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Pflichtteilsentziehung – Verurteilung wegen vorsätzlicher Straftat

Unwirksamwerden Verzeihung

LG Bonn – Az.: 2 O 66/19 – Teilurteil vom 18.12.2019

1)  Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen über den Bestand der Nachlässe des am ##.##.2017 verstorbenen Herrn C2 und der am ##.##.2018 verstorbenen Frau C, jeweils durch Vorlage eines Verzeichnisses, das den gesamten tatsächlichen und fiktiven Nachlass des Erblassers/ der Erblasserin enthält und in dem verzeichnet sind  sämtliche am Todestag vorhandenen Vermögenswerte, Gegenstände, Rechte und Ansprüche, sowie Nachlassverbindlichkeiten,

  •   sämtliche Schenkungen des Erblassers/ der Erblasserin an die Beklagten,
  •   alle Zuwendungen des Erblassers/ der Erblasserin an dritte Personen in den letzten 10 Jahren vor dem Tod des Erblassers/ der Erblasserin,
  •   alle Zuwendungen des Erblassers/ der Erblasserin, die eine Ausgleichspflicht nach den §§ 2050 ff., 2316 BGB auslösen können,
  •   alle bedingten, ungewissen und unsicheren Rechte sowie zweifelhaften Verbindlichkeiten des Erblassers/ der Erblasserin,
  •   sämtliche Lebensversicherungsverträge und sonstigen Verträge zugunsten Dritter, die der Erblasser/ die Erblasserin zu Lebzeiten abgeschlossen hat und die bei seinem bzw. ihrem Tode noch bestanden haben sowie Mitteilung der Bedingungen bei Zuwendungen, die keine Schenkungen sind, beispielsweise die Übertragung von Immobilien gegen den Vorbehalt oder die Einräumung eines Nießbrauches, Altenteils oder Wohnungsrechtes.

2)  Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3)  Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000 Euro.

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft und Zahlung von Pflichtteil.

Die Parteien sind die vier (Adoptiv-) Kinder des am ##.##.2017 verstorbenen C2 und der am ##.##.2018 verstorbenen C. Die Erblasser lebten im Güterstand der Gütergemeinschaft.

Die Erblasser setzten sich mit notariellem Ehe- und Erbvertrag vom 1.02.1988 (UR-Nr. ###/## Notar X mit dem Amtssitz in D) gegenseitig zu Alleinerben ein. Mit notariellem Nachtrag vom 30.04.1996 (UR-Nr. ####/## Notar X mit dem Amtssitz in D) bestimmten sie die Beklagten zu Erben und entzogen dem Kläger den Pflichtteil. Wörtlich heißt es:

„Die Eheleute C entziehen W C auch den Pflichtteil gemäß § 2333 Abs. 5 BGB. […] Die Entziehung erfolgt, weil W seit circa zwei Jahren fortgesetzt in kriminelle Handlungen verwickelt ist, wie zum Beispiel Einbrüche, Scheckbetrug, Beziehung zum Drogenhandel. Uns ist bekannt, dass die Entziehung des Pflichtteils unwirksam ist, wenn er sich zur Zeit des Erbfalls von dem ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel dauerhaft abgewendet hat.“

Der Kläger wurde am ##.##.1996 vom Amtsgericht – Jugendschöffengericht – D (Ls ### Js #####/##) wegen fünf sachlich zusammentreffenden Fällen des jeweils gemeinschaftlich begangenen Computerbetruges, sachlich zusammentreffend mit drei sachlich zusammentreffenden Fällen des gemeinschaftlich begangenen Diebstahls, davon in einem Fall versucht, unter Einbeziehung einer Verurteilung des Amtsgerichts D vom ##.##.1994 (Ls ### Js #####/##) zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Der Verurteilung lagen Taten zwischen dem 19.08.1995 und 28.10.1995 zugrunde. Wegen der Einzelheiten des Strafurteils wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 29.10.2019 Bezug genommen.

