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Testamentsauslegung bei Verwendung rechtlicher Fachbegriffe

Thüringer Oberlandesgericht – Az.: 6 W 14/16 – Beschluss vom 31.07.2018

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgerichts – Erfurt vom 07.04.2015 (Nichtabhilfeentscheidung vom 09.12.2015) wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 2) hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 511,29 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der am ….01.1954 im Alter von 74 Jahren verstorbene Erblasser war verheiratet mit B Ja. Das Ehepaar lebte in E und hatte zwei Kinder, die 1910 geborene Tochter Kä und den 1921 geborenen Sohn K-E. Am 18.01.1953 errichteten die Eheleute ein Testament, dessen Text der Erblasser eigenhändig niederschrieb und das beide Ehegatten unterzeichneten (Bd. I Bl. 2). Das Testament lautet wie folgt:

„Ich setze meine Frau B Ja, geborene Kr, in E E straße … zur Universalerbin ein. Sie soll befreite Vorerbin unseres gesamten Vermögens sein.

Nach ihrem Tod sollen Nacherben zu gleichen Teilen sein unsere Kinder:

Kä geborene Ja, verehelichte S, wohnhaft z. Zt. W, F gasse …, geboren …. September 1910 und

K-E Ja z. Zt. Hö-H über HE, geboren …. Dezember 1921,

letzterer in E geboren, erstere in W geboren.

Gerichtliche Inventarisierung und Siegelung unseres Nachlasses verbitten wir uns ausdrücklich.

Unterschrift des Ehemanns:  Ja-

Ich, Frau B Ja geborene Kr, füge dem vorstehenden Testament die Erklärung hinzu, daß es auch als mein Testament gelten soll und ich setzte hinzu, daß mein Mann J Ja in E E straße …bei meinem Vorableben in gleicher Weise Universalerbe sein soll.

Unterschrift der Ehefrau: B Ja geb. Kr

E, den 18. Januar 1953“

Der Erblasser war Alleineigentümer des im Testament als Wohnsitz der Eheleute aufgeführten Hausgrundstücks E strasse …in E. Während das im Wesentlichen aus dem Hausgrundstück bestehende Nachlassvermögen in der DDR der 50er-Jahre noch einen bescheidenen Wert von 5.000 DM hatte (so die Wertangabe im Erbscheinsantrag der Ehefrau des Erblassers vom 15.04.1957, Bd. I Bl. 5 und dem folgend auch in dem ihr erteilten Erbschein, Bd. I Bl. 6), ist es heute mehr wert als eine halbe Million Euro. Das Mehrfamilienhaus in E erwirtschaftet solide und regelmäßige Mieteinnahmen. Das im hiesigen Verfahren vor knapp fünf Jahren (am 02.09.2013) erstellte Nachlassverzeichnis (Bd. II Bl. 403f.) weist deshalb einen Aktivnachlass von 654.417,36 € aus.

Das Staatliche Notariat des Stadt- und Landkreises E erteilte am 26.04.1957 einen Erbschein dahin, dass befreite Vorerbin des Erblassers seine Ehefrau B und Nacherben seine beiden Kinder Kä und K-E seien (Bd. I Bl. 6).

Am ….03.1963 verstarb die Ehefrau des Erblassers. Knapp fünf bzw. sechs Wochen nach ihrem Tod erklärten der Sohn und die Tochter des Erblassers die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Vater. Die notariell beurkundete Ausschlagungserklärung des Sohnes K-E datiert auf den 11.04.1963 (Bd. I Bl. 8/14ff.), die der Tochter Kä auf den 18.04.1963 (Bd. I Bl. 17). Ausschlagungserklärungen liegen auch für bzw. von den Kindern des Sohnes und der Tochter des Erblassers vor. Auch die Erklärungen der Enkel sind beschränkt auf die Ausschlagung der Erbschaft nach dem Erblasser (Bd. I Bl. 8/14ff., 19 und 20).

