Erbstreit um Immobilienwert – OLG Hamm entscheidet im Selbständigen Beweisverfahren
Das OLG Hamm hat entschieden, dass ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswertes einer Nachlassimmobilie im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens eingeholt werden kann, auch wenn die Immobilie bereits verkauft wurde. Der Anspruch auf ein solches Gutachten besteht, um zu überprüfen, ob der Verkaufserlös dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für eine mögliche Unterbewertung vorliegen.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde: Das Gericht bestätigt die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Antragstellers.
- Sachverständigengutachten im selbständigen Beweisverfahren: Ein solches Gutachten kann zur Ermittlung des Verkehrswertes einer Immobilie angefordert werden.
- **Verkauf der Immobilie kein Hindernis:**Der Verkauf der Immobilie steht der Einholung eines Gutachtens nicht entgegen.
- Bedeutung des tatsächlichen Verkehrswertes: Ein erheblicher Unterschied zwischen dem Verkaufspreis und dem Verkehrswert kann rechtliche Relevanz haben.
- Anspruch auf Wertermittlung: Trotz Verkaufs kann der Antragsteller die Ermittlung des Verkehrswertes verlangen.
- Rechtliches Interesse: Das Gericht erkennt ein rechtliches Interesse an der Ermittlung des Verkehrswertes zur Vermeidung eines Rechtsstreits.
- Beweisanordnung auf Schlichtung ausgerichtet: Die verbindliche Bewertung könnte einen wesentlichen Streitpunkt zwischen den Parteien klären und zur außergerichtlichen Einigung führen.
- Abweisung des Antrags bezüglich anderer Aufwendungen: Der Antrag auf Ermittlung der Wertsteigerung durch Aufwendungen wurde als unzulässig abgelehnt.
Übersicht
Die Bewertung des Nachlasses: Ein Kernaspekt des Erbrechts
In der Welt des Erbrechts spielen Bewertungen von Nachlassgegenständen eine zentrale Rolle. Insbesondere dann, wenn es um Immobilien geht, wird die Ermittlung des Verkehrswertes zu einem wesentlichen Faktor. Dies ist nicht nur für die Erbauseinandersetzung wichtig, sondern auch für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen. Die Bewertung von Immobilien im Nachlass kann jedoch komplex sein, vor allem, wenn es um die Ermittlung des aktuellen Marktwertes geht. Hierbei kommen oft Sachverständigengutachten zum Einsatz, die einen objektiven Wert feststellen sollen. Diese Gutachten sind besonders relevant, wenn Immobilien des Nachlasses bereits veräußert wurden und Zweifel am erzielten Verkaufspreis bestehen.
Ein spezieller Aspekt in solchen Fällen ist das selbständige Beweisverfahren, eine prozessuale Möglichkeit, die es ermöglicht, noch vor einem möglichen Hauptverfahren Beweise zu sichern und Sachverhalte klären zu lassen. Dieses Instrument kann entscheidend sein, um Streitigkeiten im Erbfall effektiv und gerecht zu lösen. Es dient dazu, die tatsächlichen Werte von Nachlassgegenständen festzustellen und dadurch eine faire und gerechte Erbteilung zu gewährleisten.
Tauchen Sie nun tiefer in die Details eines konkreten Falles ein, der diese Aspekte des Erbrechts beleuchtet und erfahren Sie, wie gerichtliche Entscheidungen in solchen komplexen Bewertungsfragen ausfallen können.
Der Streit um den Verkehrswert einer Nachlassimmobilie
Im Zentrum des juristischen Konflikts stand die Ermittlung des Verkehrswertes einer Nachlassimmobilie, die Teil des Erbes der am 12. Juli 2019 verstorbenen Erblasserin war. Der Vater und Ehemann der Erblasserin war bereits 2007 verstorben. Die Eltern hatten die Antragsgegnerin als Nach- und Schlusserbin eingesetzt. Der Antragsteller, ein direktes Kind der Verstorbenen, erhob Pflichtteilsansprüche und beantragte im selbständigen Beweisverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswertes der besagten Immobilie. Diese Immobilie, ein Mehrfamilienhaus mit Garagen in der D-Straße, war zuvor von der Antragsgegnerin an die Stadt C verkauft worden, ohne dass zuvor ein Gutachten zur Wertermittlung eingeholt wurde. Der Antragsteller selbst hatte eine eigene Wertermittlung vorgenommen, die den Wert der Immobilie auf 230.000 EUR schätzte.
