OLG Düsseldorf – Az.: I-7 U 62/19 – Urteil vom 24.04.2020
Die Berufung des Beklagten gegen das Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 13.02.2019 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien sind die einzigen gesetzlich erbberechtigten Abkömmlinge ihres Großvaters, des am 11.05.2016 verstorbenen G.
Dieser hatte in Anwesenheit eines Freundes am 28.12.2014 ein handschriftliches Testament mit folgendem Inhalt errichtet:
Mein letzter Wille!
Hiermit widerrufe ich alle meine bisherigen Verfügungen.
Mein Enkel E soll allein mein verbliebenes Vermögen erben. Land, Hofstelle,…, Bar- und Sparvermögen.
Mein Enkel F geboren 10.04.1977 hat seinen gesamten Erbteil bereits genommen. Meine Spareinlagen bei der … ca. mindestens 65.000 EUR.
E übernimmt die Vollmacht für meine … Belange.
Dies ist meine freie Entscheidung
Als Nachlassverwalter bestimme ich
Herrn A als Nachlassverwalter
Das Amtsgericht Kleve – 17 VI 439/16 – erteilte dem Beklagten am 05.07.2017 einen Erbschein als Alleinerbe. Der Kläger macht im Wege der Stufenklage Pflichtteilsansprüche geltend.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger sei durch die testamentarische Verfügung des Erblassers der Pflichtteil entzogen worden. Hintergrund sei, dass der Kläger das vom Erblasser bei der Sparkasse L unterhaltene Wertpapierdepot, das zum 31.12.2007 einen Wert von 69.618,48 EUR aufgewiesen habe, aufgelöst und mit dem daraus erzielten Erlös sich ein Depot bei der X eingerichtet habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Teilurteil Bezug genommen.
Durch dieses hat das Landgericht den Beklagten zur Auskunft über den Nachlassbestand durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und zur Erstellung eines Wertermittlungsgutachtens für das Grundstück T sowie die landwirtschaftlichen Flächen bezogen auf den Stichtag 11.05.2016 verurteilt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger als Pflichtteilsberechtigter vom Beklagten die geforderten Auskünfte gemäß § 2314 Abs. 1 BGB verlangen könne. Dem Kläger sei der Pflichtteil nicht wirksam entzogen worden. Es sei weder eine ausdrückliche Entziehung des Pflichtteils noch eine schriftliche Angabe eines Entzugsgrundes im Sinne der §§ 2333, 2336 BGB im Testament des Erblassers erfolgt.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er weiterhin eine Abweisung der Stufenklage begehrt.
Das Landgericht habe zu Unrecht eine wirksame Pflichtteilsentziehung verneint. Die Formulierung, der Kläger habe seinen gesamten Teil „bereits genommen“ , besage eindeutig, dass sich der Kläger ohne die Zustimmung des Erblassers dessen Vermögenswerte in einer Größenordnung von gut 65.000 EUR einverleibt habe. Dem Großvater sei bekannt gewesen, dass es bei unmittelbaren Abkömmlingen die Pflichtteilsregelung gebe, die nur aus bestimmten schwerwiegenden Gründen auszuschließen sei. Der Erblasser habe ausschließen wollen, dass der Kläger auch nur irgendeinen Euro erhalten würde. Dass ein die Pflichtteilsentziehung rechtfertigender Grund bestanden habe, sei in erster Instanz unstreitig geblieben. Damit seien auch die sachlichen Voraussetzungen des § 2333 BGB erfüllt. Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 24.01.2019 – 19 U 80/18 -) habe in einem ähnlichen Fall bei einem Diebstahl im Wert von knapp 7.000,- EUR den Tatbestand des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB als erfüllt angesehen.
Des Weiteren überreicht der Beklagte das von ihm zwischenzeitlich eingeholte Wertermittlungsgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. U vom 05.07.2019 und beruft sich gegenüber den Auskunftsansprüchen des Klägers auf ein Zurückbehaltungsrecht, weil der Kläger die Herausgabe von Kontounterlagen und eine ordnungsgemäße Auskunftserteilung zum Verbleib des Depotbesitzes des Großvaters schulde.
Der Beklagte beantragt,
1. unter Abänderung des Teilurteils des Landgerichts Kleve vom 13.02.2019 die Klage abzuweisen;
2. hilfsweise das angefochtene Teilurteil des Landgerichts Kleve vom 13.02.2019 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Kleve zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das zu seinen Gunsten ergangene Teilurteil und wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Da es bereits an einer Erklärung des Erblassers, dem Kläger den Pflichtteil entziehen zu wollen, fehle, komme es auf die Prüfung eines die Entziehung rechtfertigenden Grundes nicht an, weshalb der Kläger hierzu auch in erster Instanz nicht weiter Stellung genommen habe, den er aber bestreite. Die vom Beklagten in der Berufungsbegründung zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.