Nachdem eine Reihe weiterer Verwandter die Erbschaft ausgeschlagen hatten, erteilte das Staatliche Notariat des Stadt- und Landkreises E am 08.11.1966 einen auf die Beteiligte zu 2) – eine Großnichte des Erblassers – lautenden Alleinerbschein (Bd. I Bl. 76).

Nach der „Wende“ wandte sich der Sohn des Erblassers an das Nachlassgericht und stellte die Alleinerbschaft der Beteiligten zu 2) u. a. mit dem Hinweis in Frage, dass sein Vater neben der Großmutter der Beteiligten zu 2) noch 10 weitere Geschwister gehabt habe, von denen vier seinen Vater überlebt und auch Nachkommen hinterlassen hätten. Mit Blick auf diesen (näher) ausgeführten Hinweis des Sohnes K-E Ja zog das Amtsgericht – Nachlassgericht – E mit Beschluss vom 02.11.1995 (Bd. I Bl. 54) den auf die Beteiligte zu 2) ausgestellten Alleinerbschein vom 08.11.1966 mit der Begründung ein, die bisher als gesetzliche Alleinerbin ausgewiesene Beteiligte zu 2) sei – ohne dass die genauen verwandtschaftlichen Zusammenhänge bereits sicher ermittelt seien – keinesfalls Alleinerbin, sondern nur Miterbin, voraussichtlich zu 1/5. Unter dem 24.01.1996 folgte der Beschluss, der den eingezogenen Erbschein für kraftlos erklärte (Bd. I Bl. 69).

Mit notarieller Urkunde vom 04.07.2006 (Bd. I B. 220ff.) beantragte die Beteiligte zu 2) einen Teilerbschein, den das Nachlassgericht am 03.08.2006 auch erteilte. Der Teilerbschein weist die Beteiligte zu 2) als gesetzliche Erbin des Erblassers zu 1/5 aus (Bd. I Bl. 242).

Mit Beschluss vom 03.12.2012 (Bd. II Bl. 311f.) ordnete das Nachlassgericht für die „unbekannten Erben hinsichtlich 4/5 Anteil“ die Nachlasspflegschaft an und betraute den Nachlasspfleger mit zwei Aufgaben, der Ermittlung der Erben und der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses.

Mit der Begründung, die Linie nach einem der den Erblasser überlebenden Geschwister – dem Bruder Dr. L Ja – habe die Erbschaft insgesamt ausgeschlagen, beantragte die Beteiligte zu 2) mit notarieller Urkunde vom 03.12.2013 (Bd. II Bl. 416ff.) einen „weiteren“ bzw. „berichtigten“ Teilerbschein, der ihr eine Erbquote von 1/4 bescheinigt.

Nachdem im Mai 2014 die umfangreichen Ermittlungen zu den als gesetzlichen Erben des Erblassers in Betracht kommenden Nachkommen seiner Geschwister mit der Feststellung der hiesigen Beteiligten (fast) abgeschlossen waren, legte die Nachlassrechtspflegerin des Amtsgerichts Erfurt die Verfahrensakten der Nachlassrichterin mit einem auf den 13.05.2014 datierenden Vermerk vor und bat um Überprüfung der neuen (geänderten) Rechtsauffassung, wonach mit Blick auf § 2142 BGB nicht die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser eintrete, da die Ehefrau Vollerbin nach ihrem Mann geworden sei (Bd. III Bl. 505).

Mit Beschluss vom 07.04.2015 (Bd. III Bl. 578) schloss sich die Nachlassrichterin dieser (geänderten) Rechtsauffassung an und zog den Teilerbschein vom 03.08.2006 mit der Begründung als unrichtig ein, der Erbschein sei aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilt worden. Das Testament in Verbindung mit der gesetzlichen Regelung des § 2142 Abs. 2 BGB führe jedoch zu einer anderen Erbfolge.

Gegen den ihr am 25.04.2015 zugestellten Einziehungsbeschluss legte die Beteiligte zu 2) am 08.05.2015 Beschwerde ein, mit der sie die Entscheidung des Nachlassgerichts mit zwei Argumenten angreift. § 2142 Abs. 2 BGB komme nicht zu Anwendung, da die Vorerbschaft mit dem Tod der Ehefrau geendet habe und die Nacherben erst nach deren Tod die Ausschlagung erklärt hätten („Verstorbene können nicht erben“). Etwaige Ansprüche von Erben der Ehefrau seien jedenfalls verjährt.

