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Vertragserben beeinträchtigende Schenkungen

Erbverträge und Schenkungen: Ein Balanceakt zwischen lebzeitigen Interessen und vertraglichen Bindungen

Das Oberlandesgericht Hamm hat am 09.03.2023 ein Urteil gefällt, das sich mit der komplexen Thematik von Schenkungen in der Nähe von Erbverträgen befasst. Im Kern ging es um die Frage, ob eine Schenkung, die ein Erblasser zu Lebzeiten tätigt, als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist, wenn dadurch die Rechte eines Vertragserben beeinträchtigt werden könnten. Die Beklagte hatte von dem Erblasser diverse Zuwendungen erhalten, darunter einen PKW und einen Geldbetrag. Der Kläger, ein Vertragserbe, sah seine Rechte dadurch verletzt und forderte die Herausgabe bzw. Wertersatz.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 28/22 >>>

Lebzeitiges Eigeninteresse als Schlüsselbegriff

Das Gericht musste die Frage klären, ob die Schenkungen des Erblassers an die Beklagte als rechtsmissbräuchlich anzusehen sind. Hierbei spielte der Begriff des „lebzeitigen Eigeninteresses“ eine entscheidende Rolle. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an den Schenkungen hatte, da er damit seine Altersversorgung und künftige Pflege absichern wollte. Dieses Eigeninteresse wurde als legitim angesehen, sodass die Schenkungen nicht als rechtsmissbräuchlich eingestuft wurden.

Beweislast und Gegenargumente

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Urteils war die Frage der Beweislast. Die Beklagte konnte plausible Gründe für das lebzeitige Eigeninteresse des Erblassers vorbringen. Der Kläger konnte diese Argumente nicht widerlegen, was seine Position schwächte. Zudem wurde festgestellt, dass die Beklagte die Wohnung, die ebenfalls Gegenstand des Streits war, bereits vor dem Erbfall berechtigterweise bewohnte. Dies schwächte die Argumentation des Klägers zusätzlich.

Kein Anspruch auf Wertersatz

Das Gericht stellte fest, dass dem Kläger kein Anspruch auf Wertersatz für die Eigentumswohnung zusteht. Die Zahlungen für die Wohnung fielen in eine einjährige Anfechtungsfrist nach der Heirat des Erblassers, was weitere rechtliche Implikationen hatte. In diesem Kontext wurde auch die Frage der Anfechtung eines Erbvertrags oder Testaments behandelt, die jedoch für den vorliegenden Fall nicht relevant war.

Schlussbetrachtung: Ein Urteil mit Signalwirkung

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm hat potenzielle Signalwirkung für ähnliche Fälle im Erbrecht. Es verdeutlicht, dass Schenkungen, die auf einem lebzeitigen Eigeninteresse des Erblassers basieren, nicht zwangsläufig als rechtsmissbräuchlich angesehen werden müssen. Dies schafft eine gewisse Rechtssicherheit für Erblasser, die zu Lebzeiten Vermögenswerte übertragen möchten, ohne die Rechte von Vertragserben zu verletzen.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Hamm – Az.: 10 U 28/22 – Urteil vom 09.03.2023

Leitsätze:

1. Voraussetzung für einen Anspruch des Erben gemäß § 2287 BGB ist, dass dieser durch die unentgeltliche Verfügung objektiv beeinträchtigt worden ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Erblasser das für ihn bindend gewordene frühere Testament noch hätte gem. § 2079 BGB anfechten können.

2. Der Erblasser kann daher zum Nachteil des Vertrags- oder Schlusserben noch innerhalb der Anfechtungsfrist des § 2283 Abs. 1 BGB Schenkungen vornehmen, auch wenn das Testament letztlich gar nicht angefochten wird.

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15.02.2022 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 8.931,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz aus einem Betrag von 7.820,94 € seit dem 24.05.2022, aus weiteren 277,59 € seit dem 03.06.2022, aus weiteren 277,59 € seit dem 05.07.2022, aus weiteren 277,59 € seit dem 03.08.2022 und aus weiteren 277,59 € seit dem 05.09.2022 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 87 % und die Beklagte zu 13 %. Hinsichtlich der Kosten erster Instanz verbleibt es bei der Kostenentscheidung in dem angefochtenen Urteil.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 68.390,65 € festgesetzt.

Gründe:

Der Kläger ist das einzige Kind des am 00.00.1941 geborenen und am 00.00.2014 verstorbenen Erblassers Q. L.. Die Beklagte ist dessen zweite Ehefrau.

Der Erblasser errichtete gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau G. L., der Mutter des Klägers, am 19.11.1997 ein Berliner Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und den Kläger als Schlusserben einsetzten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kopie des Testaments (Bl. 9 GA) verwiesen.

Die erste Ehefrau des Erblassers verstarb im März 2001. In der Folgezeit lernte der Erblasser die im Jahr 1963 geborene Beklagte kennen. Im Jahr 2002 verkaufte er eine aus seiner Familie stammende Immobilie für 309.000,00 €. Zu dem Kläger hatte der Erblasser ab Dezember 2003 keinen Kontakt mehr.

Zumindest seit 2004 litt der Erblasser an einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Im Jahr 2007 gab die Beklagte ihre damalige Wohnung auf und zog zu dem Erblasser in die Mietwohnung X.-straße 00 in Z.. Am 00.00.2008 heirateten sie.

