LG Kiel – Az.: 12 O 82/17 – Urteil vom 02.02.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 22.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht einen Pflichtteils-, alternativ einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend.
Der Kläger ist Sohn und einziger Abkömmling des Herrn [anonymisiert] (im Folgenden: Erblasser) aus erster Ehe. Die Beklagte ist Alleinerbin und Witwe des Erblassers aus späterer Ehe.
Der Erblasser war Eigentümer eines Reihenhausgrundstücks im M.-weg 2b in Bad Segeberg. Die zunächst noch anderweitig verheiratete und von ihrem Ehemann getrennt lebende Beklagte lebte mit dem Erblasser in dem Reihenhaus zusammen. Da der Erblasser zur See fuhr, kümmerte sich die Beklagte in seiner Abwesenheit um das Grundstück.
Am 21.12.1981 bestellte der Erblasser für die deutlich jüngere Beklagte und sich als Gesamtgläubiger ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchsrecht an seinem Grundstück, auflösend bedingt durch Beendigung der Lebensgemeinschaft mit der Beklagten auf andere Weise als durch den Tod des Erblassers. In der Bestellungsurkunde heißt es: „Zweck dieses Nießbrauchs ist es, Frau [anonymisiert] den lebenslänglichen Nießbrauch an dem Grundbesitz zu erhalten, wenn ich vor ihr versterbe und die Lebensgemeinschaft mit ihr bis zu meinem Tode bestanden hat.“ Am 19.02.1982 wurde das Nießbrauchsrecht in das Grundbuch eingetragen.
Am 13.08.1982 wurde die Ehe der Beklagten geschieden. Am 10.12.1982 schlossen die Beklagte und der Erblasser die Ehe.
Am 28.01.2014 verstarb der Erblasser. Alleinerbin wurde die Beklagte.
Die Beklagte zahlte dem Kläger als Pflichtteil 10.000 €. Auf der Grundlage eines Grundstückswerts von 150.000 € forderte der Kläger außergerichtlich die Zahlung weiterer 28.816,70 € bis zum 25.06.2015; wegen der Berechnung seiner Forderung wird auf das Schreiben vom 10.06.2015, Anlage K3 zur Klageschrift (Bl. 18 f. d.A.), Bezug genommen. Darauf zahlte die Beklagte weitere 6.191,70 €. Weitere Zahlungen lehnt sie ab.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Nachlassgrundstück ohne Berücksichtigung des Nießbrauchsrechts 148.000 € wert war. Zwischen den Parteien streitig ist, ob und in welcher Höhe das Nießbrauchsrecht den Grundstückswert mindert.
Der Kläger fordert die Zahlung eines weiteren Pflichtteils von 22.000 €. Er vertritt die Ansicht, da die Beklagte als Rechtsnachfolgerin im Grundstückseigentum selbst nießbrauchsberechtigt sei, mindere das Nießbrauchsrecht den Wert des Grundstücks für sie nicht. Das Nießbrauchsrecht sei durch das gemeinschaftliche Testament der Beklagten und des Erblassers ohnehin obsolet geworden. Hilfsweise stützt der Kläger seine Forderung auf einen Pflichtteilsergänzungsanspruch, weil der Erblasser der Beklagten das Nießbrauchsrecht durch Schenkung eingeräumt habe. Vollzogen worden sei die Schenkung des Erblassers erst mit dessen Tod.
Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 22.000 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26.06.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Nießbrauchsrecht mindere den Grundstückswert. Es sei der Beklagten nicht geschenkt worden, sondern habe die Wohnmöglichkeit der Beklagten sichern und als Ausgleich für die Haushaltsführung und Grundstückspflege durch diese dienen sollen.
Das Gericht hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 08.06.2017, geändert durch Beschluss vom 07.08.2017, Beweis erhoben über den Wert des Nießbrauchsrechts. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen [anonymisiert] vom 28.11.2014 (Bl. 143 ff. d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen weiteren Pflichtteilsanspruch auf Zahlung von 22.000 €. Abweichend von der Rechnung des Klägers mindert das zugunsten der Beklagten eingetragene Nießbrauchsrecht den Wert des Nachlassgrundstücks um 105.000 €, so dass auch der Pflichtteil des Klägers um 26.250 € geringer ausfällt als von ihm errechnet (1/4 von 105.000 € = 26.250 €).
Hinsichtlich der Bewertung des Nießbrauchsrechts folgt das Gericht den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Die pauschale und nicht weiter begründete Behauptung des Klägers, der Sachverständige habe die jährlichen Instandhaltungskosten zu gering veranschlagt, gibt keinen Anlass zu Zweifeln, zumal der Sachverständige seine Veranschlagung von 10 €/qm nachvollziehbar hergeleitet hat. Soweit der Kläger die vom Sachverständigen vorgenommene Marktanpassung um etwas über 5.000 € angreift, vermag dies der Klage von vornherein nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil sie auch bei einem Wert des Nießbrauchsrechts von 99.000 € unbegründet wäre.
