LG Wuppertal – Az.: 2 O 317/21 – Urteil vom 05.12.2022
Es wird festgestellt, dass die Parteien Miterben zu je 1/2 nach der am 08.09.1929 geborenen, 10.04.2020 verstorbenen L zuletzt wohnhaft V geworden sind.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten sich über die Miterbenstellung der Klägerin nach ihrer Anfechtung des den Beklagten zum Alleinerben einsetzenden Testaments der Erblasserin. Die Parteien sind die einzigen beiden Abkömmlinge aus der Ehe der Erblasserin mit dem im Jahr 1999 vorverstorbenen L1.
Die Erblasserin und ihr Ehemann setzten sich im Jahr 1957 in einem handschriftlichen gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu unbeschränkten Vollerben ein. Nach dem Tod ihres Ehemannes errichtete die Erblasserin am 15.12.2002 ein weiteres handschriftliches Testament. In diesem verfügte sie:
„Mein L2 soll Erbe sein. Meine Tochter F , geborene L3 , D soll ihren Pflichtteil erhalten. Das ist nicht als Straf- oder Benachteiligungsaktion zu sehen. Aber dieser Weg ist die einzige Möglichkeit, ablaufmäßig und verfahrenstechnisch zu gewährleisten, das L2 unser Wohnhaus, das eine Belastung ist, erhalten kann. Ein Verschleudern müssen wollten wir nicht.“
Nach dem Tod der Erblasserin am 10.04.2020 beantragte der Beklagte nach der Testamentseröffnung vom 05.06.2020 am 02.07.2020 einen ihn als Alleinerben ausweisenden Erbschein, der ihm erteilt wurde. Hiernach verhandelten die Parteien u.a. über den Wert des Hauses, Y , den der Beklagte durch eine Marktwerteinschätzung des Gutachterausschusses für Grundstückswerte der Stadt V zum 10.04.2020 schätzen ließ.
Am 13.11.2020 schrieb der Beklagte der Klägerin eine Whatsapp, die u.a. folgenden Inhalt hatte:
„Wir werden übrigens wahrscheinlich am Y einziehen, was ja Mutters letzter Wille war. Da vorher erhebliche Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind würde ich Dich bitten, die Möbel im Januar abzuholen. Vorher geht nicht da ich an Weihnachten erst ausräumen muss. Die Gutachter waren da und kommen Montag nochmal. Dann wird das Gutachten diesen Monat noch kommen. (…).“
Mit dem vom Gutachterausschuss am 17.12.2020 ermittelten Wert von 710.000,00 Euro verhandelten die Parteien dann die Auszahlung des Pflichtteils der Klägerin. Etwa zeitgleich kontaktierte der Beklagte einen Makler zu der Frage des Verkaufs des Objekts Y und stellte parallel dazu Überlegungen an, das Objekt an den dortigen Nachbarn zu veräußern, um hiernach ggf. dort einzuziehen. Beides beruhte jedenfalls auch auf dem Umstand, dass er vor dem Bezug des Objekts mit Sanierungsarbeiten rechnete, die er nach seinen Schätzungen zu diesem Zeitpunkt nicht stemmen können würde. Am 21.02.2021 erteilte der Beklagte dem Makler den konkreten Auftrag, das Haus zu veräußern.
Durch einen mit „Erbauseinandersetzungsvertrag“ überschriebenes Schriftstück setzten die Parteien den Wert des Nachlasses am 07.03.2021 auf 743.779,22 Euro fest, wobei sie den vom Gutachterausschuss ermittelten Wert der Immobilie zugrunde legten, und vereinbarten die Auszahlung eines Pflichtteils in Höhe von 185.945,00 Euro durch den Beklagten an die Klägerin.
Durch notariellen Kaufvertrag vom 26.03.2021 verkaufte der Beklagte die Immobilie Y zu einem Preis von 819.000,00 Euro an einen Dritten.
Durch außerprozessuales Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 09.08.2021 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die Anfechtung des Erbauseinandersetzungsvertrages wegen arglistiger Täuschung und Irrtum. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich bei dem Erbauseinandersetzungsvertrag um eine Pflichtteilsvereinbarung handele, bei deren Abschluss sie aufgrund entsprechender Vorspiegelung des Beklagten davon ausgegangen sei, dass der Beklagte in dem Haus wohnen bleibe. Dass er dies nicht beabsichtige, sei ihm aber bereits am 07.03.2021 klar gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt habe er tatsächlich bereits sogar den konkreten Verkauf vom 21.03.2021 vor Augen gehabt. Die Anregung zu einer einvernehmlichen Einigung wies der Beklagte durch Schreiben seines jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 26.08.2021 zurück.
