OLG Hamm, Az.: I-15 W 111/17, Beschluss vom 22.06.2017
Der Beschluss des Amtsgerichts Höxter vom 17.01.2017 wird aufgehoben.
Das Nachlassgericht Höxter ist zur Entscheidung über den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) vom 25.11.2015 örtlich unzuständig.
Das Erbscheinsverfahren wird an das örtlich zuständige Amtsgericht – Nachlassgericht – Holzminden verwiesen, dem auch die Entscheidung über die im Beschwerdeverfahren angefallenen Kosten übertragen wird.
Dem Beteiligten zu 3) wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. S. in Essen bewilligt.
Gründe
I.
Der Beteiligte zu 1) ist der ehemalige Betreuer der Erblasserin, den die Erblasserin in ihrem notariellen Testament vom 5.12.2013 (UR-Nr.285/2013 des Notars X in I) auch zu ihrem Testamentsvollstrecker bestimmt hat. Der Beteiligte zu 2) ist der in dem vorbezeichneten Testament eingesetzte Alleinerbe. Die Beteiligten zu 3) und 4) sind die Kinder des vorverstorbenen Bruders der Erblasserin, Y.
Das Betreuungsverfahren für die Erblasserin wurde auf die Anregung des Ambulanten Pflegedienstes vom 21.06.2013 eingeleitet. Die Erblasserin war auf Veranlassung ihres Hausarztes nach dem Tod ihres Ehemannes am 20.06.2013 zunächst in ein in I gelegenes Pflegeheim aufgenommen worden.
Mit Beschluss vom 3.07.2013 richtete das Amtsgericht Höxter eine umfassende Betreuung für die Erblasserin ein, die auch den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung umfasste, und bestellte den Beteiligten zu 1) zum Betreuer (9 XVII R 3180).
Die Erblasserin kehrte im September 2013 aus der Kurzzeitpflege in ihre bisherige Wohnung zurück und wurde dort von einem Pflegedienst betreut.
Spätestens seit Juni 2014 befand sich die Erblasserin in der Seniorenresidenz V in T, wie der Beteiligte zu 1) mit Schreiben vom 31.07.2014 mitteilte, und wurde dort von Dr. med. D aus K als neuem Hausarzt betreut.
Der Beteiligte zu 1) hatte bereits den Verkauf der bisherigen Wohnung der Erblasserin eingeleitet, der sich nicht einfach gestaltete, da Eigentümer zum Teil eine Erbengemeinschaft nach dem Ehemann der Erblasserin war. Der Beteiligte zu 1) war auch mit der Abgabe des Betreuungsverfahrens an das Amtsgericht Holzminden einverstanden, wollte diese jedoch bis zur Abwicklung des Hausverkaufs zurückgestellt haben. Aufgrund des Todes der Erblasserin kam es nicht mehr zu einer Abgabe.
Dem von dem Beteiligten zu 1) in seiner Funktion als Testamentsvollstrecker gestellten Erbscheinsantrag zugunsten des Beteiligten zu 2) ist der Beteiligte zu 3) entgegen getreten. Nach seiner Auffassung war die Erblasserin zur Zeit der Errichtung des Testaments bereits testierunfähig. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat sich das Amtsgericht Höxter die Überzeugung gebildet, dass die Erblasserin bei der Abfassung des Testaments am 5.12.2013 testierfähig war und hat einen Feststellungsbeschluss zugunsten des Beteiligten zu 2) erlassen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beteiligten zu 3), der die vorgenommene Begutachtung nicht für überzeugend hält.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie mit Beschluss vom 3.03.2017 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Der Senat hat mit Verfügung vom 16.03.2017 darauf hingewiesen, dass eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Höxter nicht gegeben sein dürfte und eine Verweisung an das nach Ansicht des Senats örtlich zuständige Amtsgericht Holzminden in Betracht komme.
Der Beteiligte zu 3) hat die Verweisung an das Amtsgericht Holzminden befürwortet, die weiteren Beteiligten haben sich in der vom Senat gesetzten Stellungnahmefrist nicht geäußert.
II.
Die Beschwerde des Beteiligten zu 3), der für sich eine Stellung als gesetzlicher Miterbe in Anspruch nimmt, ist zulässig und führt unter Aufhebung des Feststellungsbeschlusses des Nachlassgerichts Höxter zur Verweisung des Erbscheinsverfahrens an das örtlich zuständige Amtsgericht Holzminden.
Nach dem im vorliegenden Verfahren aufgrund des vor dem 16.08.2015 eingetretenen Erbfalls noch maßgeblichen § 343 Abs. 1 FamFG a. F. ist das Amtsgericht für die Erteilung eines Erbscheins örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Erblasser zur Zeit des Erbfalls seinen Wohnsitz hatte.
