Skip to content

Ehegattentestament – Auslegung hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit von Verfügungen

Ehegattentestament: Erbrechtliche Wechselbezüge und Schlusserben im Fokus

Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigte in seinem Urteil die Wechselbezüglichkeit eines gemeinschaftlichen Ehegattentestaments, wonach die Kinder des Erblassers zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt wurden. Das Gericht verwarf die Einwände einer der Beteiligten, die eine abweichende Auslegung und Nichtbindung des Erblassers an das Testament forderte, und bestätigte, dass nachfolgende Testamente des Erblassers, die diese Regelung ändern, nicht gültig sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 14 W 111/22 (Wx)   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung der Wechselbezüglichkeit: Das OLG Karlsruhe bekräftigte die wechselbezügliche Verfügung im Ehegattentestament, wonach die Kinder zu gleichen Teilen erben.
  2. Unwirksamkeit nachfolgender Testamente: Nachfolgende Testamente des Erblassers, die von der ursprünglichen Regelung abwichen, wurden als ungültig erklärt.
  3. Keine unterschiedliche Vermögensverteilung relevant: Der Umstand, dass der Erblasser über mehr Vermögen verfügte als seine Ehefrau, beeinflusste die Wechselbezüglichkeit nicht.
  4. Gemeinschaftliches Testament bindend: Das gemeinschaftliche Testament und dessen Bestimmungen waren für den Erblasser auch nach dem Tod seiner Ehefrau bindend.
  5. Keine ergänzende Testamentsauslegung: Das Gericht sah keinen Raum für eine ergänzende Auslegung des Testaments zugunsten des pflegenden Kindes.
  6. Gleichstellung der Kinder: Alle Kinder des Erblassers wurden zu gleichen Teilen als Erben berücksichtigt.
  7. Rechtsprechung zu gemeinschaftlichen Testamenten: Das Urteil folgte etablierten Grundsätzen der Rechtsprechung zu gemeinschaftlichen Testamenten.
  8. Kostenentscheidung: Die Beschwerdeführerin wurde zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet.

Ehegattentestamente und ihre rechtlichen Feinheiten

Ehegattentestamente spielen eine zentrale Rolle im Erbrecht, insbesondere wenn es um die Bindungswirkungen und Auslegungsfragen solcher Verfügungen geht. Ein Kernaspekt dabei ist die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen, die oftmals zu rechtlichen Auseinandersetzungen führt. Diese spezielle Form des Testaments ermöglicht es verheirateten Paaren, sich gegenseitig als Erben einzusetzen und gleichzeitig Regelungen für den Nachlass nach dem Tod beider Ehepartner zu treffen. Dabei sind die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Auslegung solcher Testamente von entscheidender Bedeutung, da sie die Erbfolge und die Ansprüche der Erben maßgeblich beeinflussen.

Die Komplexität dieser Thematik wird besonders dann deutlich, wenn nachfolgende Testamente oder unterschiedliche Auffassungen über die Bindungswirkungen bestehender Verfügungen ins Spiel kommen. Das OLG Karlsruhe hat sich in einem aktuellen Fall mit genau diesen Fragen auseinandergesetzt. Dieses Urteil bietet nicht nur einen Einblick in die spezifischen Herausforderungen bei der Auslegung von Ehegattentestamenten, sondern auch in die Rechtsprechung und deren Methodik, wie solche komplizierten Sachverhalte gelöst werden. Tauchen Sie mit uns in die Details dieses faszinierenden Falles ein, um die Feinheiten des Erbrechts und die juristische Handhabung von Ehegattentestamenten besser zu verstehen.