Am ##.##.1997 wurde der Kläger vom Amtsgericht – Jugendschöffengericht – D (Ls ### Js #####/##) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen, in einem Fall davon rechtlich zusammentreffend mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sachlich zusammentreffend mit einem Diebstahl unter Einbeziehung der vorgenannten Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Verurteilung lagen Taten zwischen dem 11.08.1996 und 18.12.1996 zugrunde. Wegen der Einzelheiten des Strafurteils wird auf die Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 02.08.2019 Bezug genommen (Bl. ### ff. d. A.).

Seitdem ist der Kläger wiederholt verurteilt worden und inhaftiert gewesen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung befand er sich ebenfalls in Strafhaft.

Der Kontakt des Klägers zu seinen Eltern ist auch während der verschiedenen Haftstrafen nie abgebrochen. Während der letzten Inhaftierung vor dem Tod der Erblasser lernte der Kläger im Mai 2014 eine Frau kennen. Gemeinsam mit ihr und zum Teil ihren drei Kindern verbrachte er in 2014 regelmäßig Wochenendausgänge bei den Eltern und wurde von der Mutter versorgt. Die Mutter verbürgte sich auch für eine nach Haftentlassung im Dezember 2014 vom Kläger und seiner Partnerin in Aussicht genommene Mietwohnung, die sie aber schlussendlich nicht beziehen konnten. Sie bezogen stattdessen zeitweilig die Dachgeschosswohnung im Haus der Erblasser, bevor sie eine eigene Wohnung fanden.

Der Kläger fordert seinen Pflichtteil nach beiden Elternteilen. Er ist der Ansicht, dass die Pflichtteilsentziehung bereits nicht wirksam ist. § 2333 Nr. 5 BGB a.F., auf den die Erblasser den Pflichtteilsentzug gestützt hätten, sei ersatzlos gestrichen worden und auf Erbfälle nach dem 01.01.2010 nicht mehr anwendbar. Der Pflichtteilsentzug könne auch nicht mit § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB n.F. gerechtfertigt werden, da der Grund der Pflichtteilsentziehung in der letztwilligen Verfügung nicht hinreichend angegeben worden sei gemäß § 2336 Abs. 2 BGB. Jedenfalls aber hätten die Erblasser ihm verziehen i.S.d. § 2337 BGB.

Der Kläger beantragt im Wege der Stufenklage, die Beklagten zu verurteilen, ihm Auskunft zu erteilen über den Bestand der Nachlässe des am ##.##.2017 verstorbenen C2 und der am ##.##.2018 verstorbenen C jeweils durch Vorlage eines Verzeichnisses, das den gesamten tatsächlichen und fiktiven Nachlass des Erblassers enthält und in dem verzeichnet sind  sämtliche am Todestag vorhandenen Vermögenswerte, Gegenstände, Rechte und Ansprüche, sowie Nachlassverbindlichkeiten,

sämtliche Schenkungen des Erblassers an die Beklagten,

alle Zuwendungen des Erblassers an dritte Personen in den letzten 10 Jahren vor dem Tod des Erblassers,

alle Zuwendungen des Erblassers, die eine Ausgleichspflicht nach den §§ 2050 ff., 2316 BGB auslösen können,

alle bedingten, ungewissen und unsicheren Rechte sowie zweifelhaften Verbindlichkeiten der Erblasserin,

sämtliche Lebensversicherungsverträge und sonstigen Verträge zugunsten Dritter, die der Erblasser zu Lebzeiten abgeschlossen hat und die bei seinem Tode noch bestanden haben sowie Mitteilung der Bedingungen bei Zuwendungen, die keine Schenkungen sind, beispielsweise die Übertragung von Immobilien gegen den Vorbehalt oder die Einräumung eines Nießbrauches, Altenteils oder Wohnungsrechtes.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass dem Kläger der Pflichtteil wirksam entzogen worden ist. § 2333 Nr. 5 BGB a.F. sei zwar entfallen, indes § 2333 Nr. 4 BGB einschlägig. Der zugrundeliegende Kernsachverhalt sei hinreichend in der letztwilligen Verfügung benannt. Eine Verzeihung der Erblasser i.S.d. § 2337 BGB sei auch nicht gegeben. Der Vortrag des Klägers hierzu sei vage und unsubstantiiert. Außerdem habe die Mutter der Parteien – insoweit unstreitig – noch Anfang des Jahres 2018 gegenüber der Polizei den Kläger verdächtigt, nachdem sie von ihr nicht veranlasste Abbuchungen auf ihrem Konto festgestellt hatte.