Wohnsitz einer Person ist der Ort, an dem sich diese ständig niederlässt (§ 7 Abs. 1 BGB). Im vorliegenden Fall befand sich die Erblasserin spätestens seit Juni 2014 in einer in T (Amtsgerichtsbezirk Holzminden) gelegenen Seniorenresidenz. Dieser Aufenthalt war ersichtlich auch auf Dauer angelegt, da die bisherige Wohnung bereits zum Verkauf stand. Darauf, dass die Erblasserin noch in I gemeldet war, kommt es angesichts des bei ihrem Ableben fast ein Jahr andauernden Aufenthalt in T nicht an.
Für das vorliegende Verfahren bedarf es keiner Aufklärung, ob die Erblasserin im Zeitpunkt des Wechsels aus ihrer in I gelegenen Wohnung in die in T gelegene Seniorenresidenz noch geschäftsfähig war. Zwar setzt die Begründung eines Wohnsitzes einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen voraus (vgl. Keidel/Zimmermann, FamFG, 18. Auflage, § 343 Rn.40), der bei einem Geschäftsunfähigen nicht gegeben ist.
War die Erblasserin nicht mehr geschäftsfähig, so konnte der für den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung bestellte Betreuer – Beteiligter zu 1) – ihren Wohnsitz dort rechtswirksam begründen (vgl. Keidel/Zimmermann, a.a.O. , Rn.41). War die Erblasserin in dem fraglichen Zeitpunkt noch geschäftsfähig, hat sie den ersichtlich mit ihrem Willen durchgeführten Wohnortwechsel selbst rechtswirksam vollzogen.
Örtlich zuständig für das Erbscheinsverfahren ist daher das Amtsgericht – Nachlassgericht – Holzminden und nicht das Nachlassgericht Höxter.
Der Senat ist auch nicht durch die Bestimmung des § 65 Abs. 4 FamFG an einer Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit des Nachlassgerichts gehindert. Diese Bestimmung ist vielmehr für den Bereich des Erbscheinsverfahrens einschränkend auszulegen, so dass die Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit des Nachlassgerichts auch noch in der Beschwerdeinstanz vorgenommen werden muss (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 331; Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Auflage, § 343 Rn.60; Münchener Kommentar zum FamFG/J. Mayer, 2. Auflage, § 343 Rn.56; Staudinger/Herzog, BGB, Neubearbeitung 2016, § 2361 Rn.25; Prütting/Helms/Fröhler, FamFG, 3. Auflage, § 343 RN.127; a. A. Keidel/Sternal a.a.O. , § 65 Rn.17; Prütting/Helms/Abramenko, a.a.O. , § 65 Rn.20).
Die einschränkende Auslegung des § 65 Abs. 4 FamFG ist aufgrund des allein auf streitige Verfahren zugeschnittenen Wortlauts möglich und aus den nachfolgend dargelegten Gründen auch zwingend geboten, da ansonsten die durch den Erbschein beabsichtigte Legitimationswirkung unterlaufen würde.
Unter der Geltung des FGG war es unstreitig, dass die örtliche Zuständigkeit von Amts wegen auch in den Rechtsmittelinstanzen zu prüfen war und die Aufhebung einer die örtliche Zuständigkeit fälschlicherweise annehmenden Entscheidung zur Folge hatte (Senat Rechtspfleger 1972, 102; BayObLG Rechtspfleger 1981, 112; OLG Frankfurt FamRZ 2002, 112). Ein von einem örtlich unzuständigen Nachlassgericht erteilter Erbschein war zwar nicht unwirksam, unterlag aber zwingend der Einziehung (OLG Frankfurt FamRZ 2002, 112).
Der dem § 513 Abs. 2 ZPO nachempfundene § 65 Abs. 4 FamFG ordnet nun an, dass eine Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszugs seine (örtliche) Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. In der Übernahme dieser auf ein streitiges, der Parteidisposition unterliegendes Verfahren zugeschnittenen Formulierung zeigt sich schon, dass der Gesetzgeber die vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Verfahren nach dem FamFG nicht hinreichend ins Blickfeld genommen hat. In diesen Verfahren sind nämlich die entscheidungserheblichen Tatsachen von Amts wegen zu ermitteln (§ 26 FamFG). Dieser Grundsatz gilt nach allgemeiner Meinung nicht nur für die erste Instanz, sondern auch für die Beschwerdeinstanz als zweite Tatsacheninstanz. Entscheidungserhebliche Tatsachen – und dazu gehört auch die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts – sind von Amts wegen zu überprüfen; es ist gerade nicht erforderlich, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde (auch) auf diesen Punkt stützt.