Durch außerprozessuales Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 02.11.2021 erklärte die Klägerin gegenüber dem Amtsgericht Wuppertal die Anfechtung des Testaments vom 15.12.2002. Zur Begründung führte sie aus, die Erblasserin habe bei der Errichtung die Fehlvorstellung gehabt, dass bei der Erbeinsetzung des Beklagten sichergestellt sei, dass die Immobilie Y16 im Familienbesitz bleiben werde. Der Beklagte habe hingegen die Immobilie unverzüglich veräußert.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Hilfsweise beantragt sie, den Beklagten zu verurteilen, an sie 18.190,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Erblasserin sei schlecht gewesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung des Beklagten. Zum Ergebnis der Anhörung wird auf das Protokoll des Termins vom 17.10.20222, zum weiteren Sach- und Streitstand auf den Akteninhalt nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Zulässigkeit der Klage ergibt sich aus dem berechtigten Interesse der Klägerin, den mit dem Eintritt der gesetzlichen Erbfolge einhergehenden Zuwachs i.S.d. § 2032 Abs. 1 BGB ihrer vom Beklagten bestrittenen Rechtsposition festgestellt zu wissen, weil sie hierdurch am Kaufpreis mitberechtigt wird gemäß § 2041 BGB.
Die Klage ist begründet. Die Klägerin ist zusammen mit dem Beklagten Miterbin aufgrund gesetzlicher Erbfolge gemäß den §§ 1922, 1924 Abs. 1 BGB im tenorierten Umfang. Das die Klägerin von der Erbfolge ausnehmende, formwirksame Testament vom 15.12.2002 hat diese durch Anfechtungserklärung gemäß § 2081 Abs. 1 BGB gegenüber dem Amtsgericht Wuppertal als zuständigem Nachlassgericht durch Schreiben vom 02.11.2021 wirksam angefochten. Insbesondere erfolgte die Anfechtung innerhalb der Jahresfrist des § 2082 Abs. 1, Abs. 2 BGB, nachdem die Klägerin Mitte des Jahres 2021 von der Veräußerung der Immobilie durch den Beklagten erfahren hat.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anfechtungsgrund aus § 2078 Abs. 2, Var. 1 BGB liegt zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor (§ 286 ZPO). Hiernach kann eine letztwillige Verfügung angefochten werden, wenn der Erblasser diese in der irrigen Annahme oder Erwartung des Eintritts eines Umstandes errichtete. Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die positive Vorstellung der Erblasserin, der Beklagte werde das Haus erhalten, wenn er Alleinerbe wird, war ein Motiv i.S.d. § 2078 Abs. 2 BGB, das für die Verfügung der Erblasserin im Testament vom 15.12.2002 bestimmend war (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl. § 2078, Rn. 28). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Beklagte das Haus dann auch nicht verkaufen werde. Diese subjektive Erwartung, die auch als unbewusste Erwartung vom Anfechtungstatbestand erfasst wäre (vgl. BGHZ 4, 91, 94f.), findet im Testament sogar eine klare Stütze: Die Erhaltung des Hauses hat die Erblasserin wörtlich verbunden mit der Erwägung, dass sie das Haus nicht verschleudert sehen wolle. Darin kommt zum Ausdruck, dass das Haus in der Familie bleiben und nicht verkauft werden sollte. Die irrige Annahme der von der Erblasserin vorausgesetzten Entwicklung muss zwar nicht im Testament zum Ausdruck kommen, um anfechtbar zu sein (vgl. Leipold a.a.O., Rn. 38); hier liefert die wortgetreue Erklärung dazu im Testament aber den Beweis, dass sich die Erblasserin von dieser Vorstellung bestimmend leiten ließ (vgl. BGH, NJW 1965, 584; KG, NJW 2001, 903, 906).
Die an die konkrete Regelung der Erbfolge geknüpfte (subjektive) Erwartung der Erblasserin hat sich (objektiv) nicht erfüllt. Aus diesem Grund war die Klägerin zur Anfechtung berechtigt. Nach der weiten Formulierung des § 2078 Abs. 2, 1. Var. BGB berechtigt jeder Motivirrtum zur Anfechtung. Das Vertrauen eines Bedachten an der Aufrechterhaltung einer testamentarischen Verfügung ist nicht schutzwürdig. Der Irrtum kann sich auf vergangene, gegenwärtige und zukünftige Umstände beziehen (OLG Köln, FamRZ 1990, 1038, 1039). Unerheblich ist, ob der Erblasser oder ein Dritter Einfluss auf diese Umstände hat, ebenso, auf welche Weise der Irrtum entstanden ist (Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2078, Rn. 37). Der Irrtum kann sich auf Umstände aller Art beziehen, insbesondere auch auf das zukünftige Verhalten des Bedachten (BGHZ 4, 91, 95; BGH NJW 1963, 246). Für die mit einer Verfügung verbundene Erwartung i.S.d. § 2078 Abs. 2 BGB gilt nichts anderes (Olzen/Looschelders, Erbrecht, 6. Aufl., § 6, S. 208, Rn. 685ff. m.w.N.). Die hiernach wirksame Anfechtung wirkt auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung zurück und führt zur gewillkürten Erbfolge.
