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Pflichtteilsentziehung – Wirksamkeit bei nachträglicher Erteilung einer Generalvollmacht

Streit über die Rechtskraft einer Pflichtteilsentziehung im Kontext der Generalvollmacht

In dem vorliegenden Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg (Az.: 2 U 47/19) vom 1. Juli 2020, wurde eine Auseinandersetzung um das Thema Pflichtteilsentziehung im Erbrecht verhandelt. Im Kern des Disputs stand die Wirksamkeit der Entziehung des Pflichtteils, insbesondere unter Berücksichtigung einer nachträglich erteilten Generalvollmacht. Der Kläger, dem ursprünglich der Pflichtteil entzogen wurde, da die Erblasserin ihm ehrlosen und sittenlosen Lebenswandel vorwarf, erhielt später eine Generalvollmacht. Diese Entwicklung wirft Fragen nach der Validität der ursprünglichen Pflichtteilsentziehung auf.

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Ein Ausdruck der Verzeihung oder eine rechtliche Zweideutigkeit?

Im Kontext der Auseinandersetzung wurde argumentiert, dass die Erteilung einer Generalvollmacht als Indikator für eine geänderte Einstellung der Erblasserin gesehen werden könnte. Es wurde vermutet, dass die Erblasserin, indem sie die Vollmacht erteilte, ihre früheren Beschuldigungen und ihre Sicht auf den Kläger revidiert haben könnte. Dies könnte als Zeichen der Verzeihung interpretiert werden, was die Gültigkeit der Pflichtteilsentziehung in Frage stellen könnte.

Berücksichtigung von Einzelheiten und Kontext

Das Gericht berücksichtigte jedoch, dass trotz der Erteilung einer Generalvollmacht der Kläger in keinem Testament bedacht wurde. Es wurde hervorgehoben, dass die Erblasserin keine Ausfertigungen der Urkunde, die die Generalvollmacht beinhaltet, an den Kläger aushändigte. Diese Aspekte wecken Zweifel an der Annahme, dass die Erblasserin dem Kläger tatsächlich verziehen hat und die Pflichtteilsentziehung ungültig ist.

Bedeutung für Auskunftsansprüche und Nachlassverzeichnis

Dieses Urteil hatte weitreichende Konsequenzen für den Kläger. Da keine Verzeihung angenommen wurde, wurden sowohl der geltend gemachte Auskunftsanspruch als auch der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses abgewiesen. Da der Pflichtteilsanspruch nicht bestand, waren damit auch die darauf aufbauenden Ansprüche auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung nicht gegeben.

Das Endurteil

Insgesamt bestätigt das Urteil die Entziehung des Pflichtteils trotz nachträglicher Erteilung einer Generalvollmacht. Es unterstreicht die Wichtigkeit des Kontextes und der gesamten Situation bei der Beurteilung solcher Fälle. Das Gericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen, was die Komplexität und die rechtlichen Feinheiten des Erbrechts aufzeigt.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 2 U 47/19 – Urteil vom 01.07.2020

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27.09.2019, Az. 308 O 22/18, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Der Senat hat folgende ergänzende Feststellungen getroffen:

Der Bruder der Parteien, Herr H… P…, ist zwischenzeitlich verstorben.

