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Unterzeichnung eines Testaments durch leseunkundigen Erblasser – Wirksamkeit Testament

OLG Dresden, Az.: 17 W 1341/14, Beschluss vom 12.01.2015

Dem Beteiligten zu 3 wird zur Einlegung und Durchführung der beabsichtigten Beschwerde gegen den auf den 06.11.2014 datierten Beschluss des Nachlassrichters des Amtsgerichts Chemnitz ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

Gründe

I.

Unterzeichnung eines Testaments durch leseunkundigen Erblasser - Wirksamkeit Testament
Symbolfoto: Von Monkey Business Images /Shutterstock.com

Der Erblasser verstarb am ….2013 im Alter von 58 Jahren. Er war seit September 2005 in zweiter oder dritter, jedenfalls letzter Ehe mit der gleich alten Beteiligten zu 1 verheiratet. Seine beiden einzigen Kinder sind die aus der ersten Ehe hervorgegangenen Beteiligten zu 2 und 3. Mit gemeinschaftlichem, von der Erstbeteiligten eigenhändig ge- und unterschriebenem sowie vom Erblasser unterzeichneten Testament vom 09.02.2012 setzten sich die Eheleute „gegenseitig als Erben ein, so das der letztlebende über alles frei verfügen kann“; weitere Regelungen enthält das Testament nicht. Auf der Grundlage dieses Testaments hat das Nachlassgericht der Beteiligten zu 1 im August 2013 antragsgemäß einen sie als Alleinerbin ausweisenden Erbschein erteilt. Mit Anwaltsschrift vom 30.04.2014 haben die Beteiligten zu 2 und 3 die Einziehung des Erbscheins angeregt, weil ihr Vater Analphabet gewesen sei und deshalb ein privatschriftliches Testament nicht wirksam habe errichten können. Nach persönlicher Anhörung der Beteiligten zu 1 bis 3 sowie nachfolgender Vernehmung der Zeugin G. A., der Schwester des Erblassers, und nochmaliger Vernehmung der Erstbeteiligten hat das Nachlassgericht die Einziehung des Erbscheins abgelehnt. Innerhalb der Beschwerdefrist hat der Beteiligte zu 3 beim Amtsgericht unter Übermittlung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beantragt, ihm Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde zu bewilligen. Die Beteiligte zu 1 hält den Antrag für unbegründet.

II.

Dem nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bedürftigen Beteiligten zu 3 ist für den zweiten Rechtszug Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, weil die beabsichtigte Beschwerde hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig ist, § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 ZPO.

1. Zu Recht hat der Drittbeteiligte das Verfahrenskostenhilfegesuch beim Ausgangsgericht eingereicht, § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG. Da dies rechtzeitig innerhalb der Beschwerdefrist von einem Monat geschehen ist (§ 63 Abs. 1 FamFG), steht der späteren Gewährung von Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist nichts entgegen. Anderweitige Bedenken gegen die voraussichtliche Zulässigkeit des künftigen Rechtsmittels bestehen nicht. Die Mindestbeschwer von mehr als 600,00 EUR ist erreicht, § 61 Abs. 1 FamFG. Bei einem nach Aktenlage anzunehmenden Reinnachlasswert von knapp 5.400,00 EUR beläuft sich die Beschwer des Beteiligten zu 3, der das gemeinschaftliche Testament für unwirksam und sich dementsprechend für den Miterben zu ¼ hält, auf über 1.300,00 EUR.

2. Die beabsichtigte Beschwerde bietet auch in der Sache selbst hinreichende, ja weit überwiegende Aussicht auf Erfolg.

a) Bei der ausgesprochenen Ablehnung der Einziehung darf es nicht bleiben, wenn der in der Welt befindliche Erbschein unrichtig ist. Die Tatsachen, die die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der dort verlautbarten Alleinerbenstellung der Beteiligten zu 1 ergeben, hat das Gericht von Amts wegen zu ermitteln und zu prüfen. Dabei ändert sich die Feststellungslast insoweit nicht etwa deshalb, weil ein Erbschein bereits erteilt und nunmehr im Einziehungsverfahren zu entscheiden ist.