Die rechtlichen Herausforderungen im Erbstreit
Die Antragsgegnerin trat den Forderungen des Antragstellers entgegen und hielt den Antrag für unzulässig, da sie argumentierte, dass bei einem zeitnahen Verkauf der Pflichtteilsanspruch nicht nach dem Verkehrswert, sondern nach dem tatsächlich erzielten Kaufpreis zu berechnen sei. Das Amtsgericht wies den Antrag des Antragstellers zunächst als unzulässig zurück, da es kein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Absatz 2 ZPO sah und den Kaufpreis als ausreichenden Anhaltspunkt für den Verkehrswert ansah. Der Antragsteller legte daraufhin sofortige Beschwerde ein, da er Informationen hatte, dass das Haus möglicherweise abgerissen werden könnte, was seine Vermutung stützte, dass der Verkaufserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entsprach.
Entscheidung des OLG Hamm: Ein wichtiger Wendepunkt
Das Oberlandesgericht Hamm hob den Beschluss des Amtsgerichts teilweise auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung zurück. Das OLG erkannte an, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Ermittlung des Verkehrswertes im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens hatte. Es stellte klar, dass auch bei einem bereits erfolgten Verkauf der Immobilie der Anspruch auf Wertermittlung durch ein Sachverständigengutachten bestehen bleibt. Dies begründete das Gericht damit, dass dem Pflichtteilsberechtigten der Nachweis verwehrt würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht, falls kein Gutachten eingeholt wird.
Das Urteil und seine Bedeutung für das Erbrecht
Das OLG Hamm betonte, dass ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO auch dann anzunehmen sei, wenn die Feststellung des Wertes zur Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann. Diese Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für ähnliche Fälle im Erbrecht, da sie den Pflichtteilsberechtigten eine stärkere Position in der Ermittlung des wahren Wertes von Nachlassgegenständen einräumt. Das Gericht wies jedoch den Teil des Antrags ab, der sich auf die Ermittlung der Werte von Aufwendungen auf ein anderes Grundstück bezog, da dies nicht unter die zulässigen Beweisthemen des § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO fiel.
Im vorliegenden Fall zeigt sich, dass die Bewertung von Nachlassimmobilien im Erbrecht eine zentrale Rolle spielt und dass die gerichtliche Klärung des Verkehrswertes entscheidend für die gerechte Verteilung des Erbes sein kann. Dieser Fall unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen Prüfung und Bewertung von Nachlassgegenständen, um die Interessen aller Beteiligten angemessen zu berücksichtigen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
Wie wird der Verkehrswert einer Nachlassimmobilie ermittelt?
Der Verkehrswert einer Nachlassimmobilie wird durch eine Reihe von Faktoren bestimmt und kann von verschiedenen Parteien ermittelt werden, darunter der Immobilieneigentümer selbst, ein Online-Immobilienwertrechner, ein Immobilienmakler oder ein Sachverständiger.
Es gibt verschiedene Methoden zur Ermittlung des Verkehrswerts einer Immobilie. Eine gängige Methode ist das Vergleichswertverfahren, bei dem andere Immobilien und deren Kaufpreise zur Berechnung des Verkehrswerts herangezogen werden. Dabei ist es wichtig, dass die Vergleichsobjekte ähnliche Merkmale hinsichtlich Lage, Nutzung, Beschaffenheit usw. aufweisen.
Eine andere Methode ist das Ertragswertverfahren, das insbesondere bei vermieteten Immobilien Anwendung findet. Darüber hinaus gibt es das Sachwertverfahren, das den Wert der Immobilie auf der Grundlage der Kosten für den Neubau eines gleichwertigen Gebäudes ermittelt.