Mit notariellem Vertrag vom 13.02.2008 (UR-Nr. 98/2008 des Notars N. in B.) erwarben der Erblasser und die Beklagte zu einem Miteigentumsanteil von jeweils ½ die von ihnen bewohnte Wohnung in Z. für 80.000,00 €. Die Grundbuchumschreibung erfolgte am 25.08.2008 (Bl. 11 ff, 27 GA). Insofern hatte sich eine günstige Möglichkeit ergeben, nachdem die vormaligen Eigentümer der Immobilie in Insolvenz geraten waren.

Am 15.07.2012 errichtete der Erblasser ein privatschriftliches Testament, in welchem er die Beklagte zu seiner Alleinerbin einsetzte (Bl. 10 GA). Im Dezember 2013 wurde bei ihm Bauchspeicheldrüsenkrebs mit einer nur noch geringen Lebenserwartung festgestellt. Am 24.12.2013 erlitt die Beklagte einen Herzinfarkt und musste stationär im Krankenhaus verbleiben.

Am 08.01.2014 wurde der Beklagten ein Restguthaben von dem Konto des Erblassers bei der Sparkasse in Höhe von 15.010,83 € gutgeschrieben. Am 00.00.2014 verstarb der Erblasser. Er wohnte bis zuletzt zusammen mit der Beklagten in der gemeinsamen Eigentumswohnung.

Nach dem Tod des Erblassers ging die Beklagte zunächst davon aus, dass sie Alleinerbin geworden sei. Sie wickelte die Nachlassangelegenheiten ab und bezahlte die Beerdigung. Sie verkaufte am 15.09.2014 einen Wohnwagen des Erblassers für 2.900,00 €. Am 04.11.2014 löste die Beklagte das Konto des Erblassers bei der Sparkasse B. mit einem Guthaben von 697,26 € auf. Bis heute bewohnt sie die Eigentumswohnung in Z..

Die Beklagte beantragte bei dem Amtsgericht – Nachlassgericht – Dortmund die Erteilung eines Alleinerbscheins. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 08.03.2016 zurückgewiesen und zur Begründung auf die bindende Schlusserbeneinsetzung in dem Berliner Testament vom 19.11.1997 zurückgegriffen. Die Beschwerde der Beklagten gegen diesen Beschluss wies das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 13.10.2016 zurück. Am 24.11.2016 wurde dem Kläger ein Alleinerbschein nach dem Erblasser erteilt (Bl. 6 GA).

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.11.2016 verlangte der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer anteiligen Nutzungsentschädigung für die von ihr bewohnte Eigentumswohnung.

Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 02.01.2017 erteilte die Beklagte dem Kläger Auskunft über den Nachlass, wobei sie auch ihre getätigten Ausgaben auflistete.

Am 22.02.2017 beantragte R. O., der Schwiegersohn der Beklagten, gegen den Kläger den Erlass eines Mahnbescheides wegen einer Forderung in Höhe von 20.204,35 €. Begründet wurde diese mit Vergütungsansprüchen aus einem Pflegedienstvertrag mit dem Erblasser sowie sonstigen Kosten und Auslagen für den Erblasser. Der Kläger hat Widerspruch eingelegt. Mit Urteil vom 24.08.2018 hat das Landgericht Dortmund die Klage abgewiesen (Beiakte 12 O 106/17 Landgericht Dortmund, dort Bl. 271 ff).

Mit Klage vom 27.06.2017 hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit von der Beklagten die Übertragung des ihr gehörenden hälftigen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung, hilfsweise die Zahlung von 40.000,00 €, sowie die Zahlung von 34.436,90 € nebst Rechtshängigkeitszinsen und die Herausgabe eines Pkw01 Marke01 begehrt (Bl. 2 GA). Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Kläger zudem mit Schriftsatz vom 31.08.2019 (Bl. 235 ff. GA) klageerweiternd eine Stufenklage eingereicht und auf der Leistungsstufe die Herausgabe von Gegenständen, die nach der Auskunftserteilung noch näher zu benennen seien, verlangt.

Der Kläger hat behauptet, die Eigentumswohnung und deren Erwerbskosten seien allein von dem Erblasser bezahlt worden. Dies sei als eine beeinträchtigende Schenkung gemäß § 2287 BGB zu werten. Gleiches gelte für die Überweisung der 15.010,83 € vom 08.01.2014 an die Beklagte. Daneben schulde sie ihm den Ersatz des Wohnwertvorteils an der ihm zu ½ Anteil gehörenden Eigentumswohnung, in der die Beklagten nach wie vor lebt, sowie Ersatz von Nachlassgegenständen. Der Kläger hat weiter behauptet, der herausverlangte PKW Pkw01 Marke01 gehöre zum Nachlass.

Die Beklagte hat das Vorliegen einer Schenkung des hälftigen Miteigentumsanteils bestritten und weiter vorgetragen, dass zumindest ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers bestanden habe, da dieser damit seine Altersversorgung und künftige Pflege habe absichern wollen. Den Betrag in Höhe von 15.010,83 € habe ihr der Erblasser wegen ihrer damaligen schweren Erkrankung zur Unterstützung und weiteren Pflege überwiesen. Sie habe sich nach ihrem Herzinfarkt nicht um ihre eigene gesundheitliche Wiederherstellung gekümmert, insbesondere nicht eine dringend angezeigte Reha-Maßnahme durchgeführt. Sie habe sich ausschließlich um den bedrohlichen Gesundheitszustand des Erblassers gekümmert. Im Übrigen sei zu bedenken, dass der Erblasser die Möglichkeit gehabt hätte, das gemeinschaftliche Testament gemäß § 2079 BGB anzufechten. Den Pkw habe der Erblasser während eines Krankenhausaufenthaltes an ihren Schiegersohn R. O., verkauft. Sie habe den Wagen nicht im Besitz. Der anzusetzende hälftige Mietwert der Wohnung sei zu reduzieren, weil sie die Kosten für die Wohnung nach dem Erbfall allein trage und sie eine Entschädigung allenfalls erst ab dem Zeitpunkt der verlangten Neuregelung schulde. Schließlich beruft sie sich auf die von ihr getragenen Kosten und Auslagen für den Erbfall von 9.474,11 € und auf ihren Pflichtteilsanspruch in Höhe von 4.265,39 €.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 18.11.2018 (Bl. 259 ff. GA) die begehrte Auskunft, ob sich bestimmte Gegenstände im Nachlass des Erblassers befinden, verneint. Der Kläger hat daraufhin beantragt, die Beklagte zur Abgabe einer Versicherung Eides statt zu verurteilen.