Mit Beschluss vom 09.12.2015 (Bd. IV Bl. 658) half das Nachlassgericht der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Senat zur Entscheidung vor.

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) ist zulässig, aber unbegründet. Die angegriffene Einziehungsentscheidung hält einer Überprüfung im Ergebnis stand, da der die Beteiligte zu 2) als Erbin zu einem Anteil von 1/5 ausweisende Teilerbschein vom 03.08.2006 tatsächlich unrichtig und deshalb nach § 2361 BGB einzuziehen ist.

Eine „Unrichtigkeit“ im Sinne des § 2361 BGB liegt schon dann vor, wenn die Überzeugung des Gerichts von der Richtigkeit des Erbscheins so erschüttert ist, dass es jetzt den Erbschein nicht mehr erteilen würde (BGHZ 40, 54; BayObLG FGPrax 2003, 130; OLG Köln Rpfleger 2003, 193). Eine solche nachhaltige Erschütterungsfunktion ist hier dem Testament beizumessen, das der Erblasser und seine Ehefrau 1953 errichtet haben. Vor dem Hintergrund des Testaments und der Vorschrift des § 2142 Abs. 2 BGB erweist sich die – allerdings nicht näher ausgeführte – geänderte Rechtsauffassung des Nachlassgericht als zutreffend, zur Erbfolge seien nicht kraft Gesetzes nach § 1925 Abs. 1 und 3 BGB i.V.m. § 1924 Abs. 3 und 4 BGB die Abkömmlinge der Geschwister des Erblassers berufen. Erben sind nicht die Verwandten zweiter Ordnung des Erblassers, sondern vielmehr die Erben seiner nachverstorbenen Ehefrau, d.h. im Ergebnis die – möglicherweise selbst zwischenzeitlich beerbten – beiden Kinder der im Jahr 1953 gemeinsam testierenden Eheleute Ja . Da die Erbfolge nach der Ehefrau des Erblassers maßgebend ist, steht fest, dass der die Beteiligte zu 2) als Miterbin ausweisende Teilerbschein vom 03.08.2006 unrichtig ist. Denn sie könnte als Enkelin einer Schwester des Erblassers ein Erbrecht nur aus der – tatsächlich nicht zum Zuge kommenden – gesetzlichen Verwandtenerbfolge nach dem Erblasser herleiten.

Die erbrechtlichen Verhältnisse beurteilen sich im vorliegenden Fall nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).

Nach Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB bleibt für die erbrechtlichen Verhältnisse das bisherige Recht maßgebend, wenn der Erblasser vor dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland gestorben ist. Als rein intertemporale Norm regelt diese Bestimmung allerdings nicht, ob auf einen früheren Erbfall das in der ehemaligen DDR oder das im bisherigen Bundesgebiet geltende Recht zur Anwendung kommt, sondern setzt eine Zuordnung zu einer der beiden Teilrechtsordnungen bereits voraus. Nach der deshalb stets erforderlichen interlokalen Vorprüfung richtet sich die Rechtslage von Todes wegen nach einem deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen Teilrechtsordnung, deren räumlichem Geltungsbereich der Erblasser durch seinen gewöhnlichen Aufenthalt angehörte (Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 19.03.1998, 10 WX 7/97, juris Rz. 39 m.w.N.). Dementsprechend bestimmt sich im Entscheidungsfall die Frage, wer Erbe nach dem Erblasser ist, nach dem Recht der DDR.

Denn der Erblasser ist am ….01.1954 und damit Jahrzehnte vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 03.10.1990 verstorben.