Die Beklagten rügen das fehlende Rechtsschutzbedürfnis der Auskunftsklage, da sie bereit seien, Auskunft zu erteilen. Ein notarielles Nachlassverzeichnis sei bereits in Auftrag gegeben worden, da die Tochter des Klägers auch den Pflichtteil von den Beklagten verlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 06.11.2019 (Bl. ### ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger hat gegen die Beklagten den geltend gemachten Auskunftsanspruch aus §§ 2314 Abs. 1, 2303 Abs. 1 S. 1 BGB hinsichtlich beider Erblasser, was die Kammer im Urteilstenor klarstellend zum Ausdruck gebracht hat.

Danach hat der Erbe bzw. mehrere Erben als Gesamtschuldner dem nicht erbenden Pflichtteilsberechtigten auf Verlangen über den Bestand des Nachlasses Auskunft zu erteilen. Pflichtteilsberechtigt ist ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist und dem der Pflichtteil nicht wirksam entzogen wurde.

1. Der Kläger wurde als Minderjähriger von den Erblassern adoptiert und ist mithin rechtlich ein Abkömmling, § 1754 BGB.

a) Nach der gesetzlichen Erbfolge unter Berücksichtigung des Güterstandes der Gütergemeinschaft betrug der Erbteil der Mutter der Parteien nach dem Tod des Vaters 1/4 gemäß §§ 1931 Abs. 1 S. 1, 1482 BGB, der der vier Abkömmlinge erster Ordnung, mithin von Kläger und Beklagten, jeweils 3/16 gemäß §§ 1924 Abs. 1, Abs. 4, 1931 Abs. 1 BGB. Der Kläger ist per Erbvertrag vom 01.02.1988 wegen bindender gegenseitiger Erbeinsetzung der Eltern enterbt. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers nach dem Tod des Vaters beläuft sich somit gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB auf 3/32.

b) Nach der gesetzlichen Erbfolge betrug der Erbteil des Klägers neben den drei Brüdern nach dem Tod der Mutter 1/4 gemäß §§ 1924 Abs. 1, Abs. 4, 1931 Abs. 1 BGB. Der Kläger ist per Nachtrag vom 30.04.1996 zum Erbvertrag der Erblasser vom 01.02.1988 enterbt, indem die Eltern die Beklagten zu Erben des Letztversterbenden bestimmten. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers nach dem Tod der Mutter beläuft sich somit gemäß § 2303 Abs.1 S. 2 BGB auf 1/8.

2. Die von den Erblassern ebenfalls im notariellen Nachtrag vom 30.04.1996 zum Erbvertrag vom 01.02.1988 geregelte Pflichtteilsentziehung ist unwirksam.

a) Der ausdrücklich von den Erblassern in der letztwilligen Verfügung benannte Entziehungsgrund des „ehrlosen und unsittlichen Lebenswandels“ gemäß § 2333 Nr. 5 BGB a.F. ist zum 01.01.2010 abgeschafft worden. Gemäß Art. 229 § 23 Abs. 4 S. 2 EGBGB gelten für die Erbfälle nach dem 01.01.2010 die neuen Vorschriften ohne Rücksicht darauf, ob sie an Ereignisse vor Inkrafttreten der Erbrechtsnovellierung anknüpfen. Auf einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel kann die Pflichtteilsentziehung mithin nicht mehr gestützt werden.

b) Sie lässt sich aber auch nicht mit § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB n.F. begründen. Ein Pflichtteilsentzug hiernach erfordert, dass der Betroffene wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gemäß § 2336 Abs. 2 S. 2 BGB muss für eine Entziehung nach § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung die Tat begangen sein und der Grund für die Unzumutbarkeit vorliegen; beides muss in der Verfügung angegeben werden.