Das Landgericht hat den Beklagten zur Erteilung der begehrten Auskunft und Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses durch das angefochtene Teilurteil verpflichtet. Zwar habe der Erblasser dem Kläger den Pflichtteil ursprünglich wirksam entzogen, was aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Kiel im Verfahren 9 O 263/93 feststehe. Gleichwohl stehe dem Kläger ein Pflichtteilsanspruch dem Grunde nach zu und damit auch der auf der ersten Stufe der Klage geltend gemachte Auskunftsanspruch und der Anspruch auf Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Denn die Erblasserin habe dem Kläger nach Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts Kiel verziehen mit der Folge, dass der Pflichtteilsentzug unwirksam geworden sei (§ 2337 S. 2 BGB). Zwar liege kein ausdrücklich erklärter Verzicht vor. Dieser ergebe sich aber daraus, dass die Erblasserin dem Kläger eine Generalvollmacht einschließlich Vorsorgevollmacht erteilt habe. Dies sei nur vor dem Hintergrund einer hiermit im Zusammenhang stehenden Verzeihung zu erklären. Denn zur Begründung des Pflichtteilsentzuges habe die Erblasserin u.a. damals darauf abgestellt, dass der Kläger ihr nach dem Leben getrachtet habe und einen ehrlosen und sittenlosen Lebenswandel geführt habe. Diese Auffassung vom Kläger müsse die Erblasserin geändert haben, denn es sei nicht zu erwarten, dass die Erblasserin einer Person, die ihr nach dem Leben trachte und einen ehrlosen und sittenlosen Lebenswandel pflege, eine Generalvollmacht ausstelle. Daran ändere nichts, dass die Erblasserin den Notar in der Urkunde angewiesen habe, Ausfertigungen der Urkunde nur zu ihren Händen und (nur) nach ihrer Entscheidung zu erteilen. Denn ein Zugang der Verzeihung als rein tatsächlicher Vorgang sei nicht erforderlich. Es genüge, dass die Erblasserin die Vollmacht habe beurkunden lassen und damit die Verzeihung nach Außen gedrungen sei. Hinzu komme, dass die Erblasserin dem Kläger ausweislich ihres Schreibens an das Landgericht im Jahr 2013 finanziell unter die Arme gegriffen habe, was ebenfalls nur vor dem Hintergrund einer Verzeihung zu erklären sei. Darauf, ob es später wieder zu einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen dem Kläger und der Erblasserin gekommen sei, komme es nicht an, weil die einmal vorgenommene Verzeihung nicht widerrufbar sei. Die geltend gemachten Auskunftsansprüche und der Anspruch auf Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses seien auch nicht unmöglich. Zwar habe die Beklagte eingewandt, dass sie die begehrte Auskunft und auch das notarielle Nachlassverzeichnis nicht erstellen könne, weil sie über die hierfür notwendigen Informationen nicht verfüge und ihr nunmehr verstorbener Bruder H… P… nicht an der Informationsübermittlung mitgewirkt habe. Dies genüge aber nicht, denn Unmöglichkeit liege erst dann vor, wenn der Auskunftsschuldner alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Informationsbeschaffung ausgeschöpft habe, wozu auch gehöre, ggfs. Dritte auf Auskunftserteilung in Anspruch zu nehmen. Dass die Beklagte diesen Anforderungen genügt habe, habe sie aber nicht ausreichend dargelegt.

Das Urteil des Landgerichts ist der Beklagten am 8.10.2019 zugestellt worden. Mit beim Oberlandesgericht am 5.11.2019 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte Berufung gegen dieses Urteil eingelegt, die sie am Montag, den 9.12.2019, mit beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.

Die Beklagte meint, das Landgericht habe zu Unrecht eine Verzeihung angenommen. Ausfertigungen der Generalvollmacht zugunsten der Bevollmächtigten sollten dem unstreitigen Wortlaut der Urkunde nach nur an die Erblasserin zur Weiterleitung an die Bevollmächtigten erteilt werden. Der Kläger habe aber keine solche für ihn bestimmte Ausfertigung der Vollmacht erhalten. Die Erblasserin habe ihm auch zu keinem Zeitpunkt eine anderweitige Ausfertigung oder Abschrift der Vollmacht übergeben, auch nicht über eine entsprechende Anweisung an den verstorbenen Bruder H… P…. Es werde zudem bestritten, dass die Erblasserin anlässlich der Errichtung des Testaments vom 29.7.2010 gegenüber ihrem verstorbenen Sohn H… P… erklärt habe, dass sie „ihren Lieblingssohn“, den Kläger, vergessen habe zu bedenken. Dies sei schon deswegen nicht nachvollziehbar, weil die Erblasserin erst gut 5 Jahre nach diesem angeblichen Versehen verstorben sei und daher genügend Zeit gehabt habe, ihr angebliches Versäumnis nachzuholen. Soweit sich der Kläger ergänzend auf die als Anlage K 8 eingereichte eidesstattliche Versicherung des Herrn H… P… vom 28.12.2017 berufe, werde zum einen die Echtheit dieser Urkunde bestritten und zum anderen, dass die dort getätigten Angaben des H… P… zutreffend seien. Entgegen dem Landgericht liege auch Unmöglichkeit vor, weil die Beklagte erfolglos alles ihr Mögliche unternommen habe, um an die für die Erteilung der begehrten Auskünfte notwendigen Informationen zu gelangen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Hamburg abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger meint, dass das Landgericht zu Recht und mit zutreffender Begründung die Beklagte zur Erteilung der Auskunft und Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses verpflichtet habe. Die Erstellung der Generalvollmacht belege, dass ein absolutes Vertrauensverhältnis zwischen dem Kläger und seiner Mutter, der Erblasserin, bestanden habe. Es liege auch keine Unmöglichkeit vor.

In einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17.6.2020 führt der Kläger ergänzend aus, dass er die im Original zu diesem Schriftsatz überreichte Vollmachtsurkunde von seinem Bruder Herrn H… P… ausgehändigt erhalten habe und – wie in der späteren Erklärung vom 28.12.2017, Anlage K 8 bestätigt – dieser ihm anlässlich der Urkundsübergabe mitgeteilt habe, dass dies mit dem Willen der Erblasserin geschehe. Ferner habe ein Mandatsverhältnis zwischen Herrn H… P… und dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Abwicklung der Erbschaftssteuer nach dem Tode der Erblasserin bestanden. In diesem Rahmen habe Herr H… P… dem Prozessbevollmächtigten des Klägers erklärt, dass er den Pflichtteil des Klägers anerkannt habe, weil dieser immer durch die Erblasserin benachteiligt worden sei. Durch die Verzeihung und das Zusprechen des Pflichtteils solle eine Wiedergutmachung erfolgen. Zudem führt der Kläger noch drei weitere Gegebenheiten an, in deren Rahmen Herr H… P… gegenüber dritten Personen geäußert haben solle, dass die Erblasserin dem Kläger verziehen habe.

Das Berufungsgericht hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 16.6.2020 persönlich nach § 141 ZPO angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.6.2020 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und vollständiger Abweisung der Klage.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch und der Anspruch auf Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht zu, weil der Kläger eine Verzeihung nicht hat beweisen können. Der Senat folgt insofern zwar im Grundsatz der Auffassung des Klägers, dass eine Verzeihung anzunehmen wäre, wenn die Erblasserin ihn wirksam bevollmächtigt hätte. Dies ist aber gerade nicht geschehen. Die Erblasserin hat zwar eine notarielle Generalvollmacht erstellt, die auch eine Bevollmächtigung des Klägers vorsieht. Wie sich aus der Regelung in Ziff. IV. S. 5 der Urkunde ergibt, sollte diese Vollmacht aber gerade nicht unmittelbar mit ihrer Beurkundung Wirksamkeit gegenüber den Bevollmächtigten entfalten. Vielmehr behielt sich die Erblasserin durch die Anweisung an den Notar betreffend der Erteilung der Ausfertigungen vor, die Wirksamkeit der Vollmacht gegenüber den Bevollmächtigten erst später, durch Überreichung der Ausfertigungen an die Bevollmächtigten, selbst herbeizuführen. Die Beurkundung der Vollmacht war mithin nach der Vorstellung der Erblasserin zwar ein notwendiger Zwischenschritt zur Bevollmächtigung, sollte diese aber noch nicht unmittelbar auslösen. Dies wäre nur dann anzunehmen gewesen, wenn die Erblasserin mit der Beurkundung den Notar zugleich angewiesen hätte, den Bevollmächtigten eine Ausfertigung der Vollmachtsurkunde zukommen zu lassen. Eine solche Anweisung hat die Erblasserin aber gerade nicht erteilt, sondern den Notar ausdrücklich angewiesen, Ausfertigungen der Urkunde nur zu ihren Händen zur Weiterleitung an die Bevollmächtigten zu erteilen. Solange die Erblasserin sich daher keine Ausfertigungen erteilen lässt und diese nicht an die jeweils Bevollmächtigten aushändigt, bleibt die beim Notar beurkundete Vollmacht zunächst nicht mehr als ein interner Entwurf, weil es sowohl an der Entäußerung als auch dem Zugang fehlt (§§ 130, 168 Abs. 1 BGB). Dieser Überlegungen zur Wirksamkeit der Vollmacht sind auf die Verzeihung zu übertragen. Zwar führt der Kläger auch insoweit im Ansatzpunkt zutreffend aus, dass die Verzeihung nicht die Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung erfordert. Die Verzeihung als rein tatsächliche Handlung setzt aber gleichwohl voraus, dass der Verzeihende auch verziehen hat. Die Verzeihung darf sich mithin nicht noch in der Überlegungs- oder Vorbereitungsphase befinden. Selbst wenn der Verzeihende fest zur Verzeihung entschlossen ist, setzt diese gleichwohl eine nach Außen in Erscheinung tretende Entäußerung oder tatsächlich Handlung voraus. Gemessen hieran liegt aber allein in der Beurkundung der Vollmacht ohne Übergabe der Vollmachtsurkunde an den Kläger noch keine das Vorbereitungsstadium bereits überschreitende Verzeihung. Die Erblasserin wollte dem Kläger mit der reinen Beurkundung der Vollmacht gerade noch nicht die Möglichkeit geben, in ihrem Namen tätig zu werden. Dies sollte ihm erst dann möglich sein, wenn er von der Erblasserin eine entsprechende Ausfertigung der Urkunde erhält. Erst dann kann aber auch eine Verzeihung erst angenommen werden.

