Auslegung eines Testaments: Unklarheiten bei der Erbbestimmung
In einer kürzlich ergangenen Entscheidung (Az.: 20 W 79/19) hat das Oberlandesgericht Frankfurt eine bedeutende Entscheidung zum Thema Testamentsauslegung und der Wirksamkeit solcher Testamente getroffen.
Der Fall betraf ein Testament, in dem die Erben nicht explizit benannt waren. Anstatt konkrete Namen zu nennen, verwies das Testament lediglich auf „5 befreundete Familien“. Diese unklare Formulierung machte es nahezu unmöglich, die beabsichtigten Erben zweifelsfrei zu identifizieren. Zudem bestanden Bedenken hinsichtlich möglicher Fälschungsgefahren, da der Verweis auf die „5 befreundeten Familien“ leicht manipuliert werden könnte.
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Übersicht
Unsicherheit durch fehlende Objektivität
Das Gericht hielt fest, dass die Erben so genau bestimmt sein müssen, dass sie allein durch die im Testament enthaltenen Willensäußerungen identifiziert werden können. In diesem Fall war es jedoch nicht anhand objektiver Kriterien feststellbar, wer die „5 befreundeten Familien“ sein sollten. Eine solche Unschärfe führte zur Unwirksamkeit des Testaments, da das Risiko von Fälschungen bestand.
Das Konzept des „testamentum mysticum“
In diesem Zusammenhang ging das Gericht auf das Konzept des „testamentum mysticum“ ein. Bei einem solchen Testament sind die Erben ausschließlich in einer nicht formgerechten Anlage zu finden. In dem vorliegenden Fall wurde die Zugehörigkeit der Beteiligten zu den Erben nur in der Anlage zum Testament aufgeführt, die jedoch nicht der Testamentsform entsprach. Dies war ein weiterer Grund für die Unwirksamkeit des Testaments.
„5 befreundete Familien“ – eine zu vage Bestimmung
Schließlich stellte das Gericht fest, dass der Begriff „5 befreundete Familien“ nicht genug Klarheit schaffte, um die Erben zu identifizieren. Es gab keine erkennbare, abgegrenzte Gruppe von Personen, die als diese „5 befreundeten Familien“ angesehen werden könnten. Daher entschied das Gericht, dass das Testament den Anforderungen für eine gültige Testamentsauslegung nicht gerecht wird.
Wichtiges Urteil für zukünftige Fälle
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist von großer Bedeutung, da sie wichtige Leitlinien für die Anforderungen an die Wirksamkeit von Testamenten festlegt. Sie betont die Bedeutung klarer und objektiver Bestimmungen bei der Benennung von Erben in einem Testament und das Risiko, das mit unklaren oder unscharfen Formulierungen verbunden ist. Zudem hat das Gericht die Rechtsbeschwerde zugelassen, da es die Frage der Wirksamkeit eines „testamentum mysticum“ als grundsätzlich bedeutend ansieht und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das vorliegende Urteil
OLG Frankfurt – Az.: 20 W 79/19 – Beschluss vom 30.07.2020
Der Beschluss vom 20.02.2019 wird aufgehoben. Der Antrag der Beteiligten zu 1 und 2 auf Erteilung eines sie als Erben zu je 1/20 ausweisenden Erbscheins wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 3 ist die Tochter aus erster Ehe des am XX.XX.2017 verstorbenen Herrn X (im Folgenden: Erblasser). In zweiter Ehe war der Erblasser mit Frau X1 (im Folgenden: Ehefrau des Erblassers) verheiratet, die bereits zuvor am XX.XX.2013 verstarb.
Der Erblasser und seine Ehefrau erstellten ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament, das von ihnen beiden unterzeichnet wurde (Bl. 27 ff. d.Vfg.-A.). Unter den Unterschriften ist angegeben „Stadt1, den 10. März 2011“. In dem Testament setzten sie sich gegenseitig zu „unbeschränkten Alleinerben“ ein. Weiter heißt es darin:
Unser gemeinsam erarbeitetes Kapital ist in zwei Ländern angelegt in Deutschland und in Italien mit in etwa gleicher Wertigkeit. Deswegen geben wir eine genaue Anweisung für die Nach/Schlußerben.
