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Verjährung eines Pflichtteilsanspruchs

LG Kassel – Az.: 5 O 1562/11 – Urteil vom 20.03.2012

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Bei der Klägerin handelt es sich um die leibliche Tochter des am …1919 geborenen und am …2004 verstorbenen X, zuletzt wohnhaft …Straße, Stadt1.

Die Klägerin hat einen Bruder, Herrn Y. Weitere Abkömmlinge des Erblassers existieren nicht.

Der Erblasser war in erster Ehe mit der Mutter der Klägerin verheiratet, in zweiter Ehe mit Frau A geb. B. Mit Frau A schloss der Erblasser am ….1976 zu UR-Nr. …/1976 des Notars N, Stadt2, einen Erbvertrag. Frau A verzichtete in diesem Vertrag auf das Erb- und Pflichtteilsrecht nach dem Erblasser.

Mit notariellem Testament zu UR-Nr. …/1992 des Notars N, Stadt2, vom …1992 setzte der Erblasser sodann die Klägerin und ihren Bruder Y zu seinen Erben ein und traf weitere letztwillige Verfügungen. In der Folgezeit ergänzte der Erblasser mehrmals mit weiterem notariellem Testament seine letztwilligen Verfügungen nochmals. Im Testament vom …1994 ordnete der Erblasser die Testamentsvollstreckung und die Ernennung des Herrn C zum Testamentsvollstrecker an, zudem traf er Teilungsanordnungen im Testament vom …1992. Die Klägerin wurde sowohl hierdurch als auch durch den Erbvertrag vom …1976 mit einem Vermächtnis beschwert.

Sie schlug deshalb gegenüber dem Nachlassgericht ihr Erbe aus.

Die Beklagten sind, nachdem alle sonstigen Miterben ihre Erbteile an diese veräußert haben, nunmehr alleinige Erben nach dem Vater der Klägerin. Der Aktivnachlass setzt sich aus Immobilien, deren Bewertung im Einzelnen streitig ist, und von dem ebenfalls im Umfang streitige Abzüge vorzunehmen sind zusammen.

Die Erbengemeinschaft nach dem Vater der Klägerin ist noch nicht auseinandergesetzt.

Die die Klägerin beeinträchtigenden Verfügungen in dem Erbvertrag und den nachfolgenden Testamenten, welche zu ihrer Erbausschlagung führten, wurden der Klägerin am 28.10.2004 bekanntgegeben.

Mit Schreiben des Klägervertreters an die Beklagten vom 02.04.2007 erklärte dieser, dass dem Grunde nach für die Klägerin Pflichtteilsansprüche erhoben würden und verlangte Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Wegen des genauen Inhalts wird auf Bl. 136/137 Bd. I d. A. verwiesen. Mit Schreiben vom 03.05.2007 teilten die Beklagten der Klägerin gegenüber mit, dass sie bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft eine Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten über ihre Anteile am Nachlass hinaus gemäß § 259 BGB verweigern werden. Weiter wiesen sie in diesem Schreiben darauf hin, dass es nicht in ihrem Sinne sei, die berechtigten Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten zu beeinträchtigen.

Die Klägerin meint, sie sei neben ihrem Bruder nicht nur gewillkürte Erbin, sondern zugleich auch gesetzliche Erbin der 1. Ordnung (§ 1924 Abs. 1 BGB), und damit pflichtteilsberechtigt (§ 2303 Abs. 1 BGB). Da ihr gesetzlicher Erbteil in Ansehung des Verzichts der Ehefrau des Erblassers im Erbvertrag vom …1976 sich auf ½ belaufe, betrage ihre Pflichtteilsquote ¼. In Ansehung der von der herrschenden Meinung zur Rechtslage vor dem 01.01.2010 vertretenen Quotentheorie sei ihr Erbteil damit größer als der Pflichtteil.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 304.939,33 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.08.2010 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie erheben die Einrede der Verjährung und die Einrede der beschränkten Erbenhaftung.

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 2332 BGB a. F. habe mit der Bekanntmachung an die Klägerin am 28.10.2004 zu laufen begonnen und somit am 29.10.2007 geendet. Vor diesem Zeitpunkt habe verjährungshemmende Korrespondenz zwischen den Parteien nicht stattgefunden.

