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Testamentsauslegung – auflösende Bedingung der Wiederheirat

OLG Stuttgart – Az.: 8 W 139/15 – Beschluss vom 23.01.2018

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 und 2 wird der Beschluss des Notariats Tübingen – Nachlassgericht – vom 16.02.2015 (Az.: I NG 46/2013) abgeändert:

Die erforderlichen Tatsachen zur Erteilung eines Erbscheins nach Maßgabe des notariell beurkundeten Antrags der Beteiligten Ziff. 1 und 2 vom 27.10.2014 (Urkunde des Notars … – UR-Nr. …) werden für festgestellt erachtet.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren ist abzusehen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 730.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die am … geborene und am … verstorbene Erblasserin war in erster und einziger Ehe verheiratet mit dem am … vorverstorbenen … …. Die Beteiligten Ziff. 1 und 2 sind die gemeinsamen Abkömmlinge der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes, die Beteiligten Ziff. 3 und 4 sind die Abkömmlinge des Beteiligten Ziff. 1. Der Beteiligte Ziff. 2 hat keine Abkömmlinge.

Die Erblasserin hat folgende Verfügungen von Todes wegen errichtet:

a) Ein privatschriftliches Testament vom 16. Oktober 1981 folgenden Inhalts:

„§1

Zum Alleinerben meines gesamten Vermögens setze ich meinen Ehemann … … ein. Zu Ersatzerben und zwar zu jeweils gleichen Teilen bestimme ich meine Söhne … … und … … und bei deren Wegfall deren Abkömmlinge nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge; bei Aussterben eines Stammes tritt Anwachsung ein.

§2

Die Einsetzung meines Ehemanns zum Alleinerben gilt nur unter der auflösenden Bedingung, dass er sich nach meinem Ableben nicht wiederverheiratet (§ 2075 BGB). Im Fall der Wiederverheiratung soll mein Ehemann rückwirkend auf den Zeitpunkt meines Ablebens die Stellung eines Vorerben haben, der von allen Beschränkungen und Verpflichtungen befreit ist, von denen nach § 2136 BGB Befreiung gewährt werden kann. Die Nacherbfolge tritt mit der Wiederverheiratung ein.

Zu Nacherben und zwar zu gleichen Teilen bestimme ich meine Söhne … … und … …, zu Ersatznacherben deren Abkömmlinge nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge; in Ermangelung von Abkömmlingen tritt Anwachsung ein. Mein Ehemann soll im Falle seiner Wiederverheiratung auf seinen Pflichtteil und den Zugewinn beschränkt sein. Die zum ehelichen Haushalt gehörenden Gegenstände soll er als Vorausvermächtnis mit der Maßgabe erhalten, dass er sie bei seiner Wiederverheiratung an die Nacherben herauszugeben hat, falls und soweit diese es verlangen.

§ 3

Zum Testamentsvollstrecker ernenne ich Herrn … …, …, …. Für den Fall, dass er das Amt nicht annehmen kann oder will oder nach der Annahme des Amts wegfällt, ernenne ich zu Ersatztestamentsvollstreckern in der nachstehenden Reihenfolge Herrn … …, …, … und Herrn … …, …, … …. Falls auch von diesen keiner das Amt annehmen kann oder will oder nach der Annahme des Amts wegfällt, ersuche ich das Nachlassgericht um die Ernennung eines Testamentsvollstreckers.“

Nach der Unterschrift hat die Erblasserin noch folgende ebenfalls handschriftlich verfasste, gesondert unterschriebene „Erläuterungen zu meiner letztwilligen Verfügung vom 16. Oktober 1981“ angefügt:

„Mit meiner letztwilligen Verfügung vom 16. Oktober 1981 möchte ich folgendes sicherstellen:

1.) Mein Ehemann soll nach meinem Ableben nicht auf das Wohlwollen unserer Söhne und deren Ehefrauen angewiesen, sondern wirtschaftlich und finanziell völlig unabhängig sein.

2.) Nach dem Ableben meines Ehemannes soll mein Vermögen ausschließlich auf unsere Söhne und im weiteren Erbgang auf deren Abkömmlinge übergehen. Es soll beispielsweise ausgeschlossen sein, dass im Falle der Wiederverheiratung der Ehefrau eines weggefallenen Sohnes mein Vermögen oder Teile davon dem neuen Ehemann oder Kindern aus dieser Ehe zufallen.

3.) Auch im Falle der Wiederverheiratung meines Ehemannes soll der Übergang meines Vermögens oder von Teilen davon in familienfremde Hände ausgeschlossen sein.“

Diese Erläuterungen wurden von der Erblasserin gesondert unterschrieben.

b) Ein privatschriftliches Testament vom 04.Januar 2000, in dem die Erblasserin einen anderen Testamentsvollstrecker bestimmt, es aber dabei belässt, dass das Nachlassgericht einen Testamentsvollstrecker benennen möge, falls dieser das Amt nicht annehme.