Dem Kläger ist es auch nicht gelungen darzulegen, dass er von der Erblasserin eine Ausfertigung der Vollmacht erhalten hat. Der Kläger hat zunächst keine für ihn nach Ziff. IV. S. 5 der Vollmacht bestimmte Ausfertigung der Vollmacht einreichen können. Die von ihm als Anlage K 2 vorgelegte Vollmacht ist unvollständig. Aus ihr lässt sich gerade nicht entnehmen, dass es sich um die für den Kläger erstellte Ausfertigung der Vollmachtsurkunde handelt. Bei der von der Beklagten vorgelegten Vollmacht gem. Anlage B 1 handelt es sich ausweislich der letzten Seite der Vollmacht um die für den verstorbenen Herrn H… P… ausgefertigten Vollmachtsurkunde und damit ebenfalls nicht um die Ausfertigung für den Kläger. Bei der in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 17.6.2020 eingereichten Vollmachtsurkunde handelt es sich letztlich nur um eine beglaubigte Abschrift der Urkunde und nicht um eine Ausfertigung. Es handelt sich damit ersichtlich um die für die Erblasserin gem. Ziff. IV S. 4 der Urkunde zu erstellende beglaubigte Abschrift und damit ebenfalls nicht um die Ausfertigung für den Kläger.

Dem Kläger ist es auch nicht gelungen anderweitig als durch die Urkunden selbst den Beweis dafür zu führen, dass ihm durch Übergabe einer Vollmachtsurkunde mit Wissen und Wollen der Erblasserin verziehen wurde. Dass die Erblasserin ihm unmittelbar selbst eine Vollmachtsurkunde ausgehändigt hat, behauptet der Kläger schon nicht. Er hat vielmehr im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 16.6.2020 ausgeführt, dass er die Vollmacht von seinem Bruder, dem verstorbenen Zeugen H… P…, erhalten habe. Dass dies aber mit dem Willen der Erblasserin geschah, ist für den Senat nicht mit der notwendigen Überzeugung (§ 286 ZPO) feststellbar. Der Kläger behauptet letzteres zwar ansatzweise im Rahmen seiner persönlichen Anhörung. Dies genügt aber für eine Überzeugungsbildung des Senats nicht. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der als Anlage K 8 eingereichten eidesstattlichen Versicherung des Zeugen H… P…. Zwar mag die dort dokumentierte Aussage des Zeugen – ihre Echtheit zugunsten des Klägers als gegeben unterstellt – wegen des Todes des Zeugen im Wege des Urkundsbeweis im Rahmen der Beweiswürdigung Berücksichtigung finden. Allerdings vermögen auch die urkundlichen Ausführungen des verstorbenen Zeugen den Senat nicht davon zu überzeugen, dass dem Kläger mit Wissen und Wollen der Erblasserin eine Vollmachtsurkunde durch den Zeugen übergeben wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass einer lediglich im Wege des Urkundsbeweis eingeführten Zeugenaussage nur ein geringer Beweiswert zukommt, weil weder dem Gericht noch den Parteien die Möglichkeit eröffnet ist, die Genese der Aussage näher zu hinterfragen und dem Zeugen Fragen zu stellen. Der persönliche Eindruck fehlt überdies vollständig (BGH, NJW 2000, 1420). Dies gilt hier umso mehr, als für den Senat nicht nachvollziehbar ist, warum der Kläger nicht ebenso wie sein Bruder die in Ziff. IV. S. 5 der Urkunde für ihn vorgesehene Ausfertigung der Vollmacht erhalten hat.