Ein Verkehrswertgutachten, das von einem qualifizierten Sachverständigen erstellt wird, stellt den Verkehrswert einer Immobilie zu einem bestimmten Stichtag fest. Es umfasst die vollständige Dokumentation aller notwendigen Unterlagen zu einer Immobilie und berücksichtigt alle Faktoren der Immobilie, einschließlich eventueller Mängel.
Die Kosten für ein solches Gutachten können je nach Aufwand des Gutachters zwischen 500 Euro und bis zu 1,5 Prozent des Immobilienwertes betragen.
Es ist zu beachten, dass der Verkehrswert einer Immobilie sich auf den Wert bezieht, den Angebot und Nachfrage bestimmen, und dass er sich auf der Grundlage der tatsächlichen Eigenschaften und rechtlichen Gegebenheiten ohne Berücksichtigung ungewöhnlicher oder persönlicher Verhältnisse ermittelt.
Bei einer Erbschaft kann es sinnvoll sein, ein Verkehrswertgutachten erstellen zu lassen, insbesondere wenn eine gerichtliche Auseinandersetzung über den Verkehrswert der Immobilie zu erwarten ist.
Das vorliegende Urteil
OLG Hamm – Az.: I-10 W 71/22 – Beschluss vom 03.01.2023
Der Beschluss wird teilweise aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über den Antrag, im selbständigen Beweisverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswertes der Immobilie D Straße einzuholen, an das Landgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien sind die Kinder der am 12.07.2019 verstorbenen Erblasserin, Frau A B . Der Vater der Parteien und Ehemann der Erblasserin ist bereits am 01.05.2007 vorverstorben. Durch letztwillige Verfügungen setzten die Eltern die Antragsgegnerin zur Nach- und Schlusserbin ein. Der Antragsteller macht Pflichtteilsansprüche nach der Erblasserin geltend. Zum Nachlass der Erblasserin gehörte ein Mehrfamilienhaus einschließlich Garagen in C, D-Str. 000. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Wertermittlung gem. § 2314 BGB ist nicht erfolgt. Mit notariellem Kaufvertrag vom 29.06.2020 verkaufte die Antragsgegnerin die Immobilie an die Stadt C zu einem Kaufpreis von 150.000 EUR. Zum Nachlass des Vaters, dessen Vorerbin die Erblasserin war, gehörte das Hausgrundstück E Straße 00 in C.
Der Antragsteller hat beantragt, im selbständigen Beweisverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Verkehrswertes der Immobilie D Straße einzuholen. Zur Begründung hat er angeführt, das beantragte selbstständige Beweisverfahren sei notwendig, weil die Antragsgegnerin das Haus der Erblasserin zwischenzeitlich verkauft habe, ohne zuvor ein Sachverständigengutachten zur Wertermittlung eingeholt zu haben. Es sei damit zu rechnen, dass das Haus von dem neuen Eigentümer aus planungstechnischen Gründen kurzfristig abgerissen werde. Eine eigene Wertermittlung durch den Antragsteller habe einen Wert der Immobilie von 230.000 EUR ergeben. Weiterhin hat der Antragsteller vorgetragen, die Erblasserin habe auf das Haus E Straße 00, das aus dem Nachlass des Vaters stamme, zahlreiche wertsteigernde Aufwendungen bzw. Verwendungen erbracht. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf Bl. 10 ff. der Akte verwiesen. Er begehrt die Ermittlung des Wertes dieser von der Erblasserin aus ihrem persönlichen Vermögen finanzierten Aufwendungen. Dazu habe die Antragsgegnerin trotz Nachfrage keine Auskunft erteilt. Es sei nicht auszuschließen, dass das Haus kurzfristig verkauft werde.
Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen entgegen getreten und hat den Antrag für unzulässig gehalten. Sie hat vorgetragen, die Einholung eines Gutachtens zur Bewertung der Immobilie der Erblasserin könne nicht verlangt werden, denn für den Fall eines zeitnahen Verkaufs berechne sich ein Pflichtteilsanspruch nicht nach dem Verkehrswert, sondern nach dem tatsächlich erzielten Kaufpreis. Selbst wenn dennoch ein Verkehrswertgutachten beansprucht werden könne, sei dieser Anspruch im Klageverfahren geltend zu machen.
