Rechtsstreit um Testierfähigkeit: Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes
Das Amtsgericht Bonn hat in einem Beschluss vom 12.10.2017 (Az.: 34 VI 352/17) über das Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes in Bezug auf die Testierfähigkeit eines Erblassers entschieden. Im Kern des Falls stand die Frage, ob ein Arzt, in diesem Fall Prof. Dr. L, das Recht hat, die Aussage zu verweigern, wenn es um die Testierfähigkeit eines verstorbenen Patienten geht.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Das Amtsgericht Bonn hat entschieden, dass ein Arzt kein Zeugnisverweigerungsrecht bezüglich der Testierfähigkeit eines Erblassers hat, selbst wenn er sich auf die ärztliche Schweigepflicht beruft.
- Zeugnisverweigerungsrecht: Das Amtsgericht Bonn hat über das Zeugnisverweigerungsrecht eines Arztes in Bezug auf die Testierfähigkeit eines Erblassers entschieden.
- Hintergrund: Die Erblasserin hinterließ verschiedene Testamente, einschließlich eines notariellen Testaments vom 01.02.2016.
- Zweifel: Es gab Zweifel an der Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments.
- Universitätsklinik Bonn: Die Klinik lehnte die Übersendung von Behandlungsunterlagen ab, berief sich auf die ärztliche Schweigepflicht und betonte die besondere Prüfungspflicht des Notars bei der Errichtung eines notariellen Testaments.
- Zeugenaussage: Prof. Dr. L wurde als Zeuge geladen, verweigerte jedoch die Aussage und berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht.
- Rechtliche Einschätzung: Das Gericht entschied, dass Prof. Dr. L kein Zeugnisverweigerungsrecht hat, da die ärztliche Schweigepflicht nicht über den mutmaßlichen Willen der Erblasserin hinausgeht.
- Bedeutung des notariellen Testaments: Die Erstellung eines notariellen Testaments entzieht dem Gericht nicht die Prüfung der Testierfähigkeit.
- Schlussfolgerung: Das Gericht betonte, dass das Interesse des Erblassers im Allgemeinen darin besteht, aufkommende Zweifel über seine Testierfähigkeit zu klären.
Übersicht
Zweifel an der Testierfähigkeit und die Rolle der Universitätsklinik
Die Erblasserin, die am 16.11.2016 in Bonn verstarb, hinterließ verschiedene Testamente, darunter ein notarielles Testament vom 01.02.2016. Es gab jedoch Zweifel an ihrer Testierfähigkeit zum Zeitpunkt der Errichtung dieses Testaments. Eine Partei, bezeichnet als „Beteiligte zu 1“, behauptete, dass die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments nicht testierfähig war. Als Beweis für diese Behauptung wies die Beteiligte darauf hin, dass sich die Erblasserin im März 2016 in der Universitätsklinik Bonn befand.
Das Gericht bat die Universitätsklinik Bonn um die Übersendung der Behandlungsunterlagen der Erblasserin. Die Klinik lehnte dies jedoch ab, da sie der Meinung war, dass die Übersendung der Unterlagen nicht im Interesse der Erblasserin liege. Als Begründung führte die Klinik an, dass ein Erblasser durch die Errichtung eines notariellen Testaments gerade vermeiden möchte, dass nach seinem Tod seine Testierfähigkeit in Frage gestellt wird. Das Gericht entschied sich daraufhin, Prof. Dr. L als Zeugen zu laden. Dieser verweigerte jedoch die Aussage und berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht.
Das rechtliche Dilemma: Zeugnisverweigerungsrecht gegen Klarheit
Das rechtliche Problem und die Herausforderung in diesem Fall lagen in der Abwägung zwischen dem Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes und dem Interesse der Parteien, Klarheit über die Testierfähigkeit der Erblasserin zu erhalten. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Prof. Dr. L kein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 30 FamFG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zusteht. Es wurde argumentiert, dass die ärztliche Schweigepflicht, obwohl sie über den Tod des Patienten hinausgeht, in diesem Fall nicht greift. Es gab keine Anzeichen dafür, dass die Erblasserin zu Lebzeiten geäußert hatte, dass der Arzt nach ihrem Tod schweigen sollte.
Das Gericht betonte, dass im Falle einer Aussageverweigerung durch den Arzt eine sorgfältige Prüfung erforderlich ist. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass das Interesse des Erblassers in der Regel darin besteht, aufkommende Zweifel über seine Testierfähigkeit zu klären. Das Gericht war der Ansicht, dass Prof. Dr. L keine konkreten Überlegungen bezüglich des mutmaßlichen Willens der Erblasserin angestellt hatte und dass seine allgemeine Überlegung, dass jemand, der ein notarielles Testament erstellt, die Überprüfung seiner Testierfähigkeit nach seinem Tod vermeiden möchte, nicht ausreichend war.
