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Beschwerde gegen Erbscheinerteilung

Erblasser enterbt Tochter: Gericht bestätigt Erbschein zur neuen Erbkonstellation

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat in seinem Urteil vom 18. April 2023 entschieden, dass die Beschwerde gegen die Erteilung eines Erbscheins unbegründet ist und die Kosten des Verfahrens von der Beschwerdeführerin zu tragen sind. Im Kern ging es um die Gültigkeit eines Testaments und die daraus resultierende Erbfolge, insbesondere um die Frage, ob der Erblasser das gemeinschaftliche Testament nach dem Tod seiner Ehefrau wirksam ändern und die Beschwerdeführerin vom Erbe ausschließen konnte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 3 W 147/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht bestätigte die Gültigkeit des zuletzt erstellten Testaments, das die Beschwerdeführerin vom Erbe ausschließt.
  • Die Entscheidung beruht darauf, dass der Erblasser das Recht hatte, das gemeinschaftliche Testament zu ändern und Verfügungen zu treffen, die von diesem abweichen.
  • Es wurde klargestellt, dass die im Testament festgelegte Erbfolge und die Enterbung der Beschwerdeführerin rechtens sind.
  • Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen an die Beschwerdeführerin.
  • Die Erbquoten, wie sie im beantragten Erbschein angegeben sind, entsprechen der rechtlichen Lage.
  • Die Möglichkeit der Änderung eines gemeinschaftlichen Testaments durch den überlebenden Ehegatten wurde bestätigt.
  • Die Auslegung des Testaments durch das Gericht zielt darauf ab, den mutmaßlichen Willen des Erblassers zu erfüllen.
  • Die richterliche Entscheidung verdeutlicht die Bedeutung der testamentarischen Freiheit und der Möglichkeit, Erbfolgeregelungen zu treffen und zu ändern.

Streitpunkt Erbschein

Die Erteilung eines Erbscheins ist ein zentraler Schritt im Erbrecht, der nach dem Versterben einer Person die Erbfolge offiziell macht. Dieses Dokument ist vor allem dann von Bedeutung, wenn kein notarielles Testament oder Erbvertrag vorliegt, die als direkter Nachweis der Erbenstellung dienen könnten. Doch selbst wenn solche Dokumente existieren, können Unstimmigkeiten und rechtliche Auseinandersetzungen entstehen. Diese rühren oft daher, dass möglicherweise Pflichtteilsberechtigte übergangen wurden oder die Erbquoten falsch berechnet sind. Solche Situationen können zu einer Beschwerde gegen die Erteilung eines Erbscheins führen, was die Notwendigkeit einer genauen Prüfung und möglicherweise einer Korrektur durch das Nachlassgericht unterstreicht.

Die rechtlichen Herausforderungen in diesem Bereich sind vielfältig und betreffen nicht nur die unmittelbar Beteiligten, sondern werfen auch grundlegende Fragen zum Verständnis und zur Anwendung des Erbrechts auf. Von der korrekten Interpretation testamentarischer Anordnungen bis hin zur Klärung der Rechtslage bei vermeintlicher Enterbung – die Auseinandersetzung mit dem Thema Erbscheinerteilung zeigt die Komplexität des Erbrechts und die Bedeutung einer sorgfältigen juristischen Beratung und Begleitung.

Im Zentrum des Rechtsstreits am Oberlandesgericht Brandenburg stand eine Beschwerde gegen die Erteilung eines Erbscheins, die sich aus einem komplexen familiären und testamentarischen Hintergrund ergab. Die Beschwerdeführerin, Tochter des verstorbenen Erblassers, wandte sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam, der ihre Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins zurückwies.

Der Kern des Streits: Testament und Erbansprüche

Die Auseinandersetzung drehte sich um zwei Testamente. Das erste, ein gemeinschaftliches Testament von 1988, setzte die Ehefrau und den Erblasser gegenseitig als Alleinerben und ihre Tochter sowie deren Kinder als Schlusserben ein. Ein weiteres Testament aus dem Jahr 2014, nach dem Tod der Ehefrau erstellt, schloss die Tochter vom Erbe aus und bestimmte deren Kinder zu Ersatzerben. Der Antragsteller, ein Enkel des Erblassers, forderte die Erteilung eines Erbscheins, der die neue Erbkonstellation widerspiegeln sollte.