Die Tragweite des Ehegattentestaments im Lichte des Erbrechts

Im Zentrum des Falles, über den das OLG Karlsruhe zu entscheiden hatte, steht ein Ehegattentestament, das zwischen einem verstorbenen Ehemann und seiner bereits verstorbenen Ehefrau geschlossen wurde. Die Kernfrage drehte sich um die Wechselbezüglichkeit dieses Testaments und dessen Auslegung. Das Paar hatte in ihrem gemeinschaftlichen Testament bestimmt, dass nach dem Tod des Erstversterbenden das gesamte Vermögen an den Überlebenden geht. Die Kinder sollten erst nach dem Tod beider Eltern erbberechtigt sein. Spezifisch ging es um die Immobilien und das Bankvermögen, deren Verteilung im Testament festgelegt wurde.

Konflikt und Herausforderung im Erbrecht

Die rechtliche Auseinandersetzung entzündete sich, als der Erblasser nach dem Tod seiner Frau zwei weitere Testamente verfasste. Im letzten Testament setzte er eine seiner Töchter, die ihn gepflegt hatte, als Alleinerbin ein. Dies stand im Widerspruch zum ursprünglichen Ehegattentestament, das eine gleichmäßige Verteilung des Erbes unter den drei Kindern vorsah. Die Tochter argumentierte, dass keine Wechselbezüglichkeit vorliege, da der Großteil des Vermögens vom Erblasser stammte und er in den späteren Testamenten seine Ungebundenheit betonte.

Juristische Auslegung von Ehegattentestamenten

Das OLG Karlsruhe bestätigte jedoch die wechselbezügliche Natur der im Ehegattentestament getroffenen Verfügungen. Laut Gericht waren die Verfügungen so gestaltet, dass anzunehmen sei, dass die eine Verfügung nicht ohne die andere getroffen worden wäre – ein Schlüsselkriterium für Wechselbezüglichkeit. Das Gericht wies darauf hin, dass die Eheleute zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nach langjähriger Ehe von einem gemeinsamen Vermögen ausgingen. Dies wurde durch den Wortlaut des Testaments und die Tatsache, dass die Ehefrau zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung Miteigentümerin an wesentlichen Vermögenswerten war, untermauert.

Entscheidung des OLG Karlsruhe und deren Begründung

Das Gericht lehnte eine ergänzende Testamentsauslegung ab, die es dem überlebenden Ehegatten erlaubt hätte, die Schlusserbfolge zugunsten des pflegenden Kindes zu modifizieren. Es fand keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Eheleute einen solchen Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung hatten. Das Gericht betonte, dass eine ergänzende Auslegung nur dann möglich sei, wenn sie im Testament zumindest angedeutet wird. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe bekräftigt somit die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen in Ehegattentestamenten und stellt klare Richtlinien für deren Auslegung im Kontext des Erbrechts dar.

Das Urteil führt uns eindrucksvoll vor Augen, wie wichtig die genaue Formulierung und das Verständnis der Wechselbezüglichkeit in Ehegattentestamenten sind. Es zeigt, dass selbst in Fällen, in denen ein Ehepartner nachträglich Änderungen vornehmen möchte, die ursprünglichen Verfügungen eine starke rechtliche Bindungskraft haben können. Dieser Fall verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Planung und Beratung im Bereich des Erbrechts, insbesondere wenn es um die Gestaltung von Testamenten geht.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die Wechselbezüglichkeit in einem Ehegattentestament bestimmt?

Die Wechselbezüglichkeit in einem Ehegattentestament wird durch die gegenseitige Abhängigkeit der Verfügungen der Ehegatten bestimmt. Dies bedeutet, dass die Verfügung des einen Ehegatten gerade deshalb getroffen wurde, weil auch der andere Ehegatte eine bestimmte Verfügung getroffen hat. Ein klassisches Beispiel für wechselbezügliche Verfügungen ist, wenn sich die Ehegatten gegenseitig als Erben einsetzen.