Die Rolle des Notars und die Bedeutung des notariellen Testaments
Ein weiterer wichtiger Punkt war, dass die Erstellung eines notariellen Testaments das Gericht nicht daran hindert, die Testierfähigkeit zu prüfen. Das Gericht betonte, dass die Feststellungen des Notars die Gerichte nicht binden.
Zusammenfassend hat das Amtsgericht Bonn entschieden, dass das Zeugnisverweigerungsrecht des Arztes in diesem Fall nicht greift und dass das Interesse des Erblassers und der Parteien, Klarheit über die Testierfähigkeit zu erhalten, Vorrang hat. Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Testierfähigkeit im Erbrecht und die Rolle, die medizinische Experten bei der Klärung solcher Fragen spielen können. Es zeigt auch die Komplexität und die feinen Nuancen, die bei der Abwägung von Rechten und Interessen in solchen Fällen berücksichtigt werden müssen.
✔ Wichtige Begriffe kurz erklärt
- Zeugnisverweigerungsrecht: Das Zeugnisverweigerungsrecht ist das Recht einer Person, die als Zeuge in einem Gerichtsprozess auftritt, die Aussage zu verweigern. Dieses Recht ist in § 52 der deutschen Strafprozessordnung (StPO) verankert und gilt insbesondere für nahe Verwandte des Beschuldigten und Personen, die durch eine Aussage sich selbst oder nahe Verwandte belasten würden. Darüber hinaus haben bestimmte Berufsgruppen, wie z. B. Ärzte und Anwälte, aufgrund ihrer beruflichen Schweigepflicht das Recht, die Aussage zu verweigern.
- Testierfähigkeit: Testierfähigkeit ist die rechtliche und geistige Fähigkeit einer Person, ein gültiges Testament zu erstellen. Sie ist in § 2229 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) definiert. Eine Testierfähigkeit liegt vor, wenn die Person das 18. Lebensjahr vollendet hat und in der Lage ist, die Bedeutung und die Folgen ihres Testaments zu verstehen. Wenn Zweifel an der Testierfähigkeit bestehen, kann das Testament für ungültig erklärt werden.
- Ärztliche Schweigepflicht: Die ärztliche Schweigepflicht ist die gesetzliche Verpflichtung eines Arztes, die Gesundheitsinformationen eines Patienten vertraulich zu behandeln und sie ohne die Zustimmung des Patienten nicht preiszugeben. Dieses Recht ist im § 203 des Strafgesetzbuches (StGB) festgelegt und gilt auch nach dem Tod des Patienten.
- Mutmaßlicher Wille: Der mutmaßliche Wille bezieht sich auf die Annahme, was eine Person gewollt hätte, wenn sie ihre Wünsche oder Absichten nicht ausdrücklich geäußert hat. Dies wird oft in medizinischen, rechtlichen und ethischen Diskussionen verwendet, besonders wenn es um die Offenlegung von Informationen nach dem Tod eines Patienten geht. Der mutmaßliche Wille wird unter anderem in § 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) im Kontext der medizinischen Behandlung genannt.
Das vorliegende Urteil
Amtsgericht Bonn- Az.: 34 VI 352/17 – Beschluss vom 12.10.2017
Der Zeuge Prof. Dr. L ist zur Zeugnisverweigerung nicht berechtigt.
Gründe
I.
Die am 16.11.2016 in Bonn verstorbene Erblasserin hinterlässt verschiedene Testamente, u.a. ein notarielles Testament vom 01.02.2016.
Die Beteiligte zu 1) behauptet, die Erblasserin sei bei Errichtung des notariellen Testaments am 01.02.2016 nicht testierfähig gewesen.
Das Gericht erhebt Beweis über die Testierfähigkeit der Erblasserin am 01.02.2016. Nach Auskunft der Beteiligten zu 1) befand sich die Erblasserin im März 2016 in der Universitätsklinik Bonn.
Das Gericht hat die Universitätsklinik mit Schreiben vom 19.04.2017 um Übersendung der Behandlungsunterlagen gebeten. Dies lehnte diese mit Schreiben vom 23.05.2017 mit der Begründung ab, dass die Übersendung der Behandlungsunterlagen nicht im Interesse der Erblasserin sei und daher aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht in Betracht komme. Dazu führte die Universitätsklinik Bonn aus, dass den Notar bei Errichtung eines notariellen Testaments eine besondere Prüfungspflicht treffe und er sich von der Testierfähigkeit des Erblassers überzeugen müsse. Ein Erblasser wolle durch die Errichtung eines notariellen Testaments daher gerade vermeiden, dass nach seinem Ableben seine etwaig übergangenen gesetzlichen Erben im Nachhinein möglicherweise mit Erfolg seine Testierfähigkeit in Frage stellen können, wodurch das notarielle Testament unwirksam werden würde.