Rechtliche Herausforderungen und Interpretationen

Die Beschwerdeführerin argumentierte, das gemeinschaftliche Testament sei wechselbezüglich und könne nach dem Tod eines Ehepartners nicht einseitig geändert werden. Das Nachlassgericht und später das Oberlandesgericht mussten daher klären, inwieweit der Änderungsvorbehalt des gemeinschaftlichen Testaments eine nachträgliche Enterbung zulässt.

Gerichtliche Entscheidung zur Erbscheinerteilung

Das Oberlandesgericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts. Es urteilte, dass der Erblasser berechtigt war, das gemeinschaftliche Testament zu ändern und die Beschwerdeführerin von der Erbfolge auszuschließen. Die Gerichte sahen in der Formulierung des gemeinschaftlichen Testaments einen klaren Änderungsvorbehalt, der dem überlebenden Ehegatten erlaubte, abweichende Verfügungen zu treffen.

Gründe für die gerichtliche Entscheidung

Die Gerichte legten dar, dass der Erblasser mit dem Testament von 2014 die Beschwerdeführerin wirksam vom Erbe ausgeschlossen und ihre Kinder als Ersatzerben eingesetzt hatte. Diese Entscheidung basierte auf der Auslegung des Änderungsvorbehalts im gemeinschaftlichen Testament und der erbrechtlichen Bestimmungen des BGB. Das Gericht betonte, dass der Wille des Erblassers, insbesondere die Enterbung der Tochter, rechtlich wirksam umgesetzt wurde.

Das Oberlandesgericht Brandenburg wies die Beschwerde gegen die Erteilung des Erbscheins zurück und bestätigte damit die Erbfolge, wie sie der Erblasser in seinem letzten Willen festgelegt hatte.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was versteht man unter wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament?

Unter wechselbezüglichen Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament versteht man Bestimmungen, die Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner so treffen, dass die Verfügung des einen mit der des anderen in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis steht. Das bedeutet, dass ein Ehegatte eine bestimmte Verfügung gerade deshalb trifft, weil der andere Ehegatte eine entsprechende Verfügung getroffen hat. Die Verfügungen sind so miteinander verbunden, dass sie gemeinsam gelten oder gemeinsam entfallen. Dies wird auch als Bindungswirkung bezeichnet.

Die Wechselbezüglichkeit sorgt dafür, dass die Verfügungen zu Lebzeiten beider Partner nicht einseitig ohne das Wissen des anderen geändert werden können. Nach dem Tod eines Partners erlischt für den überlebenden Partner sogar das Recht zum Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen. Dies dient der Sicherheit und dem Schutz der letztwilligen Entscheidungen des zuerst verstorbenen Partners.

Wechselbezügliche Verfügungen können Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen sein, aber nicht die Enterbung oder der Verzicht auf Erb- oder Pflichtteilsansprüche. Wenn aus dem Testament nicht eindeutig hervorgeht, welche Verfügungen wechselbezüglich sein sollen, kommt die gesetzliche Auslegungsregel zum Tragen, die im Zweifel von einer Wechselbezüglichkeit ausgeht, insbesondere wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken.

Es ist ratsam, im Testament genau festzuhalten, welche Verfügungen wechselbezüglich und damit bindend sind und welche nicht. Dies kann durch eine ausdrückliche Anordnung im Testament geschehen.

Welche Rolle spielt die Enterbung im Kontext der Erbfolge?

Die Enterbung spielt im Kontext der Erbfolge eine wesentliche Rolle, indem sie es ermöglicht, bestimmte Personen von der gesetzlichen Erbfolge auszuschließen. In Deutschland regelt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sowohl die gesetzliche Erbfolge als auch die Möglichkeiten, von dieser abzuweichen, etwa durch ein Testament oder einen Erbvertrag. Die Enterbung ist ein solches Mittel, um von der gesetzlichen Erbfolge abzuweichen.

Wenn jemand stirbt, ohne ein Testament oder einen Erbvertrag zu hinterlassen, greift die gesetzliche Erbfolge. Diese bestimmt, wer Erbe wird und zu welchen Teilen das Erbe aufgeteilt wird. Die gesetzliche Erbfolge berücksichtigt in erster Linie die Verwandtschaft zum Verstorbenen und den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner. Durch eine Enterbung kann der Erblasser jedoch bestimmte Personen, die sonst nach der gesetzlichen Erbfolge erbberechtigt wären, von der Erbfolge ausschließen.