Die Wechselbezüglichkeit hat eine Bindungswirkung. Der überlebende Ehegatte ist an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und kann nicht mehr abweichend testieren, nachdem er das ihm Zugewandte angenommen hat (§ 2271 Abs. 2 BGB). Dies dient dem Schutz des Vertrauens des erstverstorbenen Ehegatten, der seine Verfügung nur im Vertrauen auf die Beständigkeit der Verfügungen des anderen getätigt hatte.

Die Wechselbezüglichkeit wird in der Regel durch die Auslegung des Testaments bestimmt. Nach § 2270 Abs. 2 BGB sind die gegenseitigen Erbeinsetzungen der Ehegatten im Zweifel als wechselbezügliche Verfügungen anzusehen. Allerdings greift diese Vermutungsregelung nicht ein, wenn die Ehegatten ausschließlich Verfügungen zugunsten Dritter getroffen haben. In einem solchen Fall ist die Frage der Wechselbezüglichkeit unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.

Die Ehegatten haben es in der Hand, im Testament zu regeln, ob eine testamentarische Verfügung wechselbezüglich sein soll. Sie könnten zum Beispiel bestimmen, dass wechselbezüglich nur die gegenseitige Erbeinsetzung ist, der Längerlebende aber berechtigt ist, die Erbquoten der Kinder nach Belieben zu ändern oder die Kinder sogar zu enterben. Wer sich auf eine Wechselbezüglichkeit beruft, trägt dafür die volle Darlegungs- und Beweislast.


Das vorliegende Urteil

OLG Karlsruhe – Az.: 14 W 111/22 (Wx) – Beschluss vom 03.01.2023

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Lörrach vom 22.09.2022, Az. 23 VI 273/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte Ziffer 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Geschäftswert wird auf 946.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Feststellung, dass seitens des Amtsgerichts die Tatsachen für festgestellt erachtet werden, wonach die Beteiligte Ziffer 1, der Beteiligte Ziffer 3 und der Beteiligte Ziffer 4 den Erblasser als Miterben zu je 1/3 beerbt haben.

Die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 3 und Ziffer 4 sind die einzigen Abkömmlinge des Erblassers und seiner Ehefrau, die am ….2004 vorverstorben ist.

Unter dem 05.11.2000 errichteten der Erblasser und seine Ehefrau in einer Urkunde ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament, in dem es heißt:

„Sollte Vati S geb. … oder Mutti S geb. … zuerst sterben, so geht das gesamte Vermögen an den Überlebenden!

Die Kinder, S geb. … G geb. … H geb. … sind erst nach dem Tode beider Eltern erbberechtigt.

S soll die Wohnung S…str. bekommen.

G und H, das Haus D..str. 19 und das Grundstück am T…!

Das Geld von der Bank ist für Grabpflege Beerdigungskosten (Stein usw. zu verwenden.

Den Rest des Geldes soll G und H für die Kinder verwenden.“

Das am 16.09.2004 vom Notariat Lörrach auf Ableben der Ehefrau und am 19.01.2022 vom Nachlassgericht eröffnete Testament, auf das verwiesen wird (Verwahrakte des Amtsgerichts – Verwahrgericht – Lörrach, 23 IV 433/22, AS 65), ist von beiden Eheleuten unterschrieben.

Am 10.08.2013 errichtete der Erblasser ein weiteres handschriftliches Testament, in dem es unter anderem heißt:

„Ich S, geboren am …, habe mit meiner verstorbenen Ehefrau ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Durch diese letztwillige Verfügung von Todes wegen bin ich nicht beschränkt…“

In diesem Testament ordnete der Erblasser unter anderem eine Testamentsvollstreckung an und bestimmte den Beteiligten Ziffer 2 zum Testamentsvollstrecker. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Testament vom 10.08.2013 Bezug genommen (Verwahrakte des Amtsgerichts – Verwahrgericht – Lörrach, 23 IV 433/22, AS 69 ff.).