Bei der Berechnung des nach § 2311 BGB für den Pflichtteil maßgeblichen Nachlasswerts ist das Nießbrauchsrecht wertmindernd zu berücksichtigen, auch wenn die Beklagte als Alleinerbin Nießbrauchsberechtigte ist. Der Pflichtteilsberechnung ist der gemeine Wert zu Grunde zu legen, also der Wert, den der Nachlassgegenstand für jeden hat, mithin der Verkehrs- oder Normalverkaufswert (st. Rspr. seit BGHZ 14, 368, 376). Der objektive Verkehrs- oder Normalverkaufswert des Nachlassgrundstücks ist durch das Nießbrauchsrecht der Beklagten drastisch gemindert, wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat. Dieses Ergebnis ist auch sachgerecht, weil das Nießbrauchsrecht der Beklagten noch zu Lebzeiten des Erblassers eingeräumt worden war. Vererbt wurde lediglich ein mit dem Nießbrauchsrecht bereits belastetes Grundstück.
Soweit der Kläger meint, die Beklagte sei durch das gemeinschaftliche Testament ausreichend abgesichert gewesen, ist dies rechtlich ohne Belang.
II. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung aus § 2325 BGB wegen der Einräumung des Nießbrauchsrechts im Jahr 1981. Dass darin eine Schenkung lag, kann zugunsten des Klägers unterstellt werden. Die Schenkung bleibt jedenfalls unberücksichtigt, weil im Zeitpunkt des Erbfalls zehn Jahre seit der Leistung des Gegenstandes verstrichen waren (§ 2325 Abs. 3 S. 2 BGB).
1. Für die Leistung eines schenkweise eingeräumten Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts ist auf die Grundbucheintragung abzustellen (Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rn. 358), welche hier bereits 1982 und damit mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall erfolgt ist.
Dass das Nießbrauchsrecht unter der auflösenden Bedingung einer Beendigung der Lebensgemeinschaft stand, steht der Annahme der Leistung mit Grundbucheintragung nicht entgegen, weil es sich dabei nicht um einen freien Rückforderungsvorbehalt handelt (vgl. Palandt-Weidlich, § 2325, Rn. 28). Der Erblasser konnte das Nießbrauchsrecht aufgrund der zugrunde liegenden Schenkung als Kausalgeschäft nicht jederzeit wieder aufheben, sondern hätte es nur durch Auflösung der gesamten Lebensgemeinschaft mit der Beklagten zum Erlöschen bringen können, was als freier Rückforderungsvorbehalt nicht angesehen werden kann. Letztlich hat die auflösende Bedingung nur das klargestellt, was ohnehin kraft Gesetzes (§ 313 ZPO) gegolten hätte: Ist der Fortbestand einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft Geschäftsgrundlage einer Schenkung, so kann die Aufrechterhaltung der Schenkung unzumutbar sein, wenn die Zuwendung deutlich über das in einer faktischen Lebensgemeinschaft Übliche hinausgeht, es sich um einen Vermögensgegenstand von erheblichem Wert handelt (vgl. Staudinger/Martin Löhnig (2015) Anhang zu §§ 1297 ff, Rn. 87) und dieser das Vermögen über den Bestand der Lebensgemeinschaft hinaus mehrt (vgl. BGH, Urteil vom 06. Juli 2011 – XII ZR 190/08 -, Rn. 25). Dem hier streitgegenständlichen lebenslangen Nießbrauchsrecht kommt mit über 100.000 € ein erheblicher, dauerhafter Wert zu. Ein solches dingliches Recht geht auch über das hinaus, was üblicherweise im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zugewandt wird.
Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks den Nießbrauch uneingeschränkt vor, gibt er nach der Rechtsprechung den „Genuss“ des verschenkten Gegenstands nicht auf und liegt eine Leistung des verschenkten Gegenstands i. S. von § 2325 Absatz 3 Halbs. 1 BGB daher (trotz Umschreibung im Grundbuch) nicht vor (BGHZ 125, 395). Gegenstand dieser Rechtsprechung sind Fälle, in denen sich der Schenker von Grundeigentum ein alleiniges Nießbrauchsrecht vorbehält.