Das Amtsgericht hat den Antrag durch den angefochtenen Beschluss als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für den Antrag auf Einholung eines Verkehrswertgutachtens betreffend die Immobilie D Straße fehle es an dem rechtlichen Interesse im Sinne des § 485 Absatz 2 ZPO. Für die Bemessung eines dem Antragsteller zustehenden Pflichtteilsanspruchs komme es auf eine gutachterliche Schätzung nicht maßgeblich an. Denn für den Fall eines zeitnahen Verkaufs berechne sich ein Pflichtteilsanspruch nicht nach dem Verkehrswert, sondern nach dem tatsächlich erzielten Kaufpreis. Die Antragsgegnerin habe die Behauptung des Antragstellers bestritten, die Stadt C plane das Objekt abzureißen, ohne dass der Antragsteller seine Behauptung glaubhaft gemacht habe. Der Beweisantrag zur Ermittlung des Wertes der auf die Immobilie E Straße erbrachten Aufwendungen sei ebenfalls unzulässig. Entgegen der Vorschrift des § 485 Abs. 2 ZPO solle nicht der Zustand oder Wert einer Sache oder eine Schadensursache oder der Schadensbeseitigungsaufwand ermittelt werden, sondern der Wert von Aufwendungen, die der Antragsteller auch nicht hinreichend konkret bezeichnet habe. Insoweit sei der Antrag zu unbestimmt. Es fehle an der Darlegung hinreichender Anknüpfungstatsachen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der an seinem Begehren festhält. Zur Begründung führt er aus, er habe sowohl von der Stadt C als auch von dem letzten, im Haus noch verbliebenen Mieter die Information erhalten, dass das Haus D Straße abgerissen werden solle. Trotz des Verkaufs der Immobilie bestehe ein Anspruch auf Wertermittlung, da konkrete Anhaltspunkte darauf hindeuteten, dass der Verkaufserlös nicht dem Verkehrswert entspreche. Der Gutachterausschuss der Stadt C habe allein den Bodenwert des knapp 1.000 qm großen Grundstücks mit 106.200 EUR bewertet. Es könne nicht sein, dass der Wert des Hauses unter Zugrundelegung des Verkaufspreises nur 25.345,00 EUR betrage. Dies erscheine vor dem Hintergrund, dass das Haus Ende der sechziger Jahre umfassend modernisiert worden sei, wenig plausibel. Ihm könne ein rechtliches Interesse im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO an einer vorprozessualen Beweissicherung hinsichtlich der Feststellung des Verkehrswertes nicht abgesprochen werden. Ein solches rechtliches Interesse bestehe bereits dann, wenn anzunehmen sei, dass die Feststellung zur Vermeidung eines Rechtsstreits dienen könne. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des Wertes der gemachten Aufwendungen auf die Immobilie E Straße sei ebenfalls zu Unrecht verweigert worden. Die einzelnen, nach dem Tod des Vaters durchgeführten Arbeiten seien konkret bezeichnet worden. Der Antrag sei daher nicht zu unbestimmt.
Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es entspreche nicht den Tatsachen, dass ein Abriss des Hauses D Straße kurz bevorstehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache durch Beschluss vom 24.05.2022 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist gem. § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und innerhalb der Frist des § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO eingelegt worden. Der Antragsteller ist auch im Beschwerdeverfahren auch ohne anwaltliche Vertretung postulationsfähig, § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
2. In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg. Die beantragte Beweisanordnung ist nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu erlassen, soweit es um die Ermittlung des Verkehrswertes der Immobilie D Straße geht.
