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Einsicht in Nachlassakte – berechtigtes Interesse

Akteneinsicht in Nachlassakte verweigert – Urteil wirft Fragen auf

In der juristischen Praxis stellt sich oft die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in bestimmte Akten, insbesondere in eine Nachlassakte, besteht. Ein zentrales Thema dabei ist das Spannungsfeld zwischen dem Schutz persönlicher und vertraulicher Informationen und dem Recht auf Information und Transparenz. Insbesondere wenn es um Erb- und Pflichtteilsansprüche geht, können komplexe juristische Fragestellungen wie Sittenwidrigkeit von Verträgen oder Verjährungsfristen ins Spiel kommen. Dabei sind Begriffe wie Akteneinsicht, Erb- und Pflichtteilsverzicht sowie Sittenwidrigkeit von zentraler Bedeutung. Ebenso spielen Aspekte wie die finanzielle Situation der Beteiligten und die Kenntniserlangung von bestimmten Sachverhalten eine entscheidende Rolle in der juristischen Bewertung.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 52 VI 160/17   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Der Antrag von J… H… auf Akteneinsicht in die Nachlassakte seines verstorbenen Vaters wurde vom Amtsgericht Kulmbach abgelehnt, da kein berechtigtes Interesse nachgewiesen wurde und mögliche Pflichtteilsansprüche verjährt sind.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. J… H… beantragte Akteneinsicht in die Nachlassakte seines verstorbenen Vaters H… K…
  2. H… K… hinterließ eine Ehefrau, zwei eheliche Kinder und das voreheliche Kind J… H…
  3. 1991 verzichtete J… H… durch einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag auf seine Erbansprüche gegenüber seinem Vater.
  4. Als Gegenleistung für den Verzicht sollte J… H… 50.000,00 DM erhalten.
  5. J… H… argumentierte, der Verzicht sei möglicherweise sittenwidrig, da er damals nur bedingt geschäftsfähig war und seine Mutter in einer finanziellen Notlage war.
  6. Das Amtsgericht Kulmbach wies den Antrag auf Akteneinsicht zurück, da kein begründetes Interesse vorlag.
  7. Das Gericht betonte, dass Pflichtteilsansprüche mit dem Erbfall entstehen und in 3 Jahren verjähren.
  8. J… H… konnte nicht nachweisen, wann er vom Erbfall erfuhr, und das Gericht stellte fest, dass mögliche Pflichtteilsansprüche am 31.12.2020 verjährt wären.

Der Fall vor dem Amtsgericht Kulmbach

J… H…, das voreheliche Kind von H… K…, beantragte Akteneinsicht in die Nachlassakte seines verstorbenen Vaters. H… K… hinterließ neben J… H… auch seine Ehefrau A… K… und die beiden ehelichen Kinder F… K… und T… K…. Es ist wichtig zu beachten, dass J… H… bereits 1991, durch einen Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag, auf seine gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsansprüche gegen den zukünftigen Nachlass seines Vaters verzichtete. Als Gegenleistung sollte er innerhalb von 8 Tagen nach Vertragswirksamkeit 50.000,00 DM erhalten. Dieser Vertrag wurde sowohl von seiner Mutter und gesetzlichen Vertreterin G… H… als auch vom Notariat Niederstetten – Vormundschaftsgericht – genehmigt.

Sittenwidrigkeit als zentrales Argument

Der Kern des rechtlichen Problems liegt in der Frage, ob J… H… ein begründetes Interesse an der Akteneinsicht hat. Er argumentierte, dass der Erb- und Pflichtteilsverzicht möglicherweise sittenwidrig war, da er zu diesem Zeitpunkt nur bedingt geschäftsfähig war und seine Mutter sich in einer finanziellen Notsituation befand. Er behauptete, dass dieser Zustand von seinem Vater ausgenutzt worden sei. Dieser Punkt ist besonders relevant, da die Sittenwidrigkeit eines Vertrages dessen Nichtigkeit zur Folge haben könnte.

Komplexität der Verjährungsfrist

Die Herausforderung in diesem Fall liegt in den Zusammenhängen zwischen dem Erbverzicht, dem Eintreten des Erbfalls und dem Wissen des Antragstellers darüber. J… H… argumentierte, dass es einen Unterschied zwischen dem Erbverzicht und dem Eintreten des Erbfalls sowie seinem Wissen darüber geben müsse. Er behauptete, dass in seinem Fall die verlängerte Verjährungsfrist von 30 Jahren nach Eintreten des Erbfalls gelten sollte.

