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Auskunft über Bestand eines Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses

Erbe und Nachlass: Rechtliche Konsequenzen und Auskunftspflicht

Das Gericht hat entschieden, dass der Beklagte der Klägerin, der adoptierten Tochter des verstorbenen Erblassers, detaillierte Auskunft über den Nachlass durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses geben muss. Dieses Verzeichnis soll alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Erblassers detailliert auflisten, einschließlich der in den letzten zehn Jahren getätigten Schenkungen. Der Beklagte, der als Alleinerbe eingesetzt wurde, konnte bisher keine vollständige Erfüllung dieser Auskunftspflicht nachweisen.

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Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Auskunftsanspruch: Die Klägerin hat als adoptierte Tochter des Erblassers einen rechtlichen Anspruch auf Auskunft über den Nachlass.
  2. Notarielles Nachlassverzeichnis: Der Beklagte ist verpflichtet, ein detailliertes notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen.
  3. Inhalt des Nachlassverzeichnisses: Das Verzeichnis muss genaue Angaben zu Vermögenswerten, Verbindlichkeiten und Schenkungen enthalten.
  4. Pflichtteilsanspruch: Der Auskunftsanspruch dient der Klärung des Pflichtteilsanspruchs der Klägerin.
  5. Fristsetzungen und Verzögerungen: Der Beklagte hat Fristen zur Vorlage des Verzeichnisses nicht eingehalten, was jedoch teilweise auf externe Umstände zurückzuführen ist.
  6. Relevanz von Schenkungen: Schenkungen des Erblassers innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod sind für die Berechnung des Pflichtteils relevant.
  7. Verantwortung des Beklagten: Es wird geprüft, inwiefern der Beklagte für die Verzögerungen verantwortlich ist.
  8. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

In der juristischen Welt ist die Klärung des Nachlasses und der damit verbundenen Rechtsfragen von großer Bedeutung. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Berechnung eines eventuellen Pflichtteils geht. Im Folgenden wird ein konkretes Urteil dargelegt, das sich mit der Auskunft über den Bestand eines Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses befasst.

Der Streit um das notarielle Nachlassverzeichnis

In einem bedeutsamen Fall vor dem Landgericht Dessau-Roßlau ging es um die Verpflichtung zur Auskunft über den Nachlass des verstorbenen Erblassers P. Sch. Die Klägerin, adoptierte Tochter des Erblassers, forderte vom Beklagten, dem eingesetzten Alleinerben und Neffen des Verstorbenen, die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Dieses sollte detaillierte Angaben zu allen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten des Erblassers enthalten. Die Forderung nach einem solchen Verzeichnis resultierte aus dem Anspruch der Klägerin, ihren Pflichtteil am Erbe zu ermitteln.

Der Hintergrund des rechtlichen Konflikts

Die rechtliche Auseinandersetzung begann, als die Klägerin nach dem Tod des Erblassers im Jahr 2020 einen Anspruch auf ihren Pflichtteil anmeldete. Der Erblasser hatte in seinem Testament von 2014 den Beklagten als Alleinerben benannt. Die Klägerin, als Adoptivtochter aus der Erbfolge ausgeschlossen, forderte zur Berechnung ihres Pflichtteils ein detailliertes Nachlassverzeichnis. Der Beklagte legte zunächst einen Entwurf eines solchen Verzeichnisses vor, der jedoch nicht den Anforderungen an ein notarielles Verzeichnis entsprach. Weiterhin war strittig, ob die Klägerin Auskunft über empfangene Schenkungen des Erblassers geben müsse, was sie teilweise verneinte.

Der juristische Kern des Falles

Das rechtliche Problem in diesem Fall lag in der Frage, inwieweit der Beklagte verpflichtet ist, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen, und ob die Klägerin ihrerseits Auskünfte über erhaltene Schenkungen erteilen muss. Der § 2314 BGB regelt den Auskunftsanspruch im Erbrecht und verlangt die Offenlegung aller relevanten Informationen, um den Pflichtteil berechnen zu können. Die Klägerin argumentierte, dass für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses keine Auskunft über eigene Geschenke nötig sei, es sei denn, es stünden Schenkungen an Dritte im Raum, die einen Pflichtteilsergänzungsanspruch begründen könnten.