b) Wer minderjährig ist oder Geschriebenes nicht zu lesen vermag, kann ein eigenhändiges Testament nicht errichten, § 2247 Abs. 4 BGB. Dabei trägt im Zivilprozess um das Erbrecht die Beweislast und im Erbscheinsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Feststellungslast für die Behauptung mangelnder Lesefähigkeit des Erblassers grundsätzlich derjenige, der sich auf diesen Einwand beruft (vgl. OLG Düsseldorf, Teilurteil vom 04.02.2000 – 7 U 23/96 Tz. 126 m.w.N., juris). Insbesondere wenn der Erblasser sein Testament eigenhändig geschrieben hat und sich nach Beweiserhebung nicht zweifelsfrei feststellen lässt, ob er zu jener Zeit Geschriebenes noch ausreichend lesen konnte oder nicht, ist vom Regelfall auszugehen, dass er dazu in der Lage war (OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Gerade für die letztgenannte Konstellation leuchtet die genannte Verteilung der Beweis- und Feststellungslast ohne Weiteres ein. Wer mit eigener Hand seinen letzten Willen niederlegt, wird das von ihm Geschriebene in den allermeisten Fällen lesen können. Ausnahmen sind denkbar, kommen in der Praxis aber kaum vor. Verfügt jemand, der sehen kann, über die Fähigkeit, seinen letzten Willen eigenhändig zu Papier zu bringen, indiziert dies zugleich seine Fähigkeit zu lesen; nur äußerst selten wird er in Wahrheit Analphabet sein und Schriftzeichen geformt bzw. nachgeahmt haben, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Eine noch eher in Betracht kommende Ausnahme ist die, dass der Erblasser, wie die meisten Menschen in Deutschland, das Schreiben und Lesen in der Schule gelernt hatte, er im Laufe des Lebens jedoch sein Sehvermögen mehr oder minder stark eingebüßt oder praktisch verloren hat. Dann können die Dinge, zumal zum Schreiben ein geringeres Maß an Sehkraft genügt als zum Lesen (OLG Hamm OLGZ 1967, 65, 67; BayObLG, Beschluss vom 23.09.1994 – 1 ZBR 12/94 Tz. 27, juris), im Einzelfall durchaus einmal so liegen, dass dem Erblasser die nötige Lesefähigkeit fehlte, als und obwohl er den Testamentstext selbst schrieb.

Die im letzten Absatz angestellten Erwägungen passen hier nicht. Denn der Erblasser hat das Testament vom 09.02.2012 nicht selbst geschrieben, sondern lediglich unterzeichnet. Zudem baut die Vermutung des Gesetzes vom Lesevermögen des Volljährigen erkennbar auf dem Bestehen allgemeiner Schulpflicht und auf Erfahrungswerten auf. Sie kann deshalb schwerlich eingreifen, wenn feststeht, dass der Erblasser die Fähigkeit zu lesen bis weit ins Erwachsenenalter hinein nicht erworben hat. So liegen die Dinge hier. Unstreitig hat der Erblasser, dessen Schullaufbahn bereits mit der „4. Klasse Sonderschule“ endete und der keinen Beruf erlernte, während Kindheit und Jugend das Lesen nicht erfolgreich erlernt. Daran hat sich auch in der Folgezeit mindestens bis zu seinem 51. Geburtstag im Juli 2005 und zur Eheschließung mit der Beteiligten zu 1 zwei Monate später nichts geändert. Schreiben konnte er unstreitig sogar bis zu seinem Lebensende nicht. Für eine solche Ausgangssituation ist es nach Auffassung des Senates gerechtfertigt, die Beweis-/Feststellungslast umzukehren und demjenigen aufzubürden, der sich auf die sehr spät angeblich doch noch erlangte und bei Errichtung eines gemeinschaftlichen, vom Erblasser lediglich mitunterzeichneten Testaments bestehende Lesefähigkeit beruft. Dass vorliegend die vom Nachlassgericht erhobenen Beweise sowie der gesamte Akteninhalt nicht die gerichtliche Überzeugung von der Fähigkeit des Erblassers erlauben, den gesamten Text des am 09.02.2012 errichteten Testaments zu lesen, steht außer Zweifel.

c) Doch sogar dann, wenn die Feststellungslast nicht die Erst-, sondern den Drittbeteiligten träfe, spräche Überwiegendes für einen Erfolg der Beschwerde.