Der titulierte Anspruch auf Einholung eines Wertermittlungsgutachtens sei, auch soweit der Beklagte das Gutachten schließlich vollständig vorgelegt habe, nicht erfüllt. An dem Gutachten sei zu beanstanden, dass keine Innenbesichtigung stattgefunden habe und der Gutachter deshalb einen Abschlag von 10.000,- EUR vorgenommen habe. Es sei nicht nachvollziehbar, inwieweit Änderungen im baulichen Zustand der Immobilien zwischen dem Wertermittlungsstichtag und dem Begutachtungstag stattgefunden hätten und wann die dem Sachverständigen vom Beklagten zur Verfügung gestellten Fotos aufgenommen worden seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Die vom Kläger mit der Stufenklage geltend gemachten Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche aus § 2314 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB sind begründet, weil er als durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossener Abkömmling des Erblassers Pflichtteilsberechtigter im Sinne von § 2303 Abs. 1 BGB und der Beklagte als Erbe auskunftspflichtig ist.
Der Erblasser hat dem Kläger den Pflichtteil nicht nach §§ 2333, 2336 BGB wirksam entzogen. Es fehlt – wie auch das Landgericht erkannt hat – sowohl an einer vom Erblasser angeordneten Entziehung des Pflichtteils als auch an der Angabe eines Entziehungsgrundes.
Eine ausdrückliche Erklärung, dass dem Kläger nicht nur der Erbteil, sondern auch der Pflichtteil entzogen werden soll, hat der Erblasser in der testamentarischen Verfügung vom 28.12.2014 nicht abgegeben. Zwar braucht die Pflichtteilsentziehung nicht unter Verwendung dieses Wortes angeordnet zu werden. Jedoch muss sich der Entziehungswille wenigstens schlüssig und unzweideutig aus der letztwilligen Verfügung ergeben (Senat ErbR 2020, 195). Insoweit sind bei der Auslegung alle Umstände und in eigenhändigen Testamenten auch landsmannschaftliche Eigenarten, Bildungsgrad und Diktion des Erblassers zu beachten (Riedel in Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl., § 2336 Rn. 3). Formulierungen wie z.B. „soll keinen Pfennig erhalten, weil“ oder „soll in die Röhre schauen, weil“ sprechen für eine Entziehung des Pflichtteils (vgl. Staudinger/Olshausen (2015) BGB, § 2336 Rn. 4). Eine derartige Formulierung hat der Erblasser im vorliegenden Fall aber nicht gewählt, sondern in seinem Testament vom 28.12.2014 geschrieben, dass der Beklagte alles allein „erben“ solle, was gerade nicht heißen muss, dass er auch Pflichtteilsansprüche des Klägers ausschließen wollte. Die Ausschließung von der gesetzlichen Erbfolge kann nicht ohne weiteres als Anordnung einer Pflichtteilsentziehung verstanden werden (Riedel in Damrau/Tanck,a.a.O.). Der Erblasser hat auch nicht etwa Pflichtteilsentziehungsgründe im Sinne von § 2333 BGB genannt, die auf einen Willen zur Pflichtteilsentziehung schließen lassen könnten. Hierfür muss der Entziehungsgrund so speziell und hinreichend deutlich angegeben sein, dass dem Richter bei der Prüfung, ob die Entziehung gerechtfertigt ist, die Beurteilung ermöglicht werden kann, auf welchen Tatbestand sich die Entziehung begründet und ob sie gerechtfertigt ist. Der Bundesgerichtshof (NJW 1964, 549) hat es als ausreichend angesehen, wenn zur Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes in der letztwilligen Verfügung ein Sachverhaltskern dargelegt wird, der es erlaubt, durch Auslegung festzustellen, worauf sich die Pflichtteilsentziehung begründet (vgl. Staudinger/Olshausen, BGB-Neubearbeitung 2015, § 2336 Rn. 11,13). Der Erblasser muss für einen Dritten objektiv erkennbar und unverwechselbar die tatsächlichen Vorgänge beschreiben, auf die die Entziehung gestützt werden soll, ohne dass er dabei in die Einzelheiten zu gehen braucht. Die Anforderungen an die Konkretisierung dürfen nicht überspannt werden (vgl. Rudy in Beck-online Großkommentar, Stand 01.03.2020, § 2336 Rn. 13). Gemessen hieran kann in der Formulierung des Erblassers, der Kläger habe „seinen gesamten Erbteil bereits genommen“, keine Nennung eines Pflichtteilsentziehungsgrundes gesehen werden. Die Formulierung ist so neutral gewählt, dass darunter kein schweres vorsätzliches Vergehen nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB subsumiert werden kann. Aus ihr geht nicht der Vorwurf eines kriminelles Unrechts gegenüber dem Kläger hervor. Der Erblasser hat nicht etwa geschrieben, dass der Kläger seine Spareinlagen veruntreut, unterschlagen oder gestohlen habe, sodass mit der Erwähnung, der Kläger habe sich seinen gesamten Erbteil bereits genommen, keine konkrete Benennung eines strafbaren Verhaltens erfolgt ist.