Gerichtliche Entscheidung und ihre Grundlage

Das Amtsgericht Kulmbach entschied jedoch, dass das Gesuch um Akteneinsicht zurückzuweisen sei. Das Gericht stellte fest, dass kein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt wurde und dass der Antragsteller nicht am Verfahren beteiligt sei, da das Nachlassverfahren bereits seit Jahren abgeschlossen ist. Zudem betonte das Gericht, dass es nicht zu prüfen sei, ob der Pflichtteilsverzicht sittenwidrig war. Die Entscheidung des Gerichts basierte auf der Tatsache, dass der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall entsteht und in 3 Jahren verjährt. Die Verjährung beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Das Gericht stellte fest, dass H… K… 2017 verstorben ist und der mögliche Pflichtteilsanspruch am 31.12.2020 verjährt wäre. J… H… konnte nicht konkret darlegen, wann er von dem Erbfall erfahren hatte.

Auswirkungen und Schlussfolgerungen des Urteils

Die Auswirkungen dieses Urteils könnten weitreichend sein, insbesondere für andere, die in ähnlichen Situationen Akteneinsicht beantragen möchten. Es betont die Wichtigkeit, rechtliche Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen und die Verjährungsfristen zu beachten. Das Fazit des Urteils ist klar: Ohne ein begründetes Interesse und unter Berücksichtigung der Verjährungsfristen kann kein Anspruch auf Akteneinsicht in eine Nachlassakte gestellt werden.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist eine Nachlassakte?

Eine Nachlassakte im deutschen Erbrecht ist ein Dokument, das vom lokalen Nachlassgericht (Nachlassgericht) geführt wird, welches das lokale Gericht am Ort des letzten Wohnsitzes des Verstorbenen ist. Die Nachlassakte enthält wichtige Dokumente zur rechtlichen Bewertung des Erbfalls und der Erbfolge. Dazu gehören insbesondere Abschriften eröffneter letztwilliger Verfügungen von Todes wegen, also Testamente und Erbverträge, Erbenfragebogen mit Angaben zu den familiären Verhältnissen und möglichen Erben sowie Angaben zum Nachlass, einschließlich Schätzungen zu den Werten, Erbscheinsanträge inklusive Anlagen und Erbausschlagungserklärungen.

Die Nachlassakte wird vom Nachlassgericht (eine Abteilung des Amtsgerichts) geführt. Örtlich zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Grundsätzlich wird für jeden Todesfall, der dem Nachlassgericht vom Standesamt gemeldet wird, eine Nachlassakte angelegt.

Die Einsicht in die Nachlassakte kann sowohl Informationen über beteiligte Personen und den Nachlass, als auch über Anträge und Verfahren bringen. Die Einsicht in die Nachlassakte kann von den Erben, gesetzlichen oder testamentarischen Erben, Pflichtteilsberechtigten oder Vermächtnisnehmern beantragt werden, die ein verständliches, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse haben. Die Akteneinsicht erfolgt grundsätzlich in der Geschäftsstelle des Nachlassgerichts. Oft sind die Gerichte auch bereit, eine Nachlassakte an ein anderes Nachlassgericht zu versenden, damit der Antragsteller dort Einsicht nehmen kann. Einem Anwalt kann die Nachlassakte in seine Kanzlei zur Einsichtnahme übermittelt werden.

Sittenwidrigkeit Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag

Ein Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag kann sittenwidrig sein, wenn die Unerfahrenheit oder Notlage des Verzichtenden ausgenutzt wird. Dies ist jedoch auf wenige Ausnahmefälle beschränkt, da grundsätzlich jeder auf seinen Pflichtteil verzichten kann, sofern die Formvorschriften eingehalten werden. Die Sittenwidrigkeit eines Erb- oder Pflichtteilsverzichtsvertrages kann insbesondere dann vorliegen, wenn ein gerade volljährig gewordenes Kind gegenüber einem Elternteil einen Verzicht erklärt. Dieser von Kindern ausgesprochene Verzicht gegenüber ihren Eltern ist in hohem Maße anfällig für Übervorteilung und Überforderung. Es gibt auch Gerichtsentscheidungen, die eine Sittenwidrigkeit von Erbverzichten aufgrund besonderer Umstände festgestellt haben. Beispielsweise hat das OLG Hamm eine Sittenwidrigkeit festgestellt, als ein Vater seinem Sohn einen Sportwagen versprach, wenn dieser im Gegenzug auf seinen Pflichtteil verzichtet. Der Sohn bereute seine Entscheidung kurz nach der Beurkundung und versuchte, den Pflichtteilsverzicht rückgängig zu machen, was jedoch nicht möglich war. In diesem Fall sah das Gericht die Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts als gegeben an und stellte die Unwirksamkeit fest. .Ein Erbverzicht kann auch sittenwidrig sein, wenn er dazu führt, dass der Verzichtende in eine existenzbedrohliche finanzielle Lage gerät oder durch den Verzicht unverhältnismäßig benachteiligt wird. Ebenso kann unzulässiger Druck, wie Nötigung, Drohung oder Ausnutzung der körperlichen oder geistigen Schwäche des Verzichtenden, als sittenwidrig angesehen werden.


