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Grundstücksschenkung mit vorbehaltenem Wohnungsrecht

Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Grundstücksschenkung mit vorbehaltenem Wohnrecht: Rechtliche Nuancen und Implikationen

Die Regelungen des Erbrechts stellen Laien oft vor komplexe Herausforderungen. Ein kürzlich durch das LG München II (Az.: 1 O 255/19) getroffenes Urteil wirft neues Licht auf den Umgang mit Schenkungen, insbesondere bei der Übertragung von Grundstücken mit behaltenem Wohnrecht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 O 255/19  >>>

Schenkung und Pflichtteilsberechnung: Der Kern der Streitigkeit

Im vorliegenden Sachverhalt drehte sich der Disput um die Frage, inwieweit eine Grundstücksschenkung mit vorbehaltenem Wohnrecht zu einer Pflichtteilsergänzung führen kann. Das Gericht kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass eine Schenkung nur dann als „geleistet“ im Sinne des § 2325 Abs. 3 BGB gilt, wenn der Erblasser nicht nur seine Eigentumsposition endgültig aufgibt, sondern auch auf die wesentliche Nutzung des geschenkten Gegenstandes verzichtet.

Die Bedeutung des vorbehaltenen Wohnrechts

Dem Urteil zufolge ist das vorbehaltene Wohnrecht des Erblassers ein maßgeblicher Aspekt bei der Beurteilung, ob eine Schenkung als „geleistet“ betrachtet werden kann oder nicht. Der Bundesgerichtshof definiert eine „Leistung“ im Sinne des § 2325 Abs. 3 BGB erst dann als erbracht, wenn der Erblasser auf die wesentliche Nutzung des geschenkten Gegenstands verzichtet und seine Eigentümerschaft eindeutig aufgibt.

Ausnahmen und Einzelfallbeurteilung

Allerdings gibt es Ausnahmefälle und der konkrete Einzelfall ist entscheidend für die endgültige Beurteilung, ob eine Notwendigkeit der Pflichtteilsergänzung besteht. Auf der Grundlage des Urteils des LG München II kann beispielsweise ein Wohnungsrecht, das nur an Teilen der übergebenen Immobilie besteht, nicht als ein grundlegendes Hindernis für den Beginn des Fristablaufs nach § 2325 Abs. 3 BGB gesehen werden.

Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches

Das Gericht nutzte das Konzept des „abgeschmolzenen“ Verkehrswertes der Grundstücke zur Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs. Dieser Wert wurde von der fiktiven Betriebsaufgabesteuer und dem bereits an den Kläger übertragenen Erbteil abgezogen. Somit ergab sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 32.700,65 €.

Das Urteil des LG München II leistet einen wichtigen Beitrag zur Klärung der oft verworrenen rechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Vorbehaltsnutzung im Kontext von Schenkungen und deren Auswirkungen auf Pflichtteilsansprüche. Es schärft das Verständnis für den zentralen Aspekt der Nutzungsaufgabe und hebt dessen entscheidende Bedeutung bei der Berechnung des Pflichtteils hervor.


Das vorliegende Urteil

LG München II – Az.: 1 O 255/19 – Endurteil vom 08.07.2021

Leitsatz:

Eine Schenkung gilt nicht als iSv § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Eine Leistung liegt nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.


1.Der Beklagte wird verurteilt, wegen einer Zinsforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 32.700,65 € seit 16.03.2018 bis zum 21.02.2019 die Zwangsvollstreckung in die im Grundbuch von Egmating, Bl. 2144, eingetragenen Grundstücke Fl.Nr. 93, 119/3, 579, 618 und 974 zugunsten des Klägers zu dulden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich des ausgeurteilten Betrages durch dessen Zahlung zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.02.2019 abzuwenden.

3.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Beklagten jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet. – Beschluss – Der Streitwert wird auf 79.112,16 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beklagten geltend.

Die Kläger sind Brüder sowie Erben zu 1/3 nach dem am 06.02.2017 verstorbenen Erblasser J. S., dessen Nachlass einen Wert von 9.535,95 € betrug.