Wir haben zwei Häuser mit Grundstück, eines in Stadt1/D und ein Ferienhaus in Stadt2/I. […]
Für diese beiden Erbteile verfügen wir im vollen Einverständnis miteinander über die Nacherben. Nach dem Tod beider Partner soll das Erbe wie vorgesehen weiter gegeben werden an:
Erbteil Stadt1 an [die Beteiligte zu 3]
Erbteil Stadt2/I fällt an eine Erbengemeinschaft aus 5 befreundeten Familien […]
Namen und Adressen für den Erbteil Italia sind im PC-Ausdruck angehängt und persönlich unterschrieben.
Es existiert eine entsprechende ausgedruckte „ANLAGE Gemeinschafts-TESTAMENT – NAMENSLISTE der ERBENGEMEINSCHAFT“. Diese enthält fünf durch durchlaufende Querstriche getrennte Felder, in denen jeweils ein Paar mit Namen und Kontaktdaten genannt ist, in zwei Fällen mit weiteren Namen, mutmaßlich Kinder der Paare. Drei der Paare sind in Italien ansässig, zwei in Deutschland, eines davon sind die Beteiligten zu 1 und 2, die im dritten der fünf Felder aufgeführt sind, ohne weitere Namen. Die Liste ist von dem Erblasser und seiner Ehefrau unterzeichnet, darunter wiederum die Angabe „Stadt1, den 10. März 2011“.
Nach dem Tod seiner Ehefrau veräußerte der Erblasser das Haus in Italien und löste die dortigen Konten auf. Zu seinem Nachlass gehören keine Vermögenswerte in Italien mehr. Am 17.06.2014 ließ er ein notarielles Testament beurkunden (UR-Nr. …/2014 … des Notars A in Stadt1; Bl. 83 ff. d.Vfg.-A.), in dem er die Beteiligte zu 3 als Alleinerbin einsetzte.
Am 20.04./19.06.2018 haben die Beteiligten zu 1 und 2 einen (Teil-)Erbschein als Erben des Erblassers zu je 1/20 beantragt (Bl. 8 ff. d.A.). Die Beteiligte zu 3 hat dem Erbschein widersprochen (Bl. 43 ff. d.A.).
Mit Beschluss vom 20.02.2019 (Bl. 160 ff. d.A.) hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – die Tatsachen, die zur Erteilung des beantragten Erbscheins erforderlich sind, für festgestellt erachtet. Es hat die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses ausgesetzt und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft des Beschlusses zurückgestellt.
Das Amtsgericht hat ausgeführt, die Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ in dem Testament vom 10.03.2011 sei formwirksam erfolgt. Es handele sich um eine wechselbezügliche Verfügung, die durch das Testament vom 17.06.2014 nicht wirksam widerrufen oder angefochten worden sei. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit nach §§ 2247, 2267 BGB erlaube es, in einem eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testament auf computergeschriebene Anlagen Bezug zu nehmen. Zwar könne der Erblasser hinsichtlich des Inhalts seiner letztwilligen Verfügung nur auf formwirksame eigenhändig geschriebene Schriftstücke oder öffentliche Testamente Bezug nehmen. Hier liege der Sachverhalt jedoch anders, da die computergeschriebene Anlage nur der Erläuterung der formwirksamen Erbeinsetzung der „5 befreundeten Familien“ gedient habe, zumal hier keine Gefahr der Fälschung der Anlage bestehe. Aus dem Wortlaut des formwirksamen eigenhändigen Testaments könne zumindest der Kreis der Erben ermittelt werden. Dies sei eine hinreichende Grundlage, um die computergeschriebene Anlage zur Auslegung heranziehen zu können.
Der Beschluss ist der Beteiligten zu 3 am 28.02.2019 zugestellt worden (Bl. 178 d.A.). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.03.2019, am selben Tag bei Gericht eingegangen, hat die Beteiligte zu 3 Beschwerde eingelegt (Bl. 181 ff./187 ff. d.A.). Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 25.03.2019 (Bl. 193 d.A.) nicht abgeholfen.