Durch – rechtskräftiges – Teilurteil vom 07.07.2020 (Bl. 448-455 GA) ist der Antrag des Klägers auf Abgabe einer Erklärung der Beklagten zur Versicherung an Eides statt abgewiesen worden. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 08.03.2021 den Klageantrag auf der dritten Stufe dahingehend abgeändert, dass die Feststellung der Pflicht der Beklagten begehrt werde, die durch die Stufenklage veranlassten Kosten zu tragen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben über die Frage des Wohnwerts der Eigentumswohnung in der X.-straße 00 in Z. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses hat der Dipl.-Ing. S. A. am 09.07.2018 erstellt (Bl. 157 GA, Anlage). Er ist darin zu einem Ergebnis in Höhe von 262,59 € monatlich für den hälftigen Wohnwertvorteil der Eigentumswohnung gelangt.

Ferner ist Beweis erhoben worden über die Frage, ob sich die Beklagte noch im Besitz des Pkw01 Marke01 befinde. Die Zeugen R. und K. O. (Schwiegersohn und Tochter der Beklagten) haben im Termin am 17.09.2019 von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht (Bl. 250 GA). Ferner ist Beweis erhoben worden durch eidliche Parteivernehmung der Beklagten (Bl. 405-408 GA).

Durch – rechtskräftiges – Teilurteil vom 25.08.2020 ist der Antrag des Klägers auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung durch die Beklagte abgewiesen worden (Bl. 448 ff. GA).

Durch Schlussurteil vom 15.02.2022 hat das Landgericht der Klage in Höhe von 1.421,63 € nebst Rechtshängigkeitszinsen stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestehe kein Anspruch auf Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung gemäß §§ 2287, 812 BGB bzw. hilfsweise auf Herausgabe des hälftigen Kaufpreises in Höhe von 40.000,00 €. Es könne dahinstehen, ob von einer lebzeitigen Schenkung des Erblassers auszugehen sei. Denn jedenfalls sei die Zuwendung nicht als rechtsmissbräuchlich zu werten, weil ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers anzunehmen sei. Es erscheine nachvollziehbar, wenn die Beklagte vortrage, dass der Erblasser eine etwaige Schenkung in der naheliegenden Hoffnung erbracht habe, dass ihm die Zuwendung und Versorgung durch die Beklagte erhalten bleibe. Der für den Missbrauch beweispflichtige Kläger habe die angeführten Umstände nicht zu widerlegen vermocht.

Dem Kläger habe allerdings ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 14.097,26 € gemäß §§ 2018, 2019 BGB zugestanden, der durch die Hilfsaufrechnungen der Beklagen in Höhe von 12.675,63 € erloschen sei, so dass ihm nur noch der tenorierte Betrag zuzusprechen sei. Zu berücksichtigen sei ein Anspruch auf den Verkaufserlös des Wohnwagens (2.900,00 €), das restliche Guthaben auf dem Erblasserkonto (697,26 €) und eine Entschädigung für die weitere Nutzung der Wohnung in der Zeit von Dezember 2016 bis März 2020 in Höhe von 10.500,00 €. Insofern sei gemäß dem überzeugenden Sachverständigengutachten ein hälftiger monatlicher Wohnwertvorteil von 262,59 € zugrunde zu legen. Diese Nutzungsentschädigung könne der Kläger allerdings erst ab dem ernsthaften Verlangen nach einer Regelung in dem Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 17.11.2016 verlangen. Für einen früheren Zeitraum könne der Kläger keine Entschädigung erhalten. Zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte die Wohnung nicht etwa nach dem Erbfall aktiv in Besitz genommen habe, sondern schon zuvor berechtigterweise dort gelebt habe. Die alleinige Nutzung der Wohnung durch die Beklagte hätte daher nur dann als Anmaßung einer Alleinerbenstellung verstanden werden können, wenn sie mit einer Negierung des dem Kläger zustehenden Rechts zum Mitbesitz verbunden gewesen wäre.

Dagegen sei eine Rückerstattung der im Januar 2014 überwiesenen 15.010,83 € und der Erwerbsnebenkosten der Eigentumswohnung (5.328,81 €) nicht begründet. Deren Zuwendung an die Beklagte sei aufgrund eines lebzeitigen Eigeninteresses des Erblassers nicht als missbräuchlich einzustufen. Das Vorbringen der Beklagten, der Erblasser habe ihr den Betrag in der Erwartung zukommen lassen, dass sie ihn pflegen werde und aus dem Bedauern heraus, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht um ihre eigene gesundheitliche Wiederherstellung habe kümmern können, weil es ausschließlich um seinen bedrohlichen Gesundheitszustand gegangen sei, erscheine plausibel. Der Kläger habe dieses Vorbringen der Beklagten nicht zu widerlegen vermocht.