Mit Überlassungsvertrag vom 30.11.2010 (Anl. K1) hatte der Erblasser dem Beklagten folgende Grundstücke in der Gemarkung Egmating übertragen:

– Flst.Nr. 119/3 Landwirtschaftsfläche zu 0,1980 ha

– Flst.Nr. 579 Landwirtschaftsfläche zu 1,1954 ha

– Flst.Nr. 618 Landwirtschaftsfläche 1,8809 ha

– Flst.Nr. 974 Waldfläche zu 0,4980 ha

– Flst.Nr. 93 Gebäude- und Freifläche zu 0,1763 ha Der Erblasser behielt sich ein lebenslanges Wohnungs- und Mitbenützungsrecht des im A.weg 5 gelegenen Gebäudes vor, das ihn berechtigte, bestimmte Räume des bestehenden Bauernhauses alleine zu nutzen sowie alle zum gemeinsamen Gebrauch der Hausbewohner bestimmten Anlagen, Einrichtungen und Räume angemessen mitzubenutzen (vgl. Ziffer IV.A.1. des Übergabevertrags, Anl. K1). Der Übernehmer verpflichtetet sich außerdem zur Verköstigung, Wart und Pflege sowie zur Übernahme von Pkw-Fahrten für den Übergeber (Ziffer IV.A. 2. Bis 5 des Übergabevertrags, Anl. K1).

Die Eigentumsumschreibung erfolgte am 13.01.2011.

Zum Zeitpunkt der Übergabe hatte die Gebäude- und Freifläche mit der Flst.Nr. 93 einen Verkehrswert von 493.000 € und die landwirtschaftlichen Flächen und der Wald einen Verkehrswert von 162.000 € (vgl. Verkehrswertgutachten vom 05.02.2018, Anl. K1).

Der Kläger machte einen Pflichtteilsergänzungsanspruch von 79.112,16 € geltend. Er ist der Ansicht, dass von dem Verkehrswert der übergegebenen Grundstücke eine latente Betriebsaufgabesteuer von 74.048,00 € abzuziehen sei. Aufgrund des dem Erblasser eingeräumten Wohn- und Mitbenützungsrechts sei bezüglich des Grundstücks mit Flst.Nr. keine Abschmelzung gemäß § 2325 Abs. 3 BGB vorzunehmen. Für die klägerische Berechnung des Pflichteilsanspruchs wird auf S. 6 der Klageschrift (Bl. 6 d.A.) verwiesen.

Durch Schriftsatz vom 04.03.2019 erklärte der Kläger die Klage in Höhe von 32.186,00 € teilweise für erledigt. Durch Schriftsatz vom 18.03.2019 erklärte der Kläger die Klage in Höhe von weiteren 1.589,00 € teilweise für erledigt. Der Beklagte stimmte der Erledigungserklärung des Klägers zu.

Der Kläger beantragt, der Beklagte wird verurteilt, wegen einer Forderung in Höhe von 79.112,16 € nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.03.2018 die Zwangsvollstreckung in die im Grundbuch von Egmating, Bl. 2144, eingetragenen Grundstücke Fl.Nr. 93, 119/3, 579, 618 und 974 zugunsten des Klägers zu dulden.

Der Beklagte beantragt, die Klage wird abgewiesen.

Hilfsweise:

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich des ausgeurteilten Betrages durch Zahlung des ausgeurteilten Betrages zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage abzuwenden.

Der Beklagte ist der Meinung, von dem Verkehrswert der übergebenen Grundstücke sei eine latente Betriebsaufgabesteuer in Höhe von 96.713,00 € abzuziehen. Der Beklagte berechnet einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 33.775 € (vgl. Bl. 15). Durch die Zahlungen des Beklagten sei Erfüllung eingetreten.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen M. Z.. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Gutachten vom 18.08.2020 (Bl. 93/104).

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht wurde der 17.06.2021 bestimmt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird verwiesen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien sowie Anlagen und sonstige Aktenteile.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig.

