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Gemeinschaftliches Testament – Auslegung des Begriffs des „gleichzeitigen Versterbens“

OLG Nürnberg –  Az.: 15 W 2060/13 – Beschluss vom 23.01.2014

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) wird der Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Hersbruck vom 23.8.2013 aufgehoben.

II. Die Tatsachen, die zur Erteilung des von den Beteiligten zu 1) und 2) beantragten Erbscheins erforderlich sind, werden für festgestellt erachtet. Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Hersbruck wird insoweit angewiesen, einen Erbschein zu erteilen, der die Beteiligten zu 1) und 2) als Miterben zu 1/2 ausweist.

II. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.

III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 190.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der kinderlose, verwitwete Erblasser ist am 6.5.2013 verstorben; seine Ehefrau, mit der er seit 23.12.1960 verheiratet war, ist am 17.1.2013 vorverstorben. Die Beteiligten zu 3) und 4) sind die Geschwister des Erblassers; die Beteiligten zu 1) und 2) sind die Kinder der vorverstorbenen Ehefrau.

Es liegt ein von den Ehegatten privatschriftlich errichtetes gemeinschaftliches Testament vom 20.1.2009 vor, das folgenden Inhalt hat:

„W. 20.1.2009 … Testament:

Eheleute R. und M. G.

Geb. … Geb. …

Bei Ableben von einer der Ehegatten:

Für Einen der Hinterbliebenen: Bestimmen wir das die Wohnung W, …, und vorhandenes Bargeld bekommt der Hinterbliebene.

Sollten wir Beide gleichzeitig versterben bekommt zu gleichen Teilen Sohn E. B. gb. … und Tochter V. M. geb. … den hinterlassenen Besitz.

M. G. geb. …

R. G.“

Am 24.7.2013 beantragten die Beteiligten zu 1) und 2) einen Erbschein, wonach der Erblasser aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments vom 20.1.2009 von ihnen je zu 1/2 beerbt worden sei.

Mit Beschluss vom 23.8.2013 hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Hersbruck den Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Erblasser von den Beteiligten zu 3) und 4) als gesetzliche Erben beerbt worden sei. Das gemeinschaftliche Testament regele nur den ersten Erbgang sowie den Fall des zeitgleichen oder kurz hintereinander eintretenden Todes der Testierenden; letzteres sei vorliegend jedoch nicht gegeben.

Gegen diesen, den Beteiligten zu 1) und 2) am 27.8.2013 zugestellten Beschluss richtet sich ihre mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 30.9.2013 erhobene Beschwerde, die am selben Tage beim Amtsgericht einging. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss inhaltlich unzutreffend sei, da sich die Erbfolge nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 20.1.2009 richte. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Beschwerdebegründung verwiesen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 8.10.2013 der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat vorgelegt.

II.

1. Die nach § 58 FamFG statthafte Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere gemäß § 63 Abs. 1 FamFG fristgerecht eingelegt worden. Nach der beim Direktor des Amtsgerichts Hersbruck erholten Stellungnahme ist – entsprechend dem Vorbringen der Beschwerdeführer – davon auszugehen, dass der Beschwerdeschriftsatz bereits am 30.9.2013 vollständig per Telefax beim Nachlassgericht eingegangen ist.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Erbfolge nach dem Erblasser bestimmt sich entgegen der Meinung des Nachlassgerichts nach dem gemeinschaftlichen Testament vom 20.1.2009.

Die Formulierungen „bei gleichzeitigem Ableben“ oder „bei gleichzeitigem Versterbens“ werden in der Rechtsprechung über den strengen Wortsinn hinaus – nach dem nur der Fall geregelt wäre, in dem die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde den Tod finden (vgl. BayObLGZ 1996, 243/247) – so ausgelegt, dass sie auch noch Fallgestaltungen betreffen, in denen von einem „gleichzeitigen Tod“ nur im weiteren Sinne die Rede sein kann, in denen aber im Hinblick auf den Sinn einer derartigen Regelung praktisch kein Unterschied zum gleichzeitigen Tod der Ehegatten im engeren Sinne besteht.

Ehegatten, die sich gegenseitig zu Erben einsetzen, ohne diese Regelung mit einer Erbeinsetzung für den Tod des Längerlebenden von ihnen (Schlusserbeneinsetzung) zu verbinden, bezwecken damit, dass dem Überlebenden der Nachlass des Erstversterbenden zufällt und dass er über das Gesamtvermögen – auch von Todes wegen – frei verfügen kann. Ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht dann für den Fall des „gleichzeitigen Todes“, in dem es nicht zu einer Beerbung des einen Ehegatten durch den anderen – und zu einer weiteren Verfügung von Todes wegen des überlebenden Ehegatten – kommt. Dieser Regelungsbedarf besteht nicht nur für den Fall des in engerem Sinn gleichzeitigen Todes, sondern auch in Fällen, in denen die Ehegatten innerhalb eines kürzeren Zeitraums nacheinander sterben, sei es aufgrund ein und derselben Ursache, z.B. eines Unfalls, sei es aufgrund verschiedener Ursachen, wenn der Überlebende nach dem Tod des Erstversterbenden praktisch keine Möglichkeit mehr hat, ein Testament zu errichten. In diesem Fall des Versterbens kurz nacheinander würde zwar die gegenseitige Erbeinsetzung greifen, doch hinge es vom Zufall der Reihenfolge des Versterbens ab, ob – wenn keine entsprechende letztwillige Verfügung getroffen wurde – den gesetzlichen Erben des Ehemannes oder den gesetzlichen Erben der Ehefrau das gesamte Vermögen beider Eheleute zufließt. Es ist daher sinnvoll und naheliegend, wenn die Ehegatten die gegenseitige Beerbung anordnen und im Übrigen dem Überlebenden freie Hand lassen wollen, eine zusätzliche Regelung jedenfalls für den Fall zu treffen, dass keiner den anderen überlebt oder der Überlebende wegen zeitnahen Nachversterbens zu einer letztwilligen Verfügung nicht mehr in der Lage ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 24.10.2013, 1 Wx 139/13 m.w.N., zit. nach juris).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben geht der Senat vorliegend davon aus, dass der Erblasser seiner Ehefrau mit 15 Wochen und vier Tagen noch so zeitnah nachverstorben ist, dass von einem „gleichzeitigen Versterben“ im Sinne der Anordnung im gemeinschaftlichen Testament ausgegangen werden muss. Bei der Beantwortung der Frage, welcher Zeitraum bei der Alternative zu bemessen ist, dass der Längerlebende praktisch keine Möglichkeit hatte, eine neue letztwillige Verfügung zu errichten, ist auf die besonderen Umstände des Einzelfalles abzustellen. Hierbei ist vor allem auch die Trauerphase einzubeziehen, in dem von dem längerlebenden Ehegatten nicht erwartet werden kann, dass dieser sogleich ein neues Testament errichtet (vgl. Horn in Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, § 23 Rn. 14). In diesem Zusammenhang ist vor allem zu sehen, dass der Erblasser und seine Ehefrau 52 Jahre verheiratet waren und dass – nach unwidersprochenem Vorbringen – der Tod der Ehefrau „den 81-Jährigen zutiefst erschüttert und ihn völlig aus der Bahn geworfen“ hat. Bei Berücksichtigung dieser Umstände konnte vom Erblasser die Errichtung einer neuen letztwilligen Verfügung bis zum eigenen Tod am 6.5.2013 jedoch nicht erwartet werden.

Damit ist entsprechend Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) ein Erbschein zu erteilen, der diese als Miterben zu 1/2 ausweist.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG.

2. Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG.

3. Die Voraussetzung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.

 

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