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Voraussetzungen für Vertretung im Erbscheinerteilungsverfahren

Oberlandesgericht Bremen – Az.: 5 W 27/21 – Beschluss vom 14.09.2021

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1.) wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Bremen vom 18.05.2021 aufgehoben und an das Nachlassgericht zurückverwiesen. Das Nachlassgericht wird angewiesen, den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1.) vom 16.11.2020 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Von der Erhebung von Kosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe

I.

Der in einer Pflegeeinrichtung verstorbene Erblasser hat seine Ehefrau und seine Tochter hinterlassen. Die Ehefrau – die Beteiligte zu 2.) – leidet ausweislich eines Attestes vom 30.04.2020 an einer Parkinson-Demenz (ICD G21.1) und ist nach einer ärztlichen Stellungnahme vom 24.08.2021 deswegen nicht mehr geschäftsfähig. Die Ehefrau hatte am 22.03.2013 eine schriftliche Vorsorgevollmacht errichtet, in der sie den Erblasser, ersatzweise ihre Tochter – die Beteiligte zu 1.) – u.a. dahingehend bevollmächtigt hatte, sie gegenüber Gerichten bei allen denkbaren Anträgen und Verfahrenshandlungen zu vertreten. Nach ihrem weiteren Inhalt sollte die Vollmacht eine rechtliche Betreuung ersetzen. Gestützt auf diese Vollmacht und ein von dem Erblasser gemeinsam mit der Beteiligten zu 2.) verfasstes gemeinschaftliches Testament errichtete die Beteiligte zu 1.) am 16.11.2020 vor einem Notar in Vollmacht für die Beteiligte zu 2.) einen Erbscheinsantrag, ausweislich dessen der Erblasser von der Beteiligten zu 2.) als seiner alleinigen Erbin beerbt worden ist. Die hierzu notwendige eidesstattliche Versicherung gab die Beteiligte zu 1.) ebenfalls in der Urkunde ab.

Die Rechtspflegerin des Nachlassgerichts wies durch Verfügung vom 14.12.2020 darauf hin, dass dem Erbscheinsantrag u.a. deswegen nicht entsprochen werden könne, weil eine Stellvertretung bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gem. § 352 FamFG nicht zulässig sei, denn dabei handele es sich um eine Wissenserklärung. Nachdem die Beteiligte zu 1.) zunächst die Einrichtung einer Betreuung in Aussicht stellte, begehrte sie später eine rechtsmittelfähige Entscheidung.

Mit Beschluss vom 18.05.2021 lehnte das Nachlassgericht den Erlass des Erbscheins ab. Zwar sei bei der Antragstellung im Erbscheinsverfahren durchaus eine Stellvertretung zulässig, doch gelte dies nicht für die nach § 352 Abs. 3 S. 3 FamFG erforderliche eidesstattliche Versicherung. Wenn der Erbe nicht mehr in der Lage sei, die Eidesstattliche Versicherung abzugeben, könne dies durch den gesetzlichen Vertreter oder einen Vorsorgebevollmächtigten (OLG Celle, Beschl. v. 20.06.2018, 6 W 78/18) geschehen. Ob die Beteiligte zu 2.) nicht mehr in der Lage sei, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, sei nicht dargetan; die vorliegende Vorsorgevollmacht sei lediglich in maschinenschriftlicher Form abgefasst und nicht notariell beurkundet oder beglaubigt, so dass die Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2.) für den Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde nicht geprüft worden sei und auch ihre Urheberschaft zweifelbehaftet sei.