Anzuwenden ist indes nicht das Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB), sondern das BGB in der 1954 in der DDR in Kraft befindlichen Fassung, das bis zum Inkrafttreten des ZGB am 01.01.1976 auch in der DDR galt. Nach § 8 Abs. 2 EGZGB richtet sich die Wirksamkeit der vor dem Inkrafttreten des ZGB errichteten Testamente, mithin hier die Wirksamkeit des von den Eheleuten Ja im Jahr 1953 errichteten Testaments nach dem bis dahin geltenden Recht, d.h. nach dem BGB. Für die Wirkungen und die Auslegung des Testaments gilt nach § 8 Abs. 1 EGZGB nichts anderes. Da der Erblasser bereits 1954, d.h. vor dem 01.01.1976 verstorben ist, bestimmen sich die Wirkungen des Testaments ebenfalls nach den erbrechtlichen Bestimmungen des BGB.

Diese Erwägungen zum anzuwendenden Recht vorausgeschickt, steht die Wirksamkeit des am 18.01.1953 errichteten Testaments außer Frage. Weder gibt es Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit eines der Ehegatten im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB, noch steht mit Blick auf §§ 2267, 2247 BGB die Formwirksamkeit des eigenhändig vom Erblasser niedergeschriebenen und von beiden Ehegatten unterzeichneten Testaments im Zweifel. Für einen Widerruf oder eine Aufhebung des Testaments ist nichts ersichtlich.

Der angegriffenen Entscheidung liegt auch die im Ergebnis zutreffende Annahme zugrunde, der Erblasser habe eine Vor- und Nacherbschaft im Sinne der §§ 2100ff. BGB verfügt, nämlich seine Ehefrau zur Vorerbin und die beiden gemeinsamen Kinder zu Nacherben eingesetzt. Allerdings ist dieses Ergebnis – prima facie – nicht völlig zweifelsfrei.

Für das Verständnis der in einem Testament enthaltenen Erklärungen ist gemäß §§ 133, 2084 BGB regelmäßig der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen. Der Erforschung des maßgeblichen wirklichen Erblasserwillens ist durch den Wortlaut der Verfügung von Todes wegen keine Grenze gezogen, weil auch in Fällen eines scheinbar klaren und eindeutigen Wortlauts der Erblasser mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden haben kann, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Entscheidend ist, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte und nicht, was er nach objektiven Maßstäben gesagt hat (BGHZ 86, 41, 45f.; BayObLG NJW-RR 2004, 939; FamRZ 1986, 835).

Wenn auch an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks nicht zu haften ist und sich das Gericht mithin nicht auf die Analyse des Wortlauts beschränken darf, ist sie doch immer der Ausgangspunkt der nach der Ermittlung des wirklichen Erblasserwillens strebenden einfachen (erläuternden) Auslegung (BayObLG NJW 1993, 256, 257). Im vorliegenden Fall weisen die im Testament verwandten Rechtsbegriffe auf eine Vor- und Nacherbschaft hin. Die Ehefrau B ist als „Vorerbin“ eingesetzt; die Kinder K-E und Kä als „Nacherben“. Die Verfügung der Ehefrau nimmt Bezug auf die Regelung, die der Erblasser zu seiner Erbfolge getroffen hat und ist deshalb in rechtlicher Hinsicht identisch zu verstehen.

Neben den Rechtsbegriffen der Vor- und Nacherbschaft enthält das Testament indes auch Formulierungen, die auf einen anderen Erblasserwillen, nämlich darauf deuten könnten, der Erblasser und seine Gattin hätten sich gegenseitig zu Vollerben und die gemeinsamen Kinder jeweils zu Schlusserben des Letztversterbenden einsetzten wollen. Aus diesem Umstand folgt – was das Nachlassgericht übersehen hat – die Notwendigkeit, die vermeintlich eindeutig formulierte Vor- und Nacherbschaft mit Blick auf die übrigen Regelungen des Testaments einer kritischen Analyse zu unterziehen. Denn wenn sich Zweifel daran ergeben, ob ein rechtliche Fachbegriffe enthaltendes Testament den wirklichen Erblasserwillen tatsächlich ordnungsgemäß wiedergibt, ist es über seinen Wortlaut hinaus auszulegen. Solche Zweifel sind angebracht, wenn der Gesamtzusammenhang aller Regelungen der letztwilligen Verfügung mit einzelnen darin verwandten Rechtsbegriffen nicht übereinstimmt (KG NJW-RR 1987, 451).