Auch aus den übrigen Umständen lässt sich eine Verzeihung nicht hinreichend sicher feststellen. Soweit der Kläger behauptet, die Erblasserin habe anlässlich der Beurkundung des Testaments aus dem Jahr 2010 dem verstorbenen Bruder gegenüber erklärt, sie habe vergessen den Kläger als ihren Lieblingssohn zu bedenken, fehlt es schon an einem Beweisantritt für diesen bestrittenen Sachvortrag. Der ursprünglich hierfür benannte Zeuge H… P… ist verstorben. Die eidesstattliche Versicherung vom 28.12.2017 enthält keine Angaben zu der Testamentserrichtung 2010.

Auch soweit Herr H… P… in seiner eidesstattlichen Versicherung am 28.12.2017 erklärt, dass er wisse, dass die Erblasserin dem Kläger verziehen habe, genügt dies für eine Überzeugungsbildung des Senats in Bezug auf die Verzeihung nicht. Auch insoweit gilt, dass die als Anlage K 8 eingereichte Urkunde – ihre Echtheit unterstellt – im Wege des Urkundsbeweises zwar gewürdigt werden kann. Auch hier bleib es aber aus den angeführten Umständen bei dem geringen Beweiswert dieser Urkunde. Sie ist insbesondere deswegen nicht geeignet, dem Senat die notwendige Überzeugungsbildung zu verschaffen, weil die übrigen Umstände mindestens Zweifel daran aufkommen lassen, dass die Erblasserin dem Kläger tatsächlich verziehen hat. So ist dem Kläger gerade keine eigene Ausfertigung der Vollmacht von der Erblasserin erteilt worden. Er ist auch im Testament aus 2010 gerade nicht bedacht worden, vielmehr ist allein der Zeuge H… P… zum Erben eingesetzt worden. Ihren angeblichen Irrtum im Rahmen der Testierung 2010 hat die Erblasserin sodann auch bis zu ihrem Ableben 5 Jahre später nicht korrigiert. Gerade dies ist ein aus Sicht des Senats nicht zu erklärender Widerspruch zu der Behauptung des Klägers, nach der er der Lieblingssohn der Erblasserin gewesen sei. Letztlich belegt auch das Schreiben der Klägerin an das Landgericht vom 5.8.2013 (Anlage B 6) keine Verzeihung der Erblasserin. Im Gegenteil, der Gesamtzusammenhang der Schreiben an das Landgericht im Zusammenhang mit der Erteilung der zweiten vollstreckbaren Ausfertigung der Titel gegen den Kläger gem. Anlage B 3 – 6 belegen ein mindestens zwiespältiges Verhältnis der Erblasserin gegenüber dem Kläger. So führt die Erblasserin aus, dass der Kläger den zu ihren Gunsten titulierten Betrag nicht begleiche und ihre Vollstreckungsversuche erfolglos verlaufen seien, weil der Kläger alle seine Vermögenswerte auf seine Ehefrau übertragen habe. Gleichzeitig behaupte der Kläger aber, Millionär zu sein. Die Erblasserin bezichtigt den Kläger damit, dass er sich unredlich der Vollstreckung zu ihren Lasten entziehe, was wenig zu der angeblichen Äußerung der Erblasserin in Einklang zu bringen ist, nach der der Kläger ihr Lieblingssohn sei. Zwar führt die Erblasserin in dem Schreiben vom 5.8.2013 auch aus, dass sie dem Kläger mehrfach finanziell unter die Arme habe greife müssen. Daraus lässt sich aber vor dem Hintergrund der gleichzeitig von der Erblasserin behaupteten Vollstreckungsvereitelung durch den Kläger nicht der Schluss ziehen, dass sie dem Kläger verziehen habe. Zudem bleibt es völlig offen, wann, in welchem Umfang und vor welchem konkreten Hintergrund die Erblasserin dem Kläger finanziell geholfen haben will.