Die vom Beklagten dagegen erhobenen Einwände, die Beziehung zwischen der Erblasserin und der Klägerin sei schlecht gewesen, greift hiergegen nicht durch. Darauf, wie sich die Beziehung nach der Testierung im Dezember 2002 entwickelt hat, kommt es hier nicht an; jedenfalls hat diese Entwicklung nicht dazu geführt, dass die Erblasserin neu verfügt hat. Der vom Beklagten im Schriftsatz vom 29.09.2022 behauptete Vorfall im Zeitraum davor, in den Jahren 1987/1988, ist in den Prozessschriftsätzen weder verschriftlicht noch im Termin vorgetragen worden, obwohl hierzu Gelegenheit geboten wurde. Eine Beweisaufnahme hierzu wäre deshalb schon aus diesem Grund unzulässig.
In der letztwilligen Verfügung selbst findet die Annahme eines persönlichen Motivs der Erblasserin für die getroffene Regelung aber auch keine Entsprechung. Hiernach sollte die Enterbung gerade keine Bestrafung oder Benachteiligung sein. Insbesondere unter Berücksichtigung des Vortrags des Beklagten im Schriftsatz vom 04.11.2022, dass die Erblasserin Volljuristin war, lässt diese Passage des Testaments keinen Raum für die Annahme, dass die dort getroffene Entscheidung auf Enttäuschungen im zwischenmenschlichen Bereich beruht. Sie ist vielmehr nach der Vorstellung der Erblasserin im Errichtungszeitpunkt der einzige Weg, ihr Motiv umzusetzen, dass das Haus in der Familie bleibt. Durch die Offenlegung ihres Motivs stellt die Erblasserin nicht nur klar, dass die Entscheidung zur konkreten Verfügung auf Sachkriterien beruht, die nach ihrer Vorstellung die Erwartung einer bestimmten, von ihr gewollten Entwicklung zulassen; sie unterstreicht überdies durch die Benennung derjenigen Motive, die der konkreten Verfügung gerade nicht zugrunde liegen überdies ausdrücklich, dass sie hinsichtlich ihrer Motivlage nicht missverstanden werden will. Die Verknüpfung von Motiv und Erbeinsetzung ist hiernach unzweideutig. Für die Annahme von Begleit- oder Zusatzmotiven im persönlichen Bereich bleibt deshalb zur Überzeugung des Gerichts angesichts dieser Formulierung kein Raum. Eine solche Motivation findet im Testament nicht nur keine Andeutung, die Erblasserin schließt sie ausdrücklich aus.
Dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung Zweifel daran hatte, dass sich das Haus in der Familie halten lässt, lässt sich zur Überzeugung des Gerichts dem Testament nicht entnehmen (§ 286 ZPO). Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die Erblasserin habe in das Testament auch die Möglichkeit der erheblichen Renovierungskosten einbezogen, ist schon zweifelhaft, dass sie diese 20 Jahre vor dem Erbfall in dem im Prozess vorgebrachten Umfang konkret antizipieren konnte. In der Sache findet die Kostenlast der Immobilie zwar eine Entsprechung in der Erwägung der Erblasserin, dass das Haus eine Belastung sei; bloß wollte sie das Verkaufsrisiko durch die konkret getroffene Verfügung gerade ausschließen (s.o.). Soweit man – wie der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 04.11.2022 – die Formulierung, das Haus sei eine Belastung, als Andeutung von Zweifeln daran, dass sich das Haus in der Familie halten lässt, bewertet, kommt man allerdings nicht umhin, anzuerkennen, dass die Erblasserin diesen Zweifeln gerade durch die konkrete Erbfolgeregelung Rechnung getragen hat (vgl. Litzenburger in BeckOK-BGB, 63. Ed., § 2078, Rn. 7). Damit ist die Anfechtung im Falle der andersartigen Entwicklung aber nicht ausgeschlossen, sondern geboten.
Mit der wirksamen Anfechtung entfällt die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien bestehenden Pflichtteilsvertrag. Der Klägerin steht insoweit ein Rücktrittsrecht zu, § 313 Abs. 1, Abs. 3 BGB. Hiervon macht sie durch Festhalten an der Anfechtung des Vertrages auch konkludent Gebrauch. Der Beklagte hat überdies in der mündlichen Verhandlung – anerkennenswert – offengelegt, dass er das Haus bereits zu dem Zeitpunkt, als er der Klägerin am 13.11.2020 die Whatsapp schrieb, verkaufen wollte, weil das Halten der Immobilie für ihn finanziell schlicht nicht zu stemmen gewesen sei. Durch die gegenteilige Mitteilung in der Whatsapp und das Verschweigen der tatsächlichen Absicht hat er die Klägerin unter Berücksichtigung der ihm obliegenden Auskunftspflichten aus § 2314 BGB spätestens zum Zeitpunkt des Abschlusses der Pflichtteilsvereinbarung am 07.03.2021 arglistig getäuscht i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB. Darauf kam es aber wegen der wirksamen Testamentsanfechtung i.E. nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf bis 170.000,00 Euro festgesetzt (80% von 210.000,00 Euro).