Die Hilfsaufrechnung sei erfolgreich, weil der Beklagten ein Anspruch in Höhe von 12.675,63 € zugestanden habe. Hierbei handele es sich um Beerdigungskosten (4.562,25 €) und Auslagen für den Erblasser (Grabplatte in Höhe von 2.958,30 €, Überführung in Höhe von 248,26 €, Bewirtung auf Trauerfeiern in Höhe von 176,80 € + 43,80 € + 45,50 € + 134,40 €, Zeitungsanzeige 16,00 € und Foto für die Trauerfeier 5,90 €, Taxi 54,30 €). Zudem sei der Pflichtteilsanspruch der Beklagten in Höhe von 4.398,37 € zu berücksichtigen. Dieser sei auch nicht verjährt. Dem Kläger stehe kein Anspruch gegen die Beklagte auf Herausgabe des Pkw01 Marke01 zu. Er habe den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht, dass sich das Fahrzeug im Besitz der Beklagten befinde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 598 ff. GA)

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt den Anspruch auf Übertragung des hälftigen Miteigentumsanteil an der Eigentumswohnung weiter, hilfsweise die Zahlung von 40.000,00 € sowie die Zahlung von weiteren 28.390,65 € nebst Zinsen.

Der Kläger rügt, dass sein Schriftsatz vom 17.07.2022 (Hilfsanspruch wegen weiterer Nutzungsentschädigung) von dem Landgericht nicht berücksichtigt worden sei. Im Übrigen meint er, ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers sei von der Beklagten nicht schlüssig dargelegt und von dem Landgericht vorschnell angenommen worden. Wenn man einmal den im Jahr 2008 noch rein hypothetischen und bloß pauschal behaupteten Pflegebedarf des Erblassers hinwegdenke, so verbleibe nur noch das naheliegende Interesse, die erheblich jüngere Ehefrau auch für die Zukunft abzusichern. Dies stelle allerdings kein relevantes Eigeninteresse des Erblassers dar. Die Zuwendung des Bankguthabens in Höhe von 15.010,83 € könne nicht erfolgt sein, um Pflegeleistungen zu vergüten. Denn die Beklagte sei vorher selbst erkrankt gewesen und habe dann angeblich am 10.01.2014 einen Pflegevertrag mit dem Partner ihrer Tochter abgeschlossen, aus dem später das Guthaben übersteigende Forderungen gegen den Nachlass abgeleitet worden seien. Im Rahmen der Gesamtabwägung seien die Vermögenszuwendungen nicht gerechtfertigt gewesen. Ein Anspruch des Klägers auf anteilige Nutzungsentschädigung wegen des Verbleibs der Beklagten in der Eigentumswohnung bestehe bereits ab August 2014. Im Übrigen müsse sich die Beklagte auch den Nutzungsvorteil für den zu der Eigentumswohnung dazugehörigen Stellplatz zurechnen lassen. Die Hilfsanträge seien erstinstanzlich missverstanden worden, die Nutzungsentschädigung sei bis August 2021 begehrt worden. Nun werde der Gesamtbetrag bis heute (26.093,46 €) in die Berechnung eingestellt. Nachlassverbindlichkeiten von 8.410,24 € und ein Pflichtteilsanspruch von 4.265,36 € seien unstreitig. Im Falle der Begründetheit des Anspruchs gemäß § 2287 BGB sei noch ein weiterer Pflichtteilsanspruch in Höhe von 7.542,45 € zu berücksichtigen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 13.05.2022 (Bl. 652 ff. GA) verwiesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15.02.2022, Az. 12 O 217/17, dahingehend teilweise abzuändern, dass die Beklagte verurteilt wird,

1.

a) an ihn den ½ Miteigentumsanteil an dem Wohnungs- und Teileigentum, verzeichnet in den Grundbüchern von Dortmund B Blatt Bl01 und Dortmund B Blatt Bl02, aufzulassen und die Eintragung des Klägers als Eigentümer zu bewilligen,

b) hilfsweise an ihn 40.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten ab dem 09.07.2017 zu zahlen,

2.

an ihn über die bereits titulierten 1.421,63 € hinaus weitere 28.390,65 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Gesamtbetrag von 29.812,28 € ab dem 09.07.2017.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die ergangene Entscheidung und widerspricht der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Antragsanpassung als unzulässige Klageänderung. Sie führt aus, schon eine Schenkung des Erblassers an sie sei nicht gegeben. Sie habe aus eigenen Mitteln ihre Miteigentumshälfte erworben und dem Erblasser hierfür die Mittel in bar gegeben. Die Übergabe des Bargeldbetrages in Höhe von 40.000,00 € sei im Beisein ihrer Tochter, der Zeugin K. O., erfolgt. Diese habe nämlich den ihr von ihrer Großmutter, der Mutter der Beklagten, zugewendeten Geldbetrag aus C. zu der Beklagten nach B. gebracht. Im Übrigen habe der Erblasser aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit ein lebzeitiges Eigeninteresse gehabt, insbesondere an der Zuwendung des Betrages von 15.010,83 €. Für die Beklagte habe ferner sichergestellt werden sollen, dass sie nach ihrer eigenen Arbeitsunfähigkeit infolge des am 24.12.2013 erlittenen Herzinfarktes noch den gemeinsamen Lebensunterhalt habe bestreiten können. Auch die Entscheidung betreffend die Nutzungsentschädigung sei zutreffend. Ihre Aufrechnungserklärung sei klar und bestimmt gewesen. Äußerst vorsorglich werde diese nochmals wiederholt.

Die Akten des Landgerichts Dortmund – 12 O 106/17 – sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört. Auf den Berichterstattervermerk vom 16.02.2022 wird verwiesen.