Der Beklagte hat bislang weder den Auskunfts- noch den Wertermittlungsanspruch des Klägers erfüllt. Ein privatschriftliches Bestandsverzeichnis über den Nachlass hat er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2020 nicht vorgelegt. Weder die von ihm in Bezug genommene Aufstellung der Bezirksrevisorin beim Landgericht vom 29.09.2017 noch seine Angaben zu einzelnen Nachlassgegenständen in verschiedenen Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten erfüllen die Erfordernisse an eine alle Aktiva und Passiva ausweisende Übersicht. Soweit der Beklagte – in wenig übersichtlicher Form – im nach der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom 14.04.2020 Angaben zum Bestand des Nachlasses des am 11.05.2016 verstorbenen Großvaters der Parteien macht, besteht schon deshalb keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, weil auch dadurch der Auskunftsanspruch des Klägers nicht erfüllt worden ist. Der Beklagte räumt selbst ein, dass Angaben zum Inventar der Gebäude des Erblassers fehlen. Fotos sind nicht geeignet, das nach § 260 BGB geschuldete Bestandsverzeichnis zu ersetzen.
Das vom Beklagten schließlich mit Schriftsatz vom 17.02.2020 komplett vorgelegte Verkehrswertgutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. U ist unzureichend und genügt zur Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs nicht.
Das Wertermittlungsgutachten hat vor allem die Funktion, dem Pflichtteilsberechtigten ein umfassendes Bild des Nachlasses zu verschaffen, insbesondere um das Risiko eines Prozesses über den Pflichtteil abschätzen zu können. Die inhaltlichen Anforderungen orientieren sich an diesem Zweck. Dies setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen den Wert aufgrund aller ernstlich in Betracht kommender Wertermittlungsmethoden ermitteln kann (Demirci in Krug, Pflichtteilsprozess, 2. Aufl., Kap. 2 Rn. 145, 153,162). Legt der Sachverständige – wie hier – die ImmoWertV seiner Bewertung zugrunde, müssen die Befundtatsachen Angaben zu sämtlichen in der genannten ImmoWertV erheblichen Merkmalen enthalten. Es ist daher zu fordern, dass der Gutachter den Bewertungsgegenstand selbst in Augenschein nimmt und sich nicht auf Angaben des Erben verlässt (vgl. Fiedler, Anmerkung zu OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2004 – 1 U 206/03, ZEV 2004, 469 ff.). Das vom Beklagten vorgelegte Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. U ist lediglich aufgrund einer Außenbesichtigung erstellt worden. Demgemäß fehlen Angaben zur Grundrisskonzeption, zu den Bodenbelägen, zur Warmwasserversorgung und zur Sanitärinstallation. Schon dies reicht aus, um keine Erfüllung des Wertermittlungsanspruchs, für die der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig ist, feststellen zu können. Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass eine Innenbesichtigung unmöglich gewesen wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 28.02.2020 erklärt, dass es nicht möglich gewesen sei, die Zustimmung der neuen Eigentümerin des Grundstücks zu einer Innenbesichtigung zu erlangen. Ob und inwieweit der Beklagte sich überhaupt bemüht hat, dem Sachverständigen Zutritt zu der Immobilie zu verschaffen, wird vom ihm, der das Obj ekt in Kenntnis des titulierten Wertermittlungsanspruchs des Klägers veräußert hat, nicht dargelegt.
Der Beklagte kann sich gegenüber den Auskunftsansprüchen des Klägers auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen ihm geschuldeter Auskunft und Herausgabe von Kontounterlagen berufen. Nach der inzwischen wohl überwiegenden Auffassung in der Literatur (Staudinger/Herzog (2015) BGB, § 2314 Rn. 94; Damrau/Tanck-Riedel, Praxiskommentar Erbrecht, 4. Aufl., § 2314 Rn. 46; MüKoBGB-Lange, 8. Aufl., § 2314 Rn. 17; juris PK-BGB-Birkenheier, 8. Aufl., § 2314 Rn. 128; Krug-Fleischer/Horn, Pflichtteilsprozess, 2. Aufl., Kap. 18, Rn. 60; Horn, ZEV 2013,178) ist ein Zurückbehaltungsrecht durch die besondere Natur des Auskunftsanspruchs ausgeschlossen, selbst wenn der Gegenanspruch ebenfalls auf die Erteilung einer Auskunft gerichtet ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 in Verbindung mit § 713 ZPO.
Ein Grund, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Streitwert II. Instanz: bis 2.000,- EUR