Außer Frage steht, dass sich die Ehegatten gegenseitig zu Erben und nicht etwa nur zu Vermächtnisnehmern einsetzen wollten. Hieran lassen die Diktion des Testaments („Ich setzte meine Frau bzw. meinen Mann zur Universalerbin/ zum Universalerben ein“) und der Umfang des zugewandten Vermögens („unser gesamtes Vermögen“) keinen Zweifel. Mit Blick auf die von der Verfügung der Ehefrau in Bezug genommene Formulierung des Erblassers „Sie soll befreite Vorerbin unseres gesamten Vermögens sein“ bedarf es jedoch einer näheren Analyse im Hinblick auf die konkrete Rechtsnatur der Erbeinsetzung. Die vorgenannte Formulierung lässt nämlich nicht eindeutig erkennen, ob die sog. Einheitslösung mit Voll- und Schlusserbfolge oder aber die sog. Trennungslösung mit Vor- und Nacherbschaft gewollt ist.

Bei der Einheitslösung des „Berliner Testaments“ mit Voll- und Schlusserbfolge (§ 2269 Abs. 1 BGB) setzten sich die Ehegatten gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein und regeln zugleich den Schlusserbfall, d.h. sie bestimmen im gemeinschaftlichen Testament einen oder auch mehrere Dritte zum Erben des länger lebenden Ehegatten. Rechtsfolge des Umstands, dass der länger lebende Ehegatte nach dem Tod des Erstversterbenden alleiniger und unbeschränkter Vollerbe wird, ist, dass sich sein eigenes Vermögen mit dem Vermögen des vorverstorbenen Ehegatten zu einem einheitlichen Vermögen vereint (deshalb Einheitslösung) . Der überlebende Ehegatte darf über das vereinigte Vermögen unter Lebenden frei verfügen. Er kann grundsätzlich auch neu testieren, unterliegt dabei nur Einschränkungen, soweit die Stellung etwaig wechselbezüglich Bedachter beeinträchtigt wird. Der zum Schlusserben berufene Dritte erlangt mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten noch kein Anwartschaftsrecht auf die Erbschaft nach dem Längerlebenden, sondern nur eine tatsächliche Erwerbsaussicht. Mit dem Tod des länger lebenden Ehegatten geht das vereinigte Vermögen, so wie es sich nach dem Tod des Erstversterbenden entwickelt hat, auf den (deshalb als Schlusserben bezeichneten) Dritten über.

Im Gegensatz zur Einheitslösung setzten sich die Ehegatten bei der Trennungslösung gegenseitig zu Vorerben und den oder die Dritten zu(m) Nacherben ein. Mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten entstehen zwei getrennte Vermögensmassen in der Hand des überlebenden Ehegatten; zum Einen sein Eigenvermögen und zum Anderen das ererbte Nachlassvermögen, das rechtlich ein in seiner Substanz dem Nacherben zu erhaltendes (arg. ex §§ 2111, 2133, 2134 BGB) Sondervermögen darstellt. Als Vorerbe hat der überlebende Ehegatte nur eine im Grundsatz dem Nießbrauch ähnliche Rechtsposition. Er darf das ererbte Vermögen zwar vollumfänglich nutzen, aber nur beschränkt hierüber verfügen. Der als Nacherbe vorgesehene Dritte erwirbt mit dem Tod des Erstversterbenden bereits ein Anwartschaftsrecht, das mit dem Tod des Längerlebenden zum Vollrecht erstarkt. Der Dritte wird nun Vollerbe des zuerst verstorbenen Ehegatten und zugleich – wenn sich beide Ehegatten auf eine einheitliche Nachfolge verständigt haben – auch des länger lebenden Ehegatten.

Diese dogmatischen Überlegungen zur Einheits- und Trennungslösung in einem gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten vorausgeschickt, führt die am Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang des Testaments der Eheleute Ja ansetzende und darüber hinaus die maßgeblichen Umstände außerhalb des Testaments in den Blick nehmende Auslegung zu dem Ergebnis, dass der Erblasser und seine Ehefrau B die Trennungslösung mit der Vorerbschaft des überlebenden Ehegatten und der Nacherbschaft der beiden gemeinsamen Kinder gewählt haben.