Das Amtsgericht hat die Angaben der Erstbeteiligten bislang nicht ausreichend kritisch unter Auseinandersetzung mit feststehenden Tatsachen gewürdigt. Es hat sich nicht erkennbar damit befasst, wie wahrscheinlich es ist, dass ein gut 50-jähriger Mann mit eher bescheidenen intellektuellen Fähigkeiten in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von zwölf bis 18 Monaten,  den die Beteiligte zu 1 angibt, durch wöchentlich lediglich einstündiges Üben mit der Ehefrau tatsächlich das Lesen erlernt. Darüber hinaus hat der Nachlassrichter zwar nicht verkannt, dass der Erblasser nach Darstellung der Erstbeteiligten praktisch nur Gedrucktes zu lesen bekam und selbst auf den zum Zwecke des Einkaufs gelegentlich überreichten Zetteln die einzukaufenden Sachen von der Ehefrau durchweg in Druckschrift notiert waren. Er zieht jedoch aus der damit aufgrund der eigenen Schilderungen der Beteiligten zu 1 anzunehmenden – bemerkenswerten – Tatsache, dass sich der Erblasser nur ein einziges Mal einen von Hand in Schreibschrift niedergelegten mehrzeiligen Text, nämlich am 09.02.2012 das Testament, zum Lesen vornahm, keinerlei Schlüsse. Vielmehr begnügt er sich insoweit mit dem sinngemäßen Hinweis, der Beteiligten zu 1 sei nicht zu widerlegen, dass der Erlasser ihr die letztwillige Verfügung auf ihre Aufforderung hin auch vorgelesen habe. Noch weitere Umstände fallen bei kritischer Betrachtung ins Auge. Die Antworten der Erstbeteiligten zu Beginn ihrer zweiten Vernehmung am 31.07.2014 auf die erste, aber auch auf die beiden nächsten Fragen des Gerichts liefern, ohne dass dies hier vertieft werden soll, deutliche Anhaltspunkte gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Kernaussage, der Erblasser habe allgemein und im Besonderen das Testament lesen können. Ferner ist weiten Teilen der Bevölkerung unbekannt, dass Eheleute, von denen der eine nicht oder nicht mehr lesen kann, ein gemeinschaftliches Testament wirksam nicht errichten (können), wenn der andere Ehegatte den meist vorbesprochenen Testamentstext nieder- und unterschreibt, um anschließend, ggf. nach lautem Vorlesen des von ihm Geschriebenen, auch den aufgrund schlechter Augen oder aus sonstigen Gründen leseunkundigen Ehegatten unterzeichnen zu lassen. Wenn die Rechtskenntnisse der Beteiligten zu 1 im Februar 2012 nicht besser als die weiter Teile der Bevölkerung waren, bestand an sich keine Veranlassung, den Erblasser wie von ihr geschildert zum Vorlesen des Testaments aufzufordern. Wusste oder ahnte sie hingegen bereits damals, dass ausreichendes Lesevermögen des Erblassers von Gesetzes wegen erforderlich war, so hat sie mit der – hier als wahr unterstellten – expliziten Aufforderung zum Vorlesen ausgesprochen klug und umsichtig agiert, zugleich allerdings zu erkennen gegeben, dass sie den Lesekünsten ihres Mannes offenbar selbst nicht ganz traute.

Bei alledem fällt schließlich auf: Die Angaben der Beteiligten zu 1, die gleichsam in eigener Sache aussagt, werden durch keine belastbaren objektiven Anhaltspunkte gestützt. So erfuhr offenbar niemand – weder die beiden Söhne noch die als Zeugin vernommene Schwester des Erblassers bei den jeweils sporadischen Treffen noch der Arbeitgeber (insoweit hat die Erstbeteiligte Gründe genannt) noch sonst jemand – von der erstaunlichen Neuigkeit, dass der Erblasser im fortgeschrittenen Alter noch das Lesen gelernt hatte; erst recht konnte sich hiervon niemand persönlich überzeugen. Diese Unwissenheit der Außenwelt ist umso bemerkenswerter, als der Erblasser sicherlich stolz auf den – unterstellten – späten Erfolg seiner Lesebemühungen gewesen ist und ihm kaum daran gelegen sein wird, die erfreuliche Tatsache selbst im engsten privaten Umfeld und vor seinen nächsten Angehörigen geheim zu halten.

III.

Sollte der Beteiligte zu 3, wie zu erwarten ist, nunmehr innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist Beschwerde beim Amtsgericht einlegen und zugleich auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist antragen, mag das Amtsgericht erwägen, dem Rechtsmittel selbst abzuhelfen. Zugleich hätte es dann über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden und Gelegenheit, die nach § 353 Abs. 1 FamFG nötige, bislang unterbliebene Entscheidung über die (erstinstanzlichen) Kosten des Einziehungsverfahrens zu treffen.

 

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