Die Entscheidung des Gerichts und deren Begründung

Das Gericht gab der Klage statt und verurteilte den Beklagten zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Es stellte fest, dass der Beklagte bislang seinen Auskunftsverpflichtungen nicht nachgekommen war. Obwohl der Beklagte argumentierte, dass eine vollständige Vorlage des Verzeichnisses durch die unvollständigen Auskünfte der Klägerin zu Schenkungen nicht möglich sei, sah das Gericht keinen Grund, warum dies die Verpflichtung zur Vorlage des Verzeichnisses beeinflussen sollte. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wurde auf Grundlage des § 709 S. 1 ZPO getroffen.

Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung eines detaillierten und notariell beglaubigten Nachlassverzeichnisses im Erbrecht, insbesondere wenn es um die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen geht. Es zeigt auch, dass die Auskunftspflichten im Erbrecht umfassend sind und die Erben zu einer transparenten Offenlegung aller relevanten Vermögenswerte verpflichtet sind. Mit diesem Urteil wird ein weiterer Schritt in Richtung einer klaren und gerechten Regelung in Erbstreitigkeiten gemacht.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was beinhaltet ein notarielles Nachlassverzeichnis und warum ist es im Erbrecht von Bedeutung?

Ein notarielles Nachlassverzeichnis ist ein amtliches Verzeichnis, das einen Überblick über sämtliche Vermögenswerte (Aktiva) und Schulden (Passiva) des Verstorbenen bietet. Es wird auch als Nachlassinventar bezeichnet.

Im Erbrecht ist das notarielle Nachlassverzeichnis von großer Bedeutung, insbesondere für Pflichtteilsberechtigte, die oft den Umfang des Nachlasses nicht kennen. Sie benötigen diese Kenntnis, um ihren Pflichtteilsanspruch beziffern zu können. Das notarielle Nachlassverzeichnis bietet eine höhere Richtigkeitsgewähr als ein privat vom Erben erstelltes Verzeichnis.

Die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses erfordert umfangreiche Ermittlungen durch den Notar. Der Notar darf sich nicht allein auf die Angaben des Erben verlassen, sondern muss eigene Nachforschungen anstellen, um sich Gewissheit vom Bestand des Nachlasses zu verschaffen. Dies kann beispielsweise die Anfrage von Bankguthaben, Wertpapierdepots und möglichen Steuerrückerstattungen bei Banken und Finanzbehörden beinhalten.

Die Kosten für ein notarielles Nachlassverzeichnis richten sich nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) und hängen vom Wert des Nachlasses ab.

Die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Ein angemessener Zeitraum wird oft mit 3 bis 4 Monaten angegeben, aber es kann auch bis zu einem Jahr dauern, bis ein vollständiges notarielles Nachlassverzeichnis erstellt worden ist.

In bestimmten Ausnahmefällen kann der Erbe die Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses umgehen, beispielsweise wenn der Nachlass nicht ausreicht, um die Gebühren des Notars zu begleichen.

Trotz der Kosten kann ein notarielles Nachlassverzeichnis Vorteile für die Erben haben, da es in puncto Haftung vorteilhafter ist. Zudem kann die Pflicht zur Vorlage eines Nachlassverzeichnisses gerichtlich durchgesetzt werden.

Inwiefern bestimmt der Pflichtteil im Erbrecht die Ansprüche von nicht erbenden Abkömmlingen?