Gegen diesen Beschluss, der dem Notar am 27.05.2021 durch Zustellung bekannt gemacht worden ist, wendet sich dieser für die Beteiligte zu 1.) mit seiner am 25.06.2021 beim Nachlassgericht eingegangenen Beschwerde. Die Beteiligte zu 2.) könne die eidesstattliche Versicherung selbst nicht mehr abgeben, weil sie nicht mehr geschäftsfähig sei. In solchen Fällen lasse die Rechtsprechung (OLG Celle, OLG Düsseldorf) die Stellvertretung durch einen Vorsorgebevollmächtigten zu. Die Formbedenken des Nachlassgerichts seien rechtlich nicht tragfähig, weil die Vollmacht gem. § 167 Abs. 2 BGB nicht der Form bedürfe, die das in Stellvertretung abzuschließende Rechtsgeschäft erfordere. Mit nicht näher begründetem Beschluss vom 6.07.2021 hat das Nachlassgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und das Beschwerdeverfahren dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und gem. §§ 59 Abs. 1, 61 Abs. 1, 63 Abs. 1 FamFG zulässige Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als es zur Zurückverweisung der Sache an das Nachlassgericht gem. 69 Abs. 1 S. 3 FamFG führt.

Das Nachlassgericht darf die Erbscheinserteilung nicht mit der bisher gegebenen Begründung verweigern.

Soweit das Nachlassgericht – soweit erkennbar – erstmals im Beschluss vom 18.05.2021 beanstandet hat, dass die Beteiligte zu 1.) nicht dargelegt habe, dass ihre Mutter nicht mehr in der Lage sei, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, hätte es das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf rechtliches Gehör geboten, diesen Mangel schon vor Erlass der Entscheidung zu rügen, denn damit wäre der Beteiligten zu 1.) die Möglichkeit eröffnet worden, diesen – wie das weitere Vorbringen im Beschwerdeverfahren belegt – ohne weiteres behebbaren Mangel zu beseitigen. Auf diesen Punkt bezieht sich aber die Verfügung des Gerichts vom 14.12.2020 überhaupt nicht.

Soweit das Nachlassgericht offenbar beanstanden will, die – in beglaubigter Abschrift – vorgelegte maschinenschriftliche Vorsorgevollmacht des Erblassers vom 22.03.2013 sei ungeeignet, vermag auch das die Entscheidung nicht zu tragen. Nach § 10 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 FamFG können sich Beteiligte im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, soweit – wie hier – die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht geboten ist, durch einen volljährigen Familienangehörigen vertreten lassen. Demgemäß ist die 1968 geborene Beteiligte zu 1.) postulationsfähig.

Hinsichtlich der von ihr beizubringenden Verfahrensvollmacht verlangt § 11 S.1 FamFG die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht. „Schriftlich“ bedeutet indes nicht, wie das Nachlassgericht zu meinen scheint, eigenhändig geschrieben, sondern erfordert (nur) die eigenhändige Unterschrift unter einer z.B. maschinenschriftlich abgefassten Urkunde (vgl. § 126 Abs. 1 BGB). Für die Annahme, dass die Unterschrift unter der Vorsorgevollmacht etwa nicht eigenhändig von der Beteiligten zu 2.) unter die Vollmachtsurkunde gesetzt worden sein könnte, gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte; im Gegenteil spricht der Augenschein in Bezug auf die in der Testamentsakte befindliche Urschrift des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute für eine Unterschriftsidentität. Selbst wenn das Nachlassgericht insoweit Bedenken gehabt haben sollte, wäre es wiederum aus Gründen der Notwendigkeit der Gewährung rechtlichen Gehörs geboten gewesen, diese vor der Entscheidung zu offenbaren. Auch die Vorschriften des Erbscheinsverfahrens (§§ 352 ff. FamFG) sehen keine strengere Form vor; abgesehen davon weist die Beschwerde insoweit zutreffend auf § 167 Abs. 2 BGB hin. Den in diesem Zusammenhang – ebenfalls erstmals – geäußerten Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit der Vollmachtgeberin fehlt es ebenfalls an einer tragfähigen Grundlage. Abgesehen davon, dass es schon recht weit hergeholt scheint, aus im Jahre 2020 festgestellten Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit der Beteiligten zu 2.) für das Jahr der Vollmachterteilung (2013) Rückschlüsse zu ziehen, gilt gem. § 2229 BGB der Grundsatz, dass die Geschäftsfähigkeit der Regelfall, deren Fehlen aber die Ausnahme ist.