Unter dem 17.07.2020 errichtete der Erblasser schließlich ein drittes Testament, in dem der Erblasser ausführte, in seiner Testierfähigkeit nicht beschränkt zu sein. In diesem Testament setzte er die Beteiligte Ziffer 1, die ihn zuletzt aufopferungsvoll gepflegt und versorgt habe, als Alleinerbin ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Testament vom 17.07.2020 verwiesen (Verwahrakte des Amtsgerichts – Verwahrgericht – Lörrach, 23 IV 433/22, AS 67).

Am 10.03.2022 hat der Beteiligte Ziffer 4 zur Niederschrift beim Amtsgericht Lörrach, auf die verwiesen wird (AS I 9 ff.), unter anderem erklärt, es gelte das gemeinsame Testament der Eltern. Die einseitige Testierung des Vaters, die er noch kurz vor seinem Tod verfasst habe, sei nicht gültig, da sein Vater durch das gemeinsame Testament gebunden gewesen sei. Der Beteiligte Ziffer 4 hat einen Erbschein mit dem Inhalt beantragt, wonach der Verstorbene von der Beteiligten Ziffer 1, dem Beteiligten Ziffer 3 und ihm zu je 1/3 beerbt worden sei.

Die Beteiligte Ziffer 1 ist dem Antrag entgegengetreten. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, eine Wechselbezüglichkeit der testamentarischen Verfügung der Eheleute liege jedenfalls in Bezug auf den Erblasser nicht vor. Ein starkes Indiz gegen eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung stelle eine erhebliche Abweichung der Vermögensverhältnisse der Ehegatten dar. Vorliegend stamme das weit überwiegende und im gemeinschaftlichen Testament erwähnte Vermögen vom Erblasser. Der Erblasser sei Alleineigentümer des Hausgrundstücks D..Straße 19 in … gewesen. Das unbebaute Grundstück habe er von seinen Eltern geerbt und Mitte der 60er Jahre mit dem Wohnhaus bebaut. Seine Ehefrau habe ab Mitte der 60er Jahre nicht mehr gearbeitet und nur geringe Einkünfte erzielt. Auch die zu Lebzeiten der Ehegatten im je hälftigen Miteigentum stehende Eigentumswohnung in der S…straße … sei mit dem Kauferlös einer anderen Immobilie des Erblassers erworben worden. Weiter stelle der zweimalige Hinweis des Erblassers in seinen späteren Testamenten auf die fehlende Bindung ein Indiz gegen eine Wechselbezüglichkeit dar.

Die Beteiligten Ziffer 3 und Ziffer 4 sind der Auffassung der Beteiligten Ziffer 1 entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 22.09.2022, auf den Bezug genommen wird (AS I 117 ff.), hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Lörrach die zur Erteilung des Erbscheins gemäß Antrag vom 10.03.2022 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Zur Begründung hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kinder des Erblassers seien aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 05.11.2000 Miterben zu je 1/3 geworden. Bei der Einsetzung der drei Kinder als Schlusserben handle es sich um eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB zu einer Alleinerbeneinsetzung des Erblassers durch seine Ehefrau. Das Recht zum Widerruf der von ihm im gemeinschaftlichen Testament vom 05.11.2000 getroffenen Verfügung, seine drei Kinder als Miterben [zu gleichen Teilen] einzusetzen, sei nach § 2271 Abs. 2 BGB mit dem Tod seiner vorverstorbenen Ehefrau erloschen.