Der Pflichtteil im Erbrecht sichert bestimmten nahestehenden Personen, wie Abkömmlingen, Ehegatten und Eltern des Erblassers, auch dann einen Mindestanteil am Nachlass, wenn sie durch Testament oder Erbvertrag von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

Für nicht erbende Abkömmlinge, also Kinder, die vom Erblasser enterbt wurden, bedeutet dies, dass sie trotz Enterbung einen Anspruch auf den Pflichtteil haben. Dieser Anspruch entsteht mit dem Tod des Erblassers und ist ein reiner Geldanspruch. Der Pflichtteil kann auch nicht durch Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten umgangen werden, da es einen sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch gibt, der Schenkungen des Erblassers bis zu zehn Jahre vor seinem Tod berücksichtigt.

Entferntere Abkömmlinge, wie Enkel, sind nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn sie anstelle eines vorverstorbenen oder enterbten Abkömmlings in die Erbfolge nachrücken würden. Das bedeutet, dass ein Enkel beispielsweise dann einen Pflichtteilsanspruch hat, wenn sein Elternteil (der Kind des Erblassers ist) enterbt wurde und ihm der Pflichtteil wirksam entzogen wurde.

Die Pflichtteilsansprüche verjähren in der Regel nach drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem der Anspruchsberechtigte von dem Erbfall und der ihn beeinträchtigenden Verfügung Kenntnis erlangt hat.

Zusammenfassend bestimmt der Pflichtteil die Ansprüche von nicht erbenden Abkömmlingen, indem er ihnen trotz Enterbung einen gesetzlich festgelegten Mindestanteil am Nachlass des Erblassers zusichert.

Welche Rolle spielen Schenkungen des Erblassers bei der Ermittlung des Pflichtteils?

Schenkungen des Erblassers spielen eine wichtige Rolle bei der Ermittlung des Pflichtteils. Der sogenannte Pflichtteilsergänzungsanspruch verhindert, dass Erblasser die Pflichtteilsansprüche von pflichtteilsberechtigten Personen durch lebzeitige Schenkungen umgehen können.

Gemäß § 2325 BGB entsteht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch, wenn der Pflichtteilsberechtigte von einer Schenkung des Verstorbenen erfährt. Üblicherweise werden Schenkungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers erfolgten, dann für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs berücksichtigt.

Der Wert der verschenkten, aber selbstgenutzten oder gewinnbringenden Immobilie ist voll bei der Berechnung der Pflichtteilsergänzung im Erbfall zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Schenkung sehr weit – 30 Jahre und mehr – zurückliegt.

Bei Schenkungen an den Ehegatten gibt es sogar keine Begrenzung auf 10 Jahre: Hier werden sämtliche Schenkungen und Zuwendungen während der Ehezeit zu Gunsten des Pflichtteilsanspruchs berücksichtigt.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch wird nur dann durch Schenkungen gekürzt, wenn ein geringerer Wert als zum Zeitpunkt der Schenkung bei der Berechnung zugrunde gelegt wird.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch dem Berechtigten das Recht gibt, von den Erben Auskunft zu verlangen über sämtliche Schenkungen, die der Erblasser in den letzten 10 Jahren vor seinem Tode ausgereicht hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schenkungen des Erblassers eine wichtige Rolle bei der Ermittlung des Pflichtteils spielen und dass der Gesetzgeber Mechanismen eingeführt hat, um zu verhindern, dass Erblasser durch Schenkungen die Pflichtteilsansprüche umgehen können.

Wie wird der Bestand eines Nachlasses erfasst und welche rechtlichen Konsequenzen ergeben sich daraus?

Erfassung des Nachlasse

Der Bestand eines Nachlasses wird durch die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses erfasst. Dieses Verzeichnis beinhaltet eine detaillierte Aufstellung aller Vermögenswerte (Aktiva) und Schulden (Passiva) des Verstorbenen. Erben sind dazu verpflichtet, ein solches Verzeichnis zu erstellen, wenn sie von einer berechtigten Person oder Institution dazu aufgefordert werden. Die Erstellung kann privat erfolgen oder durch einen Notar, wobei das notarielle Nachlassverzeichnis eine höhere Richtigkeitsgewähr bietet.