Es fehlt bereits an den objektiven Voraussetzungen des Entziehungstatbestands. Denn der Kläger hatte am 30.04.1996 keine vorsätzliche Straftat begangen, wegen derer er zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde.

Dies folgt nicht bereits aus dem Umstand, dass der am ##.##.1978 geborene Kläger zum Zeitpunkt sämtlicher vor dem 30.04.1996 begangenen Straftaten – und nur diese sind gemäß § 2336 Abs. 2 S. 2 BGB von Relevanz – noch minderjährig war und deshalb am 21.03.1996 vom Amtsgericht D (nur) zu einer Jugendstrafe verurteilt wurde. Denn auch Jugendstrafen können nach Sinn und Zweck der Norm Freiheitsstrafen i.S.d. § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB sein (Erman/Röthel, 15. Aufl. 2017, § 2333 BGB Rn. 14; Dauner-Lieb/Grziwotz/Herzog, Pflichtteilsrecht, 2. Aufl. 2016, § 2333 BGB Rn. 66). Für den Erblasser kann ein schweres sozialwidriges Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten einen so schweren Verstoß gegen seine eigenen Wertvorstellungen darstellen, dass es für ihn schlechthin unzumutbar ist, einen Teil seines Vermögens dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassen zu müssen, obwohl sich das Fehlverhalten nicht gegen den Erblasser selbst richtet (BT-Drucks. 16/8954 S. 23). Insoweit kann es nicht darauf ankommen, ob der Pflichtteilsberechtigte die den Freiheitsentzug rechtfertigende Tat als Minderjähriger oder Erwachsener verübt hat.

Indes ergibt sich aus dem Urteil des Amtsgerichts D vom ##.##.1996 gerade nicht, dass der Kläger wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Denn der Verurteilung lagen – ebenso wie der einbezogenen Verurteilung des Amtsgerichts D vom ##.##.1994 – mehrere Sachverhalte zugrunde, aufgrund derer der Kläger zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt wurde. Gleiches gilt für die Verurteilung des Amtsgerichts D vom ##.##.1997, die im Übrigen lediglich Sachverhalte nach dem 30.04.1996 betraf.

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB den in § 2333 Nr. 5 BGB a.F. sanktionierten Verstoß gegen die sogenannte Familienehre durch eine zeitgemäße und die Voraussetzungen klar definierende Fassung ersetzen (BT-Drucks. 16/8954 S. 23). Im Rahmen von § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB kommt es hierbei auf die Schwere des sozialwidrigen Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten an, die in einer Straftat ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. Rückäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 16/8954 S. 36). Bei der Verurteilung zu einer Gesamtstrafe ist daher auf die jeweilige Einzelstrafe bzw. bei Tateinheit auf die Einsatzstrafe abzustellen (MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2333 Rn. 44; Erman/Röthel, 15. Aufl. 2017, § 2333 BGB Rn. 14). Dies ist im vorliegenden Fall freilich nicht möglich, da der Kläger wegen mehrerer Straftaten zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt worden ist, ohne dass Einzelstrafen – wie im Jugendstrafrecht auch nicht üblich – im Urteil angegeben wurden.

Soweit die Beklagten mit dem nachgelassenen Schriftsatz vom 27.11.2019 auf die Kommentierung von Müller-Engels zu § 2333 BGB Bezug nehmen (BeckOK BGB/ Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 52. Edition, Stand 01.08.2019, Rn. 25), ergeben sich hieraus keine weiterführenden Gesichtspunkte. Denn der dort in Bezug genommene DNotI-Report (2014, 116 f.) zitiert die Gesetzesbegründung unzutreffend. Die Bundesregierung hat in ihrer Rückäußerung auf die Stellungnahme des Bundesrats (BT-Drucks. 16/8954 S. 36) nicht erklärt, dass in der Begehung mehrerer vorsätzlicher Straftaten auch ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Pflichtteilberechtigten liegen könne. Vielmehr wird am angegebenen Ort ausgeführt, dass eine niedrige Freiheitsstrafe ohne Bewährung i.S.d. Norm in der Regel dann ausgesprochen werden wird, wenn der Verurteilte bereits mehrfach wegen Straftaten verurteilt worden ist, so dass auch der Lebenswandel des Pflichtteilsberechtigten den Pflichtteilsentzug rechtfertigen kann. Soweit also von mehreren Straftaten die Rede ist, wird lediglich auf Vorverurteilungen Bezug genommen.