Die Beteiligte zu 3 meint, das Testament vom 10.03.2011 sei nicht formwirksam, da die Erbeinsetzung nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit erfolgt sei. Die Person des Erben müsse so bestimmt sein, dass er allein aufgrund der in dem Testament enthaltenen Willensäußerung zweifelsfrei bestimmt werden könne. Hier sei nicht anhand objektiver Kriterien feststellbar, wer die „5 befreundeten Familien“ seien. Die Bezugnahme auf formunwirksame Anlagen sei nur zur Erläuterung zulässig, nicht zur inhaltlichen Bestimmung der letztwilligen Verfügung. Auf das konkrete Fälschungsrisiko komme es nicht an, es bestehe hier aber auch, da eine solche Anlage unter Fälschung der Unterschriften von Dritten viel leichter ausgetauscht werden könne als eine handgeschriebene Anlage.
Die Beteiligten zu 1 und 2 halten das Testament für formwirksam. Sie meinen, die Erben müssten nicht namentlich individualisiert sein (Bezug auf OLG Hamm NJW 2003, 2391). Der vorliegende Fall liege anders als beim „testamentum mysticum“, in dem das Testament keinen Hinweis auf die Person des Erben bzw. einen Personenkreis enthalte. Zur Auslegung und Erläuterung seien auch außerhalb des Testaments liegende Umstände heranzuziehen, das Testament müsse nach der „Andeutungstheorie“ nur eine Grundlage für die Auslegung bieten, sei sie auch noch so gering.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Dies führt zur Aufhebung des Feststellungsbeschlusses und Zurückweisung des Antrags. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind keine Erben geworden. Über mehr ist vorliegend nicht zu entscheiden.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 352e Abs. 2 u. 3 FamFG statthaft und form- und fristgemäß eingelegt worden (§§ 64 Abs. 2, 63 Abs. 1 FamFG). Die Beteiligte zu 3 ist als mögliche wirkliche Erbin gemäß § 59 Abs. 1 FamFG beschwerdeberechtigt.
2. Die Beteiligten zu 1 und 2 können ihren Antrag auf Erteilung eines Erbscheins nicht auf das Testament vom 10.03.2011 stützen. In diesem Testament sind sie nicht wirksam zu Erben eingesetzt worden.
Es kann zugunsten der Beteiligten zu 1 und 2 unterstellt werden, dass die Anlage zu dem Testament vom 10.03.2011 echt ist und es dem Willen des Erblassers und seiner Ehefrau entsprach, dass die Beteiligten zu 1 und 2 Erben werden sollten. Der Erblasserwille muss in der letztwilligen Verfügung jedoch auch formwirksam erklärt werden. Dies setzt voraus, dass eine Erbeinsetzung in einem Testament zumindest angedeutet ist, sonst ermangelt sie der gesetzlich vorgeschriebenen Form und ist daher gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig (BGH NJW 2019, 2317 Rn. 16 f.). Die Person des Bedachten muss dem Testament hinreichend zu entnehmen sein und sich im Wege der Auslegung zweifelsfrei ermitteln lassen. Diesem Erfordernis kann nicht lediglich durch Bezugnahme auf eine andere, der Testamentsform nicht entsprechende Urkunde Genüge getan werden, damit ist die vorgeschriebene Form nicht eingehalten (BGH Rpfleger 1980, 337).
Vorliegend ist die für eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 erforderliche Form nicht eingehalten. Zwar genügt das eigenhändige gemeinschaftliche Testament für sich genommen der Form des §§ 2247 Abs. 1, 2267 Satz 1 BGB. Aus ihm ist aber nicht hinreichend zu entnehmen, auch nicht im Wege der Auslegung, dass die Beteiligten zu 1 und 2 Erben sein sollen. Die Zugehörigkeit der Beteiligten zu 1 und 2 zu einer Gruppe von Erben ist vielmehr nur der Anlage zum Testament zu entnehmen. Die Anlage entspricht aber nicht der Testamentsform.