Rechtliche Konsequenzen

  • Haftung des Erben: Rechtlich tritt der Erbe in die Fußstapfen des Erblassers und übernimmt damit auch dessen Verbindlichkeiten. Die Haftung des Erben ist grundsätzlich unbeschränkt, was bedeutet, dass er auch mit seinem privaten Vermögen für die Schulden des Nachlasses haftet. Es gibt jedoch Möglichkeiten, diese Haftung auf den Nachlass zu beschränken, beispielsweise durch die Beantragung einer Nachlassverwaltung oder eines Nachlassinsolvenzverfahrens.
  • Pflichtteilsansprüche: Das Nachlassverzeichnis ist insbesondere für Pflichtteilsberechtigte von Bedeutung, da sie auf dieser Grundlage ihren Anspruch beziffern können. Pflichtteilsberechtigte haben einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses und können die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses verlangen.
  • Auskunfts- und Wertermittlungspflicht: Erben sind verpflichtet, den Pflichtteilsberechtigten Auskunft über den Nachlass zu erteilen und ein Nachlassverzeichnis zu erstellen. Dieses muss alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls beinhalten.
  • Berücksichtigung von Schenkungen: Bei der Ermittlung des Pflichtteils müssen auch Schenkungen des Erblassers berücksichtigt werden. Schenkungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers erfolgten, werden in die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs einbezogen.
  • Verantwortung für die Richtigkeit: Erben, die ein Nachlassverzeichnis erstellen, tragen die Verantwortung für dessen Richtigkeit. Fehler und Nachlässigkeiten können große Folgen haben und zu finanziellen Konsequenzen führen.
  • Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft: In Fällen, in denen mehrere Erben vorhanden sind, dient das Nachlassverzeichnis als Grundlage für die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft. Es ermöglicht eine faire Verteilung des Nachlasses unter den Erben.

Zusammenfassend ist die Erfassung des Nachlasses durch ein Nachlassverzeichnis ein wesentlicher Schritt im Erbfall, der sowohl für die Haftung des Erben als auch für die Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen und die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft rechtliche Konsequenzen hat.


Das vorliegende Urteil

LG Dessau-Roßlau – Az.: 4 O 344/21 – Teilurteil vom 22.07.2022

1. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Bestand des Nachlasses des am #.#.2020 verstorbenen Erblassers P. Sch. durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses Auskunft zu erteilen, das im Einzelnen unter Angabe der genauen Bezeichnung sowie aller wertbildenden Faktoren der betreffenden Gegenstände und Forderungen sowie im Falle eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensbeteiligung zusätzlich unter Vorlage der entsprechenden Belege umfasst:

a) Alle beim Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen,

b) alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten,

c) alle Schenkungen, einschließlich gemischter Schenkungen die der Erblasser innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Todesfall an den Erben oder Dritte getätigt hat.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 € vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht im Wege der Stufenklage Auskunfts-, Pflichtteils- und gegebenenfalls Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.