Eine Enterbung erfolgt durch eine ausdrückliche Erklärung im Testament oder Erbvertrag. Der Erblasser kann entweder direkt angeben, wer enterbt werden soll, oder durch die Ernennung von Erben indirekt zum Ausdruck bringen, dass bestimmte gesetzliche Erben ausgeschlossen werden sollen. Es ist nicht erforderlich, einen Grund für die Enterbung anzugeben.

Trotz Enterbung haben bestimmte nahe Verwandte, wie Kinder und der Ehegatte, einen Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Dies bedeutet, dass selbst wenn jemand enterbt wurde, er oder sie unter Umständen immer noch einen finanziellen Anspruch gegen den Nachlass geltend machen kann.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Enterbung und die Pflichtteilsansprüche komplexe rechtliche Themen sind, die von Fall zu Fall unterschiedlich sein können. Daher ist es ratsam, sich bei der Planung einer Enterbung oder bei Fragen zu Pflichtteilsansprüchen rechtlich beraten zu lassen, um sicherzustellen, dass die eigenen Wünsche rechtsgültig umgesetzt werden und um mögliche Konflikte nach dem Erbfall zu minimieren.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  1. § 2270 Abs. 2 BGB (Wechselbezügliche Verfügungen) – Erläutert, dass Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten als wechselbezüglich gelten, wenn sie in einem inneren Zusammenhang stehen, sodass anzunehmen ist, dass die eine ohne die andere nicht getroffen worden wäre. Im Urteil relevant, da die Wirksamkeit der Enterbung unter diesem Gesichtspunkt betrachtet wird.
  2. § 2271 Abs. 2 BGB (Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente) – Bestimmt, dass nach dem Tod eines Ehegatten wechselbezügliche Verfügungen nicht mehr frei widerrufen werden können. Dieser Paragraph ist zentral, um zu verstehen, warum eine spätere Änderung des Testaments durch den überlebenden Ehegatten rechtliche Fragen aufwirft.
  3. § 1938 BGB (Enterbung) – Regelt die Möglichkeit, einen gesetzlichen Erben durch testamentarische Verfügung vom Erbe auszuschließen. Im Kontext des Urteils bedeutend für die Beurteilung der Rechtsfolgen der testamentarischen Enterbung der Beschwerdeführerin.
  4. § 58 ff. FamFG (Verfahren in Familiensachen) – Diese Vorschriften regeln das Verfahren in Familiensachen, zu denen auch Erbscheinsverfahren gehören. Sie sind für das Verständnis des gerichtlichen Verfahrens, das zur Entscheidung des Oberlandesgerichts führte, wesentlich.
  5. § 84 FamFG (Kostenentscheidung in Familiensachen) – Legt die Grundsätze für die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens fest. Dieser Paragraph erklärt, warum die Beschwerdeführerin zur Tragung der Kosten des Beschwerdeverfahrens verpflichtet wurde.
  6. § 36 Abs. 3 GNotKG (Geschäftswert bei der Festsetzung von Gerichtskosten) – Bestimmt, wie der Geschäftswert in gerichtlichen Verfahren festgesetzt wird, was für die Bestimmung des Beschwerdewerts von 5.000 € im vorliegenden Fall relevant ist.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 3 W 147/22 – Beschluss vom 18.04.2023

1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 07.10.2022, Az. 52 VI 1020/21, wird zurückgewiesen.

2. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin ist die Tochter des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau. Der Antragsteller und die Beteiligte zu 2 sind die Kinder der Beschwerdeführerin, also die Enkel des Erblassers. Die Beteiligte zu 3 ist eine weitere Enkelin des Erblassers.

In dem gemeinschaftlichen Testament vom 03.05.1988 haben sich der Erblasser und seine Ehefrau gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt und zu Schlusserben die Beschwerdeführerin mit einer Quote von 2/3 und die Beteiligten zu 1 bis 3 mit einer Quote von jeweils 1/9 eingesetzt.