Gegen diesen Beschluss, der der Beteiligten Ziffer 1 am 28.09.2022 zugestellt worden ist (AS I 177), richtet sich die Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 vom 27.10.2022 (AS I 180), die am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen ist (AS I 179). In der Beschwerdebegründung, auf die verwiesen wird (AS I 194 ff.), hat die Beteiligte Ziffer 1 darauf hingewiesen, jedenfalls sei eine ergänzende Testamentsauslegung zu prüfen. Die Eheleute hätten in Kenntnis der Umstände zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments dem überlebenden Ehegatten sicher die Befugnis eingeräumt, die Schlusserbfolge zumindest zu Gunsten des pflegenden/betreuenden Kindes zu modifizieren.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 06.12.2022, auf den Bezug genommen wird (AS I 209 ff.), nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 19.12.2022, auf den verwiesen wird (AS II 3 ff.), hat die Beteiligte Ziffer 1 zu dem Nichtabhilfebeschluss Stellung genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß §§ 58, 59, 63 Abs. 1, 64 FamFG eingelegte Beschwerde der Beteiligten Ziffer 1 ist unbegründet.

Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass aufgrund der zu Grunde zu legenden Tatsachen von einer wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 3 und Ziffer 4 im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB durch die Ehefrau des Erblassers auszugehen ist. Nach dem Tod seiner Ehefrau war der Erblasser an die gemeinschaftlichen -wechselbezüglichen Verfügungen gebunden und konnte diese nicht mehr wirksam durch seine nachfolgenden Testamente widerrufen, § 2271 Abs. 2 BGB (1.).

Eine ergänzende Testamentsauslegung dahingehend, dass die Eheleute S dem überlebenden Ehegatten die Befugnis eingeräumt hätten, die Schlusserbfolge zumindest zu Gunsten des pflegenden/betreuenden Kindes zu modifizieren, kommt nicht in Betracht (2.).

1. Die Einsetzung der drei Kinder als Schlusserben durch den Erblasser ist eine wechselbezügliche Verfügung zu seiner Alleinerbeneinsetzung durch seine Ehefrau.

a) Nach § 2265 BGB kann durch Ehegatten ein gemeinschaftliches Testament errichtet werden. Zur Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nach § 2247 genügt es, wenn einer der Ehegatten das Testament in der dort vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet, § 2267 S. 1 BGB.

Bei der Auslegung eines jeden Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Handelt es sich – wie hier – um ein gemeinschaftliches Testament, dann ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Auslegung stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teiles entsprochen hat. Das ist nötig, weil die beiderseitigen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten nicht nur aufeinander abgestimmt werden, sondern erfahrungsgemäß nicht selten auch inhaltlich abgesprochen und insofern Ergebnis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – IV ZR 160/91 -, Rn. 12, juris).

Wechselbezüglich sind nach § 2270 Abs. 1 BGB diejenigen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament getroffenen Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde. Es muss also für jede einzelne Verfügung geprüft werden, ob sie in einem solchen Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu der letztwilligen Verfügung des erstverstorbenen Ehegatten steht. Die Wechselbezüglichkeit von Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament ist vorrangig durch individuelle Auslegung zu ermitteln. Lediglich wenn diese zu keinem zweifelsfreien Ergebnis führt, kommt die Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB in Betracht (st. Rspr. vgl. nur OLG Hamm, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 15 W 127/00 -, Rn. 24, juris).

Für die vor Anwendung der Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB erforderliche Auslegung nach dem tatsächlichen Willen der Erblasser besteht nach zutreffender Meinung kein Erfahrungssatz, dass jeder Ehegatte die gemeinsamen Kinder nur deshalb bedenkt, weil dies auch der andere tut; wohl aber gibt es den Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird (vgl. Staudinger/Kanzleiter (2019) BGB § 2270, Rn. 26a auch zur Gegenmeinung).

Gemäß § 2270 Abs. 2 BGB ist von Wechselbezüglichkeit auszugehen, wenn dem einen Ehegatten von dem anderen Ehegatten eine Zuwendung gemacht wird und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.