Die Klägerin ist die adoptierte Tochter des Erblassers, der am #.#.2020 verstorben ist. In seinem Testament vom #.#.2014 hat der Erblasser seinen Neffen, den Beklagten, als Alleinerben eingesetzt. Mit Anwaltschreiben vom 22.07.2020 forderte die Klägerin den Beklagten unter Fristsetzung bis zum 12.08.2020 zur Vorlage eines Nachlassverzeichnisses auf. In dem Schreiben war ausgeführt: „Gegenwärtig gehen wir davon aus, dass ein schriftliches Nachlassverzeichnis mit entsprechenden Belegen ausreichend sein wird, um die Ansprüche unserer Mandantin prüfen zu können“. Wegen der Einzelheiten dieses Anschreibens wird auf die Anlage K5, Bl. 15 der Akten Bezug genommen. Mit Schreiben vom 30.09.2020 übermittelte der Beklagte den Entwurf eines Nachlassverzeichnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K6, Bl. 17 der Akten Bezug genommen. Zudem wurde die Klägerin durch den Beklagten aufgefordert, für die abschließende Erstellung des Nachlassverzeichnisses Auskunft zu erteilen, ob und gegebenenfalls wann und in welcher Höhe die Klägerin innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Todestag Schenkungen vom Erblasser erhalten hat. Mit Schreiben vom 14.11.2020 (Anlage K7, Bl. 20 der Akten) reichte der Beklagte nach mittlerweile erfolgter Erteilung des Erbscheines weitere Auskünfte nach. Mit Anwaltsschreiben vom 02.12.2020 (Anlage K8; Bl. 21 der Akten) wurde der Beklagte unter Fristsetzung bis zum 30.12.2020 aufgefordert, ein notarielles Nachlassverzeichnis vorzulegen. Am 18.04.2020 (Anlage K9; 24 der Akten) teilte der Beklagte mit, das Notariat der Streitverkündeten mit der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses beauftragt zu haben. Auf Anfrage des Beklagten mit Schreiben vom 17. Februar 2021 teilte dieses per E-Mail vom 25.02.2021 mit, dass die Fertigstellung des Nachlassverzeichnisses noch „einige Zeit“ in Anspruch nehmen werde. Der Beklagte korrespondierte weiterhin, um das Notariat zur zeitnahen Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zu veranlassen. Wegen der einzelnen Anschreiben wird auf die Anlagen B7 und B8 sowie B9-B12 (Bl. 71,73,78ff. d.A.) Bezug genommen. Im Rahmen des Schriftsatzes vom 15.07.2022 legt der Beklagte den Entwurf eines notariellen Nachlassverzeichnisses vom 12.07.2022 (B 23) vor. Hinsichtlich der vom Beklagten geforderten Auskunft betreffend pflichtteilsrelevanter Schenkungen hatte die Klägerin mit Schreiben vom 05.01.2021 Teilauskunft dahingehend erteilt, dass sie innerhalb der letzten zehn Lebensjahre vor dem Tod des Erblassers keine ausgleichspflichtigen Schenkungen erhalten habe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 05.01.2021 (Anlage B2; Bl. 64 der Akten) Bezug genommen. Zudem ergänzt die Klägerin im Rahmen des Schriftsatzes vom 11.11.2021 (Bl. 89 der Akten), dass sie vom Erblasser im Zeitraum von 2008-2010 zu Weihnachten und zum Geburtstag eine finanzielle Zuwendung von jeweils 100 € erhalten habe. Dessen ungeachtet vertritt sie die Auffassung, dass der Beklagte für die Erstellung des Nachlassverzeichnisses nach § 2314 BGB der Auskunft der Klägerin über Eigengeschenke nicht bedürfe. Eine solche Auskunft komme nur dann in Betracht, wenn feststehe, dass der Erblasser Dritten Zuwendungen gemacht habe, die einen Pflichtteilergänzungsanspruch begründeten; derartige Ansprüche seien allerdings nicht verfahrensgegenständlich.

Die Klägerin beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin über den Bestand des Nachlasses des am #.#.2020 verstorbenen Erblassers P. Sch. durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses Auskunft zu erteilen, das im Einzelnen unter Angabe der genauen Bezeichnung sowie aller wertbildenden Faktoren der betreffenden Gegenstände und Forderungen sowie im Falle eines Unternehmens bzw. einer Unternehmensbeteiligung zusätzlich unter Vorlage entsprechender Belege umfasst:

a) Alle beim Erbfall vorhandenen Sachen und Forderungen,

b) alle beim Erbfall vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten,

c) alle gemäß § 2325-BGB-Schenkungen einschließlich gemischter Schenkungen, die der Erblasser innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Todesfall an den Erben oder Dritte getätigt hat.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, er habe im Rahmen seiner Möglichkeiten alles veranlasst, um dem Anspruch der Klägerin auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu entsprechen. Er meint weiterhin, dass die vollständige Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses deshalb nicht möglich sei, weil die Auskünfte der Klägerin zu pflichtteilsrelevanten Schenkungen unvollständig und widersprüchlich seien. Der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sei daher nicht fällig.

