte damit von vornherein allein auf Verlautbarung einer Dauertestamentsvollstreckung über den Erbteil des Beteiligten zu 2) gehen dürfen.

Zudem ist in dem Antrag der Beteiligten zu 1) aus den schon oben ausgeführten Gründen der Umstand unberücksichtigt geblieben, dass die Erblasserin nach dem Inhalt des gemeinschaftlichen Ehegattentestaments vom 08.01.1974 allein im Umfang des dortigen Freistellungsvorbehalts, also hinsichtlich der bei ihrem Ableben im Nachlass noch vorhandenen Immobilie A-Straße 2, nicht aber hinsichtlich der übrigen in den Erbteil des Beteiligten zu 2) fallenden Nachlassgegenstände zur Anordnung einer Testamentsvollstreckung berechtigt war.

Der in dem Testamentsvollstreckervermerk zu verlautbarende Umfang der Testamentsvollstreckung hätte daher als Dauertestamentsvollstreckung an dem hälftigen Erbteil des Beteiligten zu 2) und mit Beschränkung auf die nachlasszugehörige Immobilie A-Straße 2 formuliert werden müssen.

Darüber hilft auch nicht hinweg, dass die Beteiligte zu 1) in ihrem Nachtrag vom 11.10.2022 (Bl. 10 d.A.) zu ihrem ursprünglichen Antrag die Erteilung eines Dauertestamentsvollstreckerzeugnisses „gemäß notariellem Testament vom 01.07.2015“ beantragt hat. Denn die Bindung des Nachlassgerichts an den konkreten Antrag des Antragstellers schließt es insbesondere aus, eine solche Antragsfassung dahin zu verstehen, dass der Antragsteller den Inhalt des zu erteilenden Testamentsvollstreckerzeugnisses ganz in die Hände des Nachlassgerichts geben möchte, indem es diesem überlassen bleibt, den korrekten Inhalt des Zeugnisses im Wege der Auslegung aus dem maßgeblichen Testament abzuleiten. Insoweit kommt deshalb auch eine in der Beschwerdeinstanz vor dem Oberlandesgericht ohnedies nur allenfalls in engen Grenzen zulässige Anregung einer Änderung des gestellten Antrags hier nicht in Betracht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 FamFG.

Insoweit sollen zwar die Kosten eines insgesamt erfolglos gebliebenen Rechtsmittels nach § 84 FamFG grundsätzlich dem Beteiligten auferlegt werden, der mit seinem Antrag erfolglos geblieben ist. Die Beteiligte zu 1) ist jedoch nur mit ihrer Beschwerde gegen die Versagung des beantragten Testamentsvollstreckerzeugnisses erfolglos geblieben. Ihre Beschwerde gegen die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins hat hingegen Erfolg gehabt. Ist das Rechtsmittel teilweise begründet, findet § 84 FamFG keine Anwendung, sondern richtet sich die Kostenentscheidung insgesamt allein nach § 81 FamFG (vgl. BGH NJW-RR 2018, 709, juris Rn. 3; BeckOK-FamFG/Weber, 2023, § 84 FamFG Rn. 3; Zöller/Feskorn, ZPO, 2023, § 84 FamFG Rn. 3). Dabei kommt zwar auch eine Ermessensausübung dahin in Betracht, dass die Kosten eines gegen mehrere Gegenstände gerichteten Rechtsmittels nach dem Wertverhältnis der Geschäftswerte verquotelt werden (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 2023, § 84 FamFG Rn. 3). Zulässig ist es aber ebenfalls, gänzlich von einer Erhebung der Gerichtskosten abzusehen (vgl. BGH NJW-RR 2018, 709).

Eine solche Anordnung erscheint hier schon deshalb sachgerecht, weil die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hinsichtlich ihrer gegen den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) gerichteten Beschwerde erfolgreich gewesen ist und dieser Teilerfolg auch nach Wertquoten deutlich überwiegen würde. Die gegen die Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) beantragten Erbscheins gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) wäre gemäß § 61 i.V.m. § 40 Abs. 1 GNotKG mit dem Reinwert des Nachlasses zu bewerten. Der Geschäftswert der erfolglos gebliebenen Beschwerde gegen die Versagung des Testamentsvollstreckerzeugnisses wäre hingegen gemäß § 61 i.V.m. § 40 Abs. 5 Satz 1 GNotKG deutlich niedriger, nämlich mit 20 % des Nachlasswerts ohne Abzug von Nachlassverbindlichkeiten anzusetzen gewesen.

Unter der hier naheliegenden Annahme, dass der Reinwert des Nachlasses nach § 40 Abs. 1 GNotKG nicht wesentlich von dem gemäß § 40 Abs. 5 GNotKG unter deren Abzug ermittelten Nachlasswert abweicht, ergibt sich eine Unterliegensquote der Beteiligten zu 1) von (0,2/1,2 = 0,16 =) 16 %.

Es erscheint dann einerseits angemessen, dass die Beteiligte zu 1) insgesamt keine Gerichtskosten zu tragen hat. Umgekehrt erscheint es jedoch auch nicht von gemäß § 81 FamFG billigem Ermessen geboten, den Beteiligten zu 2) einen auf seinen Unterliegensanteil von quotal 84 % entfallenden Anteil der im Beschwerdeverfahren entstandenen Gerichtskosten tragen zu lassen. Denn der Gedanke der Kostenhaftung des Unterlegenen stellt im Rahmen des billigen Ermessens nach § 81 FamFG nur einen möglichen und zulässigen, aber keinen zwingenden oder allein den Ausschlag gebenden Gesichtspunkt dar, sondern es kommt auf eine umfassende Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls an (vgl. BGH NJW-RR 2016, 200, juris, Rn. 14). Insoweit kann zugunsten des Beteiligten zu 2) berücksichtigt werden, dass sein Erbscheinsantrag allein wegen der fehlenden Aufnahme eines Testamentsvollstreckervermerks erfolglos bleibt und es sich dabei um einen bei künftiger Antragstellung behebbaren Mangel handelt.

Auch besteht keine Veranlassung zu einer Anordnung, dass die Beteiligten sich wechselseitig die ihnen im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten ganz oder nach aus dem Wertverhältnis ihrer Anträge abgeleiteten Wertquoten zu erstatten hätten. Dem Verfahren lagen Fragen einer nicht ganz einfach zu beurteilenden Testamentsauslegung zugrunde und die Beteiligten sind als Geschwister miteinander verbunden. Zudem ist der Beteiligte zu 2) ersichtlich finanziell bedürftig und auf Sozialleistungen angewiesen. Insbesondere dies lässt es als unbillig erscheinen, ihm auch nur einen nach Wertquoten bemessenen Anteil an den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1) tragen zu lassen. Es erscheint vielmehr angemessen, die Beteiligten ihre im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen zu lassen. Die Kostenlast für das erstinstanzliche Verfahren folgt jeweils aus §§ 22 ff. GNotKG und bedarf damit ebenfalls keiner Regelung durch eine Kostenentscheidung in der Beschwerdeinstanz.

4. Gründe gemäß § 70 Abs. 2 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die vorliegende Entscheidung ist nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln angreifbar.

 

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