Der vorliegende Fall liegt allerdings anders. Der Erblasser hat vorliegend bereits nicht sein Grundstück verschenkt, so dass es zur Bestimmung des Leistungszeitpunkts nicht darauf ankommen kann, ob er den Genuss seines Grundstücks fortan entbehren musste. Anders als in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen hat der Erblasser nicht ein belastetes (Eigentums-)Recht übertragen, sondern ein unbelastetes Nießbrauchsrecht. Zudem hat sich der Erblasser hier nicht ein alleiniges Nießbrauchsrecht eingeräumt. Nachdem der Nießbrauch der Beklagten und dem Erblasser gemeinschaftlich zustand, konnte der Erblasser das Grundstück nicht weiter nutzen wie zuvor, sondern war auf eine Mitnutzung beschränkt. Er war nicht mehr (alleiniger) „Herr im Haus“.
Eine Kontrollüberlegung verdeutlicht, warum das Kriterium der vollständigen Aufgabe des „Genusses“ hier keine Anwendung finden kann: Hätte der Erblasser der Beklagten anstelle des Nießbrauchsrechts Miteigentum zu 1/2 eingeräumt, so hätte das eigene Mitbenutzungsrecht des Erblassers einer Leistung gleichfalls nicht entgegen gestanden.
Im Fall einer Teilnutzung wird für den Rückbehalt einer den Fristlauf hemmenden wesentlichen Nutzung bezüglich eines Quotennießbrauchs teilweise eine Quote von mehr als 50% zugunsten des Zuwendenden gefordert (Palandt-Weidlich, § 2325 BGB, Rn. 27), die hier nicht überschritten ist. Der Bundesgerichtshof hat zuletzt im Fall eines vorbehaltenen Wohnrechts darauf abgestellt, ob dem Schenker ein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des Beschenkten zustand (BGHZ 211, 38, Rn. 16). Auch dies war hier nicht der Fall, denn der Erblasser hatte ein Nutzungsrecht nur noch gemeinsam mit der Beklagten.
Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs sind auf den vorliegenden Fall auch ihrem Zweck nach nicht übertragbar: Das Ziel des Bundesgerichtshofs, den Pflichtteilsberechtigten vor einer Benachteiligungsabsicht des Erblassers (“bösliche Schenkung“) zu schützen, ist hier erkennbar nicht einschlägig. Es ging dem Erblasser hier nicht etwa darum, den Grundstückswert missbräuchlich zulasten seines Sohnes zu mindern, sondern um eine Absicherung seiner damaligen Lebensgefährtin für den Fall seines Todes bzw. darum, seine Lebensgefährtin an sich zu binden. Dass der Erblasser selbst durch die nicht frei widerrufliche Einräumung des Nießbrauchsrechts noch längere Zeit hindurch die Folgen seiner Entscheidung zu tragen hatte, bietet entsprechend den Erwägungen des Gesetzgebers (zit. bei BGH, Urteil vom 17. September 1986 – IVa ZR 13/85 -, Rn. 15) eine Sicherheit dafür, dass der Erblasser bei der Vornahme der Schenkung sich von guten Gründen und nicht von der Absicht hat leiten lassen, den Pflichtteilsberechtigten zu benachteiligen.
2. Soweit bei Schenkungen an den Ehegatten die Ausschlussfrist nicht vor der Auflösung der Ehe beginnt (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB), ist diese Bestimmung hier nicht einschlägig.
Eine unmittelbare Anwendung scheitert daran, dass der Erblasser nicht seine Ehegattin beschenkte, sondern seine nichteheliche Lebensgefährtin.
Die Bestimmung ist aber auch nicht entsprechend anzuwenden (vgl. Palandt-Weidlich, § 2325, Rn. 29). Eine analoge Anwendung setzt voraus, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke aufweist und der Gesetzgeber, hätte er diese bedacht, zum gleichen Ergebnis gekommen wäre wie in einer bereits geregelten Fallkonstellation. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor:
Der Gesetzgeber überträgt die für Ehegatten geltenden Vorschriften grundsätzlich bewusst nicht auf nichteheliche Lebensgemeinschaften, weil diese Form des Zusammenlebens gerade darauf beruht, dass die Beteiligten die Rechtsfolgen und Verbindlichkeit einer Ehe nicht wollen. Der Gesetzgeber hat eine vergleichbare Interessenlage nur für Lebenspartner gesehen (§ 10 Abs. 6 S. 2 LPartG). Im vorliegenden Fall wäre der Beklagten eine Eheschließung nicht einmal möglich gewesen, weil sie im Zeitpunkt der Zuwendung noch anderweitig verheiratet war.
In der Rechtsprechung ist die Frage der analogen Anwendung zwar umstritten (Nachweise bei Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rn. 374), jedoch hat bereits das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Schenkungen an einen nichtehelichen Lebenspartner nicht von der Bestimmung erfasst werden und dies auch sachlich gerechtfertigt ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 06. April 1990 – 1 BvR 171/90 -, Rn. 6).
III. In Ermangelung einer Hauptforderung kann die Klage auch wegen der darauf gestützten Nebenforderung keinen Erfolg haben.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.