Aufgrund der Erklärungen der teilweisen Erledigung in Höhe von insgesamt 33.775 € ist der klägerische Antrag analog §§ 133, 157 ZPO dahingehen auszulegen, dass der Kläger die Duldung der Zwangsvollstreckung in die streitgegenständlichen Grundstücke wegen einer Forderung in Höhe von 45.337,16 € verfolgt. Zwar hat der Kläger seinen Antrag nicht ausdrücklich angepasst, jedoch ist davon auszugehen, dass der Kläger mit seinem Antrag das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020 Rn. 25, ZPO § 253 Rn. 25).

II. Die Klage ist nur hinsichtlich der Zinsen begründet.

Zum Zeitpunkt der Klageerhebung stand dem Kläger ein Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §§ 2325, 2329 BGB in Höhe von 32.700,65 € zu. Durch die Zahlungen der des Beklagten in Höhe von 33.775 € ist der Anspruch in voller Höhe erloschen (§ 362 BGB).

1. Grundsätzlich stand dem Kläger ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu.

1.1. Die Rechtsfrage, ob es sich bei einer Übergabe aufgrund eines Übergabevertrags um eine Schenkung handelt, ist im Einzelnen streitig (Palandt/Weidlich, 80. Aufl. 2021, § 2315 Rn. 25). Haben die Parteien in einem Übergabevertrag den Charakter der Zuwendung an den Übernehmer nicht ausdrücklich festgelegt, so ist nach Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit der Annahme einer Schenkung Zurückhaltung geboten, wenn es um den aus bäuerlichen Verhältnissen erwachsenen und in den bäuerlichen Kreisen weitgehend üblichen typischen Hofübergabevertrag geht (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 22. Mai 1995 – 1Z RR 62/94 -, Rn. 42, juris). Vorliegend hat der anwaltlich vertretene Beklagte jedoch nicht bestritten, dass es sich um eine Schenkung iSv. § 516 BGB, d.h. um eine unentgeltliche Zuwendung aus dem Vermögen des Zuwenders handelt.

1.2. Für die Berechnung des Ergänzungspflichtteils nach §§ 2315, 2329 BGB ist auf den fiktiven Ergänzungsnachlass abzustellen. Dieser beträgt nach der Berechnung des Gerichts 247.969,32 €. Dazu im Einzelnen:

a) Zwischen den Parteien des Rechtsstreits ist – wohl aufgrund des Umstands, dass es sich bei dem Grundstück mit der Flst.Nr. 93 um ein Grundstück im baurechtlichen Innenbereich liegt – unstreitig, dass vorliegend als Berechnungsgrundlage des Pflichtteilsergänzungsanspruchs auf den Verkehrswert und nicht – wie in Ziffer V. des Übergabevertrags geregelt – auf den regelmäßig niedrigeren Ertragswert des landwirtschaftichen Betriebs, abzustellen ist. Auch die Höhe des Verkehrswerts von insgesamt 656.000 € unstreitig.

b) Von dem Verkehrswert ist die Steuerbelastung bei der fiktiven Betriebsaufgabe in Höhe von 80.932,00 € abzuziehen. Der Sachverständige hat zwar eine Steuerbelastung von 84.592 € berechnet (vgl. S. 11 des Gutachtens vom 18.08.2020; Bl. 103 d.A.), der Kläger hat jedoch zutreffend auf Übertragungs- bzw. Rechenfehler des Sachverständigen hingewiesen (Bl. 110 d.A) und die Steuerbelastung von 80.932 € korrekt berechnet.

c) Nach Abzug der Steuerbelastung aufgrund der fiktiven Betriebsaufgabe verbleibt ein Wert der zugewendeten Grundstücke von 575.068 €. Bei Immobilien handelt es sich um nicht verbrauchbare Sachen, so dass der Wert nach § 2325 Abs. 2 S. 2 BGB zu berechnen ist. Es ist dabei auf den Wert zum Zeitpunkt der Schenkung abzustellen, da dieser der geringere Wert ist. Die erforderliche Indexierung von 7,8% (zu Indexierung vgl. Palandt/Weidlich, § 2325 Rn. 18) führt zu einem Wert von 619.923,30 €. Die Indexierung wurde auf der Basis von www.destatis.de berechnet.