Der Umstand, dass ein Ehegatte über ein wesentlich größeres Vermögen verfügt als der andere, kann bei der Auslegung dazu führen, dass die Schlusserbeneinsetzung durch den vermögenden Ehegatten nicht wechselbezüglich zu der Erbeinsetzung durch den vorverstorbenen vermögenslosen Ehegatten ist, weil der vermögende Ehegatte an der eigenen Erbeinsetzung durch seinen vermögenslosen Ehegatten häufig kein Interesse hat, sondern seine Freiheit behalten will, wen er als Schlusserben einsetzt (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – IV ZR 72/11 -, Rn. 8, juris). Der Fall, dass ein Ehegatte vermögend ist, während der andere kein oder nur geringes Vermögen besitzt, gibt zwar besonderen Anlass zur Prüfung der Wechselbezüglichkeit, zwingt aber nicht zu ihrer Verneinung (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 12. August 1994 – 1Z BR 152/93 -, Rn. 30, juris). Allein aus einem Vermögensunterschied der Ehegatten lässt sich nicht positiv der Wille der Ehegatten feststellen, dass sie beide eine Wechselbezüglichkeit nicht wollten (KG Berlin, Beschluss vom 4. Februar 2021 – 19 W 1118/20 -, Rn. 71, juris).

b) Gemessen an diesen Anforderungen ist von einer wechselbezüglichen Verfügung der Ehefrau des Erblassers auszugehen, die für den Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau bindend geworden ist. Dies ergibt sich bereits im Wege der Auslegung der testamentarischen Verfügungen. Zumindest greift aber die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB.

Die Beteiligten Ziffer 1, Ziffer 3 und Ziffer 4 sind demnach gemeinschaftliche Erben zu je 1/3 geworden.

aa) Das gemeinschaftliche Testament vom 05.11.2000 ist ein wirksames Ehegattentestament, was zwischen den Beteiligten nicht in Streit steht. Bei Zugrundelegung der dortigen Verfügungen ist von einer Schlusserbeneinsetzung der gemeinsamen Kinder der Ehegatten zu je 1/3 auszugehen, wovon das Amtsgericht zu Recht ausgeht und was die Beteiligten auch nicht in Abrede stellen.

bb) Für eine Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Sinne des § 2270 BGB spricht bereits der Wortlaut des Testaments vom 05.11.2000. In der Urkunde ist die Rede von dem „gesamten Vermögen“ der Ehegatten, das von ihnen verteilt wird, ohne dass eine Unterscheidung nach unterschiedlichen Eigentumsverhältnissen vorgenommen wird. Dies lässt nach § 133 BGB den Rückschluss zu, dass die Ehegatten zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments nach jahrzehntelanger Ehe nicht von getrennten Vermögensmassen ausgegangen sind, sondern die aufgeführten Gegenstände als gemeinsames Vermögen angesehen haben (vgl. hierzu auch KG Berlin, Beschluss vom 4. Februar 2021 – 19 W 1118/20 -, Rn. 71, juris).

Des weiteren gibt es den Erfahrungssatz, dass ein Ehegatte bei der gegenseitigen Erbeinsetzung seine Kinder beim Tod als Erstversterbender nur enterbt, weil er darauf vertraut, dass das gemeinsame Vermögen beim Tod des Überlebenden auf die gemeinsamen Kinder übergehen wird.

cc) Soweit die Beteiligte Ziffer 1 darauf abhebt, der Erblasser habe sich ausweislich der nachfolgenden testamentarischen Verfügungen und seiner Angaben gegenüber dem Beteiligten Ziffer 2 nicht gebunden gefühlt, lassen sich hieraus keine zwingenden Rückschlüsse ziehen. Maßgeblich ist nicht, ob sich der Erblasser in den Jahren 2013 bzw. 2020 gebunden gefühlt hat, sondern ob er gebunden war, worauf bereits das Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat.

dd) Das weitere Argument der Beteiligten Ziffer 1, wonach der Erblasser vermögend gewesen sei, wohingegen seine Ehefrau kaum Vermögen besessen habe, führt entgegen der Auffassung der Beteiligten Ziffer 1 im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis.