Ferner heißt es unter Ziffer 2.:

„Ersatzerben unserer Tochter A… P… sollen ihre Nachkommen nach gesetzlicher Erbfolge sein.“

Ziffer 3. Lautet:

„Der überlebende Ehegatte wird ermächtigt, von diesem Testament abweichende Verfügungen zu machen.“

Der Erblasser errichtete am 28.07.2014 nach dem Tod seiner Ehefrau am 02.05.2014 ein weiteres Testament, in dem es unter anderem heißt.

„Meine Tochter A… B…, geb… schließe ich für das zustehende Pflichtteil bei meinem zu vererbenden Vermögen aus. …“

Es folgen weitere Anordnungen zur Verteilung seines Vermögens.

Der Antragsteller begehrt die Erteilung eines Erbscheins, beschränkt auf das im Inland befindliche Vermögen des Erblassers – dahingehend, dass der Erblasser beerbt wird von ihm selbst und der Beteiligten zu 2 zu je 4/9 und der Beteiligten zu 3 zu 1/9. Er beruft sich hierfür auf das gemeinschaftliche Testament des Erblassers und seiner Ehefrau vom 03.05.1988 und das Testament des Erblassers vom 28.07.2014. Er vertritt die Auffassung, der Erblasser habe das gemeinschaftliche Testament abändern und die Beschwerdeführerin wirksam vom Erbe ausschließen können. Durch die Enterbung der Beschwerdeführerin im Testament vom 28.07.2014 seien entsprechend der – weiterhin gültigen – Regelung im gemeinschaftlichen Testament deren Kinder ihre Ersatzerben geworden. Daraus ergebe sich die im Erbscheinsantrag genannte Erbquote. Bei den weiteren Regelungen im Testament des Erblassers handele es sich nur um die Anordnung von Vermächtnissen bzw. Teilungsanordnungen.

Die Beschwerdeführerin hat die Auffassung vertreten, der Erblasser habe das gemeinschaftliche Testament nicht wirksam abändern können, da die Regelungen im gemeinschaftlichen Testament, das eine Einsetzung der Beschwerdeführerin als Schlusserbin mit einer Quote von 2/3 enthalte wechselbezüglich seien.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 07.10.2022 die Tatsachen, die zur Begründung des Antrags erforderlich sind, für festgestellt erachtet.

Der Erblasser habe aufgrund des Änderungsvorbehalts im gemeinschaftlichen Testament abweichende Verfügungen treffen dürfen. Hiervon habe er Gebrauch gemacht und die Beschwerdeführerin mit dem Testament von 28.07.2014 von der Erbfolge ausgeschlossen. Dadurch komme die Ersatzerbenregelung im gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten zum Zuge, nach der die Kinder der Beschwerdeführerin deren Ersatzerben sein sollten.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde. Sie wendet ein, sie sei aufgrund der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments nicht wirksam von der Erbfolge ausgeschlossen worden. Zudem enthalte das Testament des Erblassers vom 28.07.2014 eine neue Verteilung des Vermögens und eine Einsetzung weiterer Personen als Erben, so dass der Erbscheinsantrag bereits aus diesem Grund die Erbfolge nicht zutreffend wiedergebe.

II.

Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Der vom Antragsteller beantragte Erbschein gibt die Erbquoten richtig wieder. Erben des Erblassers sind der Antragsteller und die Beteiligte zu 2 zu je 4/9 und die Beteiligte zu 3 zu 1/9 geworden.

Der Erblasser war nicht gehindert, das gemeinschaftliche Testament nach dem Tod seiner Ehefrau abzuändern und die Beschwerdeführerin vom Erbe auszuschließen. Zwar ist die Einsetzung der Beschwerdeführerin als Schlusserbin im gemeinschaftlichen Testament als wechselbezüglich zur gegenseitigen Erbeinsetzung anzusehen (§ 2270 Abs. 2 BGB) und kann eine wechselbezügliche Verfügung regelmäßig nach dem Tod des anderen Ehegatten nicht mehr widerrufen werden (§ 2271 Abs. 2 BGB). Der Umfang der Wechselbezüglichkeit und der erbrechtlichen Bindung obliegt aber den Beteiligten. Da es den Ehegatten freisteht, zu bestimmen, ob und inwieweit ihre Anordnungen wechselbezüglich sein sollen, sind sie auch befugt, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über dem vom Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern, zu beschränken oder auszuschließen und dem Überlebenden sogar ein freies Widerrufsrecht einzuräumen. Es steht ihnen frei, zu bestimmen, ob die Änderbarkeit einer Verfügung über die in § 2271 BGB vorgesehen Möglichkeiten erweitert wird (OLG Rostock, Beschluss vom 25.08.2020, 3 W 94/19).