Ein starkes Indiz dafür, dass die Eheleute trotz der insoweit klaren Formulierung im Testament keine Vor- und Nacherbschaft im Sinn hatten, liegt in der Wahl der Worte „unser gesamtes Vermögen“. Diese Formulierung deutet an, dass die Ehegatten von einer Verschmelzung der Vermögensmassen in der Hand des Überlebenden ausgingen, wie sie für die Einheitslösung typisch ist. Allerdings können die unterschiedlichen Vermögensverhältnisse der Eheleute in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar sind die Vermögensverhältnisse der Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung für sich allein grundsätzlich nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Einheits- oder die Trennungslösung zuzulassen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass der vermögendere Ehegatte die zu Lebzeiten bestandene Vermögenstrennung auch über den Tod hinaus aufrecht erhalten und deshalb den anderen Ehegatten nur zum Vorerben einsetzen möchte (Braun in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 2.Aufl., Rz. 17 zu § 2269 BGB m.w.N.). Wenn es sich jedoch wie im Entscheidungsfall so verhält, dass von zwei Vermögensmassen eigentlich nicht die Rede sein kann, sondern nur einer der Ehegatten – hier mit Blick auf das Hausanwesen der Erblasser – vermögend ist, relativiert die für sich betrachtet neutrale (s.o.) Herkunft des Nachlassvermögens die auf die Einheitslösung deutende Indizwirkung der Formulierung „unser gesamtes Vermögen“.

Über die damit wenig ergiebige Analyse der vermögensbezogenen Begrifflichkeit hinaus lässt sich mit Blick darauf, dass sich sowohl die Trennungs-, als auch die Einheitslösung als zeitliche Abfolge mehrerer Erbfälle darstellen, auch aus der zeitbezogenen Formulierung des Testaments, wonach die Kinder als Erben nach dem überlebenden Ehegatten eingesetzt sind, nichts Eindeutiges herleiten.

Im Ergebnis bleiben damit letztlich nur die Begrifflichkeiten, die personenbezogenen Charakter haben, und die in Bezug auf die Verfügungsbefugnis des länger lebenden Ehegatten gewählten Begrifflichkeiten übrig, um den Willen der testierenden Eheleute zu ermitteln. Während der von den Ehegatten wechselseitig verwandte Begriff des „Universalerben“ nicht eindeutig ist, da hiermit nur das Fehlen eines Miterben angedeutet wird (BayObLGZ 1997, 59, 65), handelt es sich bei den weiter verwandten Begriffen des bzw. der „Vorerben/in“ und der „Nacherben“ um Fachbegriffe, die rechtlich eindeutig besetzt sind. Dass sie im Entscheidungsfall von juristischen Laien verwandt wurden, führt dazu, dass sich ein vom Wortsinn der Fachbegriffe abweichendes Verständnis nicht grundsätzlich verbietet (BGH NJW 1983, 277, 278; BayObLG NJW-RR 1992, 200). Gleichwohl bleibt es jedoch bei dem gewichtigen Indizcharakter der in Bezug auf die Personen gewählten Rechtsbegriffe, den die vermögens- und die zeitbezogenen Formulierungen des Testaments im Ergebnis nicht antasten (s.o.). Weiter in den Blick genommen, dass der den Text des Testaments niederschreibenden Erblasser gebildet war (ausweislich des Erbscheinsantrages seiner Ehefrau war er Diplom-Ingenieur, Bd. I Bl. 4) und ihm – wie der Zusatz, die Ehegattin solle „befreite“ Vorerbin sein – verdeutlicht, augenscheinlich auch bewusst war, dass ein Vorerbe grundsätzlich Verfügungsbeschränkungen unterliegt, führt die Gesamtschau der für das Testament gewählten Formulierungen zu dem Ergebnis einer von den Ehegatten tatsächlich gewollten Trennungslösung mit Vor- und Nacherbschaft dergestalt, dass sich die Ehegatten gegenseitig zu befreiten Vorerben, die beiden gemeinsamen Kinder zu Nacherben bezüglich des zuerst versterbenden Ehegatten und zugleich – da sich beide Ehegatten auf eine einheitliche Nachfolge verständigt haben – zu Vollerben des länger lebenden Ehegatten eingesetzt haben. Abgerundet und bestätigt wird dieses Ergebnis durch den Umstand, dass die gemeinsam mit dem Erblasser testierende Ehefrau nach dessen Tod auch „nur“ einen sie als Vorerbin und die beiden Kinder als Nacherben ausweisenden Erbschein beantragt hat (Erbscheinsantrag vom 15.04.1957, Bd. I Bl. 4f.).