a) Das Landgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Einholung eines Verkehrswertgutachtens betreffend die Immobilie D Straße zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Denn der Antragsteller kann durchaus im Wege des selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 ZPO die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des Verkehrswertes der Immobilie verlangen. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist der Antragsteller nicht auf die Erhebung einer Auskunfts- und Wertermittlungsklage gem. § 2314 BGB zu verweisen (vgl. Funk, jurisPR-FamR 15/2010 Anm. 3; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Oktober 1999 – 5 WF 354/99 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Oktober 2008 – 7 WF 867/08 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 10 WF 216/09 -, juris).
b) Für die Zulässigkeit des Antrags ist es unerheblich, ob ein Abriss des Gebäudes an der D Straße in naher Zukunft zu erwarten ist. Selbst wenn nicht zu besorgen wäre, dass das Beweismittel verloren geht, ist der Antrag zwar nicht nach § 485 Abs. 1 ZPO, sondern nach § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zulässig.
Nach dieser Vorschrift kann eine Partei, wenn – wie hier – ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Wert einer Sache festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO. Das ist hier der Fall.
Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit zu fassen, da § 485 Abs. 2 ZPO eine von einem Beweissicherungsbedürfnis, wie es § 485 Abs. 1 ZPO voraussetzt, unabhängige Erhebung des Sachverständigenbeweises ermöglicht. Insbesondere ist es dem Gericht grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Oktober 2008 – 7 WF 867/08 -, juris; MüKoZPO/Schreiber, 6. Aufl. 2020, ZPO § 485 Rn. 14). Allenfalls ist einem völlig eindeutigen Fall, bei dem das Fehlen des behaupteten Anspruchs evident ist, kann die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens unzulässig sein (BGH v. 16.9.2004 – III ZB 33/04, NJW 2004, 3488). Ein solcher Fall liegt hier jedoch keineswegs vor, denn die Durchführung der Wertermittlung durch ein gerichtliches Sachverständigengutachten kann nicht unter Hinweis auf den von der Antragsgegnerin abgeschlossenen Kaufvertrag und den darin vereinbarten Kaufpreis abgelehnt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht der Anspruch auf Wertermittlung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens auch dann, wenn der Nachlassgegenstand veräußert worden ist, und deshalb in Gestalt des Verkaufspreises ein Anhaltspunkt für den Verkehrswert vorliegt (BGH, Urteil vom 29. September 2021 – IV ZR 328/20 -, juris). Dies rechtfertige sich – so der BGH – daraus, dass dem Pflichtteilsberechtigten anderenfalls der Nachweis verwehrt bzw. zumindest erschwert würde, dass der Veräußerungserlös nicht dem tatsächlichen Verkehrswert entspricht (ebenso: Birkenheier in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2314 BGB (Stand: 10.01.2022) Rn. 112; OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Mai 2011 – 1 U 249/10 -, juris). Ungeachtet dessen hat der Antragsteller die begründete Vermutung einer unter dem Verkehrswert erfolgten Veräußerung der Immobilie geäußert. Dazu hat er vorgetragen, dass ein Wertgutachten existiere, aus dem sich ein deutlich abweichender Wert ergäbe. Schließlich sei der vereinbarte Kaufpreis auch im Hinblick auf den vom Gutachterausschuss der Stadt C ermittelten Bodenwert des Grundstücks nicht plausibel.
Nach Auffassung des Senats ist eine Schlichtungsmöglichkeit im weitesten Sinne ausreichend für die Beweisanordnung (vgl. nur Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 485 Rn. 7 a). Der allgemein gefasste Wortlaut des Gesetzes mit der Zielrichtung, einen Rechtstreit möglicherweise zu vermeiden, spricht dafür, nicht nur naheliegende, sondern auch entfernte Schlichtungschancen zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ausreichen zu lassen. Der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, die Wahrscheinlichkeit der Streitschlichtung als Tatbestandsmerkmal in den Gesetzeswortlauf aufzunehmen. Daher reicht es zur Annahme eines rechtlichen Interesses im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO aus, dass ein Sachverständigengutachten objektiv geeignet erscheint, eine einverständliche Streitbereinigung herbei zu führen (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. Oktober 2008 – 7 WF 867/08 -, juris).