In dem vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten Erbscheinsverfahren nach dem FamFG besteht auch eine dringende Notwendigkeit einer uneingeschränkten Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit durch die Rechtsmittelinstanz, da es dort anders als in ZPO-Verfahren eine Vorschrift über eine anderweitige Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr.1 ZPO) nicht gibt. Es besteht danach die Gefahr, dass zum einen ein seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht bejahendes Nachlassgericht einen Erbschein erteilt, und zum anderen auch das tatsächlich örtlich zuständige Nachlassgericht einen – ggf. inhaltlich abweichenden – Erbschein erteilt. Auf die entsprechenden Beschwerden hätten dann bei einer strikten Anwendung des § 65 Abs. 4 FamFG zwei Beschwerdegerichte die inhaltliche Richtigkeit des jeweiligen Erbscheins zu überprüfen. Die mit der Einführung des § 65 Abs. 4 FamFG beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Beschwerdegerichte würde durch die Ermöglichung parallel laufender Beschwerdeverfahren, die beide auf eine inhaltliche Überprüfung des Erbscheins abzielen, gerade konterkariert.
Letztlich würde auch ein Wertungswiderspruch zu der bisher einhelligen Rechtsprechung und überwiegenden Literaturmeinung (vgl. die oben angeführten Nachweise und Münchener Kommentar zum BGB/Grziwotz, 7. Auflage 2017, § 2361 Rn.14) entstehen, dass ein von einem örtlich unzuständigen Nachlassgericht erteilter Erbschein zwingend einzuziehen ist (diese bisher einhellige Praxis in einem obiter dictum in Frage stellend: OLG Köln FGPrax 2015, 129). Es wäre sinnwidrig, in dem Beschwerdeverfahren über den Feststellungsbeschluss die Frage der örtlichen Zuständigkeit auszublenden, wenn ein erteilter Erbschein auf eine entsprechende Anregung doch wieder eingezogen werden müsste (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 331). Die Möglichkeit, einen von einem örtlich unzuständigen Gericht erteilten Erbschein – ohne weitere Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit – einzuziehen, muss aber im Interesse der Erhaltung der Legitimationswirkung des Erbscheins weiterhin gegeben sein. Ein von einem örtlich unzuständigen Gericht erteilter Erbschein muss von diesem eingezogen werden können und zwar auch dann, wenn der Erbschein möglicherweise inhaltlich richtig ist. Die örtliche Unzuständigkeit und die damit verbundene Gefahr, dass das örtlich zuständige Gericht einen weiteren – möglicherweise anders lautenden – Erbschein erlässt, begründet einen solch schweren formalen Mangel, dass dieser nur durch Einziehung beseitigt werden kann (Bahrenfuss/Schaal, FamFG, 3. Auflage, § 343 Rn.69). Durch inhaltlich voneinander abweichende Erbscheine zweier Nachlassgerichte, die nicht aufgrund der relativ zügig vorzunehmenden Überprüfung der örtlichen Zuständigkeit wieder eingezogen werden könnten, sondern erst nach einer ggf. langwierigen inhaltlichen Überprüfung, würde die mit dem Erbschein verbundene Legitimationswirkung ausgehöhlt.
Wenn aber ein von einem örtlich unzuständigen Nachlassgericht erteilter Erbschein ohne Rücksicht auf seine inhaltliche Richtigkeit der Einziehung unterliegt, wäre es völlig verfehlt und mit der gesetzgeberischen Intention der Verfahrensbeschleunigung und Entlastung der Beschwerdegerichte unvereinbar, wenn das Beschwerdegericht im Verfahren betreffend die Überprüfung des Feststellungsbeschlusses die örtliche Unzuständigkeit des Nachlassgerichts auszublenden hätte und ein ggf. kostenintensives und langwieriges Beschwerdeverfahren über einen zu erteilenden Erbschein durchführt, der ohnehin der sofortigen Einziehung unterliegt.
Nach alledem ist die örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts für das Erbscheinsverfahren in einer einschränkenden Auslegung des § 65 Abs. 4 FamFG in der Beschwerdeinstanz inhaltlich zu überprüfen. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Höxter ist nach dem oben Ausgeführten zu verneinen.
Die danach gemäß § 3 Abs. 1 FamFG gebotene Sachentscheidung über die Verweisung hat der Senat selbst von Amts wegen zu treffen; eines Verweisungsantrags des Antragstellers im Erbscheinsverfahren bedarf es nicht (so auch OLG Frankfurt FamRZ 2014, 331 und KG Berlin FGPrax 2011, 260).
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die Entscheidung über die Verweisung nach § 3 Abs. 3 Satz 1 FamFG nicht der Anfechtung unterliegt.