Der Schriftsatz vom 17.6.2020 bietet letztlich keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen (§ 156 ZPO). Soweit es die mit diesem Schriftsatz eingereichte beglaubige Abschrift der Vollmachtsurkunde betrifft, führt diese – wie bereits ausgeführt – zu keinem anderen Ergebnis. Soweit der Kläger auf Seite 4 f. des Schriftsatzes sodann neu vorträgt und insgesamt vier Begebenheiten schildert, zu denen der verstorbene Zeuge gegenüber Dritten geäußert haben solle, die Erblasserin habe ihm gegenüber erklärt, sie habe dem Kläger verziehen, gebietet auch dies die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht. Da die Beklagte eine Verzeihung bestritten hat, wäre Beweis zu erheben. Der Kläger hat aber bezüglich der erstmals benannten Zeugen P…, N… und B… schon keinen ordnungsgemäßen Beweisantritt getätigt, weil er die ladungsfähige Anschrift der Zeugen nicht mitteilt. Im übrigen ist der Sachvortrag als solcher auch verspätet und eine Zulassung dieses neuen Sachvortrages nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt. Soweit es den Vortrag betrifft, der verstorbene Zeuge habe gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen einer steuerrechtlichen Beratung ausgeführt, dass er, der Zeuge H… P…, den Pflichtteil anerkannt habe, weil der Kläger immer von seiner Mutter benachteiligt worden sei, was diese ihm und dem Kläger so erklärt habe, führt auch dies nicht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Zwar liegt hier ein ordnungsgemäßer Beweisantritt vor, weil dem Gericht die Anschrift des Zeugen naturgemäß bekannt ist. Für die Frage der Verzeihung durch die Erblasserin ist aber nicht erheblich, ob und dass der Zeuge den Pflichtteil anerkannt hat. Nicht erheblich ist auch, ob die Erblasserin der Meinung war, sie habe den Kläger immer benachteiligt. Selbst wenn dies so wäre, schließt dies nicht aus, dass sie ihm trotzdem nicht verziehen hat. Soweit der Kläger letztlich ausführt „Durch das Verzeihen und das zusprechen des Pflichtteils solle eine Wiedergutmachung erfolgen“ bleibt unklar, wer hier wem verziehen und einen Pflichtteil zugesprochen haben soll. Diese Ausführungen könnten sich entweder auf den Zeugen H… P… selbst als auch auf die Erblasserin beziehen, ohne dass dies näher dargestellt wird. Selbst wenn man aber zugunsten des Klägers davon ausgehen wollte, dass sein Vortrag dahingehend zu verstehen ist, dass der Zeuge H… P… dem Prozessbevollmächtigten gegenüber erklärt habe, die Erblasserin habe ihm gesagt, dass sie dem Kläger verziehen habe, rechtfertigt dies eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht. Zutreffend ist, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung über die Unvollständigkeit der klägerseits eingereichten Vollmachtsurkunde diskutiert wurde. Richtig ist auch, dass der Klägervertreter darum bat, nach dem vollständigen Exemplar der Urkunde suchen zu dürfen und diese noch nachreichen zu dürfen. Der Einzelrichter hat ausgeführt, dass er bei Nachreichung der Urkunde und Vorliegen der Voraussetzungen des § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wiedereröffnen werde. Gegenstand der Erörterungen war aber nicht, dass der Kläger noch weitergehend zu anderen – völlig neuen – Begebenheiten vortragen wolle, anlässlich derer der Zeuge H… P… gegenüber Dritten geäußert hat, dass die Erblasserin ihm gegenüber erklärt habe, dem Kläger verziehen zu haben. Soweit es den Prozessbevollmächtigten des Klägers betrifft, wäre dieser zudem ohne weiteres in der Lage gewesen, den nunmehr im nicht nachgelassenen Schriftsatz getätigten neuen Vortrag – ggfs. nach einer kurzen Unterbrechung – unmittelbar in die mündliche Verhandlung einzuführen und sich selbst wie später auch geschehen als Zeugen zu benennen. Macht er hiervon aber keinen Gebrauch, besteht kein Anlass die mündliche Verhandlung auf einen erst später eingereichten Schriftsatz hin wiederzueröffnen.

Ist damit im Ergebnis keine Verzeihung anzunehmen, scheidet sowohl der geltend gemachte Auskunftsanspruch als auch der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses aus. Auf die Frage der Unmöglichkeit kommt es dann nicht mehr an.

Da der Auskunftsanspruch und Anspruch auf Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses schon mangels Pflichtteilsanspruch nicht besteht, sind damit auch die hierauf aufbauenden Ansprüche auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung nicht gegeben. Damit ist auch den weiteren, im Rahmen der Stufenklage geltend gemachten Ansprüchen die Grundlage entzogen, so dass der Senat als Rechtsmittelgericht die Klage in vollem Umfang abzuweisen hat, auch wenn Gegenstand der Entscheidung des Landgerichts nur die Auskunftsstufe war (st. Rsp. BGH zuletzt BGH, NJW 1985, 2405 Rn. 27 und Zöller. ZPO, § 254 Rn. 14 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 713 ZPO

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.

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