Ungeachtet dessen, ob die der Verurteilung des Amtsgerichts D vom ##.##.1996 zugrundeliegenden Straftaten für die Erblasser Anlass zur Regelung des Pflichtteilsentzugs in der letztwilligen Verfügung vom 30.04.1996 waren – was naheliegt, denn die Erblasser formulierten „Einbrüche, Scheckbetrug, Beziehung zum Drogenhandel“ -, stellen sie keinen hinreichenden Grund für einen Pflichtteilsentzug nach neuem Recht dar. Die Kammer kann deshalb offen lassen, ob die Darstellung in der letztwilligen Verfügung den Anforderungen des § 2336 Abs. 2 BGB genügt. Der Pflichtteil ist dem Kläger nicht wirksam entzogen worden.

c) Zudem hatten die Erblasser dem Kläger nach Pflichtteilsentzug bereits verziehen, wodurch der Pflichtteilsentzug jedenfalls unwirksam ist gemäß § 2337 S. 2 BGB.

Verzeihung ist der nach außen kundgemachte Entschluss des Erblassers, aus den erfahrenen Kränkungen nichts mehr herleiten und über sie hinweggehen zu wollen. Die Verzeihung darf nicht mit der Versöhnung verwechselt werden, die zwar zumeist, aber nicht notwendig mit der Verzeihung einhergeht. Die Wiederherstellung einer dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechenden innigen und liebevollen Beziehung ist nicht erforderlich. Andererseits genügt es nicht, dass der Erblasser des Familienfriedens wegen oder, um das Zusammenleben erträglicher zu gestalten, gelegentliche persönliche Kontakte duldet oder sogar sucht (MüKoBGB/Lange, 8. Aufl. 2020, § 2337 Rn. 1). Es genügt jedoch, wenn in dem Verhältnis des Erblassers zu dem Abkömmling ein Wandel zur Normalität im Sinne eines Wiederauflebens der familiären Beziehungen stattgefunden hat (OLG Nürnberg BeckRS 2012, 12344, beck-online).

Hiervon ist vorliegend auszugehen. Denn der Kläger verbrachte im Jahr 2014 unstreitig mehrere Hafturlaube mit seiner Lebensgefährtin und zum Teil auch deren Kindern bei den Eltern und wohnte schließlich auch nach Entlassung aus der Haft Ende des Jahres 2014 zeitweilig in der Dachgeschosswohnung des Elternhauses. Den Beklagten ist mit dem Verweis auf OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1200 zuzugeben, dass allein das Bewohnen derselben Immobilie keine Verzeihung begründet. Anders als in der zitierten Entscheidung hat der Kläger indes unwidersprochen vorgetragen, dass es sich um ein familiäres Zusammenleben mit den Erblassern handelte, indem die Eltern ihm nicht nur ein Dach über dem Kopf gaben, sondern er den Eltern auch zur Hand ging.

Der Umstand, dass die Mutter der Parteien den Kläger noch nach dem Tod des Vaters und unmittelbar vor dem eigenen Ableben einer Straftat gegenüber der Polizei verdächtigte, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Soweit eine Verzeihung eingetreten ist, kann ein etwaiger erneuter Vertrauensbruch des Pflichtteilsberechtigten zwar unter Umständen eine erneute Pflichtteilsentziehung rechtfertigen, eine wegen Verzeihung unwirksame Pflichtteilsentziehung aber nicht wieder aufleben lassen.

3. Dem Kläger fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Es ist für die Ansprüche des Klägers ohne Belang, ob die Beklagten Dritten, die ebenfalls einen Pflichtteil geltend machen, die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zugesagt haben.

II. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist auf § 709 S. 1 ZPO gestützt.

Der Streitwert wird auf bis 115.000,00 EUR und für die erste Stufe auf 1/5 hiervon, mithin auf 23.000,00 EUR festgesetzt.

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