(1) Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments am 5.11.2000 war die Ehefrau des Erblassers auch nach Vortrag der Beteiligten Ziffer 1 hälftige Miteigentümerin der Wohnung in der S…straße. Dass diese nach Vortrag der Beteiligten Ziffer 1 ursprünglich aus Mitteln des Erblassers erworben worden ist, spielt keine Rolle. Maßgeblich sind (wenn überhaupt) die Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments.

Des weiteren war sie hälftige Miteigentümerin des gemeinschaftlichen nicht unerheblichen Geldvermögens.

Sie war demnach bereits nicht weitgehend vermögenslos.

(2) Der Erblasser war zwar Alleineigentümer des Hausgrundstücks D…Straße in …; allerdings muss hier gesehen werden, dass er das unbebaute Grundstück geerbt hatte, die Bebauung aber nach eigenem Vortrag der Beteiligten Ziffer 1 erfolgt war, als der Erblasser und seine Frau bereits verheiratet waren. Ein maßgeblicher Teil der Wertschöpfung erfolgte demgemäß während der gemeinsamen Ehezeit. Insoweit erscheint es daher wie bereits dargelegt bei lebensnaher Betrachtung so, dass die Eheleute nach der jahrzehntelangen Ehe zum Zeitpunkt der gemeinschaftlichen testamentarischen Verfügung nicht von unterschiedlichen Vermögensmassen ausgegangen sind.

(3) Die Beteiligte Ziffer 1 kann nicht mit Erfolg damit argumentieren, ihre Mutter und Ehefrau des Erblassers habe seit Mitte der 1960er Jahre nicht mehr gearbeitet, weswegen das Familieneinkommen (und damit das Vermögen) weit überwiegend von dem Erblasser herrühre. Denn diese Argumentation verkennt zum einen die gesellschaftlichen Realitäten einer Ehe in den 1960er Jahren, zum anderen leistete die Ehefrau des Erblassers ihren Beitrag zum gemeinsamen Unterhalt durch die Haushaltsführung sowie die Erziehung und Betreuung der drei gemeinsamen Kinder.

ee) Damit liegt nach Auffassung des Senats kein beachtliches Vermögensgefälle im Sinne der dargelegten Rechtsprechung zwischen den Ehegatten vor.

Ein positiver Wille, dass beide Ehegatten keine Wechselbezüglichkeit wollten, lässt sich demgemäß jedenfalls nicht feststellen.

2. Eine ergänzende Testamentsauslegung dahingehend, dass die Eheleute Schneider dem überlebenden Ehegatten sicher die Befugnis eingeräumt hätten, die Schlusserbfolge zumindest zu Gunsten des pflegenden/betreuenden Kindes zu modifizieren, kommt nicht in Betracht.

a) Im Weg der ergänzenden Testamentsauslegung ist zu prüfen, welchen Willen die Ehegatten hinsichtlich der Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen nach ihrer persönlichen Einstellung und nach der Lebenserfahrung voraussichtlich gehabt hätten, wenn sie zur Zeit der Testamentserrichtung die spätere Entwicklung gekannt hätten (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 12. August 1994 – 1Z BR 152/93 -, Rn. 31, juris).

Die Wechselbezüglichkeit kann zu verneinen sein, wenn nach der Errichtung des Testaments unvorhergesehene Umstände eingetreten sind und die Erblasser, falls sie diese Umstände bei der Errichtung vorausschauend bedacht hätten, die Wechselbezüglichkeit für diesen Fall ausgeschlossen hätten. Ein nach dem Tod des Ehegatten eingetretener Sinneswandel hat außer Betracht zu bleiben, weil es auch für die Wechselbezüglichkeit auf den gemeinschaftlichen Willen bei Errichtung des Testaments ankommt (Staudinger/Kanzleiter (2019) BGB § 2270, Rn. 22b mwN).