Am 26.08.2011 hat die Klägerin Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Etwaige Zahlungsansprüche der Klägerin gemäß § 2306 Abs. 1 BGB sind gemäß § 2332 Abs. 1 BGB a. F. verjährt. Nach dieser Vorschrift verjährt der Pflichtteilsanspruch in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Pflichtteilsberechtigte von dem Eintritt des Erbfalls und von der ihm beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf die Kenntnis in 30 Jahren von dem Eintritt des Erbfalles an. § 2332 Abs. 3 BGB a. F. bestimmt weiter, dass die Verjährung nicht dadurch gehemmt wird, dass die Ansprüche erst nach Ausschlagung der Erbschaft oder eines Vermächtnisses geltend gemacht werden können.

Soweit die Klägerin unter Berufung auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 27.03.1998 (FamRZ 1998, 1267) meint, die im Sinne des § 2332 BGB a. F. erforderliche Kenntnis fehle dann, wenn nicht feststehe, wer eigentlich Erbe geworden sei und wen der Pflichtteilsberechtigte in Anspruch nehmen müsse, kann dem für den vorliegend zu beurteilenden Fall nicht gefolgt werden.

In dem dort entschiedenen Fall war der Berechtigte infolge eines Irrtums davon ausgegangen, die ihm bekannte letztwillige Verfügung sei unwirksam und entfalte daher für ihn keine beeinträchtigende Wirkung. Dasselbe soll nach der soeben zitierten Entscheidung gelten, wenn aufgrund der vorhandenen Testamente nicht feststeht, wer eigentlich Erbe geworden ist und wen der Pflichtteilsberechtigte in Anspruch nehmen muss. Wesentlich ist also, dass in dem dortigen Fall die letztwilligen Verfügungen in Bezug auf die Erbeinsetzung unklar waren und deshalb dort die Verjährungsfrist nicht zu laufen begann. Vorliegend liegt jedoch kein Fall vor, in dem aufgrund des vorhandenen Testaments nicht feststand, wer Erbe geworden ist. Die notariellen letztwilligen Verfügungen regeln die Frage der Erbeinsetzung eindeutig. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Es existiert kein allgemeiner Grundsatz, wonach die dreijährige Verjährungsfrist des § 2332 BGB a. F. solange nicht läuft, bis endgültig bekannt ist, wer Erbe wurde. Vielmehr setzt diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach voraus, dass für den Beginn der Verjährungsfrist zwei Voraussetzungen vorliegen müssen. Dabei handelt es sich zum einen um die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Eintritt des Erbfalls und zum anderen um die Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung. Die Klägerin wusste ebenso vom Tod des Erblassers wie um ihre Erbeinsetzung in den notariellen letztwilligen Verfügungen. Erst durch die Ausschlagung der Klägerin und ihres Bruders entstand die Situation, dass weitere mögliche Erben gesucht werden mussten. Gemäß § 2332 Abs. 3 BBG a. F. beginnt die Verjährung nach Abs. 1 dieser Vorschrift auch dann, wenn der Anspruch erst von einer Ausschlagung abhängt. Nachdem die Klägerin und ihr Bruder die Erbschaft ausgeschlagen haben, war die Folge, dass weitere mögliche Erben gesucht werden mussten. Der Klägerin ist zuzugeben, dass insoweit nach der Ausschlagung nicht feststand, wer letztendlich Erbe geworden ist. Für solche Fälle ermöglicht das Gesetz auf Antrag jedoch die Bestellung eines Nachlasspflegers gemäß § 1961 BGB. Nach dieser Vorschrift hat das Nachlassgericht in den Fällen des § 1960 Abs. 1 BGB einen Nachlasspfleger zu bestellen, wenn die Bestellung zum Zwecke der gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs, der sich gegen den Nachlass richtet, von dem Berechtigten beantragt wird. Die Klägerin hätte auch das für diese Vorschrift vorausgesetzte Rechtsschutzbedürfnis gehabt. Das Rechtsschutzinteresse liegt vor, wenn der Gläubiger auf die Bestellung des Nachlasspflegers für die Geltendmachung seines Anspruchs angewiesen ist. Daran fehlt es zwar grundsätzlich, wenn ein verwaltender Testamentsvollstrecker vorhanden ist. Anderes gilt aber, wenn dieser verhindert ist oder Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden. Grund hierfür ist die Norm des § 2213 Abs. 1 S.3 BGB, wonach Pflichtteilsansprüche nicht gegen den Testamentsvollstrecker geltend gemacht werden können. Auch die Kenntnis der Klägerin davon, welche Erben nach ihr die Erbschaft nicht ausgeschlagen haben, kommt es daher nicht an. Durch die Ausschlagung der Erbschaft verlängerte sich die Verjährungsfrist nicht.