d) Nach § 2323 Abs. 3 BGB wird für die Berechnung des Pflichtteilergänzungsanspruchs vorliegend die Schenkung in Höhe 4/10 berücksichtigt, d.h. von dem bereinigten Verkehrswert wird eine Abschmelzung von 60% vorgenommen. Dabei ist eine Abschmelzung auch von dem bereinigten und indexierten Verkehrswert des Grundstücks Flst.Nr. 93 vorzunehmen. Der „abgeschmolzene“ Verkehrswert der Grundstücke beträgt 247.969,32 €.

Der Umstand, dass der Erblasser sich ein Wohnrecht an bestimmten Räumen des Bauernhauses, nämlich Küche, Bad, WC, und Wohnzimmer im Erdgeschoss sowie zwei Schlafzimmer im Obergeschoss vorbehalten hat, steht dem Fristbeginn nach § 2325 Abs. 3 BGB bezüglich des gesamten Grundbesitzes nicht entgegen.

aa) Grundsätzlich liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Leistung im Sinne von § 2325 Abs. 3 Halbsatz 1 BGB erst dann vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (BGH, Urteil vom 29.04.1974, Az. V ZR 132/93, BGHZ 125, 395, 398 f.; BGH, Urteil vom 29. Juni 2016 – IV ZR 474/15 -, BGHZ 211, 38-45, Rn. 9). Der Gesetzgeber hat von dem fiktiven Nachlass, aus dem der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet wird, nur solche Schenkungen ausnehmen wollen, deren Folgen der Erblasser längere Zeit hindurch zu tragen und in die er sich einzugewöhnen hatte. Darin sah der Gesetzgeber eine gewisse Sicherheit vor „böslichen“ Schenkungen. Deshalb gilt eine Schenkung nicht als geleistet, wenn der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Wird bei einer Schenkung daher der Nießbrauch uneingeschränkt vorbehalten, ist der „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nicht aufgegeben worden. Diese Grundsätze gelten nach der Neufassung des § 2325 Abs. 3 BGB zum 01.01.2010 auch weiterhin (BGH, BGHZ 211, 38-45, Rn. 10).

bb) Für die Frage, ob und inwieweit auch vorbehaltene Wohnrechte an dem übertragenen Grundstück einem Fristbeginn im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB entgegenstehen können, hat der BGH betont, dass das Wohnungsrecht, anders als ein Nießbrauch, lediglich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1093 Abs. 1 BGB darstellt, durch die der Berechtigte das Recht erhält, ein Gebäude oder einen Teil desselben unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen. Die Ausübung dieser Dienstbarkeit kann einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies bedeutet aber nicht, dass nicht auch – in Ausnahmefällen – bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein kann. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Eine Schenkung gilt nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den „Genuss“ des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Eine Leistung liegt vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (BGH, BGHZ 211, 38-45, Rn. 14/15).

cc) Vorliegend ist für die Beurteilung dieser Frage auf die übergebenen Grundstücke in ihrer Gesamtheit abzustellen und nicht nur auf das Grundstück Flst.Nr. 93. Der Erblasser übergab dem Beklagten einen landschaftlichen Betrieb. Dass die Gebäude- und Betriebsfläche und die landwirtschaftlichen Flächen verschiedene Flurnummern haben, ändert nichts daran, dass im Rahmen eines typischen Hofübergabevertrags der gesamte Hof, d.h. Bauernhaus und landwirtschaftliche Flächen, übergeben wurden. Aus Ziffer II. 1. geht hervor, dass Gegenstand des Übergabevertrags das gesamte landwirtschaftliche Anwesen mit allen Grundstücken samt Gemeinderecht und Anteilen an der Forstrechtsentschädigung, dazu gehörenden Bestandteilen und Rechten, insbesondere Gebäuden, sowie dem gesamten landwirtschaftlichen Inventar […] war. In Ziffer V. des Übergabevertrags ist geregelt: „Die heutige Übergabe erfolgt in vorweggenommener Erbfolge zum Zwecke einer geschlossenen Fortführung des übergebenen landwirtschaftlichen Betriebs“.