Im Übrigen wird wegen des jeweiligen Parteivorbringens auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat lediglich in dem tenorierten Umfang Erfolg.

1.

Der Berufungsantrag zu 1. ist unbegründet.

Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch auf Übertragung des der Beklagten gehörenden hälftigen Miteigentumsanteils an der Eigentumswohnung in Z., X.-straße 00, gemäß §§ 2287 I, 818 I BGB zu (Berufungsantrag Ziff. 1.a).

Insoweit kann es dahinstehen, ob der Erblasser der Beklagten den hälftigen Kaufpreis in Höhe von 40.000,00 € bei Erwerb der Eigentumswohnung durch notariellen Vertrag vom 13.02.2008 geschenkt hat und ob eine solche Schenkung durch ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers gerechtfertigt war. Denn diese wenige Monate nach der Heirat des Erblassers erfolgte Zuwendung ist jedenfalls nicht zu Gunsten des Klägers unter den Schutzbereich des § 2287 BGB zu fassen.

Zwar ist die Vorschrift des § 2287 BGB analog auch auf wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament anzuwenden, wenn diese nach dem Tod eines Ehegatten für den anderen bindend geworden sind (vgl. Grüneberg-Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 82. Auflage, § 2271 Rz.10 m.w.N.). Dieser Fall ist hier bei der Schlusserbeneinsetzung des Klägers in dem gemeinschaftlichen Testament seiner Eltern vom 19.11.1997 mit dem Tod seiner Mutter eingetreten.

Voraussetzung für einen Anspruch des Erben gemäß § 2287 BGB ist aber, dass dieser durch die unentgeltliche Verfügung objektiv beeinträchtigt worden ist. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn der Erblasser das für ihn bindend gewordene frühere Testament noch hätte anfechten können. Das war für den hier maßgeblichen Zeitraum – nach den vorgelegten Kontoauszügen ist der Kaufpreis in Höhe von 80.000,00 € von dem Girokonto des Erblassers am 15.04.2008 abgebucht worden (Bl. 47 GA) – der Fall. Dies geschah mithin nur knapp drei Monate, insgesamt also deutlich weniger als ein Jahr, nach der Eheschließung des Erblassers mit der Beklagten.

Ist der Erblasser berechtigt, den Erbvertrag oder ein für ihn bindend gewordenes Testament anzufechten, kann der Erbe keinen Anspruch gemäß § 2287 BGB geltend machen, wenn der Erblasser zum Nachteil des Vertrags- oder Schlusserben noch innerhalb der Anfechtungsfrist Schenkungen vornimmt, auch wenn das Testament letztlich gar nicht angefochten wird (BGH ZEV 2006, 505 – Juris Rz.7; Grüneberg-Weidlich, § 2287 BGB Rz. 5; MünchKomm-Musielak, 9. Auflage, § 2287 BGB Rz.10).

Nach dem inzwischen unstreitig gestellten Vorbringen der Beklagten hat sie den Erblasser am 00.00.2008 geheiratet (vgl. dazu: Berichterstattervermerk vom 16.02.2023). Aufgrund dieser Heirat war der Erblasser gemäß § 2079 I BGB berechtigt, wegen des Übergehens der Beklagten als im Zeitpunkt der Testierung nicht vorhandenen Pflichtteilsberechtigten die ihn bindende Schlusserbenbestimmung des Klägers innerhalb einer Frist von einem Jahr, § 2283 I BGB, anzufechten (vgl. hierzu: Senat, Urteil vom 07.03.2017, 10 U 5/16, Juris Rz 71; Grüneberg-Weidlich, § 2271 BGB Rz.28 und § 2281 BGB Rz. 2 m.w.N.). Auch wenn der Erblasser eine solche Anfechtung hier letztendlich nicht vorgenommen hat, fallen etwaige innerhalb der Anfechtungsfrist an die Beklagte getätigte Schenkungen nicht unter § 2287 BGB. Solche Zuwendungen an die neue Ehefrau gelten als nicht benachteiligend, weil während der – hier bis zum 08.01.2009 – laufenden Anfechtungsfrist die Schlusserbeneinsetzung des Klägers für den Erblasser nicht bindend war.

Aus diesen Gründen ist auch der auf Wertersatz für den hälftigen Wohnungsanteil in Höhe von 40.000,00 € gestützte Hilfsantrag (Berufungsantrag zu Ziff. 1.b) gemäß §§ 2287 I, 818 II BGB unbegründet.

2.

Auf den Berufungsantrag zu 2. war dem Kläger neben dem bereits erstinstanzlich zugesprochenen 1.421,63 € noch ein weiterer Betrag in Höhe von 8.931,30 € zuzusprechen. Die darüber hinausgehende Klage ist hingegen unbegründet.

a)

Der Kläger kann von der Beklagten im Ausgangspunkt zunächst einen Betrag von insgesamt 23.028,56 € verlangen.

aa)

Allerdings steht dem Kläger kein Anspruch gemäß §§ 2287 I, 818 II BGB auf Erstattung von 15.010,83 € zu. Hierbei handelt es sich um das Restguthaben, das von einem aufgelösten Konto des Erblassers bei der Sparkasse B. stammte und der Beklagten am 08.01.2014 gutgeschrieben wurde. Diesbezüglich fehlt es nämlich an einer Benachteiligungsabsicht des Erblassers gegenüber dem Kläger.