Wegen des Parteienvorbringens im Übrigen wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Auskunftsstufe auch begründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am #.#.2020 verstorbenen P. Sch. durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 BGB.

1. Der Auskunftsanspruch gemäß § 2314 BGB dient der Vorbereitung des Zahlungsanspruches und bezweckt die Offenlegung der Berechnungsfaktoren, damit der Pflichtteilsanspruch beziffert werden kann. Der Auskunftsanspruch steht jedem Pflichtteilsberechtigten zu, der nicht Erbe geworden ist und der sich so zur Durchsetzung seiner Rechte notwendige Kenntnisse über den Bestand und den Wert des Nachlasses verschaffen muss. Der Auskunftsanspruch ist auf die Weitergabe von Wissen gerichtet, das der Verpflichtete hat oder sich verschaffen muss. Die Klägerin ist Adoptivtochter des Erblassers. Der Erblasser hat den Beklagten mit letztwilliger Verfügung, datiert auf den #.#.2014, als Alleinerben benannt. Mithin hat die Klägerin lediglich einen Anspruch auf Zahlung eines Pflichtteils. Gemäß § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen wurde, von den Erben den Pflichtteil verlangen. Abkömmlinge des Erblassers sind gemäß § 1924 Abs. 1.Satz 1 BGB gesetzliche Erben des Erblassers. Auch eine Adoption – wie im vorliegenden Falle – begründet eine gesetzliche Erbenstellung erster Ordnung. § 2314 BGB gewährt den Auskunftsanspruch in verschiedenen Stufen. Ein notarielles Verzeichnis kann der Berechtigte auch nach Erstellung eines privatschriftlichen Verzeichnisses noch verlangen. Er muss sich mit der Erstellung des privatschriftlichen Verzeichnisses nicht begnügen.

2. Der der Klägerin zustehende notarielle Auskunftsanspruch ist bislang von dem Beklagten nicht im Sinne des § 362 Abs.1 BGB erfüllt worden.

Eine Bewirkung der geschuldeten Leistung durch den Beklagten kann nicht festgestellt werden.

a) Die Klägerin hat den Beklagten erstmalig mit Schriftsatz vom 02.12.2020 zur Vorlage eines notariellen Verzeichnisses unter Fristsetzung bis zum 30.12.2020 aufgefordert. Im Rahmen des Schriftsatzes vom 15.07.2022 hat der Beklagte den Entwurf eines notariellen Nachlassverzeichnisses vom 12.07.2022 vorgelegt. Wegen des Entwurfscharakters kommt eine Erfüllung der Auskunftspflicht im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Somit ist festzustellen, dass die Vorlage einer abschließenden notariellen Auskunft derzeit nicht vorliegt. In der Praxis wird davon ausgegangen, dass auch bei komplexen Nachlässen für jeden Erben und unabhängig von dessen Vertrautheit mit den erblasserseitigen Vermögensverhältnissen für die privatschriftliche Vorlage des Nachlassbestandes eine Höchstfrist von einem Monat anzunehmen ist. Bei notariellen Verzeichnissen gilt in der Regel eine Frist von höchstens vier Monaten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.02.2020, Az. 7 W 92/19). Allerdings ist zu bedenken, dass ein Schuldner dann nicht in Verzug kommt, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat, § 286 Abs.4 BGB. Er ist für die Verzögerung der Leistung dann verantwortlich, wenn sie auf Gründen beruht, die in seinen Risikobereich fallen. Im vorliegenden Falle fällt die verzögerte Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses nicht in den Risikobereich des Beklagten. Die Rechtfertigung für den Anspruch auf Vorlage eines notariellen Verzeichnisses ist die Überlegung, dass das durch einen Notar erstellte Verzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten die Gewährung höherer Richtigkeit begründet, weil der Notar um vollständige und wahrheitsgemäße Angaben bemüht sein wird und sein Verzeichnis Klarheit und Übersichtlichkeit erwarten lässt (Grüneberg, BGB, § 2314 Rn. 6 unter Hinweis auf BGH NJW 61, 602). Basierend auf dieser durch besondere Seriosität, Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit gekennzeichneten Position des Notars durfte sich der Beklagte darauf verlassen, dass der Notar die in der Praxis mit maximal vier Monaten angenommene Höchstfrist für die Fertigstellung des Verzeichnisses einhalten oder für den Fall, dass dies aus geschäftlichen Gründen nicht möglich sein würde, den Beklagten an ein anderes Notariat weiter verweisen würde. Im Ergebnis kann daher die ausweislich der vorliegenden Korrespondenz im Geschäftsbereich des Notariats begründete, verzögerte Fertigstellung des Verzeichnisses nicht dem Risikobereich des Beklagten zugeordnet werden.