Eine Willensergänzung im Wege der ergänzenden Auslegung kann nur vorgenommen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung an Hand des Testaments, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung beider Ehegatten dafür eine genügende Grundlage bildet (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 1961 – V ZB 20/61 -, Rn. 33, juris). Durch sie darf also kein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (OLG München, Beschluss vom 11. Juni 2018 – 31 Wx 294/16 -, Rn. 41, juris). Es bedarf einer Andeutung im Testament dahin, in welcher Weise das Testament angepasst oder eine andere Form der letztwilligen Verfügung gewählt worden wäre (OLG Düsseldorf Beschluss vom 6. Dezember.2011 – I-3 Wx 261/11, BeckRS 2011, 29473, beck-online).

b) Gemessen hieran kann ein dementsprechender Wille der Eheleute zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments am 05.11.2000 nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden.

Das Amtsgericht führt zutreffend aus, dass es nach dem eigenen Vortrag der Beteiligten Ziffer 1 beiden Eheleuten wichtig gewesen sei, nicht in ein Heim zu kommen und zuhause gepflegt zu werden. Wenn aber beiden Ehegatten zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments eine möglicherweise eintretende Pflegebedürftigkeit bewusst gewesen war und es ihrem gemeinsamen Wunsch entsprochen hätte, in diesem Fall zuhause von einem Angehörigen gepflegt zu werden, fehlt es bereits an einem unvorhergesehenen Umstand, der eine ergänzende Auslegung rechtfertigen würde. Wenn es dem gemeinsamen Willen der Eheleute zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments vom 05.11.2000 entsprochen hätte, dem Längerlebenden die Möglichkeit einer „erbrechtlichen Belohnung“ eines pflegenden Angehörigen zukommen zu lassen, hätte es vielmehr nahegelegen, dies in das Testament in geeigneter Form aufzunehmen.

Selbst wenn die Eheleute zu Lebzeiten mit dem Bruder des Erblassers bzw. der Zeugin G von einer gewollten „erbrechtlichen Belohnung“ des betreuenden Kindes durch den Letztversterbenden gesprochen hätten, rechtfertigt dies keine ergänzende Testamentsauslegung dahin, die eingetretene Bindungswirkung entfallen zu lassen. Denn ein solcher (gemeinsamer) Wille hätte in dem gemeinschaftlichen Testament zumindest angedeutet werden müssen. Dass es (auch) dem Willen der Ehefrau des Erblassers entsprochen haben soll, durch den Wegfall der Bindungswirkung dem Erblasser zu ermöglichen, zwei der drei gemeinsamen Kinder zu enterben, ist in dem Testament in keiner Weise angedeutet.

In diesem Zusammenhang muss auch gesehen werden, dass es dem Erblasser nach der gemeinschaftlichen testamentarischen Verfügung zu Lebzeiten freigestanden hat, die Beteiligte Ziffer 1 für erbrachte Pflegeleistungen angemessen zu entlohnen. Des Weiteren kann von Gesetzes wegen eine entsprechende Ausgleichung erbrachter Pflegeleistungen der Beteiligten Ziffer 1 über § 2257a Abs. 1 S. 2 BGB nach dem Tod des Erblassers erfolgen. Eine angemessene Honorierung von Pflegeleistungen der Beteiligten Ziffer 1 war und ist also ohne weiteres möglich. Selbst wenn es sich bei der häuslichen Pflege durch die Beteiligte Ziffer 1 um einen unvorhergesehenen Umstand gehandelt hätte, erscheint der Wegfall der Bindungswirkung mit Blick auf die anderweitigen Möglichkeiten, die Leistungen der Beteiligten Ziffer 1 zu honorieren, daher keineswegs zwingend.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Der Gegenstandswert beläuft sich auf den Wert des Nachlasses.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Erbrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Erbrecht. Vom rechtssicheren Testament über den Pflichtteilsanspruch bis hin zur Erbausschlagung.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Erbrecht einfach erklärt

Erbrechtliche Urteile und Beiträge

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!