Am 27.01.2014 haben die Beteiligten Ziff. 1 und 2 einen Erbschein beantragt mit dem Inhalt, dass sie mit jeweils hälftigem Erbteil Vollerben der Erblasserin geworden sind und dass Testamentsvollstreckung angeordnet ist (notariell beurkundet durch Notar … … – UR-Nr. …) . Dem am 14.02.2014 bei dem Notariat Tübingen als Nachlassgericht eingegangenen Antrag waren Erklärungen der Beteiligten Ziff. 3 und 4 beigefügt, wonach diese der Erteilung des beantragten Erbscheins zustimmten.

Mit Beschluss vom 20.10.2014 hat das Notariat die Beteiligte Ziff. 5 zur Pflegerin für möglicherweise künftige weitere unbekannte Nacherben bestellt.

Die Beteiligte Ziff. 5 hat dem Erbscheinsantrag mit Schriftsatz vom 22.12.2014 zugestimmt.

Mit Beschluss vom 16.02.2015 hat das Notariat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen, da die von der Erblasserin nach den Erläuterungen gewünschte Sicherstellung des Nachlasses zugunsten der eigenen Familie auch „im weiteren Erbgang“ nur durch eine gestaffelte Vor- /Nacherbeneinsetzung herbeigeführt werden könne.

Gegen diese den Beteiligten Ziff. 1 und 2 jeweils am 20.02.2015 zugestellte Entscheidung hat der Notar, der den Erbscheinsantrag beurkundet hatte, – offensichtlich im Namen der Beteiligten Ziff. 1 und 2 – mit Schriftsatz vom 13.03.2015, eingegangen bei dem Notariat am 16.03.2015 Beschwerde eingelegt, der das Notariat mit Beschluss vom 30.03.2015 nicht abgeholfen hat.

Zur Sachverhaltsdarstellung und den vertretenen Rechtsauffassungen im Einzelnen wird auf das schriftliche Vorbringen der Beteiligten, den angegriffenen Beschluss des Nachlassgerichts vom 16.02.2015 sowie auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 352 ff, 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 und 2 hat auch in der Sache Erfolg. Der von den Beteiligten Ziff. 1 und 2 beantragte Erbschein entspricht der tatsächlich eingetretenen Erbfolge.

Entgegen der Auffassung des Notariats kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Erblasserin eine gestaffelte Nacherbfolge in der Weise anordnen wollte, dass ihr Ehemann Vorerbe, die Söhne der Erblasserin und ihres Ehemanns Nacherben des Ehemanns und gleichzeitig Vorerben ihrer Abkömmlinge sein sollten. Gegen diese Auslegung spricht der Wortlaut des privatschriftlichen Testaments vom 16.10.1981, nach dessen § 1 der Ehemann der Erblasserin zum Alleinerben und die Beteiligten Ziff. 1 und 2 zu Ersatzerben – und nicht zu Nacherben – eingesetzt worden waren. Die Auslegungsregel des § 2102 Abs. 1 BGB, wonach die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe enthält, gilt nicht umgekehrt, d.h. die Einsetzung als Ersatzerbe enthält nicht auch die als Nacherbe (Weidlich in Palandt, BGB, 77. Aufl., § 2102, Rn. 1; § 2096, Rn. 5).

In § 2 des Testaments vom 16.10.1981 hatte die Erblasserin für den Fall der Wiederverheiratung ihres Ehemanns rückwirkend auf den Zeitpunkt ihres Ablebens angeordnet, dass ihr Ehemann die Stellung eines von allen Beschränkungen und Verpflichtungen befreiten Vorerben haben sollte, dass die Nacherbfolge mit der Wiederverheiratung eintritt und dass die Beteiligten Ziff. 1 und 2 Nacherben und deren Abkömmlinge Ersatznacherben – nicht Nach-Nacherben – zu gleichen Teilen sein sollten (zur Zulässigkeit einer letztwilligen Verfügung, nach welcher der Ehepartner auflösend bedingt zum Vollerben und aufschiebend bedingt zum Vorerben eingesetzt wird vgl. BGHZ 96, 198). Hieraus ergibt sich, dass der Erblasserin das Rechtsinstitut der Vor- und Nacherbschaft bekannt war, auch wenn sie diese Kenntnis von ihrem vorverstorbenen, juristisch ausgebildeten Ehemann, der eine identische letztwillige Verfügung hinterlassen hatte, erworben haben mag. Hätte die Erblasserin auch ihren Ehemann, ihre Söhne und ihre Enkelkinder unabhängig von einer Wiederverheiratung ihres Ehemanns zu Vor- bzw. Nacherben einsetzen wollen, hätte sie dies auch wörtlich so angeordnet. Vorerbe sollte der Ehemann der Erblasserin aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Testaments vom 16.10.1981 nur im Falle seiner Wiederverheiratung werden, dann allerdings rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ablebens der Erblasserin.