Nach dem Vorgenannten endete die dreijährige Verjährungsfrist des § 2332 BGB a. F. am 29.10.2007.

Dies ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin, dass die sie beeinträchtigenden Verfügungen in dem Erbvertrag und den Folgetestamenten, die letztlich Ursache für ihre Erbausschlagung waren, am 28.10.2004 bekanntgegeben wurden. Die Klageerhebung am 19.08.2011 konnte die Verjährung also nicht mehr hemmen.

Dahinstehen kann insoweit, ob zwischenzeitlich eine Hemmung nach § 203 BGB eingetreten ist. Nach dieser Bestimmung ist die Verjährung gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben. Der Verhandlungsbegriff ist zwar weit auszulegen; nachdem der Gläubiger klargestellt hat, dass er einen Anspruch geltend machen wolle, genügt jeder Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, es sei denn, dass der Schuldner sofort erkennbare Verhandlungen ablehnt (BGHZ 93, 64). Es genügen dabei Erklärungen, die den Gläubiger zu der Annahme berechtigen, der Schuldner lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs ein (Ellenberger, in Palandt, § 203, Rn. 2).

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 02.04.2007 (Bl. 136 Bd. I d. A.) machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese einen Auskunftsanspruch zur Durchsetzung des Pflichtteilsrechts geltend. Mit Schreiben vom 03.05.2007 (Bl. 138 Bd. I d. A.) reagierten die Beklagten, indem sie mitteilten, nach Auskunft des Amtsgerichts Melsungen seien von sechs Stämmen die Erben noch nicht gefunden. Weiter wiesen sie aber darauf hin, dass sie bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft eine Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten über ihre Anteile am Nachlass hinaus gemäß § 2059 BGB verweigern werden. Weiter führten sie aus, es sei nicht in ihrem Sinne, die berechtigten Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten zu beeinträchtigen. In diesen beiden Schreiben erschöpft sich die vorgerichtliche Korrespondenz.

Ob dieser außergerichtliche Schriftwechsel einem Meinungsaustausch im Sinne des § 203 BGB darstellt, kann dahinstehen. Jedenfalls sind die Verhandlungen zwischenzeitlich eingeschlafen, da die Klägerin sich nicht mehr bei den Beklagten gemeldet hat. In derartigen Fällen sind die Verhandlungen in dem Zeitpunkt beendet, in dem der nächste Schritt nach Treu und Glauben zu erwarten war. Selbst wenn man einen derartigen Zeitraum großzügig dem Dreimonatszeitraum des § 203 S. 2 BGB zuschlägt, wäre lange vor Klageerhebung Verjährung eingetreten.

Die Beklagten haben den Anspruch auch nicht i.S. von § 212 Abs. 1 Satz 1 BGB anerkannt und damit einen Neubeginn der Verjährung bewirkt.

Grundsätzlich genügt nach der Rechtsprechung des BGH für einen Neubeginn der Verjährung jedes auch rein tatsächliche Verhalten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger, aus dem sich das Bewusstsein vom Bestehen des Anspruchs – wenigstens dem Grunde nach – unzweideutig ergibt und das deswegen das Vertrauen des Gläubigers begründet, dass sich der Schuldner nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen wird (vgl. etwa BGH, NJW 2002, 2872 m.w. Nachw.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Ein ausdrückliches Anerkenntnis haben die Beklagten nicht abgegeben. Deren Schreiben vom 03.05.2007 enthält keine Erklärung, die Forderung der Klägerin anerkennen zu wollen. Die Beklagten haben im Schreiben vom 03.05.2007 lediglich ausgedrückt, sich gegen berechtigte Ansprüche nicht verwehren zu wollen. Darin ist keinesfalls zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagten die Ansprüche der Klägerin als unzweideutig bestehend bestätigen. Nach der zitierten Rechtsprechung des BGH setzt zudem ein Anerkenntnis i.S. von § 212 BGB voraus, dass der Gläubiger auf Grund des Verhaltens des Schuldners begründeterweise davon ausgehen durfte, dass sich dieser nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist alsbald auf Verjährung berufen würde. Hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.

Weitere, eine Hemmung oder einen Neubeginn der Verjährung bewirkende Umstände liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung resultiert aus § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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