Das vorliegende Urteil

AG Kulmbach – Az.: 52 VI 160/17

Der Antrag von J… H… auf Akteneinsicht in die Nachlassakte seines Vaters H… K… wird zurückgewiesen.

Gründe

1. H… K…, geb. am … verstarb am …2017 in ….

Er hinterließ seine Ehefrau A… K… sowie die ehelich gemeinsamen Kinder F… K… und T… K… sowie ein voreheliches Kind, den nunmehrigen Antragsteller J… H….

Mit Erb- und Pflichtteilsverzichtsvertrag vom 13.01.1991, UR-Nr. K 0075/1981, vor dem Notar … verzichtete der Antragsteller für sich und seine Abkömmlinge auf seine gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsansprüche gegen den künftigen Nachlass des Vaters H… K…. H… K… verpflichtete sich binnen 8 Tagen nach Eintritt der Rechtswirksamkeit des Vertrages 50.000,00 DM an … J… H… zu zahlen.

Die Mutter und damals gesetzliche Vertreterin des Antragstellers, G… H…, genehmigte diesen Vertrag mit Erklärung zur notarieller Urkunde vom 16.01.1981 vor dem Notar …, UR-Nr. K 12/1981.

Das Notariat Niederstetten – Vormundschaftsgericht – genehmigte mit Beschluss vom 11.02.1981 den am 13.01.1981 beurkundeten Erb- und Pflichtteilsverzicht zwischen H… K… und J… H…, ges. vertr. dch. seine Mutter G… H….

Mit am 24.05.2022 beim Amtsgericht Kulmbach eingegangenem Schreiben beantrage J… H… Akteneinsicht in die Nachlassakte.

Auf gerichtlichen Hinweis erklärte er als berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht, dass hier bezüglich des Erb- und Pflichtteilsverzichtes der Verdacht der Sittenwidrigkeit bestehe, da er damals nur bedingt geschäftsfähig gewesen sei und seine Mutter sich in einer finanziellen Notsituation befunden habe und dieser Zustand ausgenutzt worden sei.

Der Miterbe F… K… wandte sich, auch im Namen seiner Mutter und seiner Schwester, der Miterbin T… K…, gegen die Gewährung von Akteneinsicht. Ein berechtigtes Interesse bestehe nicht, außerdem seien evtl. Pflichtteilsansprüche verjährt. Der Antragsteller habe bisher keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht.

Daraufhin legte der Antragsteller näher dar, weshalb nach seiner Ansicht der Pflichtteilsverzicht sittenwidrig sei und erklärte, dass seine Pflichtteilsansprüche nicht verjährt seien. Es müsse ein Unterschied zwischen dem Erbverzicht und dem Eintreten des Erbfalles sowie seinem Wissen davon gemacht werden. In diesem Falle greife die verlängerte Verjährungsfrist nach 30 Jahren nach Eintreten des Erbfalles.

Nähere Ausführungen, seit wann er von dem Erbfall Kenntnis hatte, machte der Antragsteller nicht.

2. Das Akteneinsichtsgesuch ist zurückzuweisen.

Ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht ist nicht dargelegt, § 13 Abs. 2 FamFG.

Da das Nachlassverfahren bereits seit Jahren abgeschlossen ist, ist der Antragsteller auch nicht Beteiligter am Verfahren, vgl. Aufsatz in FamRZ 2021 S. 480 ff.

Es ist hier nicht zu prüfen, ob der Pflichtteilsverzicht etwa sittenwidrig war.

Der Pflichtteilsanspruch entsteht mit dem Erbfall, § 2317 Abs. 1 BGB. Die aus dem Erbfall herrührenden Ansprüche verjähren in 3 Jahren.

Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, § 195, 199 Abs. 1 BGB.

H… K… ist am …2017 verstorben. Damit ist bei Kenntnis vom Erbfall der evtl. Pflichtteilsanspruch am 31.12.2020 verjährt. Trotz ausdrücklichen Hinweis des Miterben K… hat der Antragsteller keinerlei konkrete Darlegung gemacht, wann er von dem Erbfall erfahren hat bzw. weshalb er bis zu seiner nicht konkret dargelegten Kenntniserlangung vorher keine Kenntnis vom Erbfall hatte und insoweit auch nicht grob fahrlässig handelte.

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