b) Dennoch hätte für den Beklagten die Möglichkeit bestanden, den Anspruch der Klägerin durch Abgabe eines prozessualen Anerkenntnisses gemäß § 93 ZPO und einer darin liegenden Bestätigung des Auskunftsanspruches der Klägerin im Sinne der Feststellung einer bestehenden Verpflichtung gemäß § 781 BGB Genüge zu tun und somit das ihm Mögliche zur Erfüllung des Anspruches der Klägerin beizutragen. Dass eine Auskunftspflicht des Beklagten durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses dem Grunde nach gemäß § 2314 BGB besteht, ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Der Fälligkeit des Auskunftsverlangens der Klägerin kann der Beklagte auch nicht einen eigenen Auskunftsanspruch hinsichtlich möglicher Schenkungen vor dem Tod des Erblassers im Sinne eines Leistungsverweigerungsrechtes entgegensetzen. Ein Auskunftsanspruch des Beklagten gemäß § 2314 BGB ist bereits deshalb nicht gegeben, weil dieser explizit auf den Nichterben zugeschnitten ist, sodass auch eine Rechtsanalogie nicht in Betracht kommt. (Vergleiche OLG München, Urteil vom 21.03.2013, 14 U 3585/12). Für den Erben kommt ein Auskunftsanspruch wegen unentgeltlicher Zuwendungen an den Pflichtteilberechtigten allenfalls auf der Grundlage des § 242 BGB in Betracht. Ein derartiger Anspruch setzt nach allgemeiner Ansicht voraus, dass es eine zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung gibt, sodass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umstand seines Rechtes im Unklaren ist und der Verpflichtete die erforderliche Auskunft unschwer geben kann (Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2019, § 260 Rn. 4). Demnach ist der Beklagte grundsätzlich berechtigt, zur Klärung pflichtteilsrelevanter Zuwendungen an die Klägerin von dieser Auskunft zu verlangen. Ungeachtet des Umstandes, ob die Klägerin zwischenzeitlich diese ihr obliegende Auskunftspflicht abschließend –zu unterscheiden von: inhaltlich richtig – erteilt hat, ist davon auszugehen, dass eine entsprechende Auskunft erst bei Geltendmachung des Pflichtteils, nicht aber bereits bei Geltendmachung des Auskunftsanspruches geschuldet ist. Selbst eine fehlende Auskunft würde kein Zurückbehaltungsrecht des Erben begründen (Grüneberg, BGB 81.A., § 2314 Rn. 5) .

Demnach ist der Beklagte unabhängig von Umfang und Richtigkeit bereits von der Klägerin erteilter Auskünfte betreffend pflichtteilsrelevanter Schenkungen zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses verpflichtet. Da der Beklagte ein entsprechend vorbehaltloses Anerkenntnis betreffend den von der Klägerin geltend gemachten Auskunftsanspruch nicht erklären wollte, war er im Rahmen der Auskunftsstufe entsprechend zu verurteilen.

II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

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