dd) Doch auch, wenn man eine gesonderte Betrachtung nur des Grundstücks mit der Flst.Nr. 93 vornehmen will, rechtfertigt der Vorbehalt des Wohnrechts an den im Übergabevertrag genannten Räumen nicht die Annahme, dass der Übergeber das gesamte 1.763 qm-große Grundstück mit der FlSt.Nr. 93 weiterhin genutzt hat. Vorliegend wurde im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge zu Versorgungszwecken ein Wohnrecht für den Übergeber nur an Teilen des Zuwendungsobjekts begründet. Diese tradierte Form der vorweggenommenen Erbfolge, die von einem Nebeneinanderleben von Altenteiler und Übernehmer geprägt wird, hemmt den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB nicht (BeckOK BGB/Mayer, 3. Ed. 1.4.2003, BGB § 2325 Rn. 31; BeckOGK/A. Schindler, 1.4.2021, BGB § 2325 Rn. 287, beck-online)

e) Wenn das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht nur an Teilen der übergebenen Immobilie besteht, so ist der Erblasser – anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs – mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als „Herr im Haus“ bzw. „Herr auf den Hof“ anzusehen (vgl. OLG Karlsruhe ZEV 2008, 244, 245; Herrler, ZEV 2008, 461, 463; BGH, BGHZ 211, 38-45, Rn. 16).

1.3. Die Schenkung von 5.522,50 € an den Kläger im Jahr 1993 gemäß § 2327 BGB in Höhe von 7.775,68 € zu berücksichtigen. Die Indexierung beträgt auf der Basis der Berechnung von www.destatis.de 40,8%.

1.4. Die Steuerberaterkosten von 3.355,80 € fallen gemäß § 2314 Abs. 2 BGB dem Nachlass zur Last. Die Ermittlung der latenten Betriebsaufgabesteuer war zur Ermittlung des fiktiven Nachlasswerts erforderlich und fällt daher, wie sonstige Gutachten zur Ermittlung des Werts des (fiktiven) Nachlasses, dem Nachlass zur Last (MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2314 Rn. 62). Die Höhe der Rechnung, die ca. 500 € unter der Kostennote des gerichtlichen Sachverständigen liegt, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

1.5. Der dem Kläger zustehende Pflichtteil von 1/6 in der Höhe von 43.654,33 € berechnet sich aus einem bereinigten Nachlass von 261.925,95 €. Von diesem ist die Schenkung an den Kläger sowie der bereits erhaltende Erbteil von 3.178 € abzuziehen, so dass sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von 32.700,65 € ergibt.

1.6. Durch die Zahlung des Beklagten nach Rechtshängigkeit ist der Anspruch in voller Höhe erloschen.

Zur Verdeutlichung der Berechung des Gerichts wird auf folgende Tabelle verwiesen:

Fiktiver Nachlass

Verkehrswert Immobilien 656000,00

./. Steuer fiktive Betriebsaufgabe 80932,00

Zwischensumme 575068,00

x Indexierung iHv 7,8% 619923,30

./. Abschmelzung iHv. 60% 371953,98

Ergebnis 247969,32

+ Schenkung an den Kläger 5522,50

x Indexierung iHv. 40,8% 7775,68

tatsächlicher Nachlass 9535,95

Nachlass insgesamt 265280,95

./. Steuerberaterrechnung 3355,00

Gesamter bereinigter Nachlass 261925,95

Pflichtteil (1/6) 43654,33

./. Schenkung an den Kläger 7775,68

./. an den Kläger ausgezahlter Erbteil 3178,00

Pflichtteilsergänzungsanspruch 32700,65

./. Zahlung nach Rechtshängigkeit 33775,00

Restanspruch – 1074,35

III. Antragsgemäß war der Vorbehalt gemäß § 2329 Abs. 2 BGB im Urteil auszusprechen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280, 286 BGB. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 709, 711 ZPO.

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