Voraussetzung für einen Anspruch des Erben gemäß § 2287 I BGB ist, dass der Erblasser die unentgeltliche Verfügung in der Absicht vorgenommen hat, den durch Erbvertrag oder gemeinschaftliches Testament eingesetzten Erben zu benachteiligen. Eine solche Benachteiligungsabsicht ist zu verneinen, wenn der Erblasser ein lebzeitiges Eigeninteresse an der Schenkung hatte. Insoweit kommt es darauf an, ob die Gründe, die ihn zu der Verfügung bestimmt haben, ihrer Art nach so sind, dass der Vertragserbe sie anerkennen und hinnehmen muss. Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist danach anzunehmen, wenn nach dem Urteil eines objektiven Beobachters die Verfügung in Anbetracht der gegebenen Umstände auch unter Berücksichtigung der erbvertraglichen Bindung billigenswert und gerechtfertigt erscheint. Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen. Eine Schenkung ist danach in der Regel nicht gerechtfertigt, wenn der Erblasser allein wegen eines auf Korrektur des Vertrages gerichteten Sinneswandels ohne Veränderung der beim Abschluss des Erbvertrages vorhandenen Umstände anstelle der bedachten Person einem anderen wesentliche Vermögenswerte ohne entsprechende Gegenleistung zuwendet, nur weil er dem Erblasser genehmer ist. Auch reicht es nicht aus, wenn der Erblasser aufgrund eines Sinneswandels nach Abschluss des Erbvertrages engere persönliche Bindungen zu dem Beschenkten entwickelt hat und dieser Zuneigung durch die Schenkung Ausdruck verleihen will. Ein lebzeitiges Eigeninteresse kann aber bejaht werden, wenn der Erblasser eine Verfügung getroffen hat um die Versorgung für sein Alter sicherzustellen oder zu verbessern, wobei davon auszugehen ist, dass das Bedürfnis alleinstehender Erblasser, im Alter versorgt und ggf. auch gepflegt zu werden, mit den Jahren immer dringender und gewichtiger wird. Eine weitere Rechtfertigung ist die Schenkung als Dank für noch zu leistende Dienste, Hilfe oder Pflege. Schließlich kann auch das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter ein anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse sein, wenn der Erblasser durch die Schenkung eine ihm nahestehende Person an sich binden will (ständige Rechtsprechung: BGH NJW 1992, 2630; BGH NJW 1973, 240 ff.; BGH NJW-RR 1986, 1135; BGHZ 66, 8 ff.; BGHZ 77, 264 ff.; BGHZ 82, 274 ff.; BGHZ 83, 44 ff.; BGHZ 88, 269 ff.).

Ist die Rechtfertigung der Zuwendung durch ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers streitig, obliegt es zunächst dem Beschenkten, substantiiert und schlüssig Umstände vorzutragen, die für ein solches Interesse sprechen. Gelingt dem Beschenkten dies, trägt der Vertragserbe die volle Beweislast, den Vortrag des Beschenkten zu widerlegen (vgl. Senat, Urteil vom 14.09.2017, – 10 U 1/17 -, Juris Rz. 42; Juris-PK-Geiger, § 2287 BGB Rz. 108).

Nach diesen Grundsätzen ist hier von einem lebzeitigen Eigeninteresse des Erblassers an der Übertragung der 15.010,83 € auf die Beklagte auszugehen. Ein solches Eigeninteresse hat die Beklagte schlüssig vorgetragen. Diesen Vortrag vermochte der Kläger auch in der Berufungsinstanz nicht zu widerlegen.

Der Erblasser war 21 Jahre älter als die Beklagte. Bereits seit 2004 litt er an einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis), die ihn schon vor der Diagnose des Bauchspeicheldrüsenkrebses in seiner Lebensführung erheblich beeinträchtigte. Vor diesem Hintergrund erscheint es billigenswert und gerechtfertigt, dass der Erblasser versucht hat, die Beklagte durch lebzeitige Zuwendungen an sich zu binden. So hat er ihr bereits im Jahr 2006 einen Heiratsantrag gemacht, sie im Januar 2008 geheiratet und zusammen mit ihr im Februar 2008 die von ihm früher allein bewohnte Wohnung an der X.-straße 00 zu Eigentum erworben. Als dann im Dezember 2013 bei dem Erblasser die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs mit einer nur noch geringen Lebenserwartung festgestellt worden ist, sah er sich vollends auf die Beklagte angewiesen. Der nun noch erhöhte Zuwendungs- und Pflegebedarf konnte nur durch sie und ihre Familie sichergestellt werden. Denn der Kontakt zu seinem einzigen Kind, dem Kläger, war bereits seit Dezember 2003 endgültig abgebrochen und wurde auch bis zu seinem Tod im Sommer 2014 nicht wieder hergestellt.

Diesem lebzeitigen Interesse steht nicht entgegen, dass die Beklagte Weihnachten 2013 selbst einen Herzinfarkt erlitten hatte und sich einer stationären Behandlung unterziehen musste. Denn aufgrund ihres jüngeren Alters und ihrer eigenen Familie, insbesondere ihrer als Krankenschwester ausgebildeten Tochter und ihres Schwiegersohns, der in C. einen Pflegedienst betreibt, vermochte sie trotzdem für ihren Ehemann bis zu seinem Lebensende zu sorgen und seine Pflege sicherzustellen. Hierdurch wurde es dem Erblasser möglich, bis zu seinem Versterben im Juli 2014 in seiner Wohnung in Z. zu verbleiben. Darüber hinaus ist in der Zuwendung der 15.010,83 € im Januar 2014 auch eine belohnende Schenkung, § 2330 BGB, an die Beklagte als Dank für ihre bisherige jahrelange Unterstützung und Treue zu sehen. Insoweit fällt auch ins Gewicht, dass der Erblasser die Beklagte nach seinem eigenen Tod versorgt wissen wollte, zumal sie sich damals selbst aufgrund ihrer eigenen schweren Erkrankung in einer akuten Notlage befand.