Gilt es somit festzuhalten, dass der Erblasser und seine Ehefrau in ihrem am 18.01.1953 errichteten gemeinschaftlichen Testament Vor- und Nacherbschaft nach §§ 2100ff. BGB angeordnet haben, haben die beiden Nacherben – der Sohn K-E und die Tochter Kä – die Nacherbschaft mit der Rechtsfolge ausgeschlagen, dass die Anordnung der Nacherbschaftsfolge gegenstandslos geworden ist. In der Folge verblieb die Erbschaft nach dem Erblasser nach § 2142 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2139 BGB bei den Erben seiner im Zeitpunkt der Ausschlagungen verstorbenen Ehefrau. Im Ergebnis haben damit Sohn und Tochter des Erblassers ungeachtet ihrer auf den 11., bzw. 18.04.1963 datierenden Ausschlagungserklärungen mit dem Tod ihrer Mutter den Nachlass des Erblassers geerbt, wenn auch nicht als Erben des Vaters, sondern als testamentarische Erben der Mutter.

Am 11.04.1963 hat der Sohn K-E (Bd. I Bl. 8/14ff.) und am 18.04.1963 die Tochter Kä (Bd.I Bl. 17) die Erbschaft nach dem Vater und damit im Sinne des § 2142 Abs. 1 BGB die Nacherbschaft bezüglich des Erblassers ausgeschlagen. Da die sechswöchige Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB für den Nacherben nach § 2139 BGB i.V.m. § 1944 Abs. 2 BGB erst mit der Kenntnis vom Nacherbfall beginnt (BayObLGZ 1966, 271, 274; Brandenburgisches OLG, Beschluss v. 19.03.1998, 10 Wx 7/97, Rz. 64 nach juris), sind beide Ausschlagungserklärungen rechtzeitig erfolgt. Denn die Frist begann für die Kinder K-E und Kä frühestens mit dem Eintritt des Nacherbfalls, also dem Tod der Mutter B am ….03.1963 zu laufen. Auch unter Formgesichtspunkten ist gegen die Ausschlagungen nichts zu erinnern. Beide notariell beurkundeten Erklärungen wahren die Form des § 1945 Abs. 1 BGB i.V.m. § 129 BGB.

Mit den wirksamen Ausschlagungen der beiden Kinder ist allerdings die sich nach § 2142 Abs. 2 BGB ergebende Rechtsfolge noch nicht zwingend. Laut der Vorschrift verbleibt die Erbschaft nur „im Zweifel“ beim Vorerben bzw. – was die Beteiligte zu 2) verkennt – bei seinen Erben, wenn – wie hier – die Ausschlagung(en) erst nach dem Nacherbfall, also zu einem Zeitpunkt erfolgten, als nach § 2139 BGB das Recht des Vorerben bereits weggefallen war (vgl. hierzu Weidlich in Palandt, BGB, 76. Aufl., Rz. 3 zu § 2142; B. Hamdan/M. Hamdan in jurisPK-BGB, 8. Auf., Rz. 10 zu § 2142). Vorrang vor der Zweifelsregel des § 2142 BGB hat der im Wege der Auslegung (§§ 133, 2084 BGB) zu ermittelnde Erblasserwille.