Mithin verbleibt die – vom Senat bejahte – Frage, ob die zulässige Stellvertretung der Beteiligten zu 2.) durch die Beteiligte zu 1.) im Verfahren auf Erteilung des Erbscheins auch die Möglichkeit umfasst, die nach § 352 Abs. 3 S. 3 FamFG notwendige eidesstattliche Versicherung abzugeben.

Dabei ist im Grundsatz davon auszugehen, dass nach allgemeiner Ansicht die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (i.S.v. § 352 Abs. 3 S. 3 FamFG) nicht durch einen gewillkürten Vertreter erfolgen kann (vgl. Staudinger/Herzog (2016) BGB § 2353 Rn. 210; Mayr in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2353 Rn. 17 m.w.N; Harders in: Bumiller/Harders/Schwamb, FamFG, 12. Aufl., § 352 Rn. 23). Anders ist es indes bei der gesetzlichen Vertretung; hier kann der gesetzliche Vertreter die eidesstattliche Versicherung selbst, also nicht für den Vertreten, erklären (vgl. Gierl in: Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl., § 352 FamFG Rn. 34 m.w.N.).

In Literatur und Rechtsprechung ist streitig, ob die eidesstattliche Versicherung durch einen Vorsorgebevollmächtigten erklärt werden kann (dafür: OLG Celle, Beschl. v. 20.06.2018, 6 W 78/18; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.04.2018, 25 Wx 68/17; Harders, a.a.O.; Staudinger/Herzog a.a.O.; Mayr, a.a.O.; Fröhler in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl., § 352 FamFG Rn. 20; Palandt/Weidlich, 80. Aufl. § 2353 Rn. 30; Litzenburger, ZEV 2004, 450 ff.) oder ob es notwendig ist, zu diesem Zweck einen Betreuer als gesetzlichen Vertreter des Betroffenen zu bestellen (Schaal in: Bahrenfuss, FamFG, 3. Aufl. 2017, § 352 Rn. 5; Zimmermann in: Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 352 Rn. 78; Griwotz in: MüKo 3. Aufl., § 352 FamFG, Rn. 94). Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Dafür streitet zum einen die vom Gesetzgeber bewusst durch die Neuregelung des § 51 Abs. 1 ZPO gestärkte Stellung des Vorsorgebevollmächtigten mittels des Grundsatzes der Subsidiarität der Betreuung, welcher besagt, dass ein Volljähriger keines Vertreters bedarf, wenn ein wirksam Bevollmächtigter seine Angelegenheiten wahrnehmen kann (vgl. BT-Drucks. 15/2494 S. 39/40). Darüber hinaus hat schon Litzenburger (a.a.O.) zutreffend darauf hingewiesen, dass der mit der eidesstattlichen Versicherung verfolgte Zweck der Schaffung einer möglichst wahrheitsgetreuen Tatsachengrundlage für die Entscheidung des Erbscheinsantrags im Regelfall zuverlässiger dadurch erreicht wird, dass ein naher Angehöriger des Antragstellers, der im Regelfall das Vertrauen des Vorsorgevollmachtgebers genießt, die Erklärung abgibt, als wenn dies durch einen vom Betreuungsgericht eingesetzten (möglicherweise Berufs-) Betreuer erfolgt. Schließlich hat zuletzt der BGH in dem ähnlichen Problemfall der von einem Geschäftsunfähigen abzugebenden Vermögensauskunft nebst Erklärung an Eides Statt (§ 802 c ZPO) deren Abgabe durch einen Vorsorgebevollmächtigten ausdrücklich zugelassen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2019 – I ZB 60/18 –, juris = NJW 2020, 1143).

Dass die vorliegende Vorsorgevollmacht auch die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung umfasst, kann angesichts ihrer Formulierung keinem ernsthaften Zweifel unterliegen.

Da das Nachlassgericht tatsächlich nicht in der Sache entschieden hat, sondern den Erbscheinsantrag im Ergebnis als unzulässig betrachtet hat, kann der Senat das Verfahren gem. § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG auch ohne entsprechenden Antrag an das Nachlassgericht zurückverweisen (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 Abs. 1 FamFG.

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