Diese von der Beklagten vorgetragenen Gründe sind bei einer objektiven Betrachtung von dem durch das Berliner Testament seiner Eltern bindend eingesetzten Kläger auch bei einer Gesamtabwägung aller Umstände als gerechtfertigt und billigenswert anzuerkennen. Dass der Erblasser damals aus anderen Motiven – nämlich in der böswilligen Absicht, ihn zu benachteiligen – gehandelt hat, vermochte der insoweit beweisbelastete Kläger nicht zu belegen.

bb)

Auch im Hinblick auf die vom Erblasser wohl allein bezahlten Erwerbskosten für die Eigentumswohnung in Höhe von insgesamt 5.328,81 € steht dem Kläger kein Wertersatzanspruch gemäß §§ 2287 I, 818 II BGB zu.

Unabhängig davon, ob auch diese Zuwendungen durch ein lebzeitiges Eigeninteresse gerechtfertigt sind, erfolgte die Bezahlung dieser Kosten sämtlich innerhalb der nach der Heirat des Erblassers am 00.00.2008 laufenden einjährigen Anfechtungsfrist, nämlich am 19.02.2008, am 26.02.2008, am 23.04.2008 und am 26.05.2008 (vgl. dazu:  Aufstellung des Klägers, Bl. 3,4 GA). Damit gelten diese etwaigen Schenkungen nicht als benachteiligend gemäß § 2287 BGB. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen.

cc)

Demgegenüber kann der Kläger als Alleinerbe nach dem Erblasser von der Beklagten den Erlös für den zum Nachlass gehörenden Wohnwagen, den sie am 15.09.2014 für 2.900,00 € verkauft hat, sowie das auf dem Nachlasskonto bei seiner Auflösung am 04.11.2014 verbliebene Guthaben von 697,26 € gemäß §§ 2018, 2019 BGB verlangen.

d)

Zudem kann der Kläger von der Beklagten eine Entschädigung für die von ihr weiter allein bewohnte Eigentumswohnung in der X.-straße 00 in Höhe von 19.431,30 € verlangen. Hierbei handelt es sich um die anteilige Nutzungsentschädigung für den Zeitraum Dezember 2016 bis September 2022 einschließlich. Der Senat legt insofern einen Wert in Höhe von insgesamt 277,59 € (262,59 € + 15,00 €) für einen Zeitraum von insgesamt 70 Monaten (von Dezember 2016 bis September 2022 einschließlich) zugrunde.

aa)

Die mit der Berufung weiterverfolgte hälftige Nutzungsentschädigung schuldet die Beklagte erst ab Dezember 2016. Die Eigentumswohnung gehört dem Kläger nach dem Erbfall zu einem Miteigentumsanteil von ½, mit der Folge, dass er und die Beklagte seitdem Bruchteilseigentümer gemäß §§ 741 ff. BGB sind. Da die Beklagte die Wohnung seit dem Erbfall allein bewohnt, kann der Kläger von ihr eine anteilige Entschädigung beanspruchen, allerdings erst ab seinem ernsthaften Verlangen nach einer solchen Regelung (vgl. BGH NJW-RR 1993, 386; 2005, 1200; Grüneberg-Sprau, § 745 BGB Rz. 5). Ein solches Verlangen ist erstmals mit dem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigen vom 17.11.2016 erfolgt, in welchem der Kläger gegenüber der Beklagten die Entschädigung für den von ihr allein gezogenen Wohnwertvorteil geltend macht. Vorher schuldete die Beklagte noch keinen Nutzungsausgleich.

bb)

Die geschuldete Nutzungsentschädigung hat der Kläger erstinstanzlich nur in Höhe von 10.500,00 € geltend gemacht (vgl. Klageschrift, Bl. 5 GA). Deshalb hatte das Landgericht ausgehend von diesem Wert einen monatlichen Betrag von 262,59 € für den Zeitraum von Dezember 2016 bis Februar 2020 einschließlich (= 10.241,01 €) und die verbliebenen 258,99 € für März 2020 zugrunde gelegt (vgl. angefochtenes Urteil S. 12).

Soweit der Kläger nun meint, dass er mit dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 17.07.2021 seinen Klageantrag zu 2. hilfsweise auch auf eine bis einschließlich August 2021 berechnete Entschädigung gestützt habe, ist dies dem vorgenannten Schriftsatz so zwar nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Allerdings hat der Kläger nunmehr in seiner Berufungsbegründung vom 13.05.2022 den Anspruch auf anteilige Nutzungsentschädigung für die Zeit „von August 2014 bis heute“ geltend gemacht (Bl. 658 GA). Diese in der Berufungsinstanz vorgenommene Erweiterung der Klage ist trotz des Widerspruchs der Gegenseite gemäß § 264 I Nr. 2 ZPO zulässig (vgl. dazu: Zöller-Heßler, Zivilprozessordnung, 34. Auflage, § 533 ZPO Rz. 3 m.w.N.). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers dann klargestellt, dass diese Klageerweiterung sich auf den Zeitraum bis September 2022 beziehen solle (vgl. dazu: Verhandlungsprotokoll vom 16.02.2023). Damit war für die vorliegende Berechnung der Zeitraum bis September 2022 einschließlich zugrunde zu legen.

cc)

Die Höhe der Entschädigung für den hälftigen Wohnwertanteil hat der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige Dipl.-Wirt.-Ing (FH) V. A. in seinem Gutachten vom 09.07.2018 mit 262,59 € pro Monat ermittelt. Dieser auch von dem erstinstanzlichen Gericht in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegte Wert ist von den Parteien akzeptiert worden.