Die privatschriftlichen Erläuterungen der Erblasserin zu ihrer letztwilligen Verfügung vom 16.10.1981 führen nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis. Im Gegenteil belegt Ziff. 1 dieser Erläuterungen, wonach der Ehemann nicht auf das Wohlwollen der Söhne und deren Ehefrauen angewiesen, sondern wirtschaftlich und finanziell völlig unabhängig sein soll, die Absicht der Erblasserin, den Ehemann ohne Wiederverheiratung zum Vollerben und nicht zum – wenn auch befreiten – Vorerben einsetzen zu wollen. Auch der befreite Vorerbe würde dem aus § 2113 Abs. 2 BGB resultierenden Schenkungsverbot unterliegen (vgl. 2136 BGB), hätte also nicht die von der Erblasserin für ihn gewünschte Freiheit und völlige Unabhängigkeit von den Beteiligten Ziff. 1 und 2 zur Folge.

Der von der Erblasserin in Ziff. 2 der Erläuterung geäußerte Wunsch, dass nach dem Ableben des Ehemannes das Vermögen der Erblasserin ausschließlich auf die Söhne und „im weiteren Erbgang“ auf deren Abkömmlinge übergehen soll, um zu vermeiden, dass „beispielsweise im Falle der Wiederverheiratung der Ehefrau eines weggefallenen Sohnes das Vermögen der Erblasserin oder Teile davon dem neuen Ehemann oder Kindern aus dieser Ehe zufallen“, lässt nicht die Auslegung zu, dass die Erblasserin abweichend vom Wortlaut ihrer Verfügung eine gestaffelte Nacherbfolge anordnen wollte. Das von der Erblasserin in Ziff. 2 der Erläuterung des Testaments offenbarte Ziel ließe sich nämlich auch durch die Anordnung eines auf den Tod des eingesetzten Vollerben gemäß § 2177 BGB aufschiebend bedingten Universalherausgabevermächtnisses erreichen. In diesem Fall wäre der von der Erblasserin primär eingesetzte Ehemann als Vollerbe mit einem Vermächtnis belastet, welches unter der aufschiebenden Bedingung seines Ablebens stände und seine Erben verpflichten würde, den Vermächtnisnehmern – vorliegend den Beteiligten Ziff. 1 und 2 – alle Vermögensgegenstände, die er aus dem Nachlass der Erblasserin erhalten hat und die sich bei seinem Ableben noch in seinem Vermögen befinden, herauszugeben (siehe hierzu Hölscher ZEV 2009, 213; Schwarz, ZEV 2011, 292). In diesem Fall würde der Ehemann als eingesetzter Vollerbe nicht den Beschränkungen unterliegen, denen ein Vorerbe – auch im Falle seiner Befreiung nach § 2136 BGB – unterliegen würde. Die in dieser Weise begünstigten Vermächtnisnehmer – vorliegend also die Beteiligten Ziff. 1 und 2 – könnten ihrerseits im Rahmen eines Nachvermächtnisses im Sinne von § 2191 BGB zugunsten ihrer Abkömmlinge unter der aufschiebenden Bedingung ihres Ablebens entsprechend mit der Verpflichtung belastet sein, alle Vermögensgegenstände, die sie als Vermächtnisnehmer erhalten hatten, und die sich bei ihrem Ableben noch in ihrem Vermögen befinden, an ihre Abkömmlinge als Nachvermächtnisnehmer herauszugeben (Hölscher a.a.O.). Sollten die Erläuterungen der Erblasserin zu ihrem Testament vom 16.10.2017 überhaupt geeignet sein, die geregelte Erbeinsetzung zu beeinflussen, was vorliegend keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat bedarf, dann wären sie im Sinne der Anordnung eines solchen gestaffelten Herausgabevermächtnisses auszulegen, um die von dem Notariat vorgenommene Auslegung entgegen dem Wortlaut zu vermeiden. Hiergegen spricht auch nicht der Wortlaut in Ziff. 2 der Erläuterungen der Erblasserin, wonach ihr Vermögen „in einem weiteren Erbgang“ auf die Abkömmlinge ihrer Söhne übergehen soll, denn bei Anordnung eines gestaffelten Herausgabevermächtnisses würde diesen das Vermächtnis jeweils bei Ableben ihres Vaters – also in einem weiteren Erbgang – anfallen, auch wenn sie nicht Nacherben sind. Auch wenn sich aus der Regelung in § 2 des Testaments vom 16.10.1981 ableiten lässt, dass der Erblasserin die Bedeutung eines Vermächtnisses grundsätzlich bekannt war, spricht das Fehlen eines ausdrücklich angeordneten gestaffelten Herausgabevermächtnisses nicht gegen eine Auslegung des Testaments in diesem Sinne.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus §§ 61, 40 Abs. 1 GNotKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 FamFG liegen nicht vor.

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