Genau dies ist vorliegend erfolgt. Ziffer 3. des gemeinschaftlichen Testaments enthält nach seinem eindeutigen Wortlaut eine umfassende Abänderungsklausel. Dem Wortlaut der Klausel, der Längstlebende werde ermächtigt, nach dem Tod des Erstversterbenden „von diesem Testament abweichende Regelungen zu treffen“, kann nur so verstanden werden, dass diesem die Befugnis eingeräumt wird, frei von einer Bindung an die Regelungen des gemeinschaftlichen Testaments anderweitige Verfügungen über den beiderseitigen Nachlass zu treffen. Dazu gehört auch die Befugnis, die Einsetzung der Schlusserben abzuändern (OLG Rostock a.a.O. m.w.Nachweisen; Burandt/Rojahn, Braun/Schuhmann, 4. Aufl. 2022, BGB, § 2271, Rn 28 ff).

Durch das Testament vom 28.07.2014 hat der Erblasser die Beschwerdeführerin vom Erbe ausgeschlossen und sie enterbt (§ 1938 BGB). Dies ergibt sich aus der Formulierung auf Seite 1 des Testaments einschließlich der Begründung zum Pflichtteilsentzug. Der Erblasser wollte die Beschwerdeführerin ersichtlich – soweit rechtlich möglich – vom Erbe ausschließen. In dem Pflichtteilsentzug kommt damit auch der Wille einer Enterbung zum Ausdruck (vgl. Beck OGK, § 1938, Rn 16). Durch die Enterbung der Beschwerdeführerin wurde ihre Einsetzung als Schlusserbin aus dem gemeinschaftlichen Testament wirksam widerrufen. Damit sind nach der Regelung in Ziffer 2 des gemeinschaftlichen Testaments ihre Kinder als deren Ersatzerben in die Stellung der Beschwerdeführerin eingetreten. Ein Widerruf auch der weiteren Verfügung aus dem gemeinschaftlichen Testament ergibt sich aus dem Testament des Erblassers nicht. Dieses enthält keine Erbeinsetzung, sondern nur Teilungsanordnungen bzw. Vermächtnisse.

Die übereinstimmende Auslegung eines Testamentes, die hier darin zum Ausdruck kommt, dass keiner der weiteren im Testament des Erblassers erwähnten Personen ein Erbrecht für sich in Anspruch nimmt, das von dem gestellten Erbscheinsantrag abweicht und die Beteiligten zu 1 bis 3 übereinstimmend den Erbschein so wie beantragt für richtig halten, bindet das Nachlassgericht zwar, ebenso wie ein nur schuldrechtlich wirkender Auslegungsvertrag, nicht. Es kann dem zumindest aber indizielle Wirkung zukommen, wenn nach den Umständen angenommen werden kann, dass die vereinbarte Auslegung dem Erblasserwillen entspricht (KG, Beschluss vom 16.09.2003, 1 W 48/02). Dies ist hier der Fall. Auch der Senat geht davon aus, dass es bei der Verteilung des Erbes, so wie sie im gemeinschaftlichen Testament vorgesehen war, bleiben sollte, mit Ausnahme der Enterbung der Beschwerdeführerin. Ersichtlich kam es dem Erblasser in erster Linie auf die Enterbung der Tochter an. Dass er darüber hinaus von der Einsetzung der Erben, wie im gemeinschaftlichen Testament erfolgt, abweichen wollte und die Ersatzerbenregelung nicht zum Zuge kommen sollte, lässt sich dem Testament nicht sicher entnehmen. Es ist davon auszugehen, dass der Erblasser eine Abweichung von der gemeinsamen Einsetzung der Schlusserben im gemeinschaftlichen Testament nur insoweit wollte, als er erhebliche Gründe für eine Änderung der gemeinsam getroffenen Regelung hatte. Dieser lag im Zerwürfnis mit der Beschwerdeführerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG; die Festsetzung des Beschwerdewerts richtet sich mangels anderer Erkenntnisse nach der Auffangvorschrift des § 36 Abs. 3 GNotKG.

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