Daraufhin hat das Gericht Herrn Prof. Dr. L als Zeugen geladen. Mit der vorstehenden Begründung hat der Zeuge eine Zeugenaussage unter Berufung auf das ihm seiner Ansicht nach zustehende Zeugnisverweigerungsrecht verweigert.
II.
Dem Zeugen Prof. Dr. L steht kein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 30 FamFG i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu.
Der Arzt hat zu Lebzeiten seiner Patienten seine ärztliche Schweigepflicht zu beachten. Die ärztliche Schweigepflicht reicht auch über den Tod des Patienten hinaus. Nach dem Tod der Patienten ist zu prüfen, ob sie zu Lebzeiten geäußert haben, dass der Arzt nach ihrem Tod schweigen soll bzw. dass er Angaben machen darf. Gibt es eine solche Äußerung nicht, ist der mutmaßliche Wille der Verstorbenen zu erforschen, also zu prüfen, ob sie die Offenlegung mutmaßlich gebilligt oder missbilligt hätten (BGH NJW 1984, 2893; BayObLGZ 1986, 332, 334; Zöller/Greger, 31. Auflage 2016, § 383 Rn. 5, § 385 Rn. 10).
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte für eine Äußerung der Erblasserin zu Lebzeiten, dass der Zeuge Prof. Dr. L nach ihrem Tod schweigen soll bzw. dass er Angaben machen darf. Dies behauptet auch der Zeuge nicht. Es kommt daher auf den mutmaßlichen Willen der Erblasserin an.
Im Rahmen der Erforschung des mutmaßlichen Willens ist dem Arzt eine weitergehende eigene Entscheidungsbefugnis einzuräumen. Er muss allerdings, wenn er sich zu einer Aussageverweigerung entschließt, eine gewissenhafte Prüfung vornehmen und im Einzelnen darlegen, auf welche Belange des Verstorbenen sich seine Weigerung stützt (BGH a.a.O.). Insoweit ist zu beachten, dass das Interesse des Erblassers im Allgemeinen dahin geht, aufkommende Zweifel über seine Testierfähigkeit nach Möglichkeit auszuräumen. Das liegt für den testierfähigen Erblasser auf der Hand, gilt aber auch für den Testierunfähigen. Sein wohlverstandenes Interesse ist nicht darauf gerichtet zu verbergen, dass er testierunfähig ist; vielmehr würden damit umgekehrt die seinem Schutz dienenden Vorschriften über die Testierfähigkeit in vielen Fällen gerade unterlaufen (BGH a.a.O.; Staudinger/Herzog, 2016, BGB § 2353 Rn. 303 m.w.N.)
Vorliegend hat der Zeuge keine konkreten Überlegungen betreffend den mutmaßlichen Willen der Erblasserin vorgenommen. Er beruft sich vielmehr auf die allgemeine Überlegung, dass derjenige, der ein notarielles Testament erstellt, vermeiden wolle, dass nach seinem Ableben die Testierfähigkeit überprüft wird. Dem vermag das Gericht nicht zu folgen. Der Zeuge und auch die dahinterstehende Rechtsabteilung der Universitätsklinik Bonn übersehen dabei, dass es eine Vielzahl an Beweggründen für die Erstellung eines notariellen Testaments geben kann. Dabei lässt sich keineswegs für jeden Fall zweifelsfrei feststellen, dass im Vordergrund die Überlegung steht, dass der Notar sich von der Testierfähigkeit überzeugen muss.
Hinzu kommt, dass durch die Erstellung eines notariellen Testaments dem Gericht die Prüfung der Testierfähigkeit nicht entzogen ist. Für eine solche Überlegung findet sich im Gesetz keine Grundlage. Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BeurkG soll der Notar die Beurkundung ablehnen, wenn einem der Beteiligten nach der Überzeugung des Notars die Geschäftsfähigkeit fehlt. Zweifel an der erforderlichen Geschäftsfähigkeit eines Beteiligten soll der Notar in der Niederschrift festhalten, § 11 Abs. 1 S. 2 BeurkG. Gemäß § 28 BeurkG soll der Notar bei der Beurkundung von Verfügungen von Todes wegen seine Wahrnehmungen über die erforderliche Geschäftsfähigkeit in der Niederschrift vermerken. Dabei binden die Feststellungen des Notars die Gerichte nicht (BeckOK BGB, Bamberge/Roth/Hau/Poseck, 43. Edition, BeurkG § 11 Rn. 12 m.w.N.; MüKo/Hagena, 7. Auflage 2017, § 28 BeurkG Rn. 8; BayOLG, Beschluss vom 17.04.2004 – 1 Z BR 054/04 -, juris).