Ein in diesem Sinne abweichender Wille der gemeinsam testierenden Eheleute Ja lässt sich indes nicht feststellen. Anhaltspunkte hierfür finden sich weder im Testament, noch führt die gesetzlichen Auslegungsregel des § 2069 BGB weiter. Eine abweichende Bestimmung haben die Eheleute nicht getroffen; Ersatznacherben im Sinne des § 2096 BGB haben sie nicht berufen. Auch die insoweit grundsätzlich anwendbare Bestimmung des § 2069 BGB (vgl. hierzu B. Hamdan/ M. Hamdan, a.a.o.), wonach bei Wegfall eines im Testament bedachten Abkömmlings nach Errichtung des Testaments im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Erbschaft nach dem Erblasser haben nicht nur dessen Sohn und Tochter, sondern auch die drei Kinder des Sohnes (Bd. I Bl. 9) sowie die beiden Kinder der Tochter (Bd. I Bl. 19f.) und damit mit der Folge alle Enkel ausgeschlagen, dass auch eine stillschweigende Berufung von Ersatznacherben im Sinne des § 2069 BGB nicht zum Tragen gekommen ist. Schließlich lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt des mutmaßlichen Erblasserwillens ein Abweichen von der Zweifelsregel des § 2142 Abs. 2 BGB nicht rechtfertigen. Einen besonderen Umstand wie den im Schrifttum angeführten mutmaßlichen Willen, ein Hausgrundstück u.ä. nach Möglichkeit in der Familie des Erblassers zu behalten und nicht in die Familie des Vorerben gelangen zu lassen (B. Hamdan/M. Hamdan, a.a.O.), gibt es hier schon deshalb nicht, weil es sich bei der von der Anwendung des § 2142 Abs. 2 BGB profitierenden Familie der Vorerbin zugleich auch um die Familie und die Abkömmlinge des Erblassers handelt.

Nach alledem ist die Erbschaft nach dem Erblasser gemäß § 2142 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2139 BGB bereits im Jahr 1963 an dessen Kinder – den Sohn K-E und die Tochter Kä – gefallen, da sie nur die Erbschaft nach dem Vater, nicht hingegen auch die nach der Mutter ausgeschlagen haben. Aus diesem Grund ist der der Beteiligten zu 2) als Großnichte des Erblassers im Jahr 2006 erteilte Teilerbschein unrichtig. Denn die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nicht nach der durch die Abkömmlinge seiner Eltern gebildeten zweiten Ordnung in der gesetzlichen Verwandtenerbfolge (§§ 1925, 1924 Abs. 3 und 4 BGB). Maßgebend ist vielmehr die testamentarische Erbfolge nach seiner Ehefrau.

An diesem Ergebnis ändert auch die im Beschwerdeverfahren ausgebrachte Verjährungseinrede nichts. Sie geht in dogmatischer Hinsicht in Leere. Der Verjährung unterworfen sind nur materiellrechtliche Ansprüche (§ 194 Abs. 1 BGB); damit auch erbrechtliche Ansprüche, nicht aber die im Verfahren der Erteilung bzw. Einziehung eines Erbscheins allein relevante Rechtsstellung als Erbe, d.h. die Rechtsnachfolge in das (aktive und passive) Vermögen des Erblassers (§ 1922 BGB).

Die Kosten des ohne Erfolg geführten Beschwerdeverfahrens hat die Beteiligte zu 2) nach § 84 FamFG zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 1 und 2 FamFG) liegen nicht vor. Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 GNotKG i.V.m. § 61 Abs. 1 und 2 GNotkG. Davon ausgehend, dass der im Erbscheinseinziehungsverfahren maßgebliche „Wert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls“ (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GNotKG) 5.000 DM betrug und sich das Verfahren nur auf das Recht der vermeintlich zur Miterbin berufenen Beteiligten zu 2) bezog (§ 40 Abs. 2 GNotKG), bestimmt sich auch der Geschäftswert des Rechtsmittelverfahrens (§ 61 Abs. 1 und 2 GNotKG) mit der Folge nach der 1/5-Quote des vom Nachlassgericht eingezogenen Teilerbscheins, dass der Senat ihn auf 511,29 € (= 1.000 DM) festgesetzt hat.

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