Klar liegen in dieser Konstellation des „testamentum mysticum“ die Fälle, in denen der eigenhändig niedergeschriebene Wortlaut des Testaments für sich allein keinen Anhalt dafür gibt, welche Personen oder auch nur welcher Personenkreis Erben sein sollen, wenn also die Person der Erben ausschließlich der nicht formgerechten Anlage zu entnehmen ist, die nicht nur eine Erläuterung zur Bestimmung der Erben darstellt, sondern diese erst originär bezeichnet. Dann ist die Erbeinsetzung wegen Formmangels nichtig (BayObLG Rpfleger 1979, 383; BayObLG NJW-RR 1990, 1481, 1482; OLG Hamm FamRZ 2006, 1484, 1485; OLG München NJW-RR 2011, 156; OLG Köln FamRZ 2015, 1529, 1531; a.A. OLG Hamburg FamRZ 2016, 665, 666, das zwar formal dieser Rechtsprechung zustimmt, dessen Ergebnis aber damit nicht im Einklang steht).
Schwieriger sind Fälle, in denen der Wortlaut des Testaments selbst eine Eingrenzung der Personen vornimmt. In dem von den Beteiligten zu 1 und 2 herangezogenen Fall (OLG Hamm NJW 2003, 2391) hat das dortige Gericht die Formulierung im Testament, dass „die in beigefügter Liste aufgeführten lebenden Verwandten“ Erben werden sollten, als ausreichend angesehen. Es handele sich bei der Anlage, anders als im genannten Fall des BayObLG, nur um eine Erläuterung zur Bestimmung der Erben (ablehnend zu der Entscheidung Baumann, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 2247 Rn. 77; Kappler/Kappler, in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 2247 Rn. 10; kritisch auch Stürner, in: Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 2247 Rn. 2).
Maßstab für die Grenze der Auslegung ist nach Auffassung des Senats in diesen Fällen, ob für einen mit den Verhältnissen vertrauten Dritten aus dem Text des Testaments erkennbar ist, welche Personen dort gemeint sind.
Der Senat würde sich deshalb der Entscheidung des OLG Hamm, abgesehen davon, dass dort auch eine nichtverwandte Person auf der Liste stand, nur für den Fall anschließen wollen, dass die Liste eine vollständige Aufstellung der „lebenden Verwandten“ enthielt, ohne dass einzelne „lebende Verwandte“ ausgegrenzt wurden, indem sie nicht auf die Liste gesetzt wurden. Wäre letzteres der Fall, so könnte dem Testament nicht mehr durch Auslegung entnommen werden, welche Personen genau Erben sein sollen. Ob die Liste in diesem Sinne vollständig war, lässt sich dem zu der Entscheidung mitgeteilten Sachverhalt nicht entnehmen.
Das Testament im vorliegenden Fall genügt den oben formulierten Anforderungen des Senats nicht. Der Begriff der „5 befreundeten Familien“ lässt nicht erkennen, dass die Beteiligten zu 1 und 2 zu diesem Kreis gehören sollen. Es ist nicht ersichtlich und wird auch nicht vorgebracht, dass mit der Bezeichnung „5 befreundete Familien“ ein für einen Dritten erkennbarer feststehender, abgegrenzter Kreis von Personen gemeint gewesen sei, wie dies etwa der Fall wäre, wenn sich genau diese fünf Familien mit dem Erblasser und seiner Ehefrau regelmäßig gemeinsam getroffen hätten oder sie regelmäßig alle gemeinsam in Urlaub gefahren wären.
3. Es bedarf weder einer ausdrücklichen Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, noch einer Wertfestsetzung. Die Tragung der Gerichtskosten regelt sich nach §§ 22 Abs. 1, 25 Abs. 1 GNotKG und eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt. Zu einer abweichenden Kostenentscheidung besteht kein Anlass.
4. Die Rechtsbeschwerde wird gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG zugelassen, da die Frage, welche Voraussetzungen an die Wirksamkeit eines „testamentum mysticum“ zu stellen sind, von grundsätzlicher Bedeutung ist und, wie aus obigen Ausführungen ersichtlich, auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.