Im vorliegenden Fall kann durch die verbindliche Bewertung des Grundstückes D Straße in C einer der wesentlichen Streitpunkte zwischen den Parteien im Rahmen der Auseinandersetzungen über den Pflichtteilsanspruchs des Antragstellers beseitigt werden. Es erscheint durchaus möglich, dass z.B. dann, wenn das Gutachten den Sachvortrag der Antragsgegnerin bestätigen sollte, der Antragsteller von der Einleitung eines streitigen Verfahrens absehen wird. Denkbar ist auch, dass die Parteien auf Grundlage der vom Gerichtssachverständigen festgestellten Werte eine abschließende außergerichtliche Einigung finden (OLG Köln, Beschluss vom 25. Februar 2010 – 10 WF 216/09 -, juris). Dem steht jedenfalls die pauschale Behauptung der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe bisher noch keine außergerichtliche Einigung angestrebt, nicht entgegen. Es kann dem Antragsteller nicht unterstellt werden, er werde bei einem ihm negativen Ergebnis der Begutachtung gleichwohl einen risikoreichen Prozess anstrengen. Diese Möglichkeit reicht aus, ein rechtliches Interesse des Antragstellers i.S.d. § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO anzunehmen (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 13. Mai 1999 – 1 W 125/99 – 16 -, juris).
2. Zu Recht hat das Landgericht allerdings den Antrag zu Ziff. 2) als unzulässig abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens gem. § 485 ZPO liegen bezüglich dieses Antrages nicht vor.
a) Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens betreffend die Immobilie E Straße in C ist nicht schon gem. § 485 Abs. 1 ZPO zulässig, weil etwa zu befürchten wäre, dass das Beweismittel verloren geht. Es kann dahinstehen, ob dafür der alsbaldige Verkauf der Immobilie ausreicht. Jedenfalls hat die Antragsgegnerin die Behauptung des Antragstellers bestritten, sie plane den Verkauf der Immobilie, ohne dass der Antragsteller sein Beweissicherungsinteresse gem. § 487 Nr. 4 ZPO glaubhaft gemacht hat.
b) Die Zulässigkeit des Antrages lässt sich aber auch nicht auf § 485 Abs. 2 ZPO stützen. Eine schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen nach § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO setzt nicht lediglich ein rechtliches Interesse des Antragstellers voraus. Erforderlich ist zusätzlich, dass einer der in § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO enumerativ aufgeführten Gegenstände begutachtet werden soll. Gegenstand der Begutachtung können nur die im Gesetz genannten Feststellungen sein (BGH, Beschluss vom 27.11.2013 – III ZB 38/13, NJW-RR 2014, 180).
Bei der vom Antragsteller begehrten Ermittlung der Werte der von der Erblasserin auf die Immobilie gemachten Verwendungen handelt es sich aber – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – um kein zulässiges Beweisthema i.S.d. § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach kann nur der Zustand oder Wert einer Sache begutachtet werden. Der Wert von Verwendungen bzw. Aufwendungen auf die Sache kann aber nicht mit dem Verkehrswert der Immobilie gleichgesetzt werden, sondern hat allenfalls Indizcharakter für den Wert der Immobilie. Da sich die Zulässigkeit eines Antrags allein nach dem unmittelbaren Antragsgegenstand richtet und nicht danach, ob im Rahmen der Begutachtung des Antragsgegenstands – allein oder neben anderen Faktoren – auch der Wert einer Sache zu begutachten ist, kommt vorliegend die Anordnung einer Begutachtung zum Zweck der Ermittlung des Wertes der von der Erblasserin auf die Immobilie gemachten Auf- und Verwendungen nicht in Betracht.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Es gilt der Grundsatz, dass eine Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren nicht zu erfolgen hat, wenn schon die angefochtene Entscheidung keine Kostenentscheidung enthalten durfte. Auch in erster Instanz wäre eine Kostenentscheidung nur bei einem den Antrag in vollem Umfang abweisenden Beschluss veranlasst gewesen, nicht aber bei einem Teilerfolg (OLG Celle, Beschluss vom 9. April 2015 – 13 W 18/15 -, juris; Herget in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 490 Rn. 5).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.