dd)

Zusätzlich zu dem vom Sachverständigen errechneten hälftigen Mietwert für die Wohnung schuldet die Beklagte indes noch anteilige Mietkosten für den zur Wohnung gehörigen Tiefgaragenplatz. Dabei ist es unerheblich, ob die Beklagte selbst keinen PKW besitzt und diesen Garagenplatz die meiste Zeit gar nicht genutzt hat. Denn dieser Stellplatz gehört als Bestandteil zu der von dem Erblasser und der Beklagten gemeinsam gekauften Eigentumswohnung. So erwarben die Beklagte und ihr Ehemann mit notariellem Vertrag vom 13.02.2008 nicht nur das Eigentum an der Wohnung im Obergeschoss, sondern ausdrücklich auch das damit verbundene Sondereigentum an dem Stellplatz in der Tiefgarage Nr. 00 des Aufteilungsplans (vgl. notarieller Kaufvertrag, Bl. 12 GA).

Folglich gehört der Stellplatz unabhängig davon, ob und wie er von der Beklagten tatsächlich genutzt wird, zur der von ihr bewohnten Eigentumswohnung. Hierfür ist die Hälfte des von den Parteien in erster Instanz mit 30,00 € pro Monat unstreitig gestellten Mietwertes zu veranschlagen, also ein Betrag von 15,00 € monatlich.

Damit errechnet sich insgesamt eine von der Beklagten geschuldete monatliche Nutzungsentschädigung von insgesamt 277,59 € (262,59 € + 15,00 €). Für den hier maßgeblichen Zeitraum von 70 Monaten (von Dezember 2016 bis September 2022 einschließlich) sind das 19.431,30 €.

b)

Hiervon abzuziehen sind die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Ansprüche in Höhe von insgesamt 12.675,63 €.

Dieser Betrag setzt sich aus den folgenden Positionen zusammen:

aa)

Die von der Beklagten beglichenen Beerdigungskosten und weitere Nachlassverbindlichkeiten, §§ 1967, 1968 BGB, sind in Höhe von 8.410,24 € nunmehr unstreitig.

Insoweit handelt es sich um die von dem erstinstanzlichen Gericht berücksichtigten Positionen von insgesamt 8.192,21 € für Beerdigungskosten, 54,30 € für Taxikosten, 19,73 € Kosten für Kompressionsstrümpfe und 144,00 € verauslagte Kosten für ein Geschenk für den Arzt J. (s. dazu erstinstanzliches Urteil S. 20).

Soweit die Beklagte nunmehr höhere Beerdigungskosten von 9.474,11 € geltend macht (vgl. hierzu: Berufungserwiderung, Bl. 731 GA), sind diese nicht weiter belegt worden. Im Übrigen kann die Beklagte hiermit nicht gehört werden, da sie selbst keine Anschlussberufung eingelegt hat.

bb)

Der Pflichtteilsanspruch der Beklagten als Ehefrau des Erblassers ist mit einem Betrag von 4.265,39 € anzusetzen.

Die Höhe dieses für den Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 II 1, 2317 BGB anzusetzenden Betrages ist zwischen den Parteien unstreitig (vgl. dazu: Bl. 660, 732 GA)

cc)

Dies ergibt die folgende Berechnung:

Ansprüche des Klägers:

  • Verkauf Wohnwagen 2.900,00 €
  • Auflösung Girokonto 697,26 €
  • Nutzungsentschädigung 19.431,30 €
  • Insgesamt 23.028,56 €
  • Ansprüche der Beklagten:
  • Pflichtteil 4.265,39 €
  • Beerdigungskosten 8.410,24 €
  • Insgesamt 12.675,63 €

Gesamtberechnung

  • Ansprüche Kläger 23.028,56 €
  • Ansprüche Beklagte -12.675,63 €
  • Insgesamt 10.352,93 €

Danach hat der Kläger einen Anspruch in Höhe von 10.352,93 € gegen die Beklagte. Nach Abzug der bereits von dem Landgericht zugesprochenen 1.421,63 € ergibt das den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 8.931,30 €.

dd)

Die mit dem Berufungsantrag zu 2. beantragten Rechtshängigkeitszinsen, § 291 BGB, konnten erst ab dem 23.05.2022 bzw. für die erst danach geschuldeten Nutzungsentschädigungen erst ab dem jeweiligen Fälligkeitsdatum zugesprochen werden. Der Kläger hat erstmalig in seiner Berufungsbegründung hinreichend klargestellt, dass der Klageanspruch insgesamt auch auf die anteilige Nutzungsentschädigung „bis heute“ gestützt werde (vgl. Bl. 658 GA). Damit ist der nun zugesprochene Betrag, der letztendlich aus der Höhe der nun geltend gemachten, weiteren Nutzungsentschädigungen resultiert, erst mit Zustellung dieses Schriftsatzes am 23.05.2022 (Bl. 662a GA) rechtshängig geworden. Zinsen für die geschuldeten weiteren Entschädigungen konnten somit erst ab dem 24.05.2022 und für die Monate Juni 2022 bis September 2022 erst ab dem jeweiligen Fälligkeitsdatum zugesprochen werden. Hinsichtlich der jeweiligen Fälligkeit hat sich der Senat an der mietrechtlichen Regelung des § 556b I BGB orientiert.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 92 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die dafür maßgeblichen Voraussetzungen des § 543 II 1 ZPO nicht vorliegen. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die auf Vorgaben einer gefestigten Rechtsprechung